Quartiersmanagement als Netzwerkmanagement
Artikel vom 16.06.2004
Das Ge- oder Misslingen eines Projekts erklärt sich nicht allein aus externen Rahmenbedingungen, sondern auch durch die Berücksichtigung struktureller Faktoren des „Netzwerkens”. Simon Güntner beschreibt in seinem Artikel grundlegende Netzwerktheorien und deren Einflussnahme auf das Instrument des Quartiersmanagement im Zuge einer institutionalisierten Politik der sozialen Stadtentwicklung. Von Simon Güntner
Über das Organisieren von politischer Intervention in Armutsquartieren
In folgendem Beitrag möchte ich zeigen, was die Betrachtung von Quartiersmanagement unter dem Aspekt seiner Organisiertheit und des „Netzwerkens” zu einem Verständnis der Entwicklungsprozesse in einem Stadtteil leistet. Es geht also vornehmlich um die Entwicklung einer bestimmten - organisationssoziologischen - Perspektive auf die Arbeit in den Stadtteilen im Rahmen sozialer Stadtentwicklungspolitik und um den möglichen Erkenntnisgewinn eines solchen Zugangs.
In einem ersten Schritt wird der Untersuchungsgegenstand charakterisiert, das Politikfeld Soziale Stadtentwicklung und das Instrument Quartiersmanagement. Daran anschließend wird eine Kernaufgabe von Quartiersmanagern - das „Netzwerken” - näher betrachtet. Dazu werde ich verschiedene Konzeptionen von Netzwerken und Netzwerksteuerung anbieten und anhand von Praxisbeispielen illustrieren. Diese Diskussion zeigt, dass insbesondere neuere Konzepte der Organisationssoziologie, die sich mit Beziehungen zwischen Organisationen und Gesellschaft auseinandersetzen, nicht nur dazu geeignet sind, das Handeln im Rahmen der Umsetzung des Bund-Länder-Programms zu verstehen, sondern darüber hinaus auch das institutionelle Gewebe - und damit die jeweilige „Ortslogik” - in den einzelnen Gebieten zu erfassen. Somit bietet ein auf die Praxis des Netzwerkens gerichteter Zugang auch Erkenntnisse über die weitere gesellschaftliche Realität und bietet einen hilfreichen Baustein für ein umfassendes Verständnis der Dynamiken der Quartiersentwicklung.
Soziale Stadtentwicklung als policy
Mit ihrer in Deutschland mittlerweile etwa zehnjährigen Geschichte hat sich soziale Stadtentwicklung auch hierzulande als eigenständige Politik institutionalisiert. Um die politischen Programme zur sozialen Stadtentwicklung herum haben sich spezifische
Strukturen (polity) und Verfahren (politics) zu ihrer Implementation entwickelt, so dass heute von einem Politikfeld gesprochen wird. Monika Alisch etwa bietet folgende Definition an:
„Soziale Stadtentwicklung” ist der „Sammelbegriff für solche lokal wirksamen Politikansätze, die in Deutschland in den 90er Jahren soziale und ökonomische Benachteiligung und ihre räumliche Konzentration in bestimmten städtischen Teilgebieten zum Ausgangspunkt städtischer Intervention gemacht haben” (Alisch 2002, 78; Hvg. i. 0.).
Eine Besonderheit dieser Politik besteht in ihrer Mehrebenen-Konstruktion. Politikansätze wurden auf lokaler Ebene, auf Ebene der Bundesländer, des Bundes und der EU formuliert und werden partnerschaftlich implementiert. Mensch hat diese Form der Zusammenarbeit als Steuerungskette bezeichnet, „in der alle Akteure abwechselnd die Rolle des Subjekts und Objekts übernehmen” (Mensch 2000: 26).
Das Bundesprogramm „Soziale Stadt” ist im Kontext von Stadterneuerungspolitik entwickelt worden und auch als „dritte Säule" der Städtebauförderung in diesem System verankert. Eine policy community bestand in Form eines informellen Netzwerks im Umfeld der ARGEBAU, das in einer günstigen Situation (policy window) nach dem Regierungswechsel 1998/99 die Chance zu einer Verankerung in der Koalitionsvereinbarung sah und diese auch wahrnahm. Dieses Netzwerk aus Landes- und Bundespolitikern (parteiübergreifend) teilte eine bestimmte Problemwahrnehmung, die sich auf zwei Aspekte bezog: (1) problematische Zunahme an sozialer Ausgrenzung in bestimmten Stadtquartieren in deutschen Großstädten und (2) Steuerungsdefizite bisheriger Städtebauförderungspolitik.
Das Landesprogramm „Soziale Stadtentwicklung” in Berlin, um ein regionales Beispiel anzuführen, hat seine Wurzeln zum einen im Bereich der strategischen Entwicklungsplanung und zum anderen in der Stadterneuerung und in der Großwohnsiedlungs-politik. Dies äußert sich in seinen beiden Komponenten „Stadtraum-Monitoring" und „Quartiersmanagement”. Wie auf Bundesebene auch ist das Programm Reaktion auf zwei strukturell zu unterscheidende Probleme: (1) residentielle Segregation bzw. Verarmung einzelner Quartiere und (2) ineffiziente Politik (vgl. Strieder 1998). Auf beiden Ebenen - Bund und Land - lässt sich die Politik der sozialen Stadtentwicklung folglich als eine Kombination von substanzieller Politik und Institutionenpolitik beschreiben (vgl. Wollmann 2001, Ritz 1999).
Angesichts solcher Beobachtungen - und vor dem Hintergrund zeitgleicher Kürzungen in den Sozialhaushalten - erscheint soziale Stadtentwicklungspolitik auch als symbolische Politik (vgl. Sarcinelli 1987). Es wurde inzwischen mehrfach gezeigt, dass sich Programme der sozialen Stadtentwicklung gerade durch schwammige Zielvorgaben auszeichnen und einen offenen Prozess in den Vordergrund stellen, der mit Begriffen wie „Empowerment”, „Aktivierung” und „Netzwerken” umschrieben ist. In Berlin etwa geht es im Wesentlichen um die „Stadtteilkoordination”. Die Hoffnung besteht darin, durch ein Organisieren der gesellschaftlichen Strukturen im Quartier eine Entwicklung in Gang zu setzen, die der bisherigen „Abwärtsspirale” etwas entgegensetzt oder sie zumindest aufhält.
Zusammenfassend lassen sich mit Alisch drei Strukturmerkmale zeigen, die diesen Politiktypus auszeichnen: Es werden erstens sowohl gebietsbezogene als auch strukturelle1 Ziele verfolgt, der Ansatz ist zweitens räumlich, zeitlich und thematisch begrenzt, und das Instrument Quartiersmanagement ist drittens für die Implementation vor Ort zuständig (Alisch 2002: 90ff.).
Diese Merkmale treffen auch für das Berliner Programm „Sozialorientierte Stadtentwicklung” zu, das seit 1999 in 15, mittlerweile 17 „Gebieten mit besonderem Entwicklungsbedarf” zur Anwendung kommt. Die zur Durchführung initiierten „Stadtteilverfahren” haben den Status von Pilotvorhaben, die zunächst für drei Jahre eingerichtet, dann bis 2004 und jüngst um weitere zwei Jahre bis Ende 2006 (Auslaufen EFRE-Förderperiode) verlängert wurden. Der Berliner Senat formulierte drei generelle Ziele, die mit diesem Programm in den „Gebieten mit besonderem Entwicklungsbedarf” verfolgt werden:
- „Herstellen von Handlungsmöglichkeiten und -kompetenzen der Bewohner durch Stärkung von Selbsthilfepotentialen und des Selbstwertgefühls,
- Schaffung integrierter und vernetzter Strukturen der Quartiersentwicklung und deren Stabilisierung,
- Verknüpfung von ökonomischer und sozialer Entwicklung des Quartiers” (Senat Berlin 2001: 1).
Zu den generellen Zielen werden im ersten Erfahrungsbericht zur Umsetzung des Programms drei konkrete Aufgaben der Quartiersmanagement-Teams benannt:
- „Bewohneraktivierung (Aktivierung der Bewohnerschaft zur Beteiligung und Mitwirkung am Entwicklungsprozess des Gebietes),
- Stadtteilkoordination (Vernetzen der unterschiedlichen Interessengruppen und lokalen Akteure, Aufbau von Kooperationen zwischen Institutionen, Initiativen, Unternehmen, Wohnungsbaugesellschaften u.a.)
- Projektinitiierung (Hilfestellung bei der Entwicklung von Projekten aus den unterschiedlichsten baulich-räumlichen, sozialen, kulturellen und ökonomischen Handlungsfeldern)” (Senat Berlin 2001: 3).
Mit diesen Zielformulierungen und Handlungsprinzipien hat die policy Appellcharakter, und die Durchsetzung der Ziele ist in hohem Maße abhängig von privaten Partnern. Diese werden über Netzwerke und Projekte sowohl in die Gestaltung und Steuerung als auch in die Umsetzung der Politik einbezogen. Aus einer Steuerungsperspektive bewegt sich die Politik der sozialen Stadtentwicklung damit im Bereich des kooperativen Staats (vgl. Braun 2001), aus planungstheoretischer Perspektive ist dieses Planungsverständnis mit der innovationsorientierten und projektförmigen Planung verwandt (vgl. Ibert 2003). Aus organisationstheoretischer Perspektive ist eine Nähe zur Netzwerksteuerung erkennbar (vgl. Sydow / Windeler 2000).
Quartiersmanagement als Organisieren von Politik
Das wesentliche Instrument zur Umsetzung der Politik vor Ort ist das Stadtteil- oder Quartiersmanagement. In den „Gebieten mit besonderem Entwicklungsbedarf” stellt das Quartiersmanagement dabei ein „sozialräumlich organisiertes Handlungssystem” dar (Schubert / Spieckermann 2002:150). Wenn man das „System Quartiersmanagement” als einen organisationalen Zusammenhang begreift, lassen sich die methodischen Ansätze der Organisationsanalyse und insbesondere Arbeiten zu Beziehungen zwischen Organisationen sowie zwischen Organisationen und „Gesellschaft” nutzen, um die Konstitution der entstehenden Zusammenhänge zu verstehen. Dabei stehen hier zwei Aspekte im Vordergrund. Zum einen kann die Vermittlung zwischen Handlungssystem und Stadtteil betrachtet werden. Hier geht es um die Voraussetzungen zum „Mitspielen”. Zum zweiten soll es um die innere Strukturierung dieses Systems gehen und um die „Spielregeln” beim „Mitspielen”.
Die Anfänge: Ein neues Handlungssystem entsteht
In der Regel wurde Quartiersmanagement neu in einem Gebiet installiert. Auch wenn in vielen Fällen Organisationen oder Unternehmen beauftragt wurden, die Erfahrung in den Gebieten oder im Bereich der Stadterneuerung aufweisen konnten, so erfolgte doch mit dem Label „Soziale Stadt” und der Einrichtung der Vor-Ort-Büros die bewusste Inszenierung eines Anfangs oder Neubeginns. Es ist also davon auszugehen, dass es sich auch um neue Organisationen bzw. Strukturen handelt, die vor Ort in den Gebieten entstanden. Typischerweise, darauf verweisen aktuelle Studien zur Organisationsentwicklung,
„sind entstehende Organisationen durch eher unklare Ziele, nicht eindeutig klassifizierbare Technologien und schwache Grenzen charakterisiert” (Rao 2003: 322, meine Hvg., SG; vgl. Aldrich 1979). Dies ist auch bei Quartiersmanagement im Rahmen der „Sozialen Stadt” der Fall (vgl. Walther 2004).
Auch da es sich zweitens um eine neue Form der Politik handelt, ist von einer neuen Form der Organisation auszugehen. Es wurde ja eingangs gezeigt, dass eine Motivation für diesen neuen Politiktypus gerade in der Unzufriedenheit mit bisherigen Instrumenten zu sehen ist und auch prozedurale Ziele verfolgt werden. Der Appellcharakter, die strukturelle Offenheit, die Governance- und Beteiligungsstrukturen sind Beispiele hierfür. Die Einführung neuer organisationaler Formen ist immer ein politischer Prozess (Rao 2003, Stinchcombe 1968), in dem „institutionelle Aktivisten” eine Schlüsselrolle spielen. Sie tragen „neue Normen, Werte und Ideologien” in die gewachsenen gesellschaftlichen Strukturen hinein und erkämpfen Legitimität für neue Handlungsformen (vgl. Rao 2003: 339). Dabei entstehen neue Organisationsformen dann, „wenn Akteure mit ausreichenden Ressourcen in ihnen eine Möglichkeit sehen, wichtige Interessen zu realisieren” (Rao 2003: 333).
Neue Organisationsformen entstehen nicht im leeren Raum. Sie entwickeln sich vor dem Hintergrund schon existierender organisationaler Felder, in denen verschiedene Organisationen meist themenbezogen im Austausch stehen (DiMaggio / Powell 1991: 64f.). Neue Formen können in Zwischenräumen entstehen, an den Schnittstellen organisationaler Felder, in fragmentierten Feldern mit weit verstreuten Machtzentren oder in hierarchisch strukturierten organisationalen Feldern (Rao 2003: 335ff.). Die soziale Stadtentwicklung und die organisationale Form des Quartiersmanagements bewegt sich ihrem Anspruch nach in einem Zwischenraum; in ihr kommen insbesondere die Felder der Stadterneuerung, der Sozialpolitik und der Wirtschaftsförderung zusammen.2 In solchen Zwischenräumen, „wenn sich Probleme andauernd von einem organisationalen Feld auf ein anderes ausbreiten”, können Organisationsstrukturen nur kollektiv und in neuen feldübergreifenden Konfigurationen aufgebaut werden (Rao 2003: 335).
Im Fall der sozialen Stadtentwicklung - meine Aussagen beziehen sich hier nur auf das mir vertraute Beispiel Berlin - kam die Initiative für das Programm hingegen ausschließlich aus dem politisch-administrativen System - und hier auch nur aus dem Bereich der Bau- und Planungspolitik und -Verwaltung -, das an einer Optimierung seiner Problemlösungsfähigkeit interessiert war. Akteure aus dem Bereich der Sozialverwaltungen oder der Sozialverbände waren meinen bisherigen Beobachtungen zufolge an der Problem- und Politikformulierung kaum beteiligt.
Als „institutionelle Aktivisten” haben die beauftragten Stadtteilmanager insbesondere in der ersten Phase der Gebietsanalyse und des Aufstellens von integrierten Handlungskonzepten einerseits das neue System eingeführt und zugleich für ein Mitmachen der gesellschaftlichen Gruppen geworben. Kollektive, feldübergreifende Konstellationen waren in den mir bekannten Fällen selten gegeben; Akteure aus dem Bereich der Stadterneuerung dominierten auch diese Phase und führten ihre feldspezifischen Sinn-und Deutungssysteme mit ein.
Quartiersmanagement als Netzwerkmanagement: Theorie-Angebote
Vergleicht man die Handlungskonzepte der Berliner „Gebiete mit besonderem Entwicklungsbedarf”, ergibt sich ein übereinstimmendes Selbstverständnis der Quartiersmanager als Projektentwickler, Prozesskoordinatoren und „Vernetzer”. Auch die Zwischenevaluation des Programms in NRW (ILS 2000) zeigt, dass die wichtigsten Aufgabenschwerpunkte in Koordination / Vernetzung, Information, Projektentwicklung und Organisation von Beteiligung gesehen werden (ILS 2000, 53f.; Krummacher et al 2003:214f).
Betrachten wir nun den Aspekt des „Netzwerkens” - also den Aufbau und die Pflege von Netzwerken, die „Kernaufgabe des Quartiersmanagements” (Schubert / Spiecker-mann 2002). Mit dieser Aufgabe verbindet sich die Hoffnung auf Synergie-Effekte durch Ressourcen-Pooling (Schuber / Spieckermann 2002: 148) und „das bessere Zusammenwirken zersplitterter Versorgungssysteme” (Krummacher et al. 2003: 205). Um dieses Netzwerken zu verstehen, ist ein Verständnis davon nötig, was ein Netzwerk ausmacht, sowie ein Begriff dessen, wie Netzwerke aufgebaut und gepflegt werden. Hierzu haben sich Konzepte der Netzwerksteuerung und des Netzwerk-Managements etabliert.
Netzwerke und Netzwerksteuerung
Der Netzwerkbegriff ist in der sozialwissenschaftlichen Literatur alles andere als einheitlich gefasst. Zwei weitgehend parallel und ohne Berührung geführte Diskurse sind der strukturelle Netzwerkansatz und der Governance-Ansatz (vgl. Windeler 2002: 39ff.).3 Strukturelle Zugänge achten auf Merkmale wie Dichte oder Positionsgefüge (Windeler 2002: 39). In der Governance-Forschung hingegen wird Netzwerk meist als eine Form der Koordination von Handlungen betrachtet und den Koordinationsformen „Markt” und „Hierarchie” gegenübergestellt (vgl. Kappelhoff 2000: 25). So verstehen etwa Mayntz / Scharpf auch Politiknetzwerke als „auf Dauer angelegte Verhandlungssysteme” (Mayntz/ Scharpf 1995:61). Die Positionierung von Netzwerken gegenüber den anderen beiden Koordinationsformen ist allerdings umstritten, und im Unterschied zu einer eigenständigen Form ist durchaus auch eine Lesart von Netzwerken als hybrider Koordinationsform möglich - nicht jenseits von Markt und Hierarchie, sondern als eine Mischform aus beiden (vgl. Sydow / Windeler 2000: 12).
Ein steuerungstheoretischer Zugang, wie ihn Sydow und Windeler vertreten, begreift Netzwerke als soziale Gebilde, die sich über Verlässlichkeit und Dauerhaftigkeit auszeichnen, und interessiert sich für die Form ihrer Regulation (Sydow / Windeler 2000: 16). In einem solchen Verständnis sind auch Märkte und Hierarchien selbst als Netzwerke konzipiert bzw. können Netzwerke durchaus auch hierarchisch strukturiert sein und sind keineswegs auf den Modus der Verhandlung beschränkt (Sydow / Windeler 2000, Kappelhoff 2000). Besonders deutlich wird hier Windeler (2002), der sowohl Hierarchie als auch Heterarchie als mögliche Grundformen von Netzwerken nennt.
Hierarchische Netzwerke zeichnen sich durch einen zentralen Netzwerkkoordinator aus, der die „Netzwerkstrategie und die Netzwerkpraktiken” vorgibt und „über hie-rachische Regulationsmechanismen überwacht (...)” (Windeler 2002: 44, H.i.O.). Zu seinen Aufgaben zählen „Selektion der Mitglieder, Allokation der Ressourcen, Evaluation der Netzwerkpraktiken, Systemintegration der Aktivitäten an- und abwesender Akteure, Positionierung der Akteure zueinander und Konstitution der Grenzen des Netzwerks” (Windeler 2002: 44, H.i.O.). Häufig werden diese Funktionen von brokern übernommen, die ihre Funktion auf die Koordinierungsaufgaben reduzieren. Beispiele für hierarchische Netzwerke sind etwa Franchisingnetzwerke oder auch temporäre Projektnetzwerke.
In heterarchischen Netzwerken hingegen erfolgt die Netzwerkkoordination „gemeinsam oder durch gemeinsam festgelegte, zeitweilige Übertragung auf einen bestimmten Akteur” (Windeler 2002: 49, H.i.O.). Typischerweise werden hier in Gremien oder Komitees wechselseitig selbstbindende Vereinbarungen getroffen (Windeler 2002:49), wie im Fall von strategischen Allianzen oder joint ventures.
Der Steuerungsmodus im Quartiersmanagement, wie es derzeit im Rahmen der Sozialen Stadtentwicklung praktiziert wird, pendelt zwischen beiden Formen. Nach meiner Beobachtung überwiegt jedoch im Stadtteil, also „ganz unten” in der Steuerungskette, die hierarchische Form der Netzwerksteuerung: Die Quartiersmanager agieren als broker und organisieren die Systemintegration weiterer Akteure im Stadtteil.
Netzwerk-Management
Den Versuch, Netzwerksteuerung zu verstehen, unternehmen auch Kickert und Koppenjan mit ihrem Konzept des network management (Kickert / Klijn / Koppenjan 1999). Ihnen geht es speziell um public networks, um die „Umwelt- oder Außenbeziehungen” des öffentlichen Sektors. Netzwerk-Management konzipieren sie „as a form of steering aimed at promoting joint problem solving or policy development” (Kickert / Koppenjan 1999:43). Zentral ist in diesem Konzept die Betonung der notwendigen wechselseitigen Anpassung in Netzwerken:
„Network management may also be seen as promoting the mutual adjustment of the behaviour of actors with diverse objectives and ambitions with regard to tackling problems within a given framework of interorganizational relations” (Kickert / Koppenjan 1999: 44).
Kickert und Koppenjan identifizieren drei Hauptaktivitäten in einem solchen Netzwerkmanagement:
- Intervention und nötigenfalls Restrukturierung von existierenden Netzwerkbeziehungen,
- Fördern der Bedingungen für Kooperation, Herstellung von Konsens,
- gemeinsame Problemlösung (Kickert / Koppenjan 1999: 46).
Nimmt man die institutionellen Kontexte von Netzwerken hinzu, ergeben sich zwei Formen von Netzwerkmanagement, die diese drei Aktivitäten umfassen:
- „Spielmanagement” (game management) - also das Management der Interaktionen in einem Netzwerk - und
- „Netzwerkstrukturierung” (network structuring) - also das Aufbauen oder Ändern der institutionellen Arrangements, in die das Netzwerk eingebettet ist (Kickert / Koppenjan 1999: 46ff.).
Das Spielmanagement umfasst dabei das Aktivieren von Netzwerken (network activation), das Arrangieren von Interaktion (arranging interaction), das Koordinieren oder Regieführen zwischen Akteuren (brokerage), das Ermöglichen von Begegnung (facilitating interaction) sowie Mediation und Streitschlichtung (media tion and arbitration) (Kicker/Koppenjan 1999: 46ff.).
Die zweite Form, das network structuring, ist ganz anderer Natur, hier geht es um das „Herumflicken” (tinkering) in Netzwerken, wenn die bisherigen Strukturen nicht ausreichen oder sogar selbst ein Problem darstellen. Das kann geschehen über das Beeinflussen formaler Politik (influencing formal policy) oder bestehender Beziehungen (influencing interrelationships), durch Beeinflussung von Werten, Normen und Wahrnehmungen (influencing values, norms, perceptions), das Mobilisieren neuer Koalitionen (mobilization of new coalitions) oder auch durch das bewusste Stiften von Chaos (management by chaos) (Kickert/ Koppenjan 1999: 46ff.).
Quartiersmanagement trägt viele Züge dieses Ansatzes in je unterschiedlichen Kombinationen. Die oben skizzierten Aufgaben beinhalten sowohl Formen des Spielmanagements wie auch der Netzwerkstrukturierung. Nach einigen Jahren Praxis zeigt sich, dass gerade der Aufbau von neuen Netzwerken ein zentraler Bestandteil der Arbeit geworden ist, so gibt es in Berlin seit dem zweiten und dritten Jahr viele Beispiele für neu entstandene Netzwerke im Bereich von Kultur, bei Gewerbetreibenden und im sozialen Bereich.
Strukturierung von Netzwerken
Eine ergänzende Perspektive auf Netzwerksteuerung und Netzwerk-Management bietet der Strukturationsansatz, wie ihn Anthony Giddens formuliert hat (Giddens 1997). Dieser Zugang betrachtet insbesondere die Fragen, „wie Netzwerke über soziale Praktiken gesteuert werden (können) und wie soziale Praktiken durch Netzwerke (im Zusammenspiel systemischer und individueller Steuerung) gesteuert werden” (Sydow / Windeler 2000: 9f). Dabei steht das Verhältnis von Akteur und Struktur im Vordergrund sowie die Rolle von Regeln und Ressourcen in der Strukturierung des Netzwerks (Meckling 2003). Als soziale Systeme werden Netzwerke hier gleichzeitig als Medium und Resultat sozialer Praktiken - und damit von Macht und Herrschaft (aber auch von Sinngebung und Legitimation) - verstanden. Mit diesem Blick wird einerseits der Dynamik von Netzwerken als emergente Systeme Rechnung getragen, zum anderen wird ihre Konstitution aus ihrer inneren Struktur heraus erklärt. Dazu dient ein mehrdimensionales Modell, in dem „die Rolle von Regeln und Ressourcen, von Sinn und Normen und Ökonomie und Macht” in ihrer wechselseitigen Beeinflussung berücksichtigt wird (Ortmann / Sydow 1999: 212).
Aus dieser Perspektive ließe sich auch Quartiersmanagement als „reflexive Strukturation” verstehen. Die (neu) im Quartier geschaffenen Strukturen - vom Vor-Ort-Büro bis zum Handlungskonzept, von der Steuerungsrunde bis zur partizipativen Platzgestaltung - sind einerseits das Resultat absichtsvoller Handlung, und zugleich leiten sie weitere Interaktionen an. Die geschaffenen Beteiligungs- und Zugangsregeln (Sprechstunden, Räumlichkeiten, Sprachregelungen...) etwa ergeben sich u.a. aus dem Auftrag und dem Auftragsverständnis der Quartiersmanager, selektieren jedoch den Kreis der Beteiligten von Beginn an (vgl. Güntner 2004).
Dem Strukturationsansatz ähnlich, jedoch in der Konsequenz radikaler, ist der Aktor-Netzwerk-Ansatz, wie er in der Wissenschaftsforschung entwickelt worden ist. Die Kernannahme dieses Konzepts ist, „dass soziale Beziehungen, einschließlich Macht und Organisation, als Netzwerk-Effekte behandelt werden können. Die Netzwerk-Effekte entstehen in Strategien des sozialen Ordnens und Konstruierens durch netzartige Interaktionen aus menschlichen und nicht-menschlichen Aktoren” (Keim 2000: 275). Zwischen Menschen und Objekten wird hier nicht differenziert, als Aktoren schreiben sie jeweils ihrem Gegenüber eine bestimmte Rolle zu und richten ihr Handeln demgemäß aus - das Netzwerk wird zu einem center of translation. Keim rekonstruiert das Handlungskonzept des Quartiersmanagements als ein solches Aktor-Netzwerk (Keim 2000). Indem sie Kommunikation ermöglichen, machen Quartiersmanager die Ausgrenzungserfahrungen im Quartier sichtbar und schaffen einen Rahmen, diese in neue Handlungsfähigkeit zu übersetzen. Zunächst werden dabei zwar die Barrieren sichtbar (Desinteresse bei Hauseigentümern, Misstrauen bei von Ausgrenzung Bedrohten, selbstdarstellerische Inszenierung der Politik ...), durch hartnäckiges Verhandeln ist jedoch durchaus ein „Auf-Linie-Bringen” realistisch. Dies ist abhängig von sog. „Intermediären” - beziehungs-stiftenden Instrumenten, die zur Vermittlung eingesetzt werden. Das kann Geld sein, aber auch technische Artefakte oder vermittelnde Personen (vgl. Keim 2000).
Zwei zentrale Instrumente („Intermediäre” im Sinne des Aktor-Netzwerk-Ansatzes) zur Aktivierung und/oder Koordinierung von Netzwerken im Rahmen von Quartiersmanagement sind zum einen die integrierten Handlungskonzepte, zum anderen die angestoßenen Projekte. Im Folgenden soll eine vertiefende Betrachtung dieser Koordinationsformen die hier entwickelten konzeptuellen Überlegungen auf die konkrete Praxis in den Quartieren übertragen.
Stadtteilkoordination durch integrierte Handlungskonzepte
Oben wurde gezeigt, dass sich Ziele und Organisationsformen des Quartiersmanagements in den ersten Jahren herausschälten. Zu ihrer Formalisierung dienen sogenannte integrierte Handlungskonzepte. Als wesentliche Steuerungs- und Koordinierungsinstrumente des Programms haben sie die Funktion, einen „Orientierungsrahmen für die Steuerung der Programmumsetzung im Hinblick auf Projektentwicklung und -realisierung und damit auch in Bezug auf die Bündelung des Mitteleinsatzes” zu geben (Becker / Böhme / Meyer 2001:2). In ihnen zeigt sich die Kopplung der unterschiedlichen Projekte und Aktivitäten, die in der Summe zu einer Verbesserung der Situation im Gebiet führen sollen. Diese Konzepte sind einerseits Handlungsgrundlage für das Quartiersmanagement, zugleich sind sie selbst erst Ergebnis der Arbeit vor Ort.
In Berlin wurden zur Entwicklung dieser Konzepte in den 17 „Gebieten mit besonderem Entwicklungsbedarf” diskursive Verfahren eingesetzt, die allerdings jeweils durchaus unterschiedlich verliefen (vgl. Senat Berlin 2001). Die Aufgabenstellung war folgendermaßen festgelegt:
„Vorhandene Einrichtungen, Initiativen, Vereine, bestehende Stadtteilgremien und Bewohnervertretungen, aber auch Einzelpersonen sind in den Prozess der integrierten Quartiersentwicklung einzubeziehen und sollen insbesondere bei der Kooperation und Vernetzung ihrer Arbeitsziele und -inhalte unterstützt werden (...). Bereits vorhandene Konzepte, lokale Entwicklungsstrategien und Programme sind aufzugreifen und weiterzuentwickeln” (Senat Berlin 1999: 31).
Nachdem in den Stadtteilen Planungsbüros als Quartiersmanager damit beauftragt wurden, sogenannte Stadtteilverfahren zu initiieren, nahmen diese ihre Aufgabe in unterschiedlicher Weise, unter Rekurs auf ihre Erfahrung und Kompetenz einerseits und die im Stadtteil vorgefundene institutionelle und sozioökonomische Situation andererseits, wahr. Bausteine dieser Verfahren waren in einigen Gebieten Planungszellen und Bürgergutachten, in anderen Kiezen waren es Quartierskonferenzen und Planning for Real und Open Space-Techniken. Am Boxhagener Platz nutzten die Quartiersmanager auch den Wochenmarkt, um mit den Anwohnern ins Gespräch zu kommen. In manchen Gebieten lagen über bisherige Tätigkeiten der als Quartiersmanagement eingesetzten Planungsbüros schon Kenntnisse und Daten vor, die teilweise in vorherigen Auftragsverhältnissen produziert wurden und ebenso in die Konzepte einflössen. Alle Handlungskonzepte wurden schließlich von der jeweils zuständigen Bezirkvertretung beschlossen (vgl. Senat Berlin 2001).
Die Verfahren liefen in der Regel so ab, dass das Quartiersmanagement in Absprache mit der auftraggebenden öffentlichen Hand den Umfang des Konsultationsprozesses und die jeweiligen Zielgruppen bestimmte. Dabei liegt die Vermutung nahe, dass schon diese Auswahl die Ergebnisse zu Teilen gleich mitproduzierte. Sogenannte „Schlüsselpersonen” wurden identifiziert und angesprochen, es fand ein Abwägungsprozess statt, in dem eingeschätzt wurde, welche Vorschläge eher Partikularinteressen und welche einem breiten Teil der Bevölkerung dienen. Dieses Abwägen fand in von Informationsmangel und Zeitdruck geprägten Situationen statt, wie auch eine erste bundesweite Einschätzung feststellt:
„Obwohl Integrierte Handlungskonzepte (...) nach Aussage vieler am Programm Beteiligter als strategisches Instrument zur Steuerung der integrierten Stadtteilentwicklung gelten, herrschen in der bisherigen Praxis, was die Aufstellung solcher Konzepte betrifft, noch weitgehend Unsicherheit und Zurückhaltung (...) Diese Unsicherheit erklärt sich zum Teil daraus, dass zum Zeitpunkt der Ausschreibung des Programms und der Antragstellung viele Grundinformationen über das Gebiet noch fehlen, Organisations-, Management- und Kommunikationsstrukturen erst aufgebaut werden müssen und in der Regel erheblicher Zeitdruck besteht” (Becker et al 2002: 29).
Aus den unterschiedlichen Gebietsstrukturen, den gewählten Konsultations-Verfahren, den Kompetenzen der Quartiersmanagement-Teams und den jeweiligen Situationen resultieren nun Handlungskonzepte, die von eher additiven Maßnahmenaufreihungen bis zu komplexen integrierten Strategieentwürfen reichen (vgl. auch für eine bundesweite Einschätzung Sauter 2002).
In einigen Fällen, so beobachten Bernt und Fritsche (2004), führten die vagen Zielvorstellungen des Förderprogramms und die Vorgabe, „synergetisch” möglichst viele Handlungsfelder abzudecken, dazu, dass „die Unscharfe in der Zielvorgabe ironischerweise auch in der Zieldefinition vor Ort nicht aufgebrochen, sondern eher reproduziert” wurde (Bernt / Fritsche 2004).
Ich möchte nun argumentieren, dass das jeweilige Ergebnis dieser Verfahren in Form des erstellten Konzepts aus einem spezifischen Verhältnis von Strukturmerkmalen im Sinne von Rahmenbedingungen und Handlungen bei der Prozessgestaltung resultiert. Das Quartiersmanagement-Team nimmt darin als organisierende Instanz eine zentrale Rolle ein.
Betrachtet man das Arrangement an involvierten Akteuren als interorganisationales Netzwerk, dann lassen sich beispielsweise die Schwerpunktsetzungen in Zusammenhang zu den Beziehungen zwischen relevanten Akteuren setzen: Wer beteiligt ist - und darüber entscheidet die Konsultationsstrategie der Quartiersmanager - kann nicht nur seine Interessen, sondern auch seine Problemdeutungen und Handlungsphilosophien einbringen. Es lässt sich nachzeichnen, wer Zugang hatte und wer sein Engagement im Quartier den Zielen des Quartiersmanagements zuordnen konnte oder wollte. Diese auf den ersten Blick banale Einsicht bedeutet nun, dass das Ergebnis selbst, das Handlungskonzept, Aufschlüsse über das institutionelle Gefüge im Quartier erlaubt. Wenn wir es gewissermaßen „rekonstruierend” lesen, entsteht ein Bild der vorhandenen, institutionell gebundenen Ressourcen und ihrer Verteilung. Entsprechende Analysen erhellen das lokale Machtgefüge, da die Handlungskonzepte nicht nur die Verteilung von öffentlichen Fördermitteln, sondern auch - beispielsweise durch bestimmte Schwerpunktsetzungen - die symbolische Dimension des lokalen Raums maßgeblich beeinflussen.
Zudem ist zu berücksichtigen, dass die einzelnen Handlungskonzepte in hohem Maße kontingent sind - verwiesen sei auf so trivial erscheinende und doch einflussnehmende Faktoren wie Uhrzeiten von Versammlungen, gewählte Sprache oder Verfügbarkeit und Erreichbarkeit von Treffpunkten.
Dieses Problem ist politisch erkannt. Daher, und das ist besonders positiv hervorzuheben, sind die Handlungskonzepte prinzipiell auf Fortschreibung angelegt und gewähren damit auch die Möglichkeit zur „Kurskorrektur”. Wenn eine Begutachtung der Handlungskonzepte das institutionelle Moment - die Strukturierung und die Beziehungen zwischen den beteiligten Akteuren - einbezieht, dann kann eine solche Kurskorrektur im Sinne des oben genannten „Netzwerkstrukturierens” (tinkering) auch zu einer Veränderung der lokalen Machtstrukturen führen, wenn dies angesichts der Entwicklungen notwendig erscheint. Voraussetzung hierfür wäre eine wirklich bindende Wirkung der Handlungskonzepte über die Stadtverwaltung hinaus, die bislang nicht gegeben ist. Perspektivisch könnten auch verschiedene Alternativkonzepte zu einem produktiven lokalen Diskurs führen.
Projektnetzwerke in der Quartiersentwicklung
Innerhalb der Schwerpunktsetzungen in den integrierten Handlungskonzepten werden die Ziele des Quartiersmanagements projektförmig umgesetzt. Grundlage für diese Projekte ist, dass sie im Rahmen der Gesamtkonzeption als förderungswürdig erachtet werden. Typischerweise werden insbesondere Mehrzielprojekte entwickelt, von denen ein Beitrag zu verschiedenen Entwicklungszielen erwartet wird.
Ein Beispiel für derartige Unternehmungen sind sog. Leerstandsprojekte, die in verschiedenen Berliner Quartieren umgesetzt wurden und werden. In leer stehenden Ladenlokalen wurden temporäre Kunstprojekte veranstaltet. Sie sollten einerseits zu einer Aufwertung und Wiederbelebung der verödeten Nebenstraßen führen (stadträumliche Aufwertung), andererseits aber auch zu einem positiven Image des gesamten Gebiets beitragen (kulturelle Belebung) und drittens durchaus wirtschaftsfördernde Aspekte aufweisen (Unterstützung von Existenzgründern im Bereich der kulturellen Ökonomie).
Die temporären Projektpartnerschaften bestanden aus Hauseigentümern, die den Mietpreis deutlich senkten, aus Künstlern / Existenzgründern, die sich der Gestaltung der Räume annahmen und dem Quartiersmanagement. Letzteres ergriff die Initiative und sorgte für Kontakte, Treffen, Werbung und in manchen Fällen auch für einen Teil der Miete. Die koordinierenden Aufgaben wurden teilweise auch an spezialisierte Organisationen (Vereine oder kleine Unternehmen) vergeben.
Eine vergleichende Betrachtung dieser Projekte ergab, dass die institutionellen Strukturen im Quartier, die „Ortslogik”, für eine mittelfristige Zusammenarbeit ausschlaggebend waren (Güntner et al. 2003). So ist das Engagement einzelner Wohnungsbauunternehmen mit einem hohen Anteil an (leer stehenden) Immobilien im Gebiet von anderen Kriterien geleitet und über andere Kanäle aktivierbar als dasjenige (nicht in Berlin lebender) privater Einzeleigentümer. Zudem gaben die im Projektverlauf verhandelten Regeln und Ressourcen (etwa: Ansprüche an die Künstler in Bezug auf Themen, Öffnungszeiten, Professionalität oder: Ansprüche an die Räume in Bezug auf Lage oder Ausstattung) den Ausschlag nicht nur für das kurzfristige Zustandekommen und Gelingen eines Projekts, sondern ebenso für die Weiterentwicklung des strategischen Ansatzes insgesamt. So führte die Auswertung des ersten Projekts am Boxhagener Platz zu einer inhaltlichen Neuorientierung im zweiten und einer zusätzlichen organisatorischen Veränderung im dritten Jahr - mit einem stärkeren Fokus auf Existenzgründung und einer Einbettung in ein „integriertes Standortmanagement”. Ein anderes Projekt wurde dagegen mit sehr ähnlicher Struktur nach einem Jahr nicht verlängert, weil anfangs getroffene Entscheidungen über die Projektteilnehmer und Hauseigentümer zwar sehr sinnvoll waren (Studenten waren schnell verfügbar, bei Eigentümern zählte die spontane Bereitschaft), aber einer nachhaltigen Strategie entgegenstanden und Frustration bei den Initiatoren hervorriefen.
Diese knapp skizzierten Beispiele sollen illustrieren, welcher Ertrag darin liegen kann, wenn die institutionellen Strukturen in einem Stadtteil genauer beachtet werden. Diese Strukturen lassen sich über die oben skizzierten interorganisationalen Ansätze abbilden und analysieren. So verweist etwa der Strukturationsansatz darauf, dass die Handlungsfähigkeit von Netzwerken davon abhängt, inwiefern die Netzwerkakteure dazu in der Lage sind, ihre Beziehungen zu regulieren. Das Ge- oder Misslingen eines Projekts erklärt sich damit nicht allein aus externen Rahmenbedingungen, sondern die „Übersetzung” von strukturellen Faktoren durch die beteiligten Akteure wird mitberücksichtigt. Zugleich wird in dieser Perspektive ebenso die Einflussnahme der Umwelt (der „Ortslogik”) auf das Netzwerk diskutiert wie auch die Beeinflussung der gesellschaftlichen Umwelt durch die Netzwerkaktivitäten. Nicht nur, dass die an Projekten beteiligten Akteure durch ihre Erfahrung „lernen”, die Projekte hinterlassen auch weitergehende Spuren und wirken sich auf Folgeaktivitäten motivierend oder hemmend aus.
Annäherung an ein Verständnis von Prozessen: der Nutzen der vorgstellten Perspektive
Eine organisationssoziologische Perspektive, wie sie hier vorgeschlagen wird, ist dann für eine Betrachtung von sozialer Stadtentwicklungspolitik gewinnbringend, wenn nicht nur interessiert, dass Netzwerke von großer Bedeutung in der Stadtteilentwicklung sind, sondern wenn wir nachvollziehen und verstehen möchten, wie diese Netzwerke funktionieren und strukturiert sind. Für eine solche Perspektive halten insbesondere neo-institutionelle und strukturationstheoretisch orientierte Ansätze der Organisationsforschung analytisches Werkzeug und Erkenntnisse bereit.
Eine Betrachtung der Sozialen Stadt und ihres Instruments Quartiersmanagement unter der Perspektive ihrer Organisiertheit leistet einen Erkenntnisgewinn in zweierlei Hinsicht:
- Ein Blick auf das Quartiersmanagement als (interorganisationales) Handlungssystem ermöglicht ein Verstehen der Binnenstrukturen. Insbesondere strukturations-theoretische Ansätze ermöglichen ein dynamisches Verständnis dieses Handlungssystems als reflexive Strukturation, in dem sich das Organisieren des Systems und seine Organisiertheit wechselseitig bedingen. Sie geben Aufschluss über die Regeln beim „Mitspielen”.
- Ein Blick, der auf interorganisationale Strukturen gerichtet ist, erfasst zugleich auch die institutionellen Strukturen / das institutionelle Gewebe eines Stadtteils über den Rahmen des Quartiersmanagements hinaus. Er ermöglicht Zugänge zum Verständnis der Voraussetzungen zum „Mitspielen”.
Eine neo-institutionelle Perspektive verweist zudem auf die Tendenz der Institutionalisierung, der Verhärtung von Beziehungsstrukturen in Netzwerken. Damit ist ein janus-köpfiger Zug des Quartiersmanagements angesprochen: Die Fokussierung und Stärkung der vorhandenen Strukturen im Quartier birgt immer auch die Gefahr, vorhandene Ungleichheitsmuster zu reproduzieren (vgl. Groeger 2002).
Gewinnbringend kann eine Perspektive, wie sie hier vorgeschlagen wird, sowohl für die Evaluation als auch für die Praxis sein. Eine organisationssoziologisch angeleitete
Evaluation nimmt den prozeduralen Aspekt der Politik ernst und betrachtet nicht materielle Wirkungen sondern die institutionellen Strukturen und ihre Veränderungen im Zusammenhang mit der Intervention. Für die Praxis ergibt sich die Möglichkeit, derartige Beobachtungen in Managementkonzepte einzufüttern. Quartiersmanagement als Netzwerkmanagement bewegt sich dann, wie etwa Kickert und andere herausgearbeitet haben, zwischen einem Management der Spiele bzw. Interaktionen der beteiligten Akteure (game management) und einem stärkeren, wo notwendig auch störenden Eingriff in Strukturen (network structuring) (Kickert / Koppenjan 1999).
Der Autor: Simon Güntner, Dipl. Soz.-Wiss., MSc, geb. 1973, Studium der Anglistik, Sozial- und Rechtswissenschaften und der Stadtplanung in Konstanz, Duisburg und Cardiff, wiss. Mitarbeiter an der TU Berlin, Institut für Soziologie, FG Stadt- und Regionalsoziologie, Mitherausgeber der Zeitschrift „Planungsrundschau”
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1 Walther (2004) spricht hier von prozeduralen Zielen.
2 Krämer (2002) diskutiert die Politik der sozialen Stadtentwicklung in einer Tradition sozialpolitischer Stadtpolitik im Unterschied zu städtischer Sozialpolitik, auch Franke, Lohr und Sander (2000) sehen eine „Stadtpolitikerneuerung”.
3 Dies ist nur eine recht grobe Einteilung. Thompson (2003) unterscheidet, sicherlich nicht abschließend, drei Schulen der Netzwerkforschung: Social Network Analysis (SNA), Transaction Costs Analysis (TCA) und Actor-Network Theory (ANT) bzw. Post-ANT. lansen (2003) unterscheidet zwischen unterschiedlichen Netzwerkbegriffen in der Institutionenökonomik, soziologischem Institutionalismus und soziologischer Netzwerkanalyse. Als Strukturmerkmale von Netzwerken nennen Sydow / Windeler Kooperation, Vertrauen, Selbstverpflichtung, Verlässlichkeit, Verhandlung, neoklassiche oder relationale Verträge sowie Dauerhaftigkeit (Sydow / Windeler 2000).