Gestaltungsaufgabe Stadt
Artikel vom 25.08.2008
Was sind die wesentlichen Themen und Handlungsfelder für eine nachhaltige und zukunftsfähige Entwicklung der Städte? Wo besteht besonderer Innovationsbedarf? Kooperation auf Grundlage eines integrierten Entwicklungskonzepts auf gesamtstädtischer Ebene ist Dreh- und Angelpunkt der integrierten Stadtentwicklung. Von Gudrun Kirchhoff und Reiner Schmidt
Es geht um die Zukunft der Europäischen Stadt
Die Leipzig Charta hat grundlegende Orientierungen für die Entwicklung der europäischen Städte formuliert und strategische Politikansätze aufgezeigt. Ausgangspunkt ist das Leitbild der Europäischen Stadt mit ihren historisch gewachsenen Merkmalen von Urbanität und Dichte, von Differenz und Mischung, von Bürgergesellschaft und sozialstaatlichen Regulierungen, von Öffentlichkeit und öffentlichem Raum.
Mit der Orientierung auf ein gemeinsames städtisches Selbstverständnis können die zukünftigen Herausforderungen, wie demographischer Wandel, Klimawandel und ökonomischer Strukturwandel, eher bewältigt werden. Dabei zielt die Leipzig Charta auf zwei zentrale strategische Entwicklungslinien:
- die Integration benachteiligter Stadtteile,
- die integrierte Stadtentwicklungsplanung als gesamtstädtische Strategie.
Integrierte Stadtentwicklung ist ein Kooperationsprojekt. Nur im Zusammenspiel der wichtigsten Handlungsträger und Akteure kann eine städtische Entwicklungsstrategie Früchte tragen. Hierbei kommt es darauf an, einen ressortübergreifenden, integrierten Ansatz zu verfolgen, der auf der Verwaltungsebene die zentralen Ressorts wie Wirtschaft, Soziales, Gesundheit, Bildung und Kultur in die Ziele der Stadtentwicklung einbindet, auf der gesamtstädtischen und der Stadtteilebene die unterschiedlichen Interessengruppen und Handlungsträger miteinander vernetzt. Die kommunale Stadtentwicklungsplanung hat hier eine Moderationsfunktion: sie muss zentrale Themen aufnehmen, in die öffentliche Diskussion bringen und einen Interessenausgleich herstellen. Es geht um eine von der Stadtgesellschaft getragene Balance, um eine sozial gerechte und partizipative Stadt.
Stadtentwicklungsplanung muss die Bürger mit einbeziehen.
Die Einmischung der Bürger hat Lernprozesse in Gang gesetzt und die Stadtentwicklungspolitik verändert. Bürgerpartizipation ist ein wichtiges Element des urbanen Lebens. Sie stärkt die Stadtgesellschaft. Wenn Bürgerpartizipation ernsthaft betrieben wird, dann lassen sich nicht nur städtische oder stadtteilorientierte Ziele und Zukunftsprogramme entwickeln, sondern es finden sich auch auf Seiten der Bewohner Ansprechpartner und Multiplikatoren für spätere Vorhaben. Dafür müssen die Städte Räume und Ressourcen bereitstellen, um in Foren und Werkstätten zu gemeinsam erarbeiteten Ergebnissen kommen zu können. Bei der Gestaltung dieses Prozesses brauchen die Städte starke und verlässliche Partner aus Wirtschaft und Zivilgesellschaft.
Die Städte sollten sich verstärkt an ihre Potenzialen orientieren. Auf die Herausforderungen, die sich den Kommunen stellen, sollten sie mit vorausschauenden und potenzialorientierten Konzepten antworten. Förderprogramme für Stadtentwicklungsfragen sind für die Kommunen unverzichtbar, sie stellen wichtige Anreizfinanzierungen dar. Mit den politischen Programmen werden neue Themen gesetzt und wichtige Debatten in den Städten angestoßen - zum Beispiel Soziale Stadt und Stadtumbau Ost - die nachhaltige Entwicklungen befördern können.
Das Zusammenspiel von Stadt und Region wird zu einem entscheidenden Faktor der Zukunftsfähigkeit unserer Städte werden. Die Entwicklung der Städte vollzieht sich im Kontext der Entwicklungschancen der Gesamtregion. Hier kann Stadt Motor der Entwicklung sein. Auch wenn die interkommunalen Kooperationen als zukunftsweisend gelten, so stecken sie in der Realität in den meisten Fällen noch in den Anfängen. Kooperation scheitert jedoch häufig an der Konkurrenz der Städte untereinander und am politischen Willen. Hier kann Förderung eine wichtige Impulsfunktion haben und Rahmenbedingungen setzen, die die interkommunale Kooperation erleichtern.
Vielfalt bildet das kulturelle Kapital der Stadt. Internationalität gilt zunehmend als Ressource und Potenzial für die städtische Entwicklung. Die politischen Rahmenbedingungen müssen ein Klima schützen, das das gedeihliche Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher sozialer und kultureller Herkunft fördert; dazu gehören eine aktive Antidiskriminierungs- und Gleichstellungspolitik, die Erleichterung von Einbürgerung sowie die Verbesserung von Zugangschancen in Bildung, Ausbildung und Beruf. Integrationspolitik gilt als Gemeinschaftsaufgabe für die Bürgergesellschaft.
Die meisten Städte setzen auf eine aktive, vor Ort wirkende Integrationspolitik. Vorrangige Handlungsfelder sind:
- Sprachförderung für Neu- und Altzugewanderte,
- Chancengleichheit in Schule und Beruf,
- interkulturelle und internationale Orientierung,
- Sicherheit,
- politische und gesellschaftliche Partizipation.
Bildung wird zum Schlüssel für die Entwicklung der Städte. Zentrale Bedeutung haben der Ausbau und die Qualifizierung der städtischen Infrastruktur in den Bereichen Kinderbetreuung, Schule und Ausbildung und eine erweiterte Definition der Rolle von Bildungseinrichtungen. Wichtige Bausteine für die Verbesserung sind eine Vernetzung und stärkere Zusammenarbeit der Bildungs- und Betreuungsangebote auf der Stadtteil- bzw. Quartiersebene, der Ausbau der Schulen zu Ganztagsschulen und Ganztagsbetreuungsangebote für nicht schulpflichtige Kinder kombiniert mit Sprachbildungsangeboten für Kinder aus bildungsfernen Familien.
Die zunehmende Erwerbsintegration von Frauen verändert die Anforderungen an die soziale Infrastruktur. Sie bricht mit der tradierten Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern. Mittlerweile sind mehr als die Hälfte der Gutgebildeteten Frauen und sie werden aufgrund des wachsenden Fachkräftemangels von der Wirtschaft bald heftig umworben werden. Insbesondere gut gebildete Frauen entscheiden sich für das Wohnen in der Stadt, um Arbeiten und Leben verbinden zu können. Sie ziehen dorthin, wo Arbeit ist, wo sie die für die Kindererziehung notwendige Infrastruktur finden und wo ein gutes öffentliches Verkehrsnetz existiert. Die wachsende Entgrenzung von Arbeit und Leben erfordert neue Raum-Zeit-Konfigurationen, die der städtische Raum am ehesten bietet.
Der Klimawandel und die Endlichkeit der fossilen Energieträger sind besondere Herausforderungen für die Städte, den Städtebau und die technische Infrastruktur. Als Gegenmaßnahmen werden die Nutzung von Natur und Landschaft als Energieträger (Geothermie, Windkraft, Biomasse, Solarenergie, Wassekraft), Schritte gegen eine weitere Zersiedelung, allgemeine Energieeinsparung und eine energieeffiziente Gebäudebestandsentwicklung postuliert. Die Entwicklung vernetzter Energiekonzepte und die Integration in die vorhandenen Planungsinstrumente (Energienutzungsplan), Informations- und Aufklärungsarbeit, neue Förderprogramme, die zielgerichteter und anwendungsorientierter vermittelt werden, gelten als zielführend.
Vordringliche Handlungsschwerpunkte integrierter Stadtentwicklung
In den Diskussionen im Laufe der Konferenz „Zuhause in der Stadt“ am 17. und 18. Juni 2008 in Darmstadt zeichneten sich einige besonders vordringliche Handlungsschwerpunkte ab, die den in der „Darmstädter Erklärung“ aufgespannten Handlungsrahmen ergänzen und konkretisieren. Sie geben Hinweise auf mögliche weiterführende Initiativen des Netzwerkes „Zuhause in der Stadt“:
Städte müssen sich als Wirtschafts- und Wohnstandorte profilieren. Sie müssen individuellen Lebenskonzepten Raum geben und den sozialen Ausgleich leisten. Nur so kann vielfach brachliegendes Humankapital für die Entwicklung von Stadt und Gemeinwesen aktiviert werden.
Ins Blickfeld urbaner Strategien rücken insbesondere die Akteure der Immobilien- und Wohnungswirtschaft einschließlich der privaten Eigentümer sowie internationale, kreative Milieus und die Träger innovativer Ökonomien.
Bildung wird zum Schlüsselthema für die Zukunftsfähigkeit der Stadtgesellschaft. Die Vertreter der Kommunen, der Wohnungswirtschaft, der Quartiersentwickler und Stadtplaner sind sich darin einig, dass in diesem Handlungsfeld dringend neue Konzepte und Trägerschaften gefragt sind. Eine erweiterte Definition der Rolle von Bildungseinrichtungen, das Zusammenspiel der verschiedenen Bildungsangebote und ihre Vernetzung im Rahmen der integrierten Quartiersentwicklung sind wesentliche Bausteine.
Und vor allem:
Stadtentwicklung muss zum Stadtgespräch werden. Den lokalen und überregionalen Medien, den Bildungsinstanzen, den kulturellen Einrichtungen und Initiativen sowie den professionellen Stadtmachern kommt hier eine besondere Rolle zu.
Aufgabe der stadtgestaltenden Akteure ist es, geeignete Plattformen zu organisieren, um Öffentlichkeit zu schaffen, die Verständigung über die konstituierenden Merkmale des Gemeinwesens Stadt zu befördern, Entwicklungsperspektiven zu diskutieren und Erfahrungen weiterzugeben. Eine der großen Herausforderungen wird darin bestehen, die Überführung vom Best-Practice-Beispiel zum Standard zu befördern und die Wege vom Modellfall zum Regelfall zu gestalten.
Die Konferenz „Zuhause in der Stadt“ hat im Ergebnis gezeigt: Stadt ist gemeinsamer Lebensraum und damit in der Verantwortung der Gesamtheit der Stadtbevölkerung. Mehr denn je sind integrierte Strategien sowie aufeinander abgestimmte Konzepte und Förderprogramme gefragt.
Ganz im Sinne der Nationalen Stadtentwicklungspolitik wird es nun darum gehen, im Zusammenwirken der stadtgestaltenden Akteure möglichst rasch, möglichst flächendeckend und vor allem öffentlichkeitswirksam erlebbare Perspektiven für die Zukunft des Gemeinwesens Stadt vor Augen zu führen.
Die Autoren: Gudrun Kirchhoff ist Diplom-Soziologin und seit 2006 Wissenschaftliche Referentin der Schader-Stiftung. Prof. Reiner Schmidt lehrt an der Hochschule Anhalt. Seit 1999 führt er die Agentur „konzept + kommunikation“.