Demokratie und Rechtsstaatlichkeit
Artikel vom 28.05.2019
Der Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Christoph Möllers, LL.M., wurde am 28. Mai 2019 mit dem Schader-Preis ausgezeichnet. In seinem Vortrag zur Preisverleihung, hier in einer leicht überarbeiteten Fassung, setzt er sich mit der Frage auseinander, wie wir Rechtsstaatlichkeit verstehen, was das politisch bedeuten kann und welchen Beitrag Theorie zur Diskussion um Rechtsstaatlichkeit leisten kann.
Der missverstandene Rechtsstaat
Rechtsstaatlichkeit oder die Herrschaft des Rechts ist eine Formel, über die ziemlich viel Konsens herrscht. Man wird wenige Leute finden, die gegen den Rechtsstaat sind, und zwar relativ flächendeckend in den allermeisten Staaten der Welt. Zugleich stellt sich natürlich die Frage, was Rechtsstaatlichkeit eigentlich bedeutet. Diese Frage ist unglaublich umstritten. Es gibt sehr unterschiedliche Traditionen, die wir in den letzten Jahrzehnten mehr und mehr wissenschaftlich ausgearbeitet haben. Es gab lange Zeit gar nicht so große vergleichende Diskussionen darüber, aber heute ist uns klar: ein Franzose denkt ganz anders darüber als eine Deutsche und auch in den Vereinten Nationen verwendet man ganz andere Begrifflichkeiten, wenn man über Rule of Law spricht als etwa in Frankreich oder in Großbritannien.
Ich möchte mit einer Beobachtung darüber beginnen, wie sich der Diskurs um das Verständnis von Rechtsstaatlichkeit verschoben hat – und zwar in zwei Varianten, die erst einmal aus unterschiedlichen Richtungen zu kommen scheinen. Allerdings erscheinen mir beide relativ signifikant und politisch recht relevant. Eine Variante lässt sich als neoliberal und kritisch bezeichnen, die andere könnte man national autoritär nennen.
Einem Vortrag Angelika Nußbergers, den ich vor ein paar Monaten gehört habe, verdanke ich die Einsicht, dass Singapur im Rechtsstaatsindex der Welt, im World Justice Index, auf Platz 13 steht, vier Plätze vor Frankreich. Das World Justice Project, das diese Statistik aufgestellt hat, ist ein Projekt von westlichen Funktionseliten, namentlich amerikanischer, aber auch europäischer Provenienz, die sich verschiedene Staaten ansehen und diese miteinander vergleichen. Warum steht nun Singapur so weit oben? Nun, die Antwort ist: Weil man in Singapur offensichtlich eine relativ zuverlässige Durchsetzung von Regeln vorfindet, weil man in Singapur relativ sicheren Investitionsschutz bekommt und weil es in Singapur, jedenfalls soweit man es beurteilen kann, wenig Korruption gibt. Zugleich ist Singapur jedoch, wie man einfach herausfinden kann, ein Einparteienstaat mit extrem drastischen Strafen. Übrigens auch ein Staat, der keine Eigentumsgarantie in seiner Verfassung kennt, sondern dessen Wohnungsmarkt komplett verstaatlicht ist – wenn man so will, eine erfolgreiche Form eines autoritär sozialistischen Projekts mit liberalen Marktanteilen. Zugleich ist Singapur aber auch sehr oft Vorbild für westliche Politik. Der zurückgetretene Bundeskanzler Kurz sagte in einem seiner ersten Interviews nach seiner Wahl zum Bundeskanzler der Republik Österreich der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Singapur sei für ihn eigentlich ein Vorbild. Das ist interessant, weil man hier sieht, wie Rechtsstaatlichkeit als etwas verstanden wird, das man als einen zuverlässigen, stabilisierten und regelzentrierten Autoritarismus bezeichnen könnte. Nun haben wir darüber durchaus Diskussionen, etwa über Rule by Law und Rule through Law. In der Wissenschaft gibt es die Beobachtung, dass an dieser Stelle vielleicht Unterschiede bestehen, aber in der Tat sind wir in einem offiziellen, von westlichen Staaten organisierten Index trotzdem so weit zu sagen: Singapur ist mehr Rechtsstaat als Frankreich. Das ist bemerkenswert.
Das ist vielleicht nicht ganz so bemerkenswert, wenn wir uns die Diskussion – und das wäre mein zweiter Punkt – in der Bundesrepublik ansehen, die sich nach der Flüchtlingskrise des Jahres 2015, aber auch davor, über den Begriff der Rechtsstaatlichkeit oder die Herrschaft des Rechts oder des Unrechts auftat. Denn auch hier haben wir es seit einiger Zeit relativ häufig, und das wurde in der Debatte durchaus wahrgenommen, mit einer Bedeutungsverschiebung des Rechtsstaatsbegriffs zu tun. In dieser Bedeutungsverschiebung rückt der Grundsatz einer lückenlosen Vollstreckung von Recht oder umgekehrt einer lückenlosen Bekämpfung von Illegalität in das Zentrum der rechtsstaatlichen Diskussion. Die illegale Anwesenheit von Nichtstaatsangehörigen muss demnach zur Ausweisung führen. Rechtsbrüche, die es wahrscheinlich nicht gegeben hat, müssen mit Blick auf die unterbliebene Grenzschließung des Jahres 2015 repariert werden. Wir stellen mit Interesse fest, das Problem der Illegalität ist einerseits in Deutschland massiv politisierbar. Das ist, glaube ich, in vielen Ländern der Welt nicht so. Aber wir stellen auch fest, der Begriff des Rechtsstaats wird mit gewandelter Bedeutung verwendet, so dass er im Grunde aussagt: Rechtswidrigkeit gehört weggeschafft, Rechtswidrigkeit muss aufgehoben werden, Rechtswidrigkeit muss bekämpft werden. Nun, warum eigentlich nicht? Wo ist das Problem?
Damit bin ich bei meiner zweiten vergleichenden Beobachtung. Warum erfordert die Herrschaft des Rechts nicht auch die Vollstreckung von Rechtsnormen? Warum ist es nicht vollkommen schlüssig, Rechtsstaatlichkeit als genau das zu verstehen, nämlich als die Durchsetzung von Regeln, die der Gesetzgeber erlassen hat? Das klingt eigentlich plausibel: Rechtsstaatlichkeit als Beendigung oder Verhinderung von Illegalität. Nun, bevor man sich diese Frage ein zweites Mal – vielleicht etwas reflektierter – zu Gemüte führt, möchte ich kurz darauf hinweisen, dass das, wovon wir hier sprechen, immer schon sehr voraussetzungsreich war. Wir finden in sehr unterschiedlichen Ländern ganz unterschiedliche Antworten auf die Frage, was eigentlich unter Rechtsstaatlichkeit zu verstehen ist. Ich möchte das kurz einschieben, damit uns klar wird, wir handeln hier in keinem Fall legal, würden wir den Begriff am Ende mit Selbstverständlichkeit definieren. In England reden wir über Rule of Law, eine alte Tradition, aber Engländer wundern sich immer noch sehr, dass wir eine Verfassungsgerichtsbarkeit haben, ein Gericht, das ein Gesetz aufheben kann. Das ist bis heute sehr irritierend für die Mehrheit der englischen Politik, aber auch für die Mehrheit im englischen verfassungsrechtlichen Diskurs. In Amerika haben wir eine alte Tradition, die auch mit Rule of Law, aus England kommend, bezeichnet wird. Aber wir finden gleichzeitig so etwas wie eine sehr massive Politisierung der dritten Gewalt vor. Bemerkenswert ist auch die unmittelbare Wahl von Staatsanwälten, in vielen Bundesstaaten der USA werden auch Richterinnen und Richter direkt gewählt. Wir haben also quasi eine Direktpolitisierung der Justiz. In Frankreich herrscht eine Tradition, die Legalität stets ohne subjektive Rechte oder mit einem zurückgenommenen Verständnis von subjektiven Rechten verbunden hat. Da heißt Rechtsstaatlichkeit vorrangig Kontrolle von Legalität. Diese kann in der Tat aber nicht nur erfolgen, indem Rechtsverletzungen von Individuen geprüft werden. Insgesamt finden wir also eine Diskussion vor, die bunt und schwierig ist. Sie ist kaum auf einen Begriff zu bringen, auch wenn gleichzeitig immer noch eine gewisse Intuition vorherrscht.
Ich kehre zu meiner Frage zurück, warum es dann nicht ein guter gemeinsamer Nenner wäre, von Rechtsstaatlichkeit in einem Verständnis zu sprechen, in dem es darum geht, legale Zustände zu schaffen und illegale Zustände aus der Welt zu schaffen. Nun, ich würde den Clou der Rechtsstaatlichkeit tatsächlich anders definieren. Dazu schaue ich auf die rechtlichen Institutionen, die wir mit Rechtsstaatlichkeit eher verbinden würden als die Durchsetzung von rechtlichen Normen. Zwei Beispiele: In rechtsstaatlichen Systemen – und das scheint mir eine ganz unterschätzte Eigenschaft zu sein, die ein bisschen technisch und ein bisschen unglamourös ist, die aber sehr viel davon aufschließt, wie wir unseren Rechtsstaat verstehen – wird eigentlich nie ohne Weiteres vollstreckt. Das heißt, die Tatsache, dass wir wissen, ein bestimmter Zustand ist illegal oder rechtswidrig, führt überhaupt nicht selbstverständlich dazu, ihn auch zu beenden: Sondern was dann passiert, ist eine lange Mühle von Verfahren, die dafür sorgt, dass man die Vollstreckung erst einmal abwenden kann, dass der Staat sich gerade nicht mit Gewalt durchsetzt, dass sozusagen kein Wille gebrochen, kein Haus abgerissen oder jemand nicht abgeschoben wird. Die illegale Migrantin, die kein Aufenthaltsrecht hat, hat mit dem Reichsbürger, der seine Steuern nicht zahlt, gemeinsam, dass nicht einfach irgendetwas passiert oder passieren sollte, was diesen Zustand der Illegalität beendet, sondern dass eine sehr zähe, langsame und in gewisser Weise konsensorientierte Form von Prozeduralität auf den Plan tritt, die dafür sorgt, den Konflikt, wenn möglich, anders zu beheben wird als mit gewaltsamer Durchsetzung. Das ist bemerkenswert und das ist wenig geschätzt, das ist sehr typisch für unsere Rechtsordnung.
Aber: Warum ist das eigentlich so, warum machen wir das? Warum schieben wir nicht alle sofort ab? Den Trend haben wir ja mittlerweile, aber warum vollstrecken wir nicht einfach sofort, wenn jemand seine Steuern nicht zahlt, warum reißen wir die Bude nicht ab, wenn das Haus illegal gebaut ist? Nun, die Antwort ist, glaube ich, zweiteilig. Und beide Teile haben einen gewissen Erklärungswert für unser eigenes oder für unser praktisch implizites Verständnis von Rechtsstaatlichkeit. Der erste Grund ist ziemlich funktional und er berührt einen etwas unangenehmen Punkt unserer Rechtsordnung. Wir tun es erst einmal deswegen nicht, weil wir nicht die Ressourcen dafür haben. Diesen Ressourcenmangel würden wir sichtbar machen, wenn wir es immer täten. In dem Augenblick, in dem wir gegen alle Steuerhinterzieher, sozusagen alle Steuersünder, vollstrecken müssten, würden wir sehen, wie wenig Finanzbeamte wir haben. Und in dem Augenblick, in dem wir alle illegalen Bauten abreißen müssten, würden wir sehen, wie wenig Polizisten wir haben. Wir müssen in gewisser Weise und durchaus auch im Konsens – und ich glaube, das ist kein Mysterium – als demokratischer Rechtsstaat die Grenzen unserer Ressourcen bis zu einem bestimmten Grade verschleiern, sie jedenfalls nicht so offensichtlich machen, wie sie im Akt der Vollstreckung werden. Und das ist kein Witz, das ist, glaube ich, die einzige Möglichkeit, wie man eine Gemeinschaft rechtsförmig organisieren kann. Das ist der eine Grund, den wir ein bisschen verschämt – und die Würdenträger vor mir lachen – in den Mund nehmen, aber der in der Tat Relevanz hat.
Der zweite Grund liegt, glaube ich, darin, dass sich ein reflektierter, ausdifferenzierter Rechtsstaat im Klaren ist, welche immensen Kosten die Vollstreckung selbst für eine soziale Textur zur Folge hat. Man muss sich gut überlegen, ob man diese Kosten im Namen der Durchsetzung des Rechts tatsächlich zahlen möchte. Denn es ist immer klar – und auch das ist eine Sache, die man nicht oft in der Rechtstheorie liest – in dem Augenblick, in dem man von sozialen Beziehungen auf Rechtsbeziehungen umstellt, in diesem Augenblick beendet man eine Menge sozialer Beziehungen. Das einzige Gerichtsverfahren, das Sie jemals gegen Ihren Ehegatten oder Ihre Ehegattin führen werden, wird die Scheidung sein. Alles andere können Sie nicht machen, weil sonst die soziale Textur Ihrer Beziehung zu Ende ist. Dasselbe gilt für Geschäftspartner, dasselbe gilt für viele andere Kontexte. In dem Augenblick, in dem Sie das Haus abreißen, verlieren Leute ihr Obdach und müssen irgendwo anders untergebracht werden. In dem Augenblick, in dem Sie Steuern vollstrecken, verliert jemand die Möglichkeit, das Geld vielleicht später zu verdienen, das er dem Staat schuldet. Und in dem Augenblick, in dem Sie die Asylbewerberin abschieben, verlieren Angehörige oder verlieren andere Leute in ihrem Umfeld einen sozialen Bezugspunkt, der es ihnen erleichtern würde, sich in einem Land zu integrieren. Die Kosten sind immens. Und diese Einsicht ist eine Einsicht des Rechtsstaats in die begrenzte Wirkung von Recht oder eine Einsicht, wonach Recht immer davon leben muss anzuerkennen, dass es sich um eine normative Ordnung handelt, also eine Ordnung, die gebrochen werden kann, mit deren Bruch wir umgehen müssen und deren Bruch wir zu einem gewissen Grade auch als Teil der Rechtsordnung verstehen müssen. Darum haben wir Gerichte, die staatliches Handeln überprüfen: die Verwaltungsgerichte. Nur aus dem Grund, weil wir wissen, dass der Staat rechtswidrig handeln kann. Das müssen wir teilweise auch erst einmal zulassen, da wir sehen, es gibt andere Imperative sozialen und politischen Handelns, die wir mit der Möglichkeit einer gerichtlichen Kontrolle versehen, die wir aber nicht von vornherein verhindern. Das heißt, in Rechtsstaaten ist die Feststellung von Rechtswidrigkeit etwas anderes als die Vollstreckung. In Rechtsstaaten ist die Einsicht, dass etwas rechtswidrig ist, eine von begrenztem, nicht trivial von bedeutendem Wert, aber doch eine von relativiertem Wert im Hinblick auf den Schutz anderer sozialer Normen und anderer sozialer Beziehungen. In Rechtsstaaten wird die Initiative zur Feststellung der Rechtswidrigkeit oft Leuten überlassen, die sie gar nicht rechtfertigen müssen. Man kann ja auch sagen „Mein Nachbar hat illegal gebaut, aber mir ist es egal, ich akzeptiere das einfach und klage nicht dagegen“, ohne dass der Staat eingreift. Rechtsstaaten haben damit auch die Möglichkeit der Abweichung vom Recht, eine eigene, im Grunde rechtskonstituierende Funktion. All das spricht doch dafür, dass das Ideal des lückenlosen Regelvollzugs gerade nicht als Grundgedanke des Rechtsstaatsprinzips taugt, sondern dass wir uns andere Gedanken darüber machen müssen, was denn eigentlich relevant ist.
Und ich denke – und das wäre mein dritter und letzter Punkt – eine wissenschaftliche Aufgabe, die erstaunlicherweise gar nicht so viele Bibliotheken füllt, wäre es, erst einmal genau zu beobachten, welche rechtsstaatlichen Strukturen diesem Verständnis nach spezifisch sind und auf der anderen Seite warum diese spezifischen Eigenheiten rechtstaatlicher Vollstreckung vielleicht einen legitimierenden Wert haben. Ich habe angedeutet, in welche Richtung eine solche Überlegung gehen könnte, aber man müsste sie vollziehen. Man müsste sie auch deswegen vollziehen, weil – und hier kann ich kurz aus dem Fach berichten – es über Rechtsstaatlichkeit eigentlich kaum Literatur gibt. Die einzige nennenswerte deutsche Monografie zum Rechtsstaatsprinzip, ein Buch aus den 1980er-Jahren (Philip Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip 1986), ein gutes Buch, führt letztlich dazu zu sagen: Wir haben eigentlich keinen Begriff. Wir haben viele kleine Dinge, aber wir kriegen das nicht gemeinsam auf einen Begriff. Das ist ein Problem und ich würde sagen, es wäre eine interessante, wichtige Aufgabe, diese Gemeinsamkeiten von subjektiven Rechten, von richterlicher Unabhängigkeit, von der Verselbstständigung von Sanktionen, vom zögerlichen Umgang mit Vollstreckung noch einmal in den Blick zu nehmen und zu sehen, dass sie vielleicht doch institutionell etwas gemeinsam haben, was ich hier nur andeuten kann: Wir verstehen Rechtsstaatlichkeit wie eine Form von Pufferung, die zwischen Norm und Vollzug gesetzt wird. Wir verstehen unter Rechtsstaatlichkeit etwas, in dessen Rahmen eigene Entscheidungen getroffen werden müssen, von unabhängigen Richtern, aber auch von Leuten, die ihre Rechte verfolgen oder vielleicht auch darauf verzichten wollen. Oder von anderen Institutionen, die zwischen eine Regel und ihre Vollstreckung ein hohes Maß an zusätzlicher Reflexion und Spezifizierung setzen.
Doch: Bringt eine solche Reflexion etwas? Ist das jetzt der „Elfenbeinturm“? Nun, ich habe gar nichts gegen den Elfenbeinturm, das ist ein sehr schöner Ort, an dem ich mich gerne mal aufhalte. Ich glaube, der Eigenwert akkurater Begriffe ist gerade in den Rechtswissenschaften nichts Selbstgenügsames, sondern es ist eine Antwort auf die Frage, was genau wir schützen wollen, wenn wir uns gegenseitig beschwören, wir wollen rechtsstaatliche Strukturen schützen. In gewisser Weise ist es etwas, das man mit Blick auf einen internationalen oder transnationalen Diskurs über Rechtsstaatlichkeit auf den Tisch legen kann. Denn in der Tat erscheint es mir heute mehr denn je wichtig – gerade mit Blick auf die internen Krisen der Europäischen Union und die Frage, wie wir mit Ländern umgehen, die unserer Vorstellung einer freiheitlichen politischen Gemeinschaft nicht mehr entsprechen – dass dieser Umgang nicht nur clevere Diplomatie oder in gewisser Weise Prinzipienfestigkeit verlangt, sondern eine Reflexion darüber, wo genau der Punkt liegt, an dem unser Problem beginnt. Wo genau können wir institutionell dieses Problem festmachen, das so hoch aufgehängt und so prinzipiell wichtig ist, dass wir einen politischen oder einen juristischen Konflikt einzugehen bereit sind?
Es wird, und das wäre mein letztes Wort, vermutlich eine Begrifflichkeit sein, die den Unterschied zwischen Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in der öffentlichen Diskussion wieder kleiner schreibt. Wir sind eben nicht ein Rechtsstaat à la Singapur. Wir sind ein Rechtsstaat, der Verfahrenselemente einer Verfahrensordnung kennt, in der der politische Prozess loslassen kann, beispielsweise in solchen Institutionen wie der sehr technischen, verselbstständigten Vollstreckung, der relativ technischen richterlichen Unabhängigkeit, der Idee des subjektiven Rechts. Er ermöglicht Ergebnisoffenheit, indem ein Verfahren auf den Weg geschickt wird, ohne es im Nachhinein zu kontrollieren. Dies ist eine Gemeinsamkeit zwischen demokratischen Wahlen und gerichtlichen Prozessen, die meines Erachtens unterschätzt wird und die uns von dem schlechten Erbe der deutschen Monarchie befreit, Rechtsstaatlichkeit immer als etwas von Politik Befreites zu verstehen. Darüber könnte man weiter nachdenken.