Diskriminierungs- und Minderheitenschutz - Der Weg zum Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz
Artikel vom 08.05.2006
Unter massivem Zeitdruck durch Vorgaben aus Brüssel hat sich die große Koalition im Mai 2006 auf einen Kompromiss in der Ausgestaltung des Antidiskriminierungsgesetzes geeinigt: Die Bundesrepublik erhält ein „Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz“, wie das Gesetz fortan heißt.
Kompromiss im schwarz-roten Koalitionsausschuss
Überraschenderweise ist es den Sozialdemokraten gelungen, einen über die EU-Vorgaben hinausgehenden Geltungsbereich des Gesetzes durchzusetzen. Schon seit Jahren war umstritten, für welchen Personenkreis der Diskriminierungsschutz gelten solle. Die EU-Richtlinien verbieten bei zivilrechtlichen Geschäften nur die Diskriminierung wegen Rasse, ethnischer Herkunft und Geschlecht. Dagegen untersagt die EU im Arbeitsrecht - also bei Einstellung und Beförderung - auch die Benachteiligung wegen Alter, Behinderung, sexueller Identität, Religion und Weltanschauung.
Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) hat jetzt durchgesetzt, dass auch im Zivilrecht alle acht Merkmale gelten. Eine Koalitions-Arbeitsgruppe hatte noch Ende Februar vorgeschlagen, nur Behinderte und Alte über die EU-Vorgaben hinaus zu schützen. Homosexuelle, Muslime und Juden wären dann außen vor geblieben.
Auch drei weitere, seit langem umstrittene Fragen wurden nun geklärt. So dürfen bei arbeitsrechtlichen Diskriminierungen auch die Betriebsräte klagen, wenn sich die Betroffenen selbst nicht trauen. Die Union hatte dies zunächst abgelehnt.
Durchsetzen konnte sich die Union dagegen bei der so genannten Kirchenklausel. Religionsgemeinschaften können in ihren Einrichtungen nun unter Berufung auf ihr „Selbstbestimmungsrecht“ generell die Einstellung von Andersgläubigen ablehnen.
Die noch einzurichtende Antidiskriminierungs-Stelle wird bei Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) angesiedelt. Die Einrichtung soll Öffentlichkeitsarbeit betreiben und Konflikte außergerichtlich schlichten helfen.
Vorgeschichte
Der Deutsche Bundestag hatte am 21. Januar 2005 in erster Lesung den Entwurf eines Antidiskriminierungsgesetzes behandelt. Das Gesetz sollte der damals rot-grünen Bundesregierung zur Umsetzung von Richtlinien der Europäischen Union dienen. Am 17. Juni 2005 wurde das Gesetz mit den Stimmen von SPD und Grünen beschlossen. Es wurde jedoch durch die Unionsparteien im Bundesrat blockiert.
Ein erster Versuch zur Verabschiedung eines Antidiskriminierungsgesetzes war bereits im Sommer 2002 gescheitert.
Das Gesetz sollte Diskriminierungen aufgrund von Rasse bzw. ethnischer Herkunft, Weltanschauung, Alter, Geschlecht, Behinderung und sexueller Identität verhindern. Mit dem Antidiskriminierungsgesetz setzt die Bundesregierung insbesondere zwei Richtlinien der Europäischen Union um. Die Richtlinie zum Verbot von Diskriminierung aufgrund der Rasse oder der ethnischen Herkunft hätte bereits bis zum Juli 2003 umgesetzt werden müssen, weshalb die Kommission im Sommer 2004 beim Europäischen Gerichtshof eine Klage gegen Deutschland und weitere Länder (Österreich, Finnland, Griechenland, Luxemburg) einreichte.
Ferner wollte die rot-grüne Bundesregierung mit dem Gesetzentwurf auch die Richtlinie zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf um. In Irland, Belgien und Frankreich sind bereits seit kurzem Gesetze zur Umsetzung der Richtlinien in Kraft. Diese wie auch der Entwurf der rot-grünen Bundesregierung gingen über die Vorgaben aus Brüssel hinaus.
Beweislasterleichterung als wesentliche Neuerung
Eine wesentliche Neuerung war die Beweislastumkehr. Der juristische Fachbegriff der Beweislastumkehr impliziert allerdings nicht etwa, dass sich die Beweislast in Zukunft von den Klagenden schlicht auf die Beklagten verschiebt - wie dies von der Semantik des Begriffs her zunächst nahe gelegt wird. Es handelt sich vielmehr um eine Teilung der Beweislast, welche die Beweisführung für Klagende erleichtern soll. Im Hintergrund steht die Erfahrung, dass eine vollständige Beweisführung im Falle von Diskriminierungen für die Betroffenen in aller Regel von vornherein unmöglich ist, weil ihnen der Zugang zu bestimmten, für die Beweisführung notwendigen Daten und Dokumenten typischerweise versperrt ist.
Überarbeitung nach Bundesratsentscheidung
Der Bundesrat erwirkte am 18. Februar 2005 einen Entschluss (BR-Drs. 103/05), wonach das Gesetz nicht verabschiedet werden sollte, und forderte den Bundestag auf, sich auf das europarechtlich Geforderte zu beschränken. Danach überarbeitete ihn die rot-grüne Koalition bis Ende März in 40 Punkten. Zu den wichtigsten Überarbeitungen im Entwurf gehörte, dass die Haftung von Dritten gestrichen wurde. Zuvor hätten Arbeitgeber zur Entschädigung verpflichtet werden können, wenn ein Angestellter durch Dritte belästigt wird. Ferner stand Betroffenen nur eine Frist von sechs Monaten zu, um Ansprüche anzumelden. Dies soll einen Zuwachs an Bürokratisierung verhindern. Den Kirchen blieb in der überarbeiteten Fassung erlaubt, Beschäftigte nach Religion auszuwählen. Auch die Vorschriften zur Altersdiskriminierung wurden präzisiert: Besondere Bestimmungen für ältere Arbeitnehmer wie Kündigungsschutz oder Abfindungen sollten erhalten bleiben. Im Zivilrecht war man auf Einwände von Wohnungsunternehmen eingegangen. Bei Vermietung bleibt eine sozial ausgewogene Auswahl der Mieter zulässig.
Links
Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, Gesetze im Internet: Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz
Bundestags-Drucksache 15/4538 vom 16.12.2004: Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung europäischer Antidiskriminierungsrichtlinien
DGB Bildungswerk e.V., Migration online: Synopse der BT-Drucksache 15/4538 und des überarbeiteten Gesetzentwurfs vom 18.03.2005
Richtlinie des Rates zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (2000/78/EG), 27.11.2000
Richtlinie des Rates zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft (2000/43/EG), 29.06.2000