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Neue Formel für die Soziale Ungleichheit?

Artikel vom 15.05.2014

Foto: tupungato/shutterstock.com

„Ich finde, die Schader-Stiftung wirft einen richtigen Fokus auf die Fragen der Zeit. Es wird diskutiert über Entbindungen in unserer Gesellschaft. Es wird diskutiert über die erschöpfte Gesellschaft.“ Von Jochen Partsch

Herkunft und sozialer Aufstieg

Grußwort anlässlich der Verleihung des Schader-Preises am 15. Mai 2014

Die Gesellschaft in der Stadt wartet schon immer auf die Verkündung des neuen Preisträgers, der neuen Preisträgerin, aber nicht nur in der Stadt Darmstadt, sondern in den Gesellschaftswissenschaften, in den Geistes- und Sozialwissenschaften wird in Deutschland und Europa darauf geblickt, wer der nächste Schader-Preisträger, die nächste Schader-Preisträgerin sein kann. Deswegen freue ich mich natürlich ganz besonders wieder, mit dabei sein zu können, wenn so ein ausgezeichneter Preisträger wie Professor Stephan Leibfried heute mit dem Schader-Preis geehrt wird. Ich freue mich sehr, dass Sie hier in Darmstadt sind. Herzlich Willkommen.

„r > g“ ist angeblich die neue Formel für Soziale Ungleichheit: Die Rendite auf Privatvermögen (r) ist größer als das Wirtschaftswachstum (g).  „Der französische neue Marx“ stand am 15.05.2014 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung im Wirtschaftsteil zu lesen. Die Wirtschaftsredaktion der FAZ hat eine ganze Armada von Kritikern aufgeboten, um die Unwahrheit, Nicht-Evidenz und empirische Fehlerhaftigkeit der Thesen von Thomas Piketty nachzuweisen. Unterschiedliche Personen fanden zusammen. Überraschenderweise Peter Bofinger und Hans-Werner Sinn, sozusagen eine in der Stoßrichtung überraschende Allianz, auch wenn sie unterschiedliche Thesen vertreten haben. Aber diese neue Formel für soziale Ungleichheit - r > g - weist natürlich auf eine zentrale Fragestellung hin.

Was behauptet dieser neue Star-Ökonom und Star-Philosoph? Er behauptet nichts weniger, als dass das Versprechen unserer Gesellschaft, nämlich dass wir durch Arbeit, durch Leistung, durch Bildung und Anstrengung die Möglichkeit haben, sozialen Aufstieg zu erreichen, dass dieses Versprechen eine Lüge ist. Weil diese Gleichung zum Ausdruck bringt, dass das Kapital, die Rendite aus Kapitaleinkünften, immer größer ist als das wirtschaftliche Wachstum und damit verbunden das mögliche Einkommen aus Gehalt und Löhnen. Damit stellt Piketty ein zentrales Versprechen der sozialen Marktwirtschaft in Frage. Es wird interessant werden. Bofinger zum Beispiel wendet ein, Pikettys empirische Datengrundlagen seien nicht evident. Andere Kritiker greifen vor allen Dingen seine Vorschläge auf. 75 Prozent Spitzensteuersatz wird als einer der Vorschläge benannt. Da wird wahrscheinlich einigen der Schreck in die Glieder fahren. Es ist aber nicht davon auszugehen, dass die regierende Große Koalition diesen Rezepten näher treten wird, also seien Sie beruhigt. Aber diese Thesen, die Piketty aufstellt, sind natürlich Thesen, die insbesondere für die Profiteure dieser beschriebenen Wirklichkeit bedrohlich sind.

Und dieses, was von ihm beschrieben wird, ist im Grunde auf einer anderen Ebene auch etwas, was Professor Jutta Allmendinger, Schader-Preisträgerin 2013, im letzten Jahr deutlich gemacht hat: Soziale Herkunft, insbesondere die Herkunft aus bildungsfernen, oder bildungsnahen, Familien ist entscheidend beziehungsweise mit entscheidend dafür, ob Menschen Erfolg, Bildung und Aufstiegschancen haben. Das alles sind doch dramatische Befunde. Im Grunde erschütternd.

Und Stephan Leibfried, 2014 mit dem Schader-Preis ausgezeichnet, ist nun jemand, der nicht Formeln entwickelt und Kausalitäten isoliert betrachtet, sondern, nicht nur am Zentrum für Sozialpolitik in Bremen, 1988 von ihm gegründet, sondern in den Jahren vorher und auch danach immer wieder versucht, mit einem interdisziplinären Ansatz Armut, Reichtum, Staatenentwicklung zu erklären. Ein Ansatz, der politische, soziologische, sozialpolitische wie auch gesundheitspolitische mit medizinischen Fragestellungen zusammenführt. Also nicht eine einfache Formel, doch der identische Untersuchungsgegenstand: Was bedeutet Armut in reichen Staaten? Vergleichende Wohlfahrtsstaatenforschung - eines Ihrer Themengebiete.

Ich will mich aber auf den Bereich Armut und Sozialstaat konzentrieren. Ich halte das, was im Moment diskutiert wird, für eine der großen Fragen, die wir - und denen wir uns - stellen müssen. Und ich bin deshalb der Schader-Stiftung dankbar, dass sie, nachdem sie letztes Jahr mit der nicht nur Arbeitsmarkt-, aber doch für mich, verzeihen Sie mir, bedeutendsten Arbeitsmarkt-Forscherin Jutta Allmendinger jetzt einen Soziologen und Armutsforscher, ich weiß, dass Sie weit mehr noch sind, Herr Leibfried, auszeichnen. Ich finde, die Schader-Stiftung wirft einen richtigen Fokus auf die Fragen der Zeit. Es wird diskutiert über Entbindungen in unserer Gesellschaft. Es wird diskutiert über die erschöpfte Gesellschaft. Und diese Entbindung und diese Erschöpfung sind vor allen Dingen bei den Menschen zu sehen, die heute Abend nicht hier sind. Die sind vor allen Dingen bei den Menschen zu sehen, die am Rand unserer Gesellschaft stehen und deswegen finde ich es sehr gut und freue mich, auf das, was Sie uns heute noch mitteilen werden und was wir in den Diskussionen am heutigen Abend erfahren werden.

Der Autor: Jochen Partsch ist Oberbürgermeister der Wissenschaftsstadt Darmstadt und Mitglied im Stiftungsrat der Schader-Stiftung.

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