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Das Nest zieht in die Stadt

Artikel vom 25.08.2008

Foto: Mykhaylo Palinchak / Shutterstock.com

Soziale Entwicklungen wie der Wunsch nach Vereinbarkeit von Familie und Beruf haben vielfach eine räumliche Dimension. Junge Familien legen immer mehr Wert auf eine günstige Lage ihrer Wohnung, gute Infrastruktur, Betreuungs- und Bildungseinrichtungen in der Nähe und Kulturangebote. Von Jutta Allmendinger

Wo wollen junge Familien wohnen?

Die Region und regionale Unterschiede stehen in weiten Teilen des soziologischen Diskurses eher am Rande. Zwar ist häufig von „Glokalisierung“ die Rede, doch stehen Fragen der Globalisierung weit im Vordergrund. Im Bereich der meist vertikal strukturierten sozialen Ungleichheitsforschung nimmt die räumliche Dimension im Vergleich zu Schicht, Bildung, Geschlecht, Ethnie und Familiengröße eine ausgesprochen marginale Rolle ein. Ist überhaupt von Regionen die Rede, dann geht es im Zuge der Föderalismus-Debatte über Unterschiede in der Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik zwischen den Bundesländern, vielleicht auch über Disparitäten zwischen Ost- und Westdeutschland. Zu selten wird bislang einbezogen, dass viele Entwicklungen – der Bildungsstand der Bevölkerung, die Familienstruktur, die Arbeitsmarktchancen, die Integration von Personen mit Migrationshintergrund - eine ausgesprochen räumliche Komponente haben und sich zwischen Stadt und Land, aber auch innerhalb städtischer Bezirke stark unterscheiden.

Ich möchte dies mit einer kleinen Anekdote illustrieren. Vor einigen Tagen erzählte mir der Leiter der Abteilung Information und Kommunikation des Wissenschaftszentrums Berlin, Paul Stoop, von seinen touristischen Expeditionen an freien Wochenenden. Es sei mal wieder soweit gewesen und er habe zusammen mit seiner Frau einen Ausflug „vor die Haustüre“ unternommen, sei von Berlin-Zehlendorf nach Berlin-Mitte und den Prenzlauer Berg geradelt. Allerdings sei hierbei schnell der Eindruck entstanden, in einem anderen Land zu sein. „Schau mal, Paul“, so zitierte er seine Frau, „hier sitzt ein älterer Mann“. Herr und Frau Stoop sind 55 Jahre alt. Zuhause in Zehlendorf ist fast ein Viertel der Bevölkerung älter als 65 Jahre, also deutlich älter als sie selbst. Nach Berlin Mitte sind es sieben Kilometer. Hier liegt das Durchschnittsalter bei 39 Jahren und gerade 14% der Bevölkerung sind älter als 65 Jahre. Das ist mehr als ein gefühlter Unterschied, hier ist es richtig anders. Nirgends in Deutschland wird man vergleichsweise viele junge Väter mit Kinderwagen sehen. Und selten wohl auch so viele unbebaute innerstädtische Flächen, die als Spielplätze den kleinen Kindern gewidmet sind. 

Was verbirgt sich hinter dieser Beobachtung? Können wir erkennen, dass junge Familien den Weg zurück in innerstädtische Räume finden werden und nicht mehr an der Peripherie wohnen wollen? Da verallgemeinerbare empirische Untersuchungen fehlen, können wir nur informiert spekulieren. Zunächst passt die Alltagsbetrachtung meines Kollegen zu den Ergebnissen einer gerade abgeschlossenen Untersuchung, in der Frauen und Männer zwischen 17 und 19 sowie zwischen 27 und 29 Jahren gefragt wurden, wie sie leben wollen.1 Sie wollen erwerbstätig sein, mit Partner oder Partnerin in der Stadt leben mit Kindern, mit einer guten Kinderbetreuung. Die explorativen Interviews führten noch weiter. Sie möchten keine langen Anfahrten zum Betrieb, inmitten der Infrastruktur von Kitas und Schulen mit besten Verkehrsanbindungen wohnen und nicht auf Kultur verzichten. Es sind die gut gebildeten Frauen, die ein „Zuhause in der Stadt“ vorantreiben, es leben möchten und es zunehmend leben. Mit Partnern, die ihnen den Rücken freihalten, Kinder und den Haushalt machen. Die wissen, dass sie Partnerinnen nur bekommen, wenn auch sie ihre Zeit zumindest ansatzweise zwischen Erwerbsarbeit, Hausarbeit und Kinderzeiten teilen.

Im Folgenden werde ich die strukturellen Hintergründe solcher Lebensentwürfe skizzieren. Kurz stelle ich die demographische Entwicklung und die Veränderungen der Bildungs- und Berufsstrukturen dar und umreiße damit auch die in meinen Augen neue Stellung von Frauen in der Gesellschaft heute. Ich komme dann zu einem regionalen Blick und argumentiere, dass die veränderte Stellung von Frauen auch eine räumliche Komponente hat.

Rahmendaten zu Demografie, Arbeitsmarkt- und Bildungsstruktur

Das Zahlenverhältnis zwischen Alt und Jung wird sich rasch und stark verändern: Waren Ende 2005 noch 19% der Bevölkerung über 65 Jahre alt und 61% im Erwerbsalter zwischen 20 und 65 Jahren, so wird im Jahre 2050 ein Drittel der Bevölkerung über 65 Jahre alt sein, und nur die Hälfte wird im Erwerbsalter sein (Abbildung 1 in der Bildergalerie). Den meisten von uns erscheint das Jahr 2050 noch in weiter Ferne. Die heute 20jährigen werden dann aber erst sechzig sein.

Mit diesem Bevölkerungsumbruch gehen hohe Verluste im durchschnittlichen Bildungsniveau einher. In den nächsten Jahren werden sehr viele gut ausgebildete Erwerbstätige in den Ruhestand treten, ohne dass entsprechend viele Personen nachfolgten, die ein vergleichbar hohes Qualifikationsniveau hätten. Man muss sich nur vorstellen: Selbst wenn die nachwachsenden Generationen alle eine wesentlich bessere Bildung als die heute Aktiven hätten, würden dem Arbeitsmarkt absolut gesehen immer noch weniger gut gebildete Personen zur Verfügung stehen.2

Erschwerend kommt hinzu, dass die deutsche Wirtschaft einen „doppelten Strukturwandel“3 durchläuft. Die Produktion wächst im industriellen Sektor im Vergleich zum Dienstleistungssektor kaum, und der industrielle Sektor weist seit Anfang der 1990er Jahre eine deutlich negative Beschäftigungsbilanz auf. Die wissens- und forschungsintensiven Wirtschaftszweige im produzierenden Bereich wie im Dienstleistungssektor expandieren.

Beide Entwicklungen führen dazu, dass Zuwächse in der Wertschöpfung und in der Beschäftigung in Deutschland nur noch auf die forschungs- und wissensintensiven Branchen zurückzuführen sind (Abbildung 2 in der Bildergalerie). Vor allem unternehmensbezogene Dienstleistungen, also Forschung und Entwicklung, Markt- und Meinungsforschung oder IT-Beratung, gewinnen stark an Bedeutung. Damit werden für Geringqualifizierte die Chancen schlechter, Arbeit zu finden; der Bedarf an höher qualifiziertem Personal wird weiter steigen.4

Eine Zeitlang schien sich die deutsche Gesellschaft darauf auch eingestellt zu haben. Zwischen 1955 und 1995 erlebte Deutschland die vier goldenen Jahrzehnte einer Bildungspolitik, die gute Bildung für möglichst viele ermöglichen wollte (Abbildung 3 in der Bildergalerie). Die Gewinne waren hoch: Besuchten 1955 noch 75% eine Hauptschule, so verringerte sich dieser Anteil bis 1995 auf 25%. Besuchten 1955 noch 16% das Gymnasium, so waren es 1995 bereits 31%. Diese Zeiten der Bildungsexpansion sind vorbei.

So sollte man meinen. Schaut man jedoch genauer auf die Daten, so zerfällt Abbildung 3 (in der Bildergalerie) in zwei ganz unterschiedliche Geschichten. Keine davon erzählt von einer Stagnation. Zunächst die Geschichte der Frauen. In den Jahren zwischen 1990 und 2006 stieg der Frauenanteil unter den Abiturienten von 46,3% auf 54,7% (Abbildung 4 in der Bildergalerie). Die Aussage einer allgemeinen Bildungsstagnation ist damit falsch. Frauen führen die begonnene Bildungsexpansion fort. Die zweite Geschichte ist die der Männer. Auch sie erleben keine Stagnation, sie befinden sich einer Phase der rasanten Bildungsregression.

Doch damit nicht genug. Auch bei den kognitiven Kompetenzen öffnet sich die Geschlechterschere. Schauen wir auf die Daten des „Programme of International Student Assessment“, kurz PISA, welches seit dem Jahr 2000 die Kompetenzen von 15jährigen Schülerinnen und Schülern aller Schulformen in Lesen, Mathematik, Naturwissenschaften und anderen Bereichen international einheitlich erhebt und vergleicht.5 Und schauen wir dort auf zwei Gruppen: Zunächst geht es um die Kompetenzarmen – das sind Jugendliche, die unterhalb der PISA-Stufe II liegen.6 Diese Gruppe wird vom PISA Konsortium als „Risikogruppe“ beschrieben, zum Teil als „funktionale Analphabeten“. Dann schauen wir auf die Kompetenzreichen, das sind Jugendliche, die über Kompetenzen auf der PISA-Stufe V verfügen. Unter den Kompetenzarmen sind weniger Mädchen als Jungen (Abbildung 5 in der Bildergalerie). Lag im Jahr 2000 der Anteil kompetenzarmer Mädchen noch bei 18,1%, lag er 2006 nur noch bei 14,2%. Bei den Jungen sprechen wir dagegen von konstant hohen Anteilen zwischen 25,5 und 28%. Soweit das untere Ende der Verteilung. Der Blick nach oben zu den Kompetenzreichen ändert an der Lagebeschreibung nichts. Von den Jungen sind seit der ersten PISA-Befragung konstant etwa 7% im Olymp der Kompetenzreichen. Bei den Mädchen stieg der Anteil über die drei bisherigen PISA-Erhebungen hinweg von 11,1% auf 12,9%.

Lässt man diese Zahlen auf sich wirken, so kommt man nur zu einem Schluss: Die jungen Frauen von heute werden auf dem Arbeitsmarkt bald heftig begehrt sein und umworben werden. Ihre Chancen sind heute und in Zukunft so gut wie noch nie.

Die Gründe hierfür haben nichts mit all den Debatten um Chancengleichheit, Chancengerechtigkeit und „gender mainstreaming“ zu tun. Sie liegen auch nicht in einer höheren Frauen- oder gar Familienfreundlichkeit. Sie sind schlicht der Tatsache geschuldet, dass Männer Mangelware werden – gut gebildete Männer. Und die Wirtschaft wird bei fallendem Arbeitskräftepotential alle – wirklich alle – gut Gebildeteten brauchen, die sie bekommen kann.

Soweit die nahe Zukunft. Doch wie gestaltet sich die Gegenwart? Was machen Frauen mit ihrem Leben? Nicht viel, könnte man flapsig antworten. Die Erwerbsquote von Frauen in Deutschland liegt mit 65,8% auf einem niedrigen Niveau. Die Erwerbsquote von Männern beträgt 77%.7 Die Erwerbsquoten von Frauen in anderen Ländern gehen auf 80% zu. Über die letzten Jahre hat sich das Arbeitsvolumen bei Frauen auch nur wenig verändert. Früher haben weniger Frauen als heute gearbeitet, das stimmt. Aber die wenigen Frauen arbeiteten oft in Vollzeit. Heute arbeiten viel mehr Frauen, aber meistens in Teilzeit.

Die Frauen bekommen auch nur wenige Kinder. Die Geburtenquote liegt niedrig, seit Anfang der 1990er Jahre bei durchschnittlich etwa 1,4 Kindern pro Frau. Vergleichbar geringe Geburtenquoten gab und gibt es auf der ganzen Welt sonst nur noch in Italien und in einigen Transformationsstaaten des ehemaligen Ostblocks. Viele Frauen bekommen gar keine Kinder: In Westdeutschland stieg ihr Anteil von 15% Mitte der 1970er Jahre auf 26% im Jahre 2005, jeweils bezogen auf alle westdeutschen Frauen im Alter von 38 bis 39 Jahren.8 In Ostdeutschland stieg der Anteil kinderloser Frauen im Alter von 38 bis 39 Jahren allein zwischen 1997 und 2005 von 8 auf 14%.

Auch die Institution der Ehe schwächelt. Der Anteil der Singles in der Gesellschaft hat einen Höchststand erreicht. Scheidungsquoten sind so hoch wie nie zuvor. Wurden 1993 noch etwa 24% aller Ehen geschieden, sind es 2005 bereits über 40%.

Geringe Erwerbsquoten, niedrige Geburtenzahlen, instabile Partnerschaften – ist jungen Frauen von heute das eigene Selbst das Einzige, was noch wichtig ist? Sind sie eingetaucht in die Spaßgesellschaft, mit schnellen, unkomplizierten, konsumartigen Partnerschaften, lockeren sozialen Netzwerken, ohne Engagement in der und für die Gesellschaft? Überhaupt nicht, so ist die deutliche Antwort. Die jungen Frauen mit ihrer Wucht an Bildung und ihrem Drang zu einem selbständigen Leben votieren bewusst für Erwerbsarbeit und Kinder und Partnerschaften. Und dies, so meine Vermutung, bleibt nicht ohne Wirkung auf die räumliche Gliederung unserer Gesellschaft.

Der Weg von Frauen führt in die Stadt

Lassen Sie mich das erklären und uns zunächst einen näheren Blick auf die regionale demographische Entwicklung werfen. Wie die Beiträge in diesem Band zeigen, schwanken das Durchschnittsalter der Bevölkerung regional deutlich und damit auch der Bevölkerungsanteil im jungen und höheren Alter. So finden wir in Deutschland Landkreise mit weniger als 14% Älteren (über 65 Jahre) in der Bevölkerung, wir finden aber auch leicht Landkreise, in denen  jeder Vierte über 65 Jahre alt ist (2005). Schon heute hat damit in vielen Landkreisen die Zukunft begonnen, denn hier liegt der Altersquotient so hoch wie er sich in vier Jahrzehnten für den Durchschnitt Deutschlands darstellen wird. Hier könnten wir lernen.

Am raschesten und fast flächendeckend sind die neuen Bundesländer gealtert, im Westen sind es einzelne Regionen insbesondere in Rheinland Pfalz, Hessen, Schleswig-Holstein und in Niedersachsen. Schauen wir auf die hier im Vordergrund stehenden Unterschiede zwischen Stadt und Land: Der Alterungsprozess in den Städten ist niedriger und liegt auch auf niedrigerem Niveau als auf dem Land. So beobachten wir etwa schon heute Schulschließungen auf dem Land, lange Zeiten des Pendelns zu Schulen in der Stadt. Die Ausdünnung von Schulen ist auch für kommunale Behörden mittlerweile so beängstigend, dass Zusammenlegungen unterschiedlicher Schulformen in Frage zu kommen scheinen. Somit könnte auch in Bayern ein demographiebedingtes Ende der Dreigliedrigkeit des Schulsystems zu erwarten sein.

Stadt-Land Unterschiede werden sich in den nächsten Jahren weiter erhöhen, auch Wanderungssaldi belegen das deutlich. Diese sind stark qualifikationsabhängig, gut gebildete junge Personen ziehen eher um als gering gebildete Personen. Wir kennen dies auch von Pendlerströmen. Von den hochqualifizierten Personen in Westdeutschland pendeln im Jahr 2005 deutlich über die Hälfte, von den gering Qualifizierten nur jeder Dritte (Abbildung 6 in der Bildergalerie). Hauptsächlich pendeln Sie in die Stadt, um dort ihrer Erwerbstätigkeit nachzugehen, auch um Kinder in Kinderbetreuung, zu Schulen, Vereinen, Ärzten zu bringen, vielleicht auch um die Universität zu besuchen – oder an dieser eben selbst zu arbeiten.

Vergegenwärtigen wir uns nun, dass mittlerweile mehr als die Hälfte der gut Gebildeteten Frauen sind. Frauen, die das Leben ihrer Mütter und Großmütter verfolgt, daraus gelernt, die Spielregeln verstanden haben. Die in ihrem Leben und für ihr Leben nicht mehr auf Vater Staat vertrauen, sich nicht der Unsicherheit aussetzen, ob der Staat sie ausreichend alimentiert. Und die sich nicht auf die Risiken einer Versorgung durch den Ehemann einlassen. Wenn in der Brigitte-Studie 2008 über 90 Prozent der befragten Frauen (in den Altersgruppen 17 bis 19 und 27 bis 29 Jahre) sagen, sie wollten „auf eigenen Beinen stehen“, so ist dies eine klare Aussage. Sie verweist deutlich auf Herausforderungen: Die Vollzeiterwerbstätigkeit von Frauen muss ermöglicht, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie muss gewährleistet werden.

Damit verabschieden wir uns aber auch von der klassischen Pendlerfamilie mit dem Häuschen im Grünen und der Frau, die am Vormittag den Haushalt macht, um dann auf die Kinder, danach auf den Partner am Abend wartet. Wir verabschieden uns von der nur zuarbeitenden Frau, die Tätigkeiten „vor Ort“ verrichtet, Jobs, für die sie oft überqualifiziert ist. Und von den Doppelpendlerpaaren, bei denen beide Partner in die Stadt und wieder zurück fahren. Denn das kostet Zeit und schadet geradezu der Vereinbarkeit. Statt all dessen votieren insbesondere gut gebildete Frauen zunehmend für einen Umzug des Wohnens hin zur Arbeit, hin zur Infrastruktur, hin zu öffentlichen Verkehrsmitteln, hin zu Kindergärten, hin zu Freunden und zur Kultur. Damit schließt sich der Kreis. Während wir schon lange eine Entgrenzung von Arbeit und Leben beobachten, Teile der Erwerbsarbeit auch von zu Hause erledigen können und Berufliches und Privates nicht raum-zeitlich voneinander trennen, schieben insbesondere junge Frauen ihr Leben nun hin zur Arbeit.

Bisher können wir diese Prozesse nur argumentieren, eine empirisch breit gestützte Forschung fehlt uns noch. Zu verweisen ist aber auf eine kleine Studie zum Thema „Die Innenstadt als Wohnort der Familie. Eine Fallstudie am Beispiel von Familien im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg“9 von Nadine Ehrenbrusthoff. Sie schreibt: „Gängige ‚Push-Faktoren’, die lange Zeit die Familien dazu bewegten, ihr Familienleben am Stadtrand oder im Grünen zu verbringen, haben bei dieser Bevölkerungsgruppe (den jungen gebildeten Frauen, J.A.) an Relevanz eingebüßt“ (S. 96).

Aus ihren Befragungsergebnissen extrahiert sie eine ganze Reihe von Motiven, die als Begründung für die Standortwahl dienen: Die Kombinationsmöglichkeiten von beruflicher Verwirklichung und Familie, die funktionale Abhängigkeit von bestimmten Einrichtungen zur Realisierung dieses Lebensmodells, eine gute Infrastrukturversorgung zur Ermöglichung der Alltagsorganisation, die gewünschte Nähe zu Freunden, Bekannten und Verwandten aus sozialen, emotionalen und aus pragmatischen Gründen. Die Ablehnung des suburbanen Wohnmodells aus praktischen Gründen, aber auch weil der eigene Lebensstil nicht mehr mit diesem Wohn- und Lebensstil vereinbar scheint. Sie nennen aber auch die spezielle Rolle des Quartiers an sich. Das Flair, das die meisten Befragten im Laufe ihrer Wohndauer lieben und schätzen gelernt haben, das hohe Bildungsniveau, das als Vorteil für das Heranwachsen der Kinder gesehen wird und die Kombination aus großstädtischer Weltoffenheit und dem „Dorf in der Stadt“ (S. 96). Es wäre weiterer Überprüfungen wert, inwieweit die gut gebildeten, erwerbstätigen jungen Mütter mit ihren oft Kinderwagen schiebenden Partnern aus den innerstädtisch lebenden double income no kids Paaren nicht ganz gezielt double income with kids Paare werden lassen – inmitten der Stadt.

Die Autorin: Prof. Jutta Allmendinger Ph.D. ist Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB). Sie war Schader-Preisträgerin 2013 und gehört dem Senat der Schader-Stiftung an.

1 Allmendinger, J. / Puschmann, C./ Helbig, M. (2008): Frauen auf dem Sprung. Die Brigitte Studie 2008. Hamburg: Gruner und Jahr. Zu den beiden folgenden Abschnitten insb. S. 13-17.

2 Vgl. Johann Fuchs, IAB Kurzbericht.

3 Belitz H./ Clemens, M./ Gehrke B./ Gornig, M./ Legler, H./ Leidmann M. (2008): Wirtschaftsstrukturen und Produktivität im internationalen Vergleich. Studien zum deutschen Innovationssystem, Nr. 6-2008. Berlin/Hannover.

4Vgl. Belitz et. al. (2008).

5 Der Einfachheit halber wird im Folgenden die Lesekompetenz hervorgehoben, die Ergebnisse weichen allerdings nur wenig von denen bei den mathematischen und anderen Kompetenzen ab.

6 Wir folgen bei den Kriterien für Kompetenzreichtum und Kompetenzarmut den absoluten Definitionen.

7 Mikrozensus 2005, scientific use file.

8 Vgl. Tivig, T./ Hetze, P. (2007): Deutschland im Demografischen Wandel. Rostocker Zentrum zur Erforschung des Demografischen Wandels.

9Nadine Ehrenbrusthoff  (2005): Die Innenstadt als Wohnort der Familie. Eine Fallstudie am Beispiel von Familien im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg, Humboldt Universität zu Berlin. Unveröffentlichte Diplomarbeit.

 

 

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