Das Thema Wohnen bei der Integration von Geflüchteten
Artikel vom 12.07.2016
Die vierte Denkwerkstatt der Veranstaltungsreihe „Herkunft-Ankunft-Zukunft“ setzte sich am 16. Juni 2016 mit Fragen nach geeigneten Unterbringungsmöglichkeiten für Geflüchtete auseinander. Von Vera Elena Albrecht und Natascha Riegger
Zur Wohnungssituation in Deutschland
Die vierte Denkwerkstatt zur Integration Geflüchteter widmet sich dem Thema Wohnen. Die Bereitstellung von Wohnraum ist eine elementare Voraussetzung für die Aufnahme und Integration geflüchteter Menschen. Neben kurzfristigen Fragen nach der Unterbringung Geflüchteter in sogenannten Erstaufnahmeeinrichtungen stellen sich in diesem Zusammenhang mittelfristig Fragen danach, wie diese Herausforderung von Architektur, Stadt- und Regionalplanung sowie Politik gemeistert werden kann.
Prof. Dr. Christian Brütt, stellvertretender Leiter des Instituts für Soziale Arbeit und Sozialpolitik der Hochschule Darmstadt, leitet mit zentralen Überlegungen in das Thema ein: Es muss bedacht werden, dass Wohnen ein Grundbedürfnis ist. Daraus ergibt sich die zentrale Rolle dieses Aspekts im Integrationsdiskurs. Festgehalten werden muss auch, so Christian Brütt, dass Probleme im Zusammenhang mit bezahlbarem Wohnraum in Deutschland schon länger bestehen. Fragen, die hierbei diskutiert werden, sind nicht erst durch Migration und Flucht entstanden, auf Grund der aktuellen Situation hat sich die Debatte allerdings verschärft. Bislang waren diese Probleme lediglich bei Fachleuten auf der politischen Agenda vertreten. Aus stadtsoziologischer Sicht sind vor allem die Stichworte „Segregation“ und „Gentrifizierung“ als Entwicklungen zu nennen, die in den Wissenschaften stark diskutiert werden. Klar sein muss ebenfalls, dass Wohnungslosigkeit auch für in Deutschland Beheimatete existiert. Leider gibt es zur Wohnungslosigkeit keine bundesweite Statistik, so Christian Brütt. Auch die Bundesregierung greift in ihren Armuts- und Reichtumsberichten auf Daten der Bundesgemeinschaft Wohnungslosenhilfe zurück. Der Bundesgemeinschaft Wohnungslosenhilfe zufolge waren im Jahr 2014 335.000 Menschen in Deutschland wohnungslos, wovon etwa ein Drittel Menschen mit Migrationshintergrund ausmachten. Diese Zahl ist in den letzten Jahren stark gestiegen. Im Jahr 2012 waren 284.000 Menschen wohnungslos.
Doch auch viele der Menschen, die in einer Wohnung leben sind durch deren Finanzierung stark belastet, so Christian Brütt. Wohnen kostet Geld, was unterschiedliche Einkommensgruppen unterschiedlich stark belastet. So gibt der Bevölkerungsdurchschnitt laut europäischer Statistik (Eurostat) etwa 27 Prozent seines Einkommens für Wohnen aus. Menschen, die unterhalb der Armutsrisikogrenze leben, müssen dagegen etwa 52 Prozent ihres Einkommens für Wohnraum aufwenden. Diese Belastungen werden laut Christian Brütt in Zukunft weiter verschärft werden. In diesem Zusammenhang muss gefragt werden, wie sich Geflüchtete zukünftig auf dem deutschen Wohnungsmarkt behaupten können. Christian Brütt geht davon aus, dass die meisten von ihnen zunächst im Niedriglohnsektor Beschäftigung finden werden. Dies ist umso problematischer, da günstiger Wohnraum aktuell schon ein umkämpftes Feld ist. Die Bundesregierung geht von einem jährlichen Bedarf von 300.000 neuen Wohnungen aus. Wohnungsnot ist also, so betont Christian Brütt, nicht ursächlich durch Migration entstanden. Vielmehr existiert das Problem der Wohnungsnot in Deutschland, vor allem in Ballungsgebieten, schon über ein Jahrzehnt. Wie wichtig Wohnen für die gesamte Bevölkerung ist, verdeutlicht er anhand eines Zitates des 4. Armuts- und Reichtumsberichts der Bundesregierung aus dem Jahr 2013: „Die Versorgung mit ausreichendem, qualitativ gutem und auch bezahlbarem Wohnraum ist eine wichtige Voraussetzung für ausreichende Teilhabe und Lebensqualität. Neben einer angemessenen Wohnraumversorgung für alle Bevölkerungsteile und einer tragbaren Mietbelastung spielt dabei die Wohnumgebung eine wichtige Rolle. „Vor diesem Hintergrund wird einmal mehr deutlich, dass es bei der Flüchtlingsfrage um mehr geht als um eine reine Unterbringung der Menschen. Vielmehr müssen Fragen danach gestellt werden, wie die Menschen sich in Zukunft in unserer Gesellschaft bewegen können. Dazu gehört auch die Frage, wie Geflüchtete zukünftig möglichst frei auf dem Wohnungsmarkt teilhaben können. Neben der Teilhabe spielt auch die Teilnahme eine wichtige Rolle“, so Christian Brütt. Dazu zählt auch die Gestaltungsmöglichkeit des eigenen Wohnraums und -umfelds.
Da das Thema Wohnraum nun durch den Zuzug von Geflüchteten nach Deutschland stärker auf der politischen Agenda verankert ist, hat sich ein Gelegenheitsfenster geöffnet. Dieses kann, wenn es nun richtig genutzt wird, zu einer Verbesserung der Wohnungslage in ganz Deutschland führen, so Christian Brütt.
Wohnen und Integrationsprozess
Prof. Dipl.-Ing. Kerstin Schultz, Professorin am Fachbereich Architektur der Hochschule Darmstadt und Architektin, gibt mit ihrem Input einen wissenschaftlichen Einblick in die Thematik. Kerstin Schultz hebt hervor, dass Aktion und nicht nur Zuschauen Grundlage für Verantwortung ist. Dies ist beim Bauen allerdings schwer herzustellen. Als Beispiel für verantwortliches Handeln im Sinne von Aktionen nennt Kerstin Schultz die Stadt Mannheim, die sie auch berät. Die Stadt hat mehrere Kasernen von der Bundesanstalt für Immobilien gekauft und entwickelt auf einer dieser Kasernen ein Wohnprojekt für 8.500 geflüchtete und nicht geflüchtete Menschen. An diesem Beispiel wird deutlich, wie viele Fragen gestellt werden müssen, damit ein Stadtquartier entstehen kann. Was für Strukturen, Regeln, Möglichkeiten und Systeme braucht es? In angrenzenden Kasernen sind in Mannheim 8.000 Geflüchtete untergebracht. Kerstin Schultz sieht hier ebenso ein solches Gelegenheitsfenster: Bis vor Kurzem war es nicht vorstellbar, Konversionsflächen so schnell zu öffnen und auf einen vertretbaren Stand zur Unterbringung von Menschen umzubauen. Denn in Deutschland gelten anspruchsvolle Regeln, Normen und Standards für Wohnen, die oft zu Hürden für Bauvorhaben werden. Als problematisch sieht sie insbesondere den Gegensatz von individualisiertem Wohnen gegenüber sozialer Verantwortung an. Hier gilt es, eine Balance zu finden. Denn laut Kerstin Schultz ist nichts so individualisiert wie Wohnen. Die Kosten und Standards für Wohnen steigen, was auch oft mit einem Anstieg der Wohnraumgröße Einzelner verbunden ist.
Gleichzeitig steigt in der wachsenden Metropolregion die Wohnungsnot. Parallel dazu existiert dennoch eine große Zahl leerstehender Wohnungen. Durch die erhöhte mediale und politische Aufmerksamkeit für das Thema sieht Kerstin Schultz die Chance, Architektur, soziale Verantwortung und Individualisierung in eine Balance zu bringen. Zu den Regeln und Normen zählen auch Aspekte wie Nachhaltigkeit, wirtschaftliches Bauen, Mobilität und Aneignung. Aus eigener Erfahrung berichtet Kerstin Schultz, dass Aneignung nur dann wirklich funktioniert, wenn eine Perspektive geschaffen wird. Menschen eignen sich Dinge nur an und nehmen nur dann Teil, wenn sie wissen, dass für sie selbst dadurch ein Wert entstehen kann. Als weiteres Beispiel für verantwortliches Handeln nennt Kerstin Schultz die Jefferson-Siedlung in Darmstadt. Hier gibt es viel Platz im Außenbereich und damit, wenn die Menschen Bleibe-Perspektiven haben, auch die Möglichkeit einen gemeinsamen sozialen Raum zu schaffen. Wohnende sollten im Interesse einer guten Entwicklung des Sozialraums in den Prozess miteinbezogen werden. So können beispielsweise Konzepte für Blumenbeete oder Kinderspiel-Räume fast eigenständig erarbeitet und umgesetzt werden. Man kann bei solchen Projekten beobachten, so Kerstin Schultz, dass sich kulturelle Wohnpraktiken unterscheiden. Diese Typologien wirken sich auch auf das Sozial- und Gemeinschaftswesen aus. Betrachtet man die Aspekte Schwelle, Raumstaffelung und Privatsphäre wird deutlich, dass die Wohnvorstellungen in Deutschland nicht sehr „modern“ sind. Wieso wird in Deutschland beispielsweise so wenig über Gemeinschaftsräume oder Nachnutzung nachgedacht? Abschließend appelliert Kerstin Schultz, dass umliegende Regionen durch mehr Infrastruktur gefördert werden müssen.
Die Leerstände gerade im ländlichen Raum können nur dann genutzt werden, wenn diese Regionen adäquat an das Verkehrsnetz der umliegenden Städte angebunden werden. Ebenso ist anzustreben, Wohnstandards zu senken, um den ungleichen Zugang zu Wohnraum abzuschwächen. Man muss, so Kerstin Schultz, an das System herangehen und Veränderungen in der Gesellschaft beginnen, statt einfach nur zu helfen oder zu unterstützen. Hier muss sich jeder selbst kritisch hinterfragen.
Die Wohnungssituation in Darmstadt
Barbara Akdeniz, Stadträtin der Wissenschaftsstadt Darmstadt, gibt mit ihrem Input einen Einblick in die Arbeit der Stadt Darmstadt. Sie geht davon aus, dass neben den schon laufenden Programmen neue Denkmuster entwickelt werden müssen, die in die Stadtplanung einwirken können. Dies gilt für das Themenfeld Wohnen nicht nur im Zusammenhang mit der Flüchtlingsfrage. Aber, so die Sozialdezernentin, neue Denkmuster müssen auch im Zusammenhang mit den neu Zugezogenen entwickelt werden, denn auch diese Menschen beeinflussen die deutsche Gesellschaft. Es geht nicht nur darum, dass Geflüchtete sich anpassen. Vielmehr muss die Stadtgesellschaft schauen, wie die Menschen leben wollen. Deswegen ist eine Grundprämisse, die Stadt gemeinsam zu gestalten. Stadtgestaltung kann nur auf der Basis bestimmter Rahmenbedingungen funktionieren. Diese sind aktuell, so Barbara Akdeniz, nicht problemlos.
So ist auch in Darmstadt der Trend, in die Städte oder deren Umkreis zu ziehen, wahrnehmbar. Umliegende Regionen leiden oft unter einer fehlenden oder nur mangelhaft ausgebauten Infrastruktur, wie es hier beispielsweise im Odenwald der Fall ist. Gleichzeitig steigt die Wohnungsnot in Städten wie Darmstadt. Zurzeit sind beim Darmstädter Wohnungsamt 2300 Haushalte wohnungssuchend gemeldet, nur ein kleiner Teil der Geflüchteten ist dort bereits erfasst. Brauchte man vor zehn Jahren noch etwa 600 neue Wohnungen im Jahr, so werden aktuell etwa 2000 Wohnungen pro Jahr benötigt. Die Stadt Darmstadt plant, 10.000 neue Wohnungen in den nächsten fünf Jahren zu erschließen. Bei der Schaffung von neuem Wohnraum muss die Bandbreite der Gesellschaft in den Blick genommen werden. Schwierig ist vor allem, Wohnraum für niedrige Einkommensklassen zu schaffen. Denn der soziale Wohnungsbau ist mit einem hohen Subventionsaufwand verbunden, der von der Kommune nicht unbegrenzt getragen werden kann. Auch Barbara Akdeniz sieht eine Chance in dem Umstand, dass das Thema Wohnen neue Aufmerksamkeit bekommt. So wurde ihr zufolge in den letzten zehn Jahren zu wenig in neuen Wohnraum investiert. Gerade der soziale Wohnungsbau ist vernachlässigt worden. Doch dies ist wichtig, so Barbara Akdeniz, da in diesen Wohnungen eine Mietpreisbindung gegeben ist und die Kommune steuern kann.
Um das Ankommen der Geflüchteten in Darmstadt zu unterstützen ist es Barbara Akdeniz zufolge wichtig, dezentrales Wohnen im eigenen Wohnraum zu ermöglichen. Auch der Sozialraum und Nachbarschaften spielen dabei eine große Rolle, was durch Gemeinwesenarbeit unterstützt werden kann. Hierfür muss der Wohnungsraum angepasst werden, so die Meinung. Privatleben für die geflüchteten Menschen zu schaffen ist ein Ziel, dass es zu erfüllen gilt. Dadurch, dass so viele Menschen in kurzer Zeit in Darmstadt angekommen sind, lässt sich die Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften mit fehlender Privatsphäre kurzfristig jedoch nicht vermeiden. Hier wird allerdings versucht, den Menschen so viel Privatsphäre und Selbstständigkeit wie möglich zur Verfügung zu stellen. Ein Beispiel hierfür ist die Jefferson-Siedlung, in der zurzeit etwa 700 geflüchtete Menschen untergebracht sind. Dazu zählen auch unbegleitete Minderjährige, die in einer betreuten Einheit leben. Auch Beschäftigungsprojekte haben sich etabliert, wie etwa ein Begegnungscafé.
Doch der soziale Anschluss in die Aufnahmegesellschaft kann in großem Umfang erst über dezentrales Wohnen im eigenen Wohnraum hergestellt werden. Problematisch ist, dass gerade Geflüchtete wenige Chancen auf dem freien Wohnungsmarkt haben. Auch für den Bezug von Wohnraum im sozialen Wohnungsbau gibt es Einschränkungen. So muss eine bestimmte Aufenthaltszeit nachgewiesen werden, um einen Anspruch auf eine solche Wohnung zu haben.
Eine Frage, die noch im Raum steht, ist laut Barbara Akdeniz, ab wann das Leben der Geflüchteten in die Selbstbestimmungsebene übergeht. Nach dem ersten Impuls zur Unterbringung der Menschen muss man nun in den Dialog mit Geflüchteten treten, um ihnen ein Ankommen in der Gesellschaft zu ermöglichen. Dabei muss bedacht werden, dass Perspektivlosigkeit den Prozess der Selbstbestimmung und Integration hemmt. Auch bei der Bewertung von Verhaltensweisen gilt es, dies zu bedenken. So müssen eigene Erwartungshaltungen zur den Integrationsbemühungen Geflüchteter in diesem Kontext hinterfragt werden.
Langfristig ist Ziel der Stadt Darmstadt, so Barbara Akdeniz, gemischte Stadtquartiere zu etablieren. Die dahin führende Steuerung gestaltet sich jedoch schwierig. Denn die Unterbringung von Geflüchteten ist kein Handeln im politischen Vakuum. Es gibt starke Gegenströme, auch von Seiten der Bevölkerung. Bislang wurden verschiedene Bürgerinitiativen gegründet, die – wenn auch über andere Argumentationsstränge – gegen eine Unterbringung von Geflüchteten in bestimmten Bezirken protestieren. Es bleibt zu hoffen, dass die Darmstädter Gesellschaft weltoffen bleibt und der Großteil auch weiterhin die Geflüchteten als Bereicherung empfindet, so Barbara Akdeniz.
Nicht Flüchtlingskrise, sondern Wohnkrise
Einen weiteren praktischen Input gibt Dorothea Köhler der Darmstädter AGIS (Antirassistische Gruppe Internationale Solidarität). Sie kann das Thema Wohnen aus verschiedenen Perspektiven beleuchten, da sie sowohl mit Geflüchteten arbeitet als auch beruflich in der Wohnungslosenhilfe tätig ist. Sie selbst lebt im Projekt Wohnsinn in Kranichstein, einer selbstverwalteten Genossenschaft gegen Spekulationen und Verschwendung von Wohnraum. Erörtert man den Aspekt Wohnen in Zusammenhang mit der Flüchtlingsfrage, muss man sich, Dorothea Köhler zufolge, zunächst verschiedene Grundsatzfragen stellen: Wie kann Verteilungsgerechtigkeit aussehen? In was für einer Gesellschaft leben wir? Vor diesem Hintergrund stellt sie fest, dass die deutsche Gesellschaft keineswegs – wie es so oft von den Medien beschrieben wird – von einer Flüchtlingskrise betroffen ist, sondern vielmehr auf das vorliegende Thema bezogen von einer Wohnkrise, die schon längere Zeit abzusehen war. So ist die Zahl der Wohnungslosen in Deutschland von 2012 auf 2014 um 18 Prozent gestiegen. Dieser starke Zuwachs an Wohnungslosigkeit zeigt deutlich, dass die Wohnungsnot in Deutschland unabhängig von dem verstärkten Zuzug entstanden ist.
In Deutschland kann eine zunehmende Verfestigung von Armut und Langzeitarbeitslosigkeit beobachtet werden. Menschen, die davon betroffen sind, haben es deutlich schwerer, Zugang zu Wohnraum zu finden. Dies gilt auch für Geflüchtete, so Dorothea Köhler. So gibt es heute schon viele Geflüchtete, die die Erstaufnahmeeinrichtungen auch nach ihrer Anerkennung nicht verlassen können, weil sie keine Wohnung finden. Daraus ergeben sich für Betroffene mehr Probleme als nur die reine Wohnungslosigkeit: Wohnen ist mehr als das Bereitstellen von Wohnraum, es ermöglicht Geflüchteten in der Gesellschaft ankommen zu können. Dazu braucht es allerdings auch Rechtssicherheit. Um sich wirklich niederlassen zu können, muss klar sein, dass man an dem Ort weiter wohnen darf.
In diesem Zusammenhang betrachtet Dorothea Köhler auch die angedachte Wohnraumzuweisung für Geflüchtete mit Befangenheit. Sie geht davon aus, dass durch ein solches Gesetz die Residenzpflicht faktisch wieder eingeführt werden würde. Ein weiteres Problem sind zu lange Asylverfahren. So berichtet Dorothea Köhler von somalischen Geflüchteten, die nach aktueller Gesetzeslage nicht abgeschoben werden können, aber dennoch ohne Anerkennung teilweise längerfristig in sogenannten Erstaufnahmeeinrichtungen unterkommen müssen. Dies bedeutet Perspektivlosigkeit sowie ausbleibende Sprachkurse und Integrationsförderung für Betroffene. Selbst Menschen, die viele Jahre in Deutschland mit einer Duldung gelebt haben, werden teilweise abgeschoben. Die damit einhergehende Unsicherheit ist ein gravierendes Integrationshemmnis. Als Zwischenfazit plädiert Dorothea Köhler für die Schaffung von gesetzlichen Grundlagen, die Geflüchtete vor Perspektivlosigkeit schützen. Außerdem muss Wohnraum für alle in Deutschland lebenden Menschen zur Verfügung gestellt werden, um aufkeimenden Konkurrenzkämpfen entgegen zu steuern. Angemessenes Wohnen ist, so die Meinung, ein Menschenrecht und muss gesetzlich gesichert werden. Von Seiten der Politik fordert Dorothea Köhler ein stärkeres Handeln gegen Wohnungsleerstände in Zeiten von Wohnungsnot.
Unterkunft in Erstaufnahmeeinrichtungen
Aus der Perspektive eines Betroffenen berichtet Mensur Mohammed Ibrahim. Er hat selbst als Asylbewerber 14 Monate in Oberursel in einer Erstaufnahmeeinrichtung aus Containern gelebt. Die dortigen Zustände beschreibt er als sehr beengt. Vor allem die fehlende Privatsphäre, mit der man zu kämpfen hat, wenn man sich mit einem Fremden ein sieben einhalb Quadratmeter großes Zimmer teilt, beschreibt er als sehr belastend. Mensur Mohammed Ibrahim betont, dass er sehr dankbar für die Aufnahme und den Schutz in Deutschland ist. In einer Erstaufnahmeeinrichtung brauchen die Menschen keinen Luxus, sagt er. Aber Grundbedürfnisse, wie etwa die Privatsphäre, müssten erfüllt werden, um angemessen leben zu können. Er selbst konnte nur mit der Hilfe von verschiedenen ehrenamtlich Engagierten eine Wohnung in Darmstadt finden. Dieses Glück haben aber nicht viele Geflüchtete, einige von ihnen leben mehrere Jahre in der Einrichtung in Oberursel. Dieser Einblick macht deutlich, wie wichtig die Wohnverhältnisse für das Leben jedes einzelnen Menschen sind.
Integration im Sozialraum
In der anschließenden Diskussion herrscht Konsens darüber, wie wichtig die Sozialraumorientierung in der Stadtplanung ist. Wohnquartiere sind, so ein Teilnehmer, ein sehr wichtiger Integrationsfaktor. Auch halböffentliche Räume, wie etwa nutzbare Freiräume bei Blockbebauungen, können hilfreich zur Vermeidung von Segregation sein. Wenn man Orte für Selbstständigkeit schafft, kann sozialer Anschluss besser entstehen. Eine Teilnehmerin merkt an, dass in diesem Zusammenhang auch Platz für Spontanität gegeben sein muss. So kann und muss nicht jegliche Sozialraumorientierung durch die Kommunen gesteuert werden, vielmehr ist es wichtig, den Menschen Gelegenheiten zu eröffnen. Um Geflüchteten die Möglichkeit zu geben, sich im Sozialraum zu integrieren, braucht es langfristig eine dezentrale Unterbringung, so eine andere Teilnehmerin. Hier muss allerdings hinterfragt werden, wie die Menschen in diesem Wohnraum erreicht und unterstützt werden können.
Selbstorganisation
Verschiedene Teilnehmende plädieren in diesem Zusammenhang dafür, mehr Gelegenheit für Selbstorganisation von Geflüchteten zu schaffen. So beschreibt eine Teilnehmerin, dass Projekte, die von staatlichen oder kommunalen Stellen geplant werden, nicht immer gut funktionieren. Vielmehr braucht es Räume, die nicht bestimmten Programmen zugeordnet sind. Wenn diese spontan genutzt werden können, haben Geflüchtete die Möglichkeit, dort in Selbstorganisation etwas aufzubauen. Es geht darum, Entwicklungen zuzulassen. Auch verschiedene Fähigkeiten, die Menschen mitbringen, können so besser zum Einsatz kommen. Teilhabe bedeutet immer auch Teilgabe, so eine Teilnehmerin. Alle Menschen brauchen das Gefühl, etwas geben zu können. Inklusion, also „Teilsein“ kann durch selbstorganisiertes Geben positiv beeinflusst werden. Ein Teilnehmer merkt an, dass Geflüchtete vom Objekt zum Subjekt gemacht werden müssen. Anstelle von starren Programmen sollen Freiräume geschaffen werden. Denn nur so kann direkt darauf reagiert werden, was vor Ort wirklich benötigt wird. Dem wird erwidert, dass Raum zur Verfügung stellen noch keine Raumnutzung impliziert. Geflüchtete Menschen brauchen demnach Anstöße, um die angebotenen Räume zu nutzen. Denn diese suchen in erster Linie Sicherheit und sind in ihrem Verhalten oft durch Perspektivlosigkeit eingeschränkt, so ein Beitrag. Wichtig ist auch, dass eine gegenseitige Annäherung in den Nachbarschaften vollzogen wird. Ebenso kann der Gruppenzusammenhalt innerhalb der Bewohnerschaft ein wichtiger Faktor für Integration sein. Dieser kann durch die selbstorganisierte Nutzung von Räumen gestärkt werden.
Ein anderer Teilnehmer trägt bei, dass gerade in den Erstaufnahmeeinrichtungen, etwa durch das Agieren des Sicherheitspersonals, statische Verhältnisse herrschen. Wie kann unter diesen Bedingungen ein Austausch zwischen Geflüchteten und Aufnahmegesellschaft stattfinden? Wie können Geflüchtete das Verhältnis zwischen Öffentlichkeit und Privatheit mitorganisieren? Dennoch werden beispielsweise Zäune rund um Erstaufnahmeeinrichtungen benötigt, so ein Beitrag. Auch wenn diese Abschottung signalisieren und eventuell einem Austausch entgegenwirken, können diese an vielen Stellen zum Schutz der Geflüchteten und aufgrund von Haftungsfragen nicht einfach abgebaut werden. Eine Teilnehmerin gibt außerdem zu bedenken, dass Gemeinschaftsunterkünfte andere Rahmenbedingungen haben als das Wohnen in dezentralem eigenem Wohnraum: Zunächst sollen Erstaufnahmeeinrichtungen Schutz für Geflüchtete bieten. Diese sollen dort nur vorübergehend untergebracht werden und um anschließend durch eigenständiges Wohnen Gelegenheit zur Integration in den Sozialraum bekommen. Verschiedene Teilnehmende plädieren für eine möglichst zeitnahe Schließung der Erstaufnahmeeinrichtungen. Vor dem vermehrten Zuzug von Geflüchteten war eine derartige Unterbringung von Menschen in Deutschland nicht denkbar: Die Unterbringung von Menschen war längst auf einem höheren Niveau mit anderen Standards. Aus diesem Grund, so eine weitere Meinung, sind Erstaufnahmeeinrichtungen langfristig normativ nicht tragbar.
Wohnraummangel
Anknüpfend an die Thematisierung des Wohnraummangels in deutschen Ballungszentren beschreibt eine Teilnehmerin, dass die Frage, wie Wohnraum gestaltet werden kann, im öffentlichen Diskurs noch nicht breit diskutiert wird. Bislang beherrscht das Aufzeigen, wie viel Wohnraum benötigt wird, die Debatten in den Stadtparlamenten. Diesbezüglich lässt sich beobachten, so der Beitrag, dass auf kommunaler Ebene vielerorts Wissen über das Beantragen von Fördergeldern oder den Umgang mit Wohnungsleerstand fehlt. Um dem entgegenzuwirken, plädiert die Teilnehmerin für mehr landkreisübergreifende Planung. Dem zustimmend fordert eine andere Teilnehmerin, dass dies auch für Mobilität gelten muss. Infrastruktur sollte landesübergreifend geplant werden, um bestimmte Bezirke besser anzubinden. In diesem Zusammenhang fordert eine Teilnehmerin mehr Mut: Die Wohnraumkrise ist lösbar, durch die steigende Aufmerksamkeit für das Thema kann viel bewegt werden. Gleichzeitig mahnt sie an, dass Verantwortliche sich bei stockender Umsetzung von Wohnraumschaffung nicht auf die Verantwortung gegenüber dem Gesetz berufen können. Vielmehr braucht es neue rechtliche Regelungen, die das Schaffen neuen Wohnraums unterstützen. Besonders Veränderungen im Baurecht werden dabei in der fortlaufenden Diskussion angesprochen. Brandschutz ist beispielsweise ein wichtiges Thema, das es bei der Umsetzung von Bauvorhaben zu berücksichtigen gilt. Dennoch sind die Regelungen oft zu starr und können damit im Weg stehen, wenn neuer Wohnraum realisiert werden soll, so ein Teilnehmer. Ebenso spielt die Haftungsübernahme eine wichtige Rolle bei der vorübergehenden Nutzung von Räumen. Vielfach dürfen Räume für gemeinnützige Zwecke nicht genutzt werden, weil Haftungsfragen ungeklärt bleiben.
Konkurrenzdenken
Gerade in Zeiten von großem Wohnraummangel nimmt das Konkurrenzdenken innerhalb der Bevölkerung zu. Die Konkurrenz wird einerseits von rechten Gruppen gezielt geschürt, andererseits wächst sie auch in der Mitte der Gesellschaft durch verschiedene Faktoren. Der angespannte Arbeitsmarkt trägt ebenso wie die steigende Altersarmut dazu bei. Unter den Teilnehmenden herrscht Konsens darüber, dass die verschiedenen gesellschaftlichen Probleme schon vor dem verstärkten Zuzug von Geflüchteten entstanden sind. Der Diskurs über die gesellschaftlichen Probleme wird in Deutschland schon länger geführt, nimmt aber im Zusammenhang mit der Flüchtlingsfrage zu. Das bedeutet auch, so ein Beitrag, dass aus der Vergangenheit gelernt werden kann. Es besteht also faktisch keine Konkurrenzsituation zwischen Geflüchteten und der länger in Deutschland lebenden Bevölkerung. Dennoch ist es wichtig, Konkurrenzdenken entgegen zu wirken und bei der Bevölkerung für Verständnis gegenüber den Geflüchteten und ihren Bedürfnissen zu werben. Dies ist nicht nur relevant, um ethnischen Konflikten und Segregation entgegenzuwirken. Die Zivilgesellschaft kann ihrerseits Geflüchtete unterstützen und beispielsweise Räume für die Selbstorganisation zur Verfügung stellen.
Wichtig ist in diesem Zusammenhang, mehr Transparenz zu schaffen und die Kommunikation von Seiten der Behörden zu verbessern. Außerdem braucht es Begegnungsorte für geflüchtete und nicht-geflüchtete Menschen. Ein Teilnehmer plädiert dafür, Räume als Schnittstellen für unterschiedliche Gruppen an den Erstaufnahmeeinrichtungen zu platzieren. Die starre Trennung zwischen öffentlichem und privatem Raum steht Begegnungen im Weg, so die Meinung. Ein anderes Konzept, das angestrebt werden kann, ist Begegnungsorte in der Stadt zu etablieren. Menschen müssen diese Orte erobern, so eine Teilnehmerin. Ein echter Austausch muss nicht unbedingt vor den Gemeinschaftsunterbringungen stattfinden. Vielmehr sind spontane Begegnungsorte in der Stadt erstrebenswert. Auch zwischen verschiedenen Geflüchtetengruppen ist in letzter Zeit Konkurrenzdenken entstanden, so ein Teilnehmer. Durch Abstufungen, wie etwa die Bildung von Reihenfolgen nach Herkunftsnationen in dem Ämtern oder unterschiedlichen Aussichten auf einen anerkannten Status, werden Konkurrenzsituationen nach Nationalität geschaffen.
Resümee
Wohnen ist ein Grundbedürfnis. Unter diesem Gesichtspunkt heben die Teilnehmenden die große Bedeutung einer guten Wohnraumplanung für Geflüchtete hervor. Es ist anzustreben, so ein Resultat der Denkwerkstatt, Geflüchtete schnellstmöglich ein Leben in eigenem Wohnraum zu ermöglichen. Neben der Privatsphäre, die damit gesichert wird, kann so auch die Teilhabe in der Aufnahmegesellschaft unterstützt werden. Wichtig ist hierbei, Sozialraumorientierung mitzudenken und in der Stadtplanung gemischte Quartiere anzustreben. Deutlich ist, dass dieses Ziel schwierig umsetzbar ist, da Kommunen in Ballungszentren wie Darmstadt zunehmend unter Wohnraummangel leiden. Das Zusammenspiel der Flüchtlingsfrage mit dem Problem Wohnraummangel kann, so Konsens der Teilnehmenden, ambivalent als Problem und Chance begriffen werden: Zum einen wird durch den Mangel etwaiges Konkurrenzdenken verstärkt. Zusätzlich haben Geflüchtete es schwer, eine Wohnung zu finden. Zum anderen bekommt das Thema Wohnen durch den vermehrten Zuzug von Geflüchteten und die Frage nach deren Unterbringung neue Aufmerksamkeit, die auch der bereits ansässigen Bevölkerung zu Gute kommen kann.
Um eine Polarisierung des Themas zu vermeiden ist es allerdings wichtig, transparent zu machen, dass Wohnungsmangel in Deutschland nicht durch den Zuzug von Geflüchteten ausgelöst wurde. Einigkeit herrscht unter den Teilnehmenden darüber, dass es jetzt gilt, genügenden Wohnraum zu schaffen, um angemessenes Wohnen für alle Menschen ermöglichen zu können.
Die Autorinnen: Natascha Riegger M.A., Ethnologin und Kulturanthropologin, ist wissenschaftliche Referentin der Schader-Stiftung. Vera Elena Albrecht studiert Soziologie an der Technischen Universität Darmstadt und war Praktikantin der Schader-Stiftung.