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Zur Soziologie der Landschaftsmalerei im Wandel der Geschichte

Artikel vom 05.04.2009

Zur Zeit der Renaissance etablierte sich der Begriff der „Landschaftsmalerei” für die ausschnitthafte Darstellung eines Naturraums. Doch schon Jahhrunderte zuvor, im antiken Rom, war die Landschaft ein beliebtes Motiv. Seit jeher musste sich die Landschaft viele Projektionen des menschlichen Geistes gefallen lassen und so brachte jede Epoche ihre eigene Formen dieser Impression hervor – stets beeinflusst durch gesellschaftliche Grundlagen. Von Klaus von Beyme

Zur Soziologie der Landschaftsmalerei im Wandel der Geschichte

Die „fremde Landschaft” ist eine Metapher, die in unterschiedlichen Epochen und Gesellschaften in höchst verschiedener Weise anwendbar schien. Landschaft als Spiegelbild der Seele hatte lange keine selbständige Funktion und war fremd im Sinne von Nichtachtung. In der frühen Neuzeit rangierte die Landschaft mit dem Stillleben am Ende der Wertschätzung der Menschen. Historien- und Andachtsbilder genossen die höchste Anerkennung. Diese vereinfachte Vorstellung einer Rangfolge von Bildgattungen in der frühen Neuzeit entsprach einer von Adel und Klerus geführten Gesellschaft. Der Aufstieg des Bürgertums fand seine künstlerische Parallele in der Vorliebe für eine Landschaft um ihrer selbst willen.

Die Kunst wurde zunehmend unabhängig vom religiösen oder historischen Kontext mit seinen Anspielungen auf biblische oder historische Geschichten. Damit änderte sich der Stellenwert von Landschaftsbildern. Tiefsinnige „gedankliche Assoziationen, die mit Bildern in der frühen Ästhetik verbunden sein sollten, wurden weniger gefragt. Das Landschaftsbild wurde nun geschätzt, weil es gleichsam „moralfrei” war.1) Landschaft wurde – jenseits des eigenen Gartenzauns nicht mehr als unheimliche Umgebung wahrgenommen. Die Landschaft, soweit sie fremd geblieben schien, wurde zunehmend in das Zugängliche und Vertraute integriert. Die Landschaft enthielt schon immer eine Art von „unnatürlicher” Ästhetisierung der Natur. Jacob Burckhardt  hat die Besteigung des Mont Ventoux in der Provence durch den italienischen Dichter Petrarca für einen Durchbruch zum „modernen Menschen” erklärt. Im Mittelalter waren Berge unheimliche Orte des Grauens, die man nicht bestieg. Erste Bergbesteigungen zum bloßen Genuss einer grandiosen Natur erschienen wie ein Frevel gegen den Schöpfer. Erst in der Renaissance hat die Landschaft erhöhte „Bedeutung für die erregbare Seele” erlangt.2) Das Landschaftsbild hat sich erst in der Neuzeit aus dem religiösen Bild gelöst. Die Brüder van Eyck „raubten“ nach den Worten Burckhardts „der Natur ihr Bild”. Dieser Modernisierungsprozess wurde keineswegs immer positiv gedeutet: Landschaftsmalerei erschien seit Diderot als Ersatz eines  „Naturverlustes” der Menschen.3) Man kann das Entstehen dieser Gattung aber auch als „Naturgewinnung” deuten. Das christliche Heilsgeschehen wurde durch Landschaften im Hintergrund näher an die religiöse Gemeinschaft herangebracht.4)

Nicht nur die Schichtung der Gesellschaft beeinflusste die Wahrnehmung der Landschaft in der Kunst. Auch die Unterschiede der Konfession waren einflussreich. Dass gerade in Holland die Landschaftsmalerei zu ihren Höhepunkten kam, ließ sich daraus erklären, dass der calvinistischen Protestantismus in den Niederlanden das Abbildverbot besonders ernst nahm und religiöse Bilder ablehnte. Calvin maß der Landschaft hingegen keine Bedeutung bei und so schien sie nicht dem Abbildverbot der Zehn Gebote zu unterliegen.5) Dieser These widerspricht allenfalls die Tatsache, dass das Portrait – ein Abbild des Menschen – zur gleichen Zeit florierte. Auch im Historienbild gewann der symbolische Hintergrund der Landschaft zunehmend an Eigenwert. Etwa die Darstellung eines Herrscherpaares von Piero della Francesca vor dem Hintergrund einer sich in imaginärer Ferne verlierenden Landschaft wurde zur Indienstnahme der Natur: die Landschaft der von ihm beherrschten Lande diente dem Ruhm des gefeierten Herrschers.

Die Landschaft musste sich viele Projektionen des menschlichen Geistes gefallen lassen. Im Zeitalter des Nationalismus wurde die „nationale Landschaft” entdeckt. Das Paradebeispiel findet sich im Werk des romantischen Malers Caspar David Friedrich. Das Bild der „Chasseur im Walde” (1813/14) zeigt einen verirrten französischen Soldaten umzingelt vom bedrohlichen „deutschen Wald”. Mit altdeutschen Kopfbedeckungen hat Friedrich auch in anderen Fällen, etwa bei Figuren zwischen den Kreidefelsen auf Rügen, nationale Symbole in die Landschaft eingehen lassen. Weit mehr Anstoß als die kaum auffälligen nationalen Anspielungen wirkte Friedrichs mystische Überhöhung der Landschaft im Tetschener Altar (1808). Der sächsische Kammerherr Friedrich Wilhelm Basilius von Ramdohr witterte in dem Bild 1809 einen Mystizismus, „der jetzt überall sich einschleicht und aus Kunst wie aus Wissenschaft, aus Philosophie aus der Religion gleich einem narkotischen Dunste uns entgegenwittert!”6) In einem Verteidigungsbrief an den Akademieprofessor Schulz (8. Febr. 1809) war Friedrich ungewohnt ironisch gegenüber der dogmatischen Kunstauffassung dieses gemäßigten Klassizisten und tröstete sich mit dem Gedanken „Was nützt es, dass das Bild dem großen Haufen gefällt; gefällt’s doch dem Herrn von Ramdohr nicht!”.7) Dieser Streit zeigt eine neue Würdigung des Publikums, einen Schritt in Richtung „Demokratisierung” des Kunstgenusses. Der Beifall der Menge der Beschauer wurde wichtiger als die elitäre Meinung eines adligen Kunstkritikers. Dieser stand freilich mit seiner Kritik nicht allein. Auch Goethe hat noch 1816 dagegen polemisiert, „in landschaftliche Gemälde und Zeichnungen mystisch-religiöse Bedeutung zu legen.”8)  Eine neue Form der Frömmigkeit, gestärkt durch den Pietismus und eine Stilisierung häuslicher Intimität des Familienlebens und des bürgerlichen Wohnzimmers, hat dem Landschaftsbild in der Gesellschaft eine tiefere Bedeutung verschafft.  

Mit der Romantik setzten sich im Zeitalter der Ideologien neue Formen der Überhöhung von Landschaften durch. Aber noch immer gab es Auseinandersetzungen, welche Form inhaltlicher Sinnüberfrachtung in der Landschaftsmalerei zulässig sei. Der französische Dichter Charles Baudelaire unterschied 1846 drei Arten von Landschaftsmalerei: „den bewundernswerten Servilismus der Naturalisten”, die „historische Landschaft”, in welcher er eine Anwendung der Moral auf die Landschaft witterte, und schließlich die „Phantasielandschaft”, die als „menschlicher Egoismus” gegeißelt wurde, welcher sich an die Stelle der Natur setzte.9) Die sklavische Nachahmung der Natur schien nach dieser Typologie Baudelaires für eine Weile zu dominieren. Aber auch eine Landschaftsmalerei wie in den Schulen von Barbizon bis Worpswede, die sich zum realistischen Abbild der Natur bekannte, hat ihre gesellschaftlichen Vorstellungen in das Bild notfalls hinein gemogelt. Die Natur musste möglichst altmodisch und ländlich aussehen, wie das immer wieder geschönte mit Schilf gedeckte Dach, das auf vielen Bildern reproduziert wurde und in Worpswede von den Bauern mit Fleiß restauriert worden ist. Mit der Verstädterung der Gesellschaft im 19. Jahrhundert musste die Natur vom Künstler gesucht werden. 1830-1910 lebten etwa dreitausend Künstler in 80 Künstlerkolonien. Die angeblich „natürliche Natur” wurde von Wahrnehmungen der Städter geprägt. Die Künstler reisten schon mit der Bahn an. Sie wurden misstrauisch von den Einheimischen beäugt, wie Gauguin in Pont-Aven. Was sie auf dem Lande suchten, war nicht mehr unberührt von Menschenhand, sowenig wie die angeblich heile Welt, die Gauguin später in der Südsee ins Bild bannte. Der Dichter Rainer Maria Rilke, mit einer Worpsweder Künstlerin verheiratet, hat in dieser kargen Moorlandschaft treffend erkannt: „Die Natur weiß nichts von uns.”

Während die „Künstlerkommunen” meist im Norden lagen und ihre Betreiber noch die Illusion hatten, durch naturnahes Wohnen und Handarbeit einen direkten Bezug zur Natur wieder herzustellen, kam es Anfang des 20. Jahrhunderts zu einer Nord-Südwanderung. Aus „Künstlerkolonien” wurden „Künstlerorte”. Diese waren nicht mehr auf dauerhafte ländliche Gesellungsformen ausgerichtet. Sie waren nicht mehr angetrieben von politischen und religiösen Ideen zur Herstellung der Einheit von Kunst und Leben, wie einst der Monte Verità in Ascona, Meyer-Amdens Kolonie am Walensee in der Schweiz oder Vogelers Barkenhoff in Worpswede. Es handelte sich soziologisch gesehen um „Langzeit-Tourismus” mit einer kommerziellen Basis in den Städten. Bei den französischen „Fauves” in Collioure oder L’Estaque am Mittelmeer kam es bei Matisse und Derain zu Landschaften von starker Farbigkeit. Aber die Landschaft stand noch immer nicht unangefochten im Zentrum der Aufmerksamkeit der Künstler. Matisse bekannte in den „Notizen eines Malers” 1908: „Was mich am meisten interessiert, ist weder das Stillleben noch die Landschaft – es ist die Figur. Mit der Figur kann ich mein sozusagen religiöses Lebensgefühl am besten ausdrücken”.10) Sinngemäß galt das auch für andere Gruppierungen der Avantgarde bis etwa 1911. Die deutschen Expressionisten und die russische Avantgarde waren freilich politisch und künstlerisch zu revolutioniert, um Matisses Bekenntnis zur „Kunst des Gleichgewichts” als „Beruhigungsmittel…so etwas wie ein guter Lehnstuhl” zu unterschreiben.

Wo anfangs noch eine Lebensgemeinschaft intendiert war, wie bei „Brücke” in Dresden, blieb die heile Welt mit Bildern von nackt auf der Wiese tanzenden Mädchen bevölkert, die alles andere waren als genuine Landpomeranzen. Aber das war nur eine kurze Episode der Landschaftsmalerei. Die Brücke-Künstler zogen um 1911 nach Berlin. Die von bedrohlichen Zacken zerrissene Stadtlandschaft hat auch bei Kirchner die Moritzburger Idylle verdrängt. Die Sündhaftigkeit des Potsdamer Platzes dokumentierte bei Kirchner das sich Abfinden mit der Tatsache, dass Landschaft sich in der Großstadt abspielen kann.11) Im deutschen Expressionismus spielte jedoch die „ländliche” Landschaft weiterhin eine wichtige Rolle. Sie war nicht mehr realistisch, aber regional noch durchaus zu verorten (vgl. Kirchner, Heckel, Nolde in dieser Ausstellung) und die Walchenseebilder von Corinth (in dieser Ausstellung).

Vor der Avantgarde der klassischen Moderne zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren Städte im Bild weitgehend ein Bild der Ordnung. Bei Georges Grosz und den deutschen Veristen wurde die Stadtlandschaft zum Spiegelbild des sozialen Chaos voller sozialer Konflikte. Sie hatte etwas Bedrohliches. Delaunays farbexperimentelle Stadtphantasien und Feininger Architektur-Vistas hatten andererseits noch nichts Bedrohliches. Sie strahlten eher etwas Erhebendes aus und  waren Ausdruck einer neuen erfühlten Harmonie von künstlich geschaffener Welt und Natur. Auch Beckmanns Stadtlandschaften, die Maßstäbe im Frankfurt-Bild setzten, das lange vor der Ansicht von San Francisco (1950, in dieser Ausstellung) geschaffen wurde, wirkten noch nicht unheimlich. Die Haltung der Avantgardekünstler zur Stadtlandschaft blieb ambivalent. Ludwig Meidner, der schlesische Wanderer, der entfremdet in die Metropolen kam, wie so viele Avantgardisten von Mexiko bis Russland, die sich in Paris anfangs nicht wohl fühlten, versuchte sich an die Stadt „heranzulieben”: „Wir müssen endlich anfangen, unsere Heimat zu malen, unsere Heimat zu malen, die Großstadt, die wir unendlich lieben” und empfahl, sich der Faszination von Hängebrücken und Gasometern hinzugeben.12) Innerlich eingeholt hat Meidner seinen Ruf zur Innovation nicht. Später fand er Köln eine Felachennest und London schien dem Emigranten schrecklich. Nur wenige politisierte Künstler wie Conrad Felixmüller machten ernst mit der „Heimatsuche” in den Industriemetropolen. Als er 1920/21 den Preis der Villa Massimo erhielt, benutzte er ihn nicht zur Pilgerreise in die Landschaften deutscher Sehnsucht, sondern ging ins Ruhrgebiet.

Ein weiterer Wandel in der Auffassung von Landschaft fand im Surrealismus statt. Es kam zu einer „Verlandschaftung des Menschen” durch biomorphe Darstellungen des Menschen. Beispiele waren in Dalís Verschmelzung von Mensch und Umgebung oder in Max Ernsts Vogel-Menschen in einer unwirklichen Landschaft zu finden. Die Landschaft wurde nun Ausfluss einer psychischen Befindlichkeit der Künstler und der Fremdheit in der Welt schlechthin: Ängste im Zeitalter der heraufkommenden Diktaturen wurden so in Symbiosen von Landschaft und deformierten Menschen sichtbar gemacht.

Mit dem Sieg der Abstraktion wurde der Streit der Schulen von Künstlern über die Rolle der Landschaft im modernen Bild gegenstandslos. Es ging nun um „reine Malerei”. Viele Pioniere der Abstraktion von Kupka bis Kandinsky kamen über die Landschaftsmalerei zur Abstraktion. Der Anblick eines Heuhaufens im gleißenden Mittagslicht, gemalt von dem Impressionisten Monet, hat bei Kandinsky abstrakte Visionen ausgelöst. Kandinsky hatte schon während seines Akademiestudiums darunter gelitten, dass die Kollegen ihn als Koloristen und Landschaftsmaler ansahen.13) „Landschaftsmaler” wurde zu einer Art Beleidigung für die Avantgarde der klassischen Moderne. Gesellschaftliche Grundlagen blieben vielfach in der Landschaftsmalerei sichtbar. Auch in abstrakten Bildern wurden Grundstrukturen nationaler Landschaften wieder finden. Die Gruppe „de Stijl” in Holland hatte mit Mondrian in der geometrischen Abstraktion die Launenhaftigkeit der Natur überwunden, wie das holländische Kanalsystem die Unregelmäßigkeit der realen Natur.14) Bei nicht-abstrakten Künstlern kam die Heimatlandschaft selbst im Exil durch: de Chirico ließ seine Stadt auch in Paris zur mediterranen Raumbühne gerinnen und Max Ernst, der kein Deutscher mehr sein wollte, hat in Bildern wie „Die ganze Stadt” auch in Paris eine spätromantische Variation des deutschen Waldes geliefert.

Politisch-soziale Nebenbedeutungen erhielt die Auseinandersetzung mit der Landschaft verstärkt in den Diktaturen des 19. Jahrhunderts. Bei dem bekanntesten Maler im italienischen Faschismus, Mario Sironi, sollten menschenleere Landschaften von antiken Ruinen und Fabrikschornsteinen die urbane Modernisierung mit dem klassischen Erbe Italiens verbinden. Sie gerannen aber zu trostlos abweisenden Arbeitswelten in Pappmaché-Landschaften. Im zweiten Futurismus des italienischen Faschismus hat man in der „Flugmalerei”, die der Chefideologe Marinetti auf die Fahnen schrieb, die Vogelschauperspektive  politisch dienstbar gemacht und mit  nützlichen Aspekten für  eine Kriegsluftwaffe verbunden.15) Im  russischen Realismus wurde die Landschaft zum Objekt der Kultivierung durch „fröhliche Arbeitsbrigaden”. Einige Avantgardisten ließen sich aber nicht ganz vereinnahmen. Bei Malewitschs  Visionen einer „vierten Dimension” oder in Filonovs metaphysisch-kommunistischen Visionen des „Welterblühens” wurde die Landschaft ins Kosmische erhöht, um  dem platten Nützlichkeitsdenken des Alltagskommunismus zu entfliehen.

In Deutschland gerann im „magischen Realismus” mit ihrer Neigung zur Altmeisterlichkeit die italienische Landschaft zur reinen Atelierlandschaft. Auch hier breitete sich eine leicht unwirkliche Höhenperspektive auf die Landschaft aus. Im Nationalsozialismus hatten viele Avantgardisten wie Dix keine Wahl und mussten sich von Landschaftsbildern ernähren. Gelegentlich waren sie wie der „Judenfriedhof in Randegg“ (1935) mit diskreten politischen Nebenbedeutungen versehen. Mit dem Ende der Diktatur kam es in Deutschland zu erschütternden Trümmerlandschaften wie bei Karl Hofer, der sie schon 1933 in „Die Wächter” angedeutet hatte (in dieser Aussstellung), oder zur Flucht in eine malerische Capri-Fischer-Seligkeit bei gefälligen Spätmodernisten wie Bargheer oder Gilles. Die neuen Strömungen der Moderne entspannten ihr Verhältnis zu der Frage des Wertes einzelner Bildgattungen. In der Abstraktion war die Fremdheit der Landschaft aufgehoben. Hans Hofmann als abstrakter Künstler erklärte in Amerika: „I bring the landscape home in me” (ich bringe die Landschaft heim in mir). Letzte Elemente einer realen Landschaft wurden damit ausgeschaltet. Der bekannteste Maler des abstrakten Expressionismus in Amerika, der das Ende der klassischen Moderne nach dem Zweiten Weltkrieg einleitete, Jackson Pollock, begann als „Jack the dripper” die Bilder sogar physisch zur Landschaft werden zu lassen, als er mit Spritzpistolen auf ihnen herumtrampelte.

Die Debatte über die Gattungen ist überholt. Kein Dogmatiker räsoniert  mehr über den angemessenen Umgang mit der Landschaft, wie zu Beginn der Romantik, als Caspar David Friedrich missverstanden wurde. In der Postmoderne wurde jede Funktionalisierung der Natur erlaubt - von Christos Verhüllungskünsten bis zur Landart und dem Fotorealismus (vgl. Einsele in dieser Ausstellung) oder einem verfremdeten Fotorealismus (vgl. Richter in dieser Ausstellung). Landschaft hat aufgehört fremd zu sein, auch der Künstler fremdelt nicht mehr: anything goes.

Der Autor: Prof. Dr. Dr. h.c. Klaus von Beyme war 2008 Preisträger des Schader-Preises und gehört dem Senat der Schader-Stiftung an. Klaus von Beyme war bis zu seiner Emeritierung Lehrstuhlinhaber für Politikwissenschaften an der Universität Heidelberg. Zudem hatte er Professuren an den Universitäten Tübingen und Frankfurt sowie Gastprofessuren an den Universitäten Stanford, Melbourne und Paris inne.

Der Beitrag erschien zuerst im Katalog der Ausstellung „Die fremde Landschaft”, die 2007 gemeinsam vom Hessischen Landesmuseum Darmstadt und der Schader-Stiftung konzipiert wurde.

1) Max J. Friedländer: Über die Landschaftsmalerei und andere Bildgattungen. Den Haag, A.A.M. Stols, 1947, S.2.
2) Jacob Burckhardt : Die Kultur der Renaissance in Italien (1859). Stuttgart, Kröner, 1988, 11. Aufl., S.217.
3) Oskar Bätschmann: Entfernung der Natur. Landschaftsmalerei 1750-1920. Köln, DuMont, 1989, S. 8.
4) Barbara Eschenburg: Landschaft in der deutschen Malerei. München, Bruckmann, 1987, S. 23.
5) Werner Gephart: Bilder der Moderne. Studien zu einer Soziologie der Kunst- und Kulturinhalte. Opladen, Leske & Budrich, 1998, S. 222, 234ff.
6) Friedrich Wilhelm Basilius von Ramdohr: Über ein zum Altblatte bestimmtes Landschaftsgemälde von Herrn Friedrich in Dresden, und über Landschaftsmalerei, Allegorie und Mystizismus überhaupt (1809) in: Werner Busch (Hrsg.): Landschaftsmalerei. Geschichte der klassischen Bildgattungen in Quellentexten und Kommentaren, Bd. 3. Berlin, Dietrich Reimer, 1997, S. 254-259.
7) Sigrid Hinz (Hrsg.): Caspar David Friedrich in Briefen und Bekenntnissen. München, Rogner & Bernhard, 1974, 2. Aufl., S. 153.
8) Johann Wolfgang Goethe: Neudeutsche religiös-patriotische Kunst. Berlin Weimar, Goethe Berliner Ausgabe, Bd. 20, 1974, S. 77.
9) Charles Baudelaire: Salon de 1846, XV Le paysage in : Oeuvres complètes. Paris, Éditons du Saint-Clair, 1974, S. 856.
10) Henri Matisse: Notizen eines Malers (1908) in: Matisse: Über Kunst.  Zürich, Diogenes, 1982, S. 75.
11) K. Henkel /R. März (Hrsg.): Potsdamer Platz. Ernst Ludwig Kirchner und der Untergang Preußens. Berlin, Nationalgalerie /Verlag G & K, 2001.
12) Ludwig Meidner: Anleitung zum Malen von Großstadtbildern. In: Kunst und Künstler, Bd. 12, Nr. 6, 1914, S. 312-314. G. Breuer / I. Wagemann: Ludwig Meidner. Zeichner, Maler, Literat. 1884-1966. Stuttgart, Hatje, 1991, Bd. 2 Literarische Werke und Briefe, S. 291f.
13) Wassily Kandinsky: Rückblicke (1913). Bern, Benteli, 1977, S.27.
14) H. L. C. Jaffé: Mondrian und De Stijl. Köln, DuMont Schauberg, 1967, 88f.
15) Filippo T. Marinetti : Teoria e invenzione futuristica. Mailand, Mondadori, 1968, S.170.
16) Harold Rosenberg: The New Tradition of the New (1959). Reprint New York, Books for the Libraries Press, 1971, S.135, 83.

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