Was ist städtische Kreativität? Zehn Thesen
Artikel vom 10.05.2004
Demographische und wirtschaftliche Schrumpfungsprozesse, überregionale Abwanderung, anhaltende Suburbanisierung sowie ein erheblicher Wohnungsleerstand kennzeichnen seit Ende der 1990er Jahre viele Städte und Gemeinden in den neuen Ländern. Die Kommunen sind gefordert, strukturell neue, integrierte Entwicklungskonzepte zu erarbeiten. In ökonomischer, sozialer, kultureller, baulicher und wohnungswirtschaftlicher Hinsicht ist städtische Kreativität eine Ressource, deren Potenzial für den Stadtumbau noch zu wenig genutzt wird. Von Heike Liebmann und Tobias Robischon
Schrumpfende Städte: Keine Heilung allein durch Städtebau
Demographische und wirtschaftliche Schrumpfungsprozesse, überregionale Abwanderung, anhaltende Suburbanisierung sowie ein erheblicher Wohnungsleerstand kennzeichnen seit Ende der 1990er Jahre viele Städte und Gemeinden in den neuen Ländern. Die Kommunen sind gefordert, ihre Entwicklungsziele kritisch zu überprüfen und strukturell neue, integrierte Entwicklungskonzepte zu erarbeiten. Viele Kommunen richten den Focus in ihren Konzepten zunächst auf die städtebaulichen und wohnungswirtschaftlichen Probleme des Stadtumbaus und setzen in erster Linie dort zur Heilung der gegenwärtigen Symptome der Schrumpfungsentwicklungen an. Angesichts der Komplexität der Problemlagen in den Städten erfordern zukunftsfähige Problemlösungen ein „neues Denken“. Es müssen neue Perspektiven für die Stadtentwicklung erdacht werden – in wirtschaftlicher, sozialer, kultureller, baulicher und wohnungswirtschaftlicher Hinsicht. In einer gemeinsamen Workshopreihe des Instituts für Regionalentwicklung und Strukturplanung (IRS) und der Schader-Stiftung diskutierten Experten aus ostdeutschen und westeuropäischen Städten den kreativen Umgang mit Schrumpfungsprozessen.
Städtische Kreativität, so ihr Plädoyer, ist eine Ressource, deren Potenzial für den Stadtumbau noch zu wenig genutzt wird.
1. Kreatives Handeln braucht Mut zum kalkulierten Risiko
Kreatives Handeln ist die bewusste (intendierte) Veränderung nicht mehr adäquater Handlungsmuster. Dies setzt zumeist voraus, mit Routinen zu brechen. Damit sich in der Stadtentwicklung kreatives Handeln entfalten kann, ist die „Kultivierung des Experiments“ notwendig – also der Mut zum kalkulierten Risiko, verbunden mit einem verantwortungsvollen Umgang mit offenen Ergebnissen. Die „Kultivierung des Experiments“ erfordert veränderte Instrumentarien und Verfahren.
Nicht jede Neuerung ist mit Risiken verbunden. Doch ist die Bereitschaft, Risiken einzugehen, eine wesentliche Grundlage dafür, dass neue, kreative Ideen entwickelt und erprobt werden können. So zeigte etwa das Beispiel Huddersfield, wie in der Verwaltung Rahmenbedingungen geschaffen werden können, um kreative Ideen und mutige Initiativen tatsächlich zu zulassen und Sachzwänge in Frage zu stellen. Zur Risikobereitschaft zählt auch, die Möglichkeit des Scheiterns zu akzeptieren. Dies verlangt von Organisationskulturen, in denen Misserfolge totgeschwiegen oder schöngeredet werden, erhebliche Umstellungen. Der Mut, Neues zu wagen, verlangt aber nicht danach, willkürlich herumzuprobieren. Notwendig ist ein experimentelles Vorgehen, also begrenzte und beobachtete Versuche. Erst die nüchterne Auswertung erfolgreicher wie gescheiterter Versuche erlaubt ein Organisationslernen. In aller Regel wird es der Entwicklung neuer Verfahren für die Beobachtung und Auswertung solcher Versuche bedürfen (vgl. Wood 2004).
2. Kreative Stadtpolitik beachtet Akteure und bezieht sie ein
Eine eigene städtische Kreativität kann aus der Zusammenarbeit vieler Akteure des öffentlichen, privaten und freiwilligen Sektors und der Verständigung auf gemeinsame strategische Ziele entstehen. Akteursgruppen zusammenzuführen setzt allerdings voraus, dass die in der Stadt vorhandenen, nur bislang kaum wahrgenommenen Akteure beachtet und gezielt zur Mitwirkung motiviert und befähigt werden. Kreative Milieus zeichnen sich dadurch aus, dass sie Akteure aus den unterschiedlichsten Bereichen (z. B. lokale Behörden, Unternehmen, Forschungseinrichtungen) integrieren.
Kreativität entsteht im sozialen Austausch zwischen den Akteuren, wobei Austausch-Prozesse und Interaktionen zu einer effektiveren Nutzung vorhandener Ressourcen führen und Potenziale freisetzen. Zudem bewirken die vielfältigen sozialen und informellen Beziehungen eine besondere Art der Bindung der Akteure untereinander. Es entsteht ein regionales Gemeinschaftsgefühl – und damit ein mentaler Zusammenhalt als Basis für die Zusammenarbeit heterogener Akteure. Gleichzeitig trägt dieses Gemeinschaftsgefühl nach außen zum Image einer Stadt bei.
Im Rahmen der Workshopreihe wurde dies in besonders markanter Weise am Beispiel der Stadt Karlskrona dargestellt. Nach einem grundlegenden Strukturwandel hat dort die Bildung einer gemeinsamen Plattform entscheidender Akteure aus öffentlicher Verwaltung, Universität und privater Telekommunikationswirtschaft eine Neuprofilierung der Kommune als „Telecom-city“ ermöglicht (vgl. Glöckner/Liebmann 2004). Das Beispiel verdeutlicht aber auch, dass die regionalen Ausstattungsmerkmale alleine (wie Bildungs- und Forschungseinrichtungen, sonstige Infrastruktur) noch keine innovative Stadt- und Regionalentwicklung begründen können. Vielmehr ist es die Art der Beziehungen zwischen den Akteuren, die für die Entstehung kreativer Milieus von entscheidender Bedeutung ist. Erst intensive Interaktionen zwischen den Akteuren können lokal wirksame Entwicklungseffekte erzeugen (vgl. auch Büttner/Lange/Matthiesen 2004).
Die Workshopreihe zeigte, dass seitens der Kommunalverwaltungen Akteure außerhalb des unmittelbaren Tätigkeitsbereichs der eigenen Institution bisher noch in zu geringem Maße wahrgenommen werden. In der Regel werden nur die Akteursgruppen einbezogen, die für die
Umsetzung von konkreten Stadtumbaumaßnahmen unerlässlich sind (Wohnungsunternehmen, Stadtwerke etc.). Akteure aus dem Wissens- und Bildungsbereich werden dagegen an Stadtentwicklungsprozessen meist nur in geringem Maße beteiligt. Während Städte, die nicht über eine Universität oder Fachhochschule verfügen, den Mangel an Akteuren aus diesem Bereich als einen Standortnachteil für ihre Stadtentwicklung empfinden, nutzen erstaunlicherweise diejenigen Städte, die über entsprechende Einrichtungen verfügen, das vorhandene endogene Potenzial bisher kaum. Es ist möglich, dass es bisher unter anderem an Orten der persönlichen Begegnung fehlt, die das Entstehen von Kreativität im sozialen Austausch befördern können.
3. Schlüsselpersonen aktivieren Netzwerke für die kreative Stadtentwicklung
Einzelne zentrale Personen können eine entscheidende Initiatorenrolle übernehmen,wenn sie mutig, innovativ, offen und lernbereit sind, sich auf ein strategisches Vorgehen mit langfristigen Zielen konzentrieren und unterschiedlichste lokale Akteure (Gruppen oder Organisationen) in den Entwicklungsprozess einbinden. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie Kontaktnetzwerke etablieren und diese lebendig halten. Schlüsselakteure können Personen an der Spitze der Verwaltung, aus der Wirtschaft oder Kultur sein, es können aber auch Brückenpersonen sein, die eine Mittlerrolle zwischen Entscheidungsebenen, Sektoren oder Netzwerken einnehmen.
Insbesondere die Entwicklungen in Huddersfield und Manchester (siehe Phil Wood 2004 und Stuart Wilks-Heeg 2004) waren eng verknüpft mit dem Wirken von Schlüsselakteuren, die sich durch eine besondere Kommunikationsfähigkeit und Begabung zur Integration verschiedener Interessengruppen unter gemeinsamen Zielen ausgezeichnet haben.
Die Forschung zu kreativen Milieus geht davon aus, dass AkteursKontakte in kreativen Milieus einen explizit personengebundenen Beziehungscharakter aufweisen, d. h. sich in hohem Maße auf informeller, sozialer oder privater Ebene vollziehen (u.a. Fromhold-Eisebith 1999). Diese Kontaktformen sind mit einem besonderen Vertrauen verbunden, was dazu führt, dass eine größere Offenheit zwischen den Akteuren existiert und Informationen schneller und unkomplizierter fließen können. Dies heißt aber auch, dass der Aufbau kreativitätsfördernder Milieus, insbesondere wenn bisher kein gemeinsamer Erfahrungshintergrund vorhanden ist, Zeit für die Vertrauensbildung braucht.
4. Kreative Netzwerke schaffen Wissen für die städtische Regeneration
Regionale Innovationsnetzwerke benötigen leichten Zugang zu Informationen hoher Qualität. Ausgeprägte formelle und informelle Strukturen der Kommunikation in einer Region verbreitern die Wissensbasis und ermöglichen lokale Lernprozesse. Zugleich helfen diese Strukturen dabei, Unsicherheiten im Umgang mit komplexen Situationen zu reduzieren. Die aus diesen Netzwerken entstehenden Ideen und Impulse bilden ein Innovationspotenzial, das sich in wirtschaftlichen Erfolg einer Stadt oder Region umsetzen kann.
Kreative Netzwerke, die Informationen und Wissen aus unterschiedlichen Bereichen zusammenführen, bilden eine Quelle für Inspiration, Ideen und kollektive Lernprozesse. Der soziale Austausch und die Chance zu intensiver Begegnung spielen dabei eine befördernde Rolle. Anhand der Beispiele Jena und Frankfurt/Oder (siehe Beitrag Büttner, u. a. in diesem Band) kann gezeigt werden, unter welchen speziellen Bedingungen diese Netze zum wirtschaftlichen Erfolg einer Region beitragen. Notwendig ist eine Balance zwischen der Offenheit und Transparenz von Netzwerken und der „internen Reifung“ von Ideen. Perrin (1988) verwendet in diesem Zusammenhang den Begriff der „creative interrelatedness“.
In diesem Zusammenhang ist aber auch zu berücksichtigen, dass komplexe Situationen oft Unsicherheit erzeugen, worauf vielfach mit dem verstärkten Sammeln von Informationen reagiert wird. Doch nicht das Anhäufen von Informationen um der Informationen willen stärkt die Fähigkeit zur Entwicklung von Problemlösungen, sondern eine Qualifizierung des Wissens im Kommunikationsprozess sowie durch die Erschließung zusätzlicher Wissensquellen. Genau dies ist es, was kreative Netzwerke leisten können. Das gegenseitige Vertrauen der Netzwerkpartner ermöglicht nicht nur einen unkomplizierten und schnellen Informationsfluss, sondern auch eine Qualifizierung der Informationen. Kreative Milieus sind daher durch eine hohe Lernfähigkeit gekennzeichnet, die den Akteuren ein schnelles Reagieren auf veränderte Rahmenbedingungen ermöglicht.
5. Städtische Kreativität lebt von kulturellen Ressourcen
Die Vielfalt des lokalen Kunst- und Kulturlebens prägen Image und Attraktivität einer Stadt. Das lokale Kulturleben ist eine wesentliche Quelle der Identitätsbildung. Einrichtungen in den Bereichen Kunst, Kultur, Kommunikation sind Ausgangspunkte für kreative Prozesse, ihre Qualität, Vielfalt, Zugänglichkeit und Verknüpfung damit zugleich eine Voraussetzung für städtische Kreativität. Kreativgestaltende Berufe (Künstler, Designer, auch Entwicklungsingenieure) suchen und bereichern kreative Milieus.
Besonders in Krisenzeiten ist die Kultur eine der größten Ressourcen für die Entfaltung von Kreativität. Kulturelle Aktivitäten können Phantasien, neue Ideen, soziale Modelle anregen, können als integrierende Kraft Verknüpfungen motivieren und so auch in die Ökonomie hineinwirken.
Kulturelle Ressourcen sind beispielweise die lokale Identität und das historische Erbe, die zur Stärkung des eigenen Profils in die Zukunftskonzepte eingebunden werden können. In den ostdeutschen Städten kann sich eine neue städtische Identität wegen des spürbaren Verlustes an „Humankapital“, insbesondere der Abwanderung jüngerer, kreativer Menschen, vielfach nur langsam entwickeln. Daher ist die Stärkung einer breit verstandenen und modernisierten Stadtkultur notwendig. Das Beispiel Huddersfield zeigte, wie kulturelle Projekte als Kristallisationspunkte gezielt eingesetzt wurden, um Selbstvertrauen, Eigeninitiative und kreative Ideen besonders bei jungen Menschen zu wecken. Unterstützt mit Fördermitteln konnten viele der Ideen umgesetzt werden, die auch zu konkreten wirtschaftlichen Effekten führten (vgl. Wood 2004).
6. Städtische Kreativität braucht kooperative Strukturen und klare Verant wortlichkeiten
Schwach ausgeprägte lokale Kommunikationskulturen und kooperationshemmende Rahmenbedingungen in der öffentlichen Verwaltung setzen der Entfaltung von Kreativität in der Kommune enge
Grenzen. Wenn macht- und parteipolitisch festgefahrene Strukturen von einer kooperativen Orientierung an der Lösung von Sachproblemen überwunden werden, sind Voraussetzungen für eine zukunftsorientierte Politik auf kommunaler Ebene gegeben. Eine klare Auf teilung der Verantwortlichkeiten zwischen Kommunalpolitik und Verwaltung fördert zugleich kreatives Handeln und den verantwortlichen Umgang mit offenen Ergebnissen.
Das kreative Potenzial der Kommunalverwaltung kann z.B. durch ämterübergreifende Zusammenarbeit in Projekten, eine gezielte Ausdehnung des Akteursspektrums in der Stadtentwicklung oder die Einbeziehung externen Know-hows entwickelt werden.
Erforderlich ist zudem, dass die lokale Politik zum einen dazu bereit ist, Prioritäten zu setzen, anstatt alle Klientelgruppen bedienen zu wollen, und dass sie sich zum zweiten auf strategische Entscheidungen beschränkt, statt in alle Detailaktivitäten zu intervenieren. Die Verwaltung dagegen müsste ihr eigenes Selbstverständnis als ausführendes Organ reformieren. Dies erfordert auch, einen mentalen Zusammenhalt und gemeinsame Zielsetzungen zu entwickeln und dies mit einer positiven Selbstdarstellung zu verbinden. Beides bedarf neben einem Einstellungswandel auch der Veränderung institutioneller Strukturen.
So war die Umstrukturierung der Verwaltung im Hinblick auf eine klare Ergebnisorientierung Ziel der Verwaltungsreformen in Tilburg. Über die Tilburger Erfahrungen berichtet der Beitrag von Glöckner (2004) in diesem Band. In den ostdeutschen Kommunen zeigten sich dagegen recht unterschiedliche Situationen. In Leipzig hat die ämterübergreifende, projektorientierte Arbeit (Olympia, BMW-Bewerbung etc.) erheblich dazu beigetragen, einen nach außen wahrnehmbaren Zusammenhalt der Verwaltung aufzubauen (vgl. Heinig/Weigel 2004).
7. Schrumpfung schafft Potenziale für Kreativität
Schrumpfungsprozesse schaffen Potenziale, wie die Verfügbarkeit von Raum und Zeit. In schrumpfenden Städten sollte es problemlos möglich sein, Räume für kreative Ideen zur Verfügung zu stellen. Daneben haben viele im Arbeitsprozess nicht mehr benötigte Menschen Zeitreserven. In einem fördernden Klima und mit unterstützenden Maßnahmen kann beides zusammengeführt werden, um so Menschen zu befähigen, die eigenen kreativen Potenziale zu entdecken und zu nutzen.
In Krisensituationen treten Problemkonstellationen (massiver Bevölkerungsrückgang, Leerstand, Schrumpfung der Kommunalfinanzen) deutlich zutage. Dies schwächt die argumentative Position von Akteuren, die an traditionellen Denk- und Lösungsmustern festhalten. Krisen erleichtern es dadurch, neue Wege zu gehen. Sie bieten einen Anlass, herkömmliche Handlungswege und altbewährte Routinen zu verlassen.
Studien zu den Ursachen regionaler Kreativität verweisen immer wieder auf wirtschaftliche Krisen, die als Katalysatoren für Kreativität fungierten (u. a. Anderson 1985; Malecki 1991). Der Krisensituation wird dabei die Rolle einer treibenden Kraft im Hinblick auf die Entfaltung regionaler Kreativität zugeschrieben, da sie die Akteure dazu gezwungen habe, unter Nutzung endogener Potenziale Maßnahmen zur Problemlösung zu ergreifen (Fromhold-Eisebith 1995:37). Auch bei den in der Workshopreihe vorgestellten westeuropäischen Städten (Huddersfield, Manchester, Karlskrona, Tilburg) waren Krisensituationen der Ausgangspunkt für die Entfaltung städtischer Kreativität und die sich daraus ergebenden Handlungschancen.
Allerdings ist das bloße Vorhandensein einer Krisensituationen noch keine Garantie für das Entstehen von Kreativität. Hierzu bedarf es, wie in den anderen Thesen dargelegt, weiterer Voraussetzungen. Zudem können Krisensituation kreatives Handeln auch erheblich erschweren. In ostdeutschen Städten wird diese Gefahr besonders wegen des geringen finanziellen Handlungsspielraums der Kommunen gesehen. Die wenigen vorhandenen Mittel werden vielfach angesichts des Erfolgsdrucks nur für absolut sicher erscheinende, bewährte Vorhaben und eben nicht für „kreative Experimente“ eingesetzt, die eventuell auch Misserfolge bringen könnten.
8. Kreativität entsteht im Prozess, Projekte dienen als Initialzündung
Unter den Bedingungen abnehmender Steuerungs- und Handlungsfähigkeit auf kom munaler Ebene werden Kreativität, Innovations- und Lernfähigkeit zu Schlüsselfaktoren städtischer Entwicklung. Sie lassen sich am ehesten über Projekte initiieren und erproben. Projekte werden so zum Motor, um in schrumpfenden Städten positive Entwicklungsprozesse in Gang zu setzen sowie neue Möglichkeiten und Chancen zu entwickeln.
Gemeinsame Projekte sind ein wesentliches Instrument der systematischen Förderung städtischer Kreativität. In Projekten können neue Arbeitsweisen erprobt und Akteursnetzwerke aufgebaut werden. Der gemeinsame Erfolg kann negative Grundstimmungen umkehren. Nachhaltige Wirkungen können Projekte aber nur erzielen, wenn sie mit klaren strategischen Zielsetzungen verbunden werden.
Projekte erzeugen Aufmerksamkeit und lösen Mobilisierungseffekte aus. Damit verbindet sich die Hoffnung auf eine Katalysator-Wirkung: Die Ausstrahlung des Projekts hat Effekte auf die Standortqualität und das Image und gibt Anstöße für weitere Innovationen Dritter (vgl. Liebmann 2004 in diesem Band). Oft mobilisiert die öffentliche Aufmerksamkeit zahlreiche Akteure derart, dass Projekte eine Eigendynamik entfalten. Diese von der öffentlichen Aufmerksamkeit gesteuerte Dynamik (engl. „hype“) wird damit selbst zu einer wesentlichen Triebkraft für Veränderungen. Eine Erfahrung der Projektinitiatoren aus Manchester lautet daher: „Create the hype – and keep up with it“, auf deutsch in etwa: „Schaffe den Trubel – und halte damit Schritt“ (vgl. auch den Beitrag von Wilks-Heeg 2004 in diesem Band).
Auch in den an der Workshopreihe „Städtische Kreativität“ beteiligten Städten spielen und spielten größere Projekte eine wichtige Rolle, um einen Mentalitätswandel in den Kommunen einzuleiten: Zu nennen sind etwa der Bau des damals modernsten Fußball-/Rugby-Stadions in Huddersfield, die Olympiabewerbung Manchesters (für Olym pia 1996 und 2000), die Bewerbung von Liverpool als Europäische Kulturhauptstadt 2008, die Ausrichtung der Bundesgartenschau 2009 in Schwerin oder die Olympiabewerbung Leipzigs (Olympia 2012).
9. Kreativität braucht lokale Identität und Offenheit nach Außen
Kreativität bedeutet nicht sich in geschlossenen Zirkeln zu bewegen, sondern verlangt nach Offenheit – nach innen wie nach außen. Ein kreatives Milieu zeichnet sich durch Heterogenität der Akteure aus, so dass innerhalb der Akteursnetze vielfältige Kompetenzen und Ressourcen verfügbar sind. Lokale Identität ist ein verbindendes Element unterschiedlichster Kreise und Akteursgruppen. Diese lokale Verbundenheit im Verein mit Offenheit gegenüber Neuem – aus der Region wie außerhalb der Region – erlaubt es, positive Beispiele und gute Ideen wahrzunehmen und so im Sinne eines „kreativen Abkupferns“ zu lokalen Adaptionen innovativer Lösungsansätze zu kommen.
Eine ausgeprägte Identifikation mit der eigenen Stadt befördert die aktive und kreative Teilnahme an Stadtentwicklungsprozessen und die deutliche Artikulation der eigenen Vorstellungen, Interessen und Wünsche. Diese regionale Identität sollte möglichst breit, etwa auch von Akteuren aus Wirtschaft, Forschung und anderen Bereichen mitgetragen werden können.
Außenkontakte ermöglichen externe Anstöße für die interne Dynamik. Gerade weil „kreative Milieus“ durch ständige Lernprozesse charakterisiert sind, sind sie auch geprägt durch die Offenheit für Außenbeziehungen. Eine ausschließlich auf sich selbst bezogene Sichtweise verschließt häufig den Blick auf Prozesse, die andernorts erfolgreich verlaufen. Es besteht gar die Gefahr, dass strukturstarre Netzwerke mit engen persönlichen Kontakten abrutschen in Varianten der „Verfilzung“ oder des „lokalen Klüngels“, die externe kreative Impulse ausschließen, selbst aber keine Kreativität entwickeln können. Teilweise ermöglicht aber nur eine distanzierte Perspektive, verbunden mit dem praktischen Wissen von Lösungsansätzen, die sich andernorts be währt haben, tradierte Handlungsmuster tatsächlich zu erkennen und in Frage zu stellen. Die Offenheit der lokalen Akteure entscheidet dann darüber, ob Kreativitätspotenziale erkannt und kreative Lösungen erprobt werden.
10. Kreativität ist ein Arbeitsprinzip
Städtische Kreativität ist nicht die vordergründige Ausrichtung einer Stadt am spezifischen Leitbild der „creative city“, sondern ist als zentrales, verändertes Arbeitsprinzip von Politik und Verwaltung zu entwickeln. Das setzt voraus, dass Städte nicht nur als gebaute Umwelt verstanden werden, sondern als Systeme und Netzwerke. Stadtpolitik verlagert dann ihren Schwerpunkt von der physischen Infrastruktur zur Städte-Dynamik und zur Lebensqualität der Stadtbewohner. Städtebauliche Maßnahmen spielen weiterhin eine bedeutende Rolle, sie werden aber in ein breiteres Verständnis von Regenerierung eingebunden.
Regenerierung wird hier als ein Prozess verstanden, der den Menschen Gelegenheiten zur Entfaltung und Mitgestaltung eröffnet, damit daraus eine stärkere Basis für eine künftig bessere Wettbewerbsfähigkeit der Städte erwachsen kann (Keim 2001).
Städtische Kreativität ist nicht planerisch herstellbar. Notwendig ist vielmehr eine Kontextpolitik, die mit geeigneten flankierenden Maßnahmen die Wahrscheinlichkeit der Entfaltung von kreativen Milieus im politischen, unternehmerischen und sozialen Bereich erhöht. Als Schlüsselelemente einer solchen Strategie können gelten: neue Lernkonzepte, eine bestimmte Netzwerkarchitektur und die regionale Selbstregulation.
Die Autoren: Dr.-Ing. Heike Liebmann, Stadtplanerin, ist Lehrbeauftragte am Lehrstuhl Stadt- und Regionalentwicklung der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg und seit 2012 Leiterin des Bereichs Stadtentwicklung der B.B.S.M. Brandenburgische Beratungsgesellschaft für Stadterneuerung und Modernisierung mbH in Potsdam. Dr. Tobias Robischon ist Politikwissenschaftler und seit 1994 Wissenschaftlicher Referent der Schader-Stiftung.
Literatur
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Büttner, K./Lange, B./Matthiesen, U. (2004): Raumwirkungen von Wissensmilieus. Handlungsstrategien und Akteurspotenziale von Start-up-Unternehmern im FuE-Bereich von Frankfurt/Oder und Jena. In: Liebmann, H./Robischon, T.: Städtische Kreativität. Potenzial für den Stadtumbau. Erkner/Darmstadt, S. 161–183.
Fromhold-Eisebith, M. (1995): Das „kreative Milieu“ als Motor regionalwirtschaftlicher Entwicklung. In: Geographische Zeitschrift, 83. Jg., S. 30–47.
Fromhold-Eisebith, M. (1999): Das „kreative Milieu“ – nur theoretisches Konzept oder Instrument der Regionalentwicklung? In: Raumordnung und Raumforschung 2/3 1999, S. 168–175.
Glöckner, B. (2004): Neue Konzepte für die Verwaltung. Tilburger Erfahrungen mit der Verwaltungsmodernisierung. In: Liebmann, H./Robischon, T.: Städtische Kreativität. Potenzial für den Stadtumbau. Erkner/Darmstadt, S. 206–218.
Glöckner, B./Liebmann, H. (2004): Karlskrona – Kehrtwende aus der Krise. In: Liebmann, H./Robischon, T.: Städtische Kreativität. Potenzial für den Stadtumbau. Erkner/Darmstadt, S. 109–115.
Heinig, St./Weigel, O. (2004): Zwischen Schrumpfung und Wachstum. Kreative Strategien für Leipzig. In: Liebmann, H./Robischon, T.: Städtische Kreativität. Potenzial für den Stadtumbau. Erkner/Darmstadt, S. 60–71.
Keim, K.-D. (2001): Forschungs- und Entwicklungsprogramm zur Regenerierung der ostdeutschen Städte. In: Keim, K.-D. (Hrsg.): Regenerierung schrumpfender Städte – zur Umbaudebatte in Ostdeutschland. (RegioTransfer 1), S. 940.
Liebmann, H. (2004): Mut der Verzweiflung? Events und Großprojekte als Motor für die Stadtentwicklung. In: Liebmann, H./Robischon T.: Städtische Kreativität. Potenzial für den Stadtumbau. Erkner/Darmstadt, S. 133–145.
Malecki, E. J. (1991): Technology and economic development: the dynamics of local, regional and national change. London.
Perrin, J.-C. (1988): New Technologies, Local Synergies and regional Policies in Europe. In: Aydalot, P./Keeble, D. (eds.): High technology industry and innovative environments in Europe. London, S. 139–162.
Wilks-Heeg, St. (2004): Kann kreative Kommunalpolitik wirtschaftlichen Niedergang umkehren? Die Politik der urbanen Renaissance in Liverpool und Manchester. In: Liebmann, H./Robischon, T.: Städtische Kreativität. Potenzial für den Stadtumbau. Erkner/Darmstadt, S. 90–108.
Wood, Ph. (2004): The Cycle of Urban Creativity. Der Kreislauf urbaner Kreativität. In: Liebmann, H./Robischon, T.: Städtische Kreativität. Potenzial für den Stadtumbau. Erkner/Darmstadt, S. 26–38.