The Cycle of Urban Creativity - Der Kreislauf urbaner Kreativität
Artikel vom 30.09.2003
Es gab eine Zeit, da war alles viel einfacher: Die Leiter leiteten, die Planer planten -und die Arbeiter arbeiteten. Kreativität - das war Sache der Künstler, vielleicht noch einiger weniger Wissenschaftler, doch mit dem „ernsten Geschäft“ der Führung einer großen und komplexen Organisation hatte sie nun wirklich nichts zu schaffen. Von Phil Wood
Kreativität - wer braucht sie?
Heutzutage würden jedoch nur wenige Führungskräfte in der Geschäftswelt zumindest zugeben, keine sorgfältig durchdachte Strategie an der Hand zu haben, um das kreative Potenzial in sich selbst und in ihren Mitarbeitern freizusetzen. Die Kreativität ist nunmehr zu einem Teil des Firmenvermögens geworden, zum „corporate asset“ - ja sogar zu einer Waffe im Kampf um globale Wettbewerbsvorteile. Das Nomura-Institut ist sogar so weit gegangen zu erklären, dass wir uns nicht mehr im Industriezeitalter, ja nicht einmal mehr im Informationszeitalter befinden. Wir stehen, so wird uns gesagt, auf der Schwelle zum Zeitalter der Kreativität.
Warum Kreativität heute so gefragt ist, hegt auf der Hand. Wirtschaftstätigkeit und Geschäftsleben spielen sich in einem Klima ständiger und unvorhersehbarer Veränderungen ab. Die Dynamik und Kraft globaler Netzwerke, die Unsicherheit von Markttendenzen, die wachsenden Erwartungen der Kunden und Mitarbeiter bringen es mit sich, dass nur der die Nase vorn behält, der flexibel plant und in Gedanken schon weiter geht. Selbst wenn Sie das beste Produkt oder die beste Dienstleistung auf dem Markt anbieten - die einzige Frage, die der Markt stellt, lautet: „Was werden Sie morgen für mich tun?“ Aus diesem Grunde ist die Innovationsfähigkeit nicht mehr nur eine reizvolle Nebenbeschäftigung, mit der sich zuweilen Leerzeit füllen lässt. Innovation ist schlichtweg alles, sie ist der eigentliche Kern dessen, was erfolgreiche Unternehmen von heute tun. In der New Economy bedeutet die Unfähigkeit zur Innovation den Tod.
Die Innovation ist Teil eines umfassenderen Kreativitätsprozesses, den der Amerikaner John Kao wie folgt definiert:
Der gesamte Prozess, durch den Ideen geschaffen, entwickelt und in Werte verwandelt werden, umfasst das, was gemeinhin als Innovation md Unternehmergeist bezeichnet wird... Er schließt sowohl die Kunst neue Ideen hervorzubringen ein, als auch die Disziplin, diese Ideen bis zum Stadium realisierter Werte zu entwickeln und zu gestalten. (Kao 1996, Übersetzung KL)
Damit wird die stereotype Idee „Kreativität ist Sache der Künstler“ zwar erfasst, jedoch gleichzeitig auch auf den Kopf gestellt Die kreative Führungskraft hat die Fähigkeit erworben, sowohl mit Fakten als auch mit Intuition zu arbeiten, mit Phantasie zu handeln, Probleme nicht nur zu analysieren, sondern sie zu visualisieren und Lösungswege zu erfühlen -und dann auf dieser Grundlage konsequent, systematisch und diszipliniert zu handeln.
Kreatives Kapital
Topunternehmen haben es gelernt, in ihrem Streben nach Wettbewerbsfähigkeit Wert auf eine viel größere Bandbreite von Vermögenswerten zu legen. Neben dem Aktien- und Humankapital beginnen Firmen heute damit, ihr kreatives Kapital aufzuspüren und größenmäßig zu erfassen - ihr Inventar an Ideen, ihr Talent, immer wieder neue hervor- zubringen, und ihre Fähigkeit, Werte aus ihnen zu schöpfen. Es sind dies Organisationen, die sich ein neues Selbstbild als Ideenfabriken geschaffen haben. Und das ist weit mehr als ein Unternehmen, das einfach nur sagt, es wolle mehr kreative Mitarbeiter gewinnen - denn welches Unternehmen wäre darauf bedacht, unkreative Leute einzustellen? Nach John Kao ist eine ganzheitliche Herangehensweise an eine Unternehmenskultur vonnöten, in der die Führungsaufgaben genauso spannend geworden sind wie die Arbeit des Erfinders. Die Schöpferkraft selbst wird zur Führungsaufgabe. Darüber hinaus wird von den Führungskräften jedoch auch noch verlangt, einen Balanceakt zwischen Offenheit und Entschlusskraft, zwischen individuellen Talenten und Gruppendynamik, zwischen Sicherheit und Risiko, zwischen Glücksspiel und Berechnung zu vollführen.
Doch soll es in diesem Beitrag nicht darum gehen, wie man als Führungskraft eines Unternehmens kreativer wird. Dieser Artikel beschäftigt sich mit der Frage, wie gedeihliche und blühende städtische Gemeinwesen zu schaffen und zu verwalten sind. Die Städte und Gemeinden stehen heute unter dem gleichen Druck wie die Wirtschaftsunternehmen und sehen sich in immer stärkerem Maße dazu gezwungen, in ähnlicher Weise darauf zu reagieren. Was macht aber nun das kreative Kapital einer Stadt aus? Wer kann uns sagen, wie man das Potenzial einer Stadt zur Ideenschöpfung findet und nutzbar macht und wie man sie leitet, als sei sie eine Ideenfabrik wie Microsoft oder MIT?
Der amerikanische Autor Richard Florida hat diesen Gedanken noch weiter geführt und argumentiert, dass Menschen in der Arbeitswelt ein wachsendes Interesse an ihrer Selbstverwirklichung entwickeln und immer höhere Anforderungen an den Ort stellen, an dem sie arbeiten, und dass ihre traditionellen Loyalitätsbindungen gegenüber ihrer Firma deshalb immer weiter schwinden. Die Menschen erwarten heutzutage nicht mehr, ein Leben lang bei ein und derselben Firma zu arbeiten, sondern sind auf der Suche nach anderen Einrichtungen / Unternehmen, in die sie ihre Loyalität einbringen können und die ihnen im Gegenzug die Möglichkeit geben, ihr Potenzial zu realisieren. Florida führt an:
Der Ort hat die Firma als entscheidende Organisationseinheit unseres Wirtschaftssystems abgelöst... Orte sind Magnete für Talente. (Florida 2002, Übersetzung KL)
Die Städte und Gemeinden, so führt er ins Feld, sind nunmehr die Fundgruben einer neuen Form des Reichtums, der zur wichtigsten wirtschaftlichen Triebkraft des kommenden Jahrhunderts werden wird: des kreativen Kapitals. Die Art und Weise, auf die ein Ort sein kreatives Kapital nutzt - oder vergeudet - wird darüber entscheiden, ob es mit diesem Ort aufwärts oder abwärts geht.
Kreative Orte
Sir Peter Hall (1998) hat gezeigt, dass sich Städte durch die gesamte Geschichte hindurch dank ihrer Fähigkeit entwickelt haben, Innovationen technischer, sozialer, produktiver, intellektueller und kultureller Art nutzbar zu machen.
In der Vergangenheit konnte eine Stadt bereits aufblühen, wenn sie einen Wettbewerbsvorteil in nur einem dieser Bereiche zu bieten hatte, beispielsweise das geistige Potenzial im alten Athen oder die technische Schubkraft im Manchester des 19. Jahrhunderts. Künftig müssen die Städte jedoch Innovationskraft in alle Richtungen entwickeln. Eine besondere Bedeutung erlangten hierbei die Fusion zwischen der technologischen und der kulturellen Kreativität bei der Entwicklung einer experimentellen Wirtschaft und einer produktiven Leistungsfähigkeit auf dem Gebiet der neuen Medien sowie der Bedarf an Innovationen zur Stärkung der urbanen Nachhaltigkeit
Kreativität und Innovation im urbanen Kontext müssen zu einem ganzheitlichen und integrierten Prozess werden, der alle Aspekte städtischen Lebens einschließt Soziale, wirtschaftliche, politische, kulturelle und ökologische Innovationen sind alle gleichermaßen vonnöten und müssen gleich gewichtet werden. In Zukunft wird man sich stärker auf eine neue, „weichere“ Form der Kreativität und Innovation hin ausrichten müssen. Ganz unbestritten gewinnen Fragen der sozialen Kohäsion und Fragmentation sowie des interkulturellen Verständnisses eine immer größere Bedeutung auf der Tagesordnung der Politiker, und ihre Lösung setzt andere Techniken und Kombinationen von Fähigkeiten und Talenten voraus als die, die man gemeinhin mit der Verwaltung von Städten und Gemeinden in Verbindung bringt.
Gegenwärtig scheint jedoch eine regelrechte neue Welle innovativer Städte heranzurollen. Diese Städte streben danach, wirtschaftlichen Ideenreichtum mit einer nachhaltigen Entwicklung und Stärkung des städtischen Gemeinwesens zu vereinen und mit konsequenten Benchmarking-Programmen zu verbinden, um ihre Stadtentwicklung voranzutreiben. In Städten wie Seattle, Melbourne und Freiburg wird eine hohe Lebensqualität als Wettbewerbsinstrument eingesetzt. Richard Florida geht noch weiter und identifiziert eine „Kreative Klasse“ von Menschen, die einerseits in hohem Maße ungebunden und ortsunabhängig sind, andererseits jedoch auch eine intensive Loyalität gegenüber den Orten pflegen, an denen sie sich wohl fühlen. Ihre Entscheidung für den Wohn- und Arbeitsort ihrer Wahl wird immer stärker ausschlaggebend dafür werden, welche Städte aufsteigen und welche in die Bedeutungslosigkeit versinken. Die „Kreative Klasse“ lässt sich laut Florida nicht nur einfach durch nahehegende Faktoren wie ein hohes Einkommen, gute Karriereaussichten oder den hohen Status eines Ortes beeinflussen. Viel wichtiger ist es diesen Menschen, an einem Ort zu leben, der von großer Vielfalt geprägt ist und wo man unterschiedlichen Rassen, Kulturen und sexuellen Orientierungen mit Toleranz begegnet, der Raum für Individualität hat, aber auch seine kollektive Verantwortung für das Wohlergehen der gesamten Gemeinschaft wahrnimmt. Sie sind auf der Suche nach Orten, die ihnen die Möglichkeit bieten, ihr kreatives Potenzial zu entfalten (Florida 2002).
Jede Stadt muss sich grundsätzlich darüber klar werden, dass ihr Schicksal unauflöslich daran gebunden ist, wie gut - oder wie schlecht - sie mit der Kreativität umgeht, die in ihren Bürgern angelegt ist. Die Fähigkeit einer Stadt, diese Kreativität wahrzunehmen, anzuerkennen, freizusetzen, zu nähren, nutzbar zu machen, gewinnbringend einzusetzen, aufrecht zu erhalten und schließlich wiederzuverwerten, wird in einem Klima des globalen Wettbewerbs über das Schicksal dieser Stadt entscheiden.
Der erste systematische Versuch, alle diese Fragen in Angriff zu nehmen, ist das Modell der Kreativen Stadt, das von Charles Landry (2000) entwickelt wurde.
Auslöser urbaner Kreativität
Die entscheidende Frage, der sich alle Orte stellen müssen, besteht nun darin, wie sie das richtige Klima und die entsprechenden Voraussetzungen schaffen, um die latent vorhandene Kreativität freizusetzen. In unseren Beobachtungen haben wir den Eindruck gewonnen, dass es eine Reihe von Faktoren gibt, die die Voraussetzung dafür bilden, dass einer Stadt der Übergang zur urbanen Kreativität gelingt. In den meisten Fällen weisen diese Städte eine Kombination mehrerer der folgenden Voraussetzungen oder Auslöser auf:
- Bewusstmachen einer Krise - Eine Stadt muss zwar nicht in jedem Falle erst völlig zu Boden sinken, bevor sie ganz hoch zur Spitze aufsteigen kann, doch dieser Faktor spielt in den meisten Fällen eine Rolle, da ein politischer oder wirtschaftlicher Zusammenbruch einen leeren Raum hinterlässt, in dem vorher unhaltbare Ideen Wurzeln schlagen können. Eine Krise machen zwar viele Städte durch, doch längst nicht alle werden sich dessen bewusst, was sie bedeutet. Zwei Beispiele für Städte in Großbritannien, die auf eine solche Krise eine gute Antwort gefunden haben, sind Glasgow und Huddersfield in den 1980er Jahren.
- Governance und organisatorische Kapazität - Dies ist vielleicht die entscheidende Voraussetzung, denn ohne einen effektiven institutionellen Rahmen wird keine Stadt jemals in der Lage sein, ihre kreativen Ideen in Handlungen umzusetzen. Durch die Einführung einer neuen Verwaltungsform im Ruhrgebiet wurde eine neue Welle der Innovation freigesetzt, die anderenfalls durch vernichtende innere Streitigkeiten womöglich entmutigt und abgewürgt worden wäre.
- Einflüsse von außen - Manche Städte sind so vollständig in ihren eigenen Problemen verfangen, dass sie eine klar auf der Hand liegende Lösung gar nicht mehr wahrnehmen können. Dies muss dann oftmals durch einen Beobachter von außen oder durch die Einbeziehung eines externen Beraters geleistet werden. Auf einer anderen Ebene kann das Hinzukommen einer neuen Gruppe, beispielsweise einer ethnischen Minderheit, ein Zündfunke für neue Formen der Wiedergeburt einer Stadt werden. So wurden Amsterdam, Antwerpen und Wien in der Vergangenheit durch zugezogene Minderheiten neu belebt. In der Gegenwart durchläuft die Stadt Randers in Dänemark einen Selbsterneuerungsprozess auf der Grundlage von Ideen, die sie den unterschiedlichen Gruppen von Flüchtlingen verdankt, welche in ihr Aufnahme gefunden haben.
- Freiräume für kreative Experimente - der Aufbau einer neuen Einrichtung, eines Stadtviertels oder eines neuen Diskussionsforums, in denen innovatives Denken angeregt und gefördert wird.
- Leistungsvergleiche („Best practice benchmarking“) - eine bewusste Strategie, um sich mit vergleichbaren Städten zu messen und Innovationen durch Wettbewerb und Lernen von Vorbildern voranzutreiben.
- Ehrgeiz und Streben nach Zielen - Opportunismus und Unternehmertum einer Einzelperson oder einer Gruppe, oder auch der Wettbewerb zwischen mehreren.
- Beteiligung & Ideenpools - die Schaffung eines bürgerschaftlichen Klimas, in dem der Meinungsstreit und die Bildung von Netzwerken gefördert werden, oder das Ingangsetzen spezifischer Prozesse, wie beispielsweise Urban Visioning.
- Ereignisse, Konzepte und Organisationen mit Katalysatorfunktion - zum Beispiel die Verabschiedung einer Charta, einer Erklärung oder eines Manifests; prägende Slogans, Ereignisse oder Wettbewerbe, oder neue Konzepte wie die Lokale Agenda 21.
- Außergewöhnliche Umstände - wie ein politischer Wandel, eine neue Führung, tiefgreifende politische oder soziale Konflikte.
- Und zu guter Letzt... das vollkommen Unerwartete und Unvorhersehbare.
Landry hat seine Untersuchungen weiter fortgesetzt, um herauszufinden, wie eine Stadt den kreativen Prozess lenken könnte. Zwar kann Kreativität oftmals durch unerwartete oder unvorhersehbare Faktoren ausgelöst werden, doch dies bedeutet nicht, dass wir es mit einem in mystische Nebel gehüllten Gebiet zu tun hätten, das nur für außerordentlich begabte und einsichtsvolle Einzelpersonen einsehbar wäre. Kreativität argumentiert Landry, ist ein Prozess - und in den meisten Fällen ein kollektiver Prozess. In Fortführung seiner Arbeiten erforscht er eine Reihe von Methoden, mit deren Hufe Gruppen und Organisationen befähigt werden könnten, ihre Kreativität zu begreifen und zu stärken.
Im Folgenden werde ich eine dieser Methoden näher erläutern - nämlich den „Cycle of Urban Creativity“ (Der Kreislauf urbaner Kreativität) - sowie meine Erfahrungen schildern, die ich bei ihrer Umsetzung in der realen Praxis in Huddersfield, einer Stadt im Norden Englands zwischen Leeds und Manchester, gesammelt habe.
Huddersfield war eine typische durch die industrielle Revolution hervorgebrachte, einstmals reiche Stadt. Mitte der 1980er Jahre wurden die meisten ihrer Textilfabriken und Kohlegruben geschlossen, und die Stadt geriet in eine ernste Krise - so- wohl wirtschaftlich als auch hinsichtlich ihrer zugrundeliegenden Verwaltungsstrukturen. Ein Wechsel in der politischen Führung leitete eine Phase radikaler Neubewertung und Veränderung ein, brachte eine neue Vision hervor und führte zu einem Auftauen der städtischen Bürokratie und zum Entstehen neuer Partnerschaften mit einer ganzen Reihe von Interessengruppen. Ein Element dieser Vision bestand darin, Huddersfield zu einem Ort zu machen, an dem kreatives Talent mit offenen Armen aufgenommen und zu Wohlstand umgewandelt werden würde. Eine Chance, diese Möglichkeiten auszuloten, ergab sich im Jahre 1995, als die Europäische Kommission eine Ausschreibung veranstaltete, in der sich Städte darum bewerben konnten, den Status eines URBAN-Pilotprojektes gemäß Artikel 10 (Innovative Aktion) des Programms zu erhalten. Huddersfield wurde aus mehr als 500 Mitbewerbern ausgewählt und erhielt 3 Millionen ECU zur Umsetzung seiner Creative Town Initiative. Unsere Aufgabe bestand nun darin, eine breite Palette unterschiedlicher Projekte auf den Weg zu bringen, die die Stadt in die Lage versetzen würden, kreatives und unternehmerisches Talent aufzuspüren, zu stimulieren, zu nähren, anzuziehen, nutzbar zu machen, wiederzugewinnen, zu verankern und aufrechtzuerhalten. In meiner Eigenschaft als Projektleiter wurde mir bewusst, dass wir ein Modell benötigten, sowohl um uns selbst eine innere Struktur zu geben, als auch um Außenstehenden ein Verständnis dafür zu vermitteln, was wir da eigentlich machten und warum wir es taten. Mit Charles Landry als unserem externen Berater entwickelten wir den „Kreislauf urbaner Kreativität“ als unser Modell weiter.
Der Kreislauf urbaner Kreativität
Der Kreislauf urbaner Kreativität ist sowohl ein theoretisches Konzept als auch ein dynamisches Instrument zur Schaffung einer Form von erneuerbarer urbaner Energie, mit der eine Stadt angetrieben wird. Er geht von der Überzeugung aus, dass Kreativität für die Entwicklung einer Stadt nutzbar gemacht werden kann - und dass Kreativität andererseits auch vergeudet werden kann, wenn sie nicht auf eine intelligente Art und Weise strategisch gelenkt wird. Das Konzept erkennt an, dass Kreativität in vielen verschiedenen Formen, mit Hilfe verschiedener Mittel und in unterschiedlichen Phasen eines Entwicklungsprozesses zutage treten kann und dass sie auf viele verschiedene Arten und durch viele verschiedene Handelnde ihren Ausdruck finden kann. Aus diesem Grunde hat man angenommen, dass Kreativität einfach eine „Naturkraft“ sei, die sich dem Verständnis der meisten Menschen entziehe und nur wenigen genialen Künstlern und Wissenschaftlern zugänglich sei Wir meinen jedoch, dass Kreativität gesteuert werden kann und muss.
Der Kreislauf besteht aus fünf Phasen:
1. Die Fähigkeit stärken, Ideen hervorzubringenWie entstehen neue Ideen und Einsichten, innovative Geschäftsmodelle, künstlerische Schöpfungen, Erfindungen, neuartige Dienstleistungen? Gibt es in der Stadt genügend Menschen, die in neuen Bahnen denken, und nimmt irgendjemand Notiz von ihnen? Gibt es Möglichkeiten, mehr Menschen dazu anzuregen, öfter und mehr Ideen zu haben?
Diese Phase war in Huddersfield eine entscheidende, da es sich um eine Industriestadt handelte, deren Bevölkerung daran gewöhnt war, mit Produktion und Effektivitätsdenken verbundene Wertvorstellungen zu akzeptieren, ohne sie groß zu hinterfragen, während Werte der Selbstverwirklichung und des eigenen Ausdrucks keine große Rolle spielten (mit Ausnahme gut organisierter Chöre und Musikgruppen).
Unser wichtigstes Ziel war es, das Niveau der in der Stadt geführten Debatte anzuheben und den Kreis der daran beteiligten Personen auszuweiten. Wir wollten mehr Leute dazu bringen, Fragen zu stellen wie „Warum ist die Stadt so, wie sie ist - warum kann sie nicht anders sein?“ und „Warum ist mein Leben so, wie es ist - warum kann es nicht anders sein?“ Mit diesem Ziel organisierten wir eine große Anzahl von Veranstaltungen, Ausstellungen, Debatten und Vorträgen und sorgten dafür, dass Einwohner der Stadt die Möglichkeit bekamen, andere Orte zu besuchen, die ihnen neue Anregungen geben konnten. Wir nannten dies unser „Forum der Kreativität". Mit Hilfe der ortsansässigen Theatertruppe „Proper Job“ führten wir Hunderte Einwohner durch einen Trainingsprozess mit dem Titel „The Lab“ der ihren Horizont erweiterte und dazu führte, dass eine große Gruppe von Menschen zur aktiven Teilnahme am kreativen Prozess fand. Weiterhin führten wir einen „Millenniums-Wettbewerb“ durch, in dem wir die Einwohner dazu aufriefen, sich bis zum Ende des Jahres 2000 mit 2000 neuen Ideen und städtischen Innovationen einzubringen.
2. Ideen verwirklichen
Kreative Ideen sind eine feine Sache, aber seine Rechnungen kann noch niemand damit bezahlen. Wie können wir sicherstellen, dass mehr Menschen die Möglichkeit bekommen, ihre Ideen auszutesten und in Form neuer Unternehmen, Produkte oder Dienstleistungen in die Praxis umzusetzen? Welche Unterstützung und Ermutigung brauchen sie in Form von Geld, Ratschlägen, Ausrüstungen - und was geschieht, wenn sie scheitern und noch einmal von vorn anfangen müssen?
In Huddersfield riefen wir „Treibhaus-“ und „Inkubator-“Programme ins Leben, in deren Rahmen wir Menschen mit Ideen, Menschen mit Erfahrung und Menschen mit Geld zusammenführten. Leuten mit modellhaften Ideen wurden kleine Stipendien und Darlehen zur Verfügung gestellt (wobei die Betonung auf „klein“ hegt, da zu viel Geld genauso schlecht sein kann wie zu wenig), neu gegründete Unternehmen konnten Büroräume kostenfrei nutzen. Wir organisierten ein Beratungsprogramm für Erfinder, in dem die Menschen lernten, wie sie ihr geistiges Eigentum einsetzen und schützen konnten. Im Rahmen eines weiteren Programms mit dem Titel „Business Angels“ agierten erfahrene Unternehmer als Mentoren für neu gegründete Firmen. Weiterhin entwickelten wir ein „Unternehmerprogramm“ für Schulen, in dem die Schüler lernen konnten, wie man ein Unternehmen führt, ohne finanzielle Risiken auf sich zu nehmen.
3. Netzwerke aufbauen, Ideen verbreiten
In Ihrer Stadt mag es eine Menge Leute geben, die ihre Ideen verwirklichen - aber wird die Stadt dadurch zu einem kreativen Gemeinwesen? Noch viel größere Werte können geschaffen werden, wenn Menschen beginnen, zusammenzuarbeiten und ihre Kreativität ihre Ressourcen und ihre Geheimnisse miteinander zu teilen. Das Ganze ist größer als die Summe seiner Teile. Welche Mechanismen können Menschen und Organisationen dabei helfen, sich so zu verhalten? Unser Ziel in Huddersfield war nicht einfach nur kreativ zu sein, sondern ein kreatives Gemeinwesen aufzubauen. Das Erste, was wir lernten, war „Wissen ist Macht“: Man muss wissen, wer was tut und in welchem Umfang. Daher initiierten wir ein Audit unserer „kreativen Wirtschaft“ und eine jährliche Übersicht, aus der wir ersehen konnten, wie viele Unternehmen an kreativen Aktivitäten teilnahmen, wie viele Angestellte sie hatten, wieviel Erlös sie erwirtschafteten, mit wem sie Handel trieben und was sie benötigten, um ihr Geschäft zu erweitern. Dies gab uns eine sehr imposante Statistik an die Hand, mit der wir die Skeptiker beeindrucken konnten (beispielsweise mit der Tatsache, dass rund 5000 Menschen in den kreativen Unternehmen vor Ort arbeiteten), und mit deren Hilfe wir auch eine Kontakt-Datenbank aufbauen konnten, um Informationen und Wissen auszutauschen. Weiterhin führten wir regelmäßige „Netzwerk-Veranstaltungen“ durch, auf denen kreative Unternehmer Gleichgesinnte treffen konnten, und publizierten ein Hochglanzmagazin von hervorragender Qualität, in dem Künstler und Firmen ihre Arbeit präsentieren konnten.
4. Plattformen zur Herstellung schaffen
An einem bestimmten Punkt angelangt, benötigen kreative Menschen und Organisationen Orte, an denen sie die Produkte, Dienstleistungen oder Kunstformen, die Ausdruck ihrer Kreativität sind, erstellen können. Dies umfasst die gesamte materielle und virtuelle Infrastruktur einschließlich der Geschäftszentren, Produktionsstätten, Studios, Galerien oder Websites, die die geeigneten Eigenschaften und Merkmale aufweisen und die zu einem fairen Preis verfügbar sein müssen.
Zu Beginn unserer Arbeit glaubten nur wenige Menschen in der Stadt dass es in Huddersfield eine kreative Wirtschaft gäbe, weil sie unsichtbar war. Daher brauchten wir ein äußeres Anzeichen in Form eines Gebäudes, um zu zeigen, dass es so etwas wirklich gab. Wir erwarben ein Grundstück im Stadtzentrum mit drei leerstehenden, baufälligen Industriegebäuden. Dort befindet sich heute „The Media Centre“ mit 10.000 Quadratmetern Bürofläche und künstlerischen Studios, mit einer Galerie, einem Cafe und Produktionsstätten. Ansässig sind dort über 60 Firmen mit 500 Arbeitern und Studenten. Seit seiner Eröffnung war das Zentrum ständig zu mindestens 95 Prozent belegt und arbeitet nunmehr mit Gewinn ohne jegliche Beihilfen. Damit stellt es ein kraftvolles Symbol der wirtschaftlichen Wirksamkeit von Kreativität dar. Um unser Gemeinwesen weiter aufzubauen, mussten wir außerdem dafür sorgen, dass sich mehr kreative Menschen im Stadtzentrum ansiedelten. Zu diesem Zweck bauten wir ein leerstehendes Mechanik-Institut um. Es entstanden „The Creative Lofts“ - kombinierte Wohn- und Arbeitsräume oder Ateliers, in denen heute 20 Einzelpersonen oder Firmen angesiedelt sind. „The Media Centre“ ist inzwischen zu einem kraftvollen Markenzeichen und erfolgreichen Geschäftsmodell geworden, das weit über Huddersfield hinaus gefragt ist. Kürzlich erhielt es den Auftrag zur Leitung des größten Innovationszentrums der Region in Leeds und strebt bereits danach, auch in andere Städte zu expandieren.
5. Publikum gewinnen, Märkte aufbauen
Zu guter Letzt: Ideen, Produkte, Erfahrungen und Dienstleistungen haben keinen Wert, wenn sie nicht irgendwer irgendwo benutzen oder kaufen will. Verfügt die Stadt über die Möglichkeit, ihre Ideen und Produkte in einer Form zu präsentieren, die andere Menschen erreicht und anzieht? Und kann sie das Publikum oder den Markt auf einem akzeptablen Niveau versorgen? In Huddersfield erkannten wir, dass alles, was sich in der Kreativen Stadt abspielte, lediglich eine abstrakte Übung bleiben würde, wenn wir unsere Ideen und Produkte nicht an andere weitergeben und verkaufen könnten. Wir investierten viel in die Informationsverbreitung durch Websites und Publikationen, Ausstellungen und Vorträge. Wir sind fest davon überzeugt, dass der beste Weg zum Erfolg darin besteht, Ideen nicht geheim zu halten, sondern sie mit anderen zu teilen und so weit wie möglich zu verbreiten. Und so investierten wir in Training auf dem Gebiet der Marketing- und Vertriebsmethoden, besuchten Handelsmessen und Exportmissionen. Letztendlich führten diese Tätigkeiten zur Gründung einer neuen Organisation, der „Creative Industries Development Agency“, die inzwischen höchst erfolgreich auf eigene Rechnung arbeitet und ihre Dienstleistungen nicht nur für Huddersfield, sondern auch regional und landesweit anbietet.
Bis hierher haben wir fünf Punkte eines Kontinuum beschrieben. Diese stellen jedoch noch keinen Kreislauf dar. Wir behaupten allerdings: Indem man ein Publikum oder einen Markt mit seinen Ideen und Produkten erreicht und zufriedenstellt, setzt man eine Dynamik in Gang, die nicht nur den kreativen Prozess der vorhergehenden Phasen belohnt, sondern auch den Funken überspringen lässt, der neues Ideenpotenzial zündet. Vor allem in Städten, in denen Kreativität bisher kaum eine Tradition hatte, und in denen wirtschaftliche Unsicherheit oder Angst vor zukünftigen Veränderungen herrscht, werden sich viele Menschen zunächst einmal gegen die Teilnahme an einem Kreislauf der Kreativität sträuben, ehe sie nicht gesehen haben, wie es andere vor ihnen tun. Und so bringt Kreativität neue Kreativität hervor, indem immer neue Kreisläufe in Gang gesetzt und immer mehr Menschen und Ressourcen einbezogen werden, die bis dahin blockiert waren und der Stadt nicht zur Verfügung standen. Dies eröffnet uns die Möglichkeit, Kreativität als eine nachhaltige Ressource zu begreifen.
In den meisten Fällen erleben wir, dass eine Stadt ein oder zwei der genannten Punkte hervorragend meistert, jedoch einige der restlichen Phasen nur schwach umsetzt oder gar vollständig ignoriert. Beispielsweise sehen wir oft, dass Städte sehr viel in die „Plattformen zur Herstellung“ investieren - in Geschäftszentren, Studios, Kulturhäuser. Diese sind weithin sichtbar, oft prestigeträchtig, und sie vermitteln den äußeren Eindruck, dass etwas im Gange sei. Kommunalpolitiker lieben diese Äußerlichkeiten natürlich sehr. Doch wenn die Stadt kein Milieu schafft, in dem sich die Menschen wohl dabei fühlen, neue Gedanken zu hegen und ihre Ideen mit anderen zu teilen, dann werden die „Plattformen zur Herstellung“ ungenügend genutzt oder weitgehend mit alten oder überholten Aktivitäten befasst sein. In gleicher Weise kann eine Stadt zwar voller interessanter Bars und Cafes sowie reichlich ausgestatteter Forschungseinrichtungen sein, wo die Menschen eine Menge neuer Ideen hervorbringen - wenn die Stadt jedoch nicht fähig ist, diese Ideen in Dinge zu verwandeln, die sie vermarkten und verkaufen kann, so wird sie niemals in der Lage sein, ihre kreativen Menschen zu belohnen; und diese entscheiden sich dann möglicherweise dafür, woanders hin zu ziehen.
Der Kreislauf der Kreativität hat sich für Huddersfield als ein äußerst hilfreiches Modell erwiesen, indem er viele Organisationen in die Lage versetzt hat, sowohl das Gesamtbild zu verstehen als auch ihren Anteil daran zu begreifen. Das Modell sollte auch andere ähnliche Städte dazu befähigen, über ihre Situation nachzudenken. Diese Städte müssten sich fragen: „Gibt es in unserer Stadt schon einen Kreislauf der Kreativität?“ - „In welchen Phasen des Kreislaufes sind wir erfolgreich, wo hegen unsere Schwächen?“ - „Verleitet uns unsere Konzentration auf einen der Aspekte des kreativen Prozesses dazu, andere zu übersehen?“ Das Ergebnis dieser Übung kann eine ganze Sammlung von Ideen sein - alten und neuen -, doch viel wichtiger sind die Anfänge eines organisatorischen Rahmens, um den herum eine ganze Reihe von Partnern in einem kreativen und sich selbst immer wieder erneuernden Prozess gemeinsam arbeiten können.
Im Jahre 1963 veröffentlichte James Simpson die offizielle Biographie der Weltbank. Er nannte sie „The Road to Huddersfield: a journey to five continents“. Simpson wählte Huddersfield als Archetyp einer Stadt, die sich durch den traumatischen Umbruch des industriellen Wandels gekämpft hat und mit starken demokratischen Einrichtungen und einer gesunden Bürgergemeinschaft daraus hervorgegangen ist. Huddersfield hat auch in der Folgezeit weitere Veränderungen und Umwälzungen durchgemacht, doch es ist unsere Hoffnung, dass die Stadt noch immer eine Quelle der Inspiration für andere sein kann, die sich auf dem gleichen Wege befinden.
Der Autor: Phil Woods war von 1997-2000 Leiter der Huddersfield Creative Town Initiative und ist seit 2000 Partner bei Comedia, einem führenden Beratungsunternehmen Großbritanniens mit den Schwerpunkten Perspektiven der Stadtentwicklung und Nutzung kultureller Potenziale.
Übersetzung: Kerstin Lehmann, Übersetzerin, Görlitz
Literatur
Florida, R. (2002): The Creative Class. In: www.creativeclass.com
Hall, P. (1998): Cities in Civilisation. London, Weidenfeld
Kao, I. (1996): Jamming: The Art and Discipline of Business Creativity. London
Landry, Ch. (2000): The Creative City: A Toolkit for Urban Innovators. London, Earthscan