WorldCafé: Perspektiven des Dialogs zwischen Gesellschaftswissenschaften und Praxis
Artikel vom 29.11.2013
Was sind fördernde und hemmende Bedingungen im Dialog zwischen Gesellschaftswissenschaften und Praxis? Was sind konkrete Herausforderungen und Themen für den Dialog? An welchen Punkten wartet die Gesellschaft auf Lösungsbeiträge der Gesellschaftswissenschaften?
Dialog zwischen Gesellschaftswissenschaften und der Praxis in der Diskussion
Diese und weitere Fragen wurden im WorldCafé im Rahmen des Fachkongresses zum 25-jährigen Jubiläum der Schader-Stiftung besprochen. In drei Durchgängen hatten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Arbeitstagung die Gelegenheit, an den Tischen verschiedener Gastgeberinnen und Gastgeber zu diskutieren und ihre Vorstellungen und Ideen einzubringen.
WorldCafé 1 mit Prof. Dr. Gabriele Abels
Dialog zwischen Gesellschaftswissenschaften und Praxis – eine Bestandsaufnahme
Zentrale Bedeutung für einen funktionierenden und damit erfolgreichen Dialog zwischen Gesellschaftswissenschaften und Praxis, so der Einstieg in WorldCafé 1, kommt den Ausgangsbedingungen sowohl seitens der Wissenschaft als auch seitens der Gesellschaft zu – wobei deren Bereich weit über den der Politik hinausgeht. Zahlreiche Faktoren erschweren, ja blockieren einen guten Austausch.
Was hindert Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am Dialog mit der Praxis?
Investitionen von Zeit und Mühe in den Aufbau von Praxiskontakten werden innerhalb des Wissenschaftssystems derzeit nicht honoriert, so die übereinstimmende Einschätzung. Praxisdialoge erzeugen keine Reputation, die für eine wissenschaftliche Karriere oder für Berufungen unabdingbar ist. Dort zählen vor allem Publikationen, möglichst in englischsprachigen "Peer-Reviews". Anwendungsorientierte Beiträge wie Evaluationsforschung oder Praxisanalysen sind in diesen Journalen unterrepräsentiert. Dieser Publikationszwang wird nicht nur von Wissenschaftsseite beanstandet – er ist abstrus, so ein Kommentar aus der Praxis.
Ein weiteres wichtiges Kriterium für Berufungen sind Erfolge bei der Drittmitteleinwerbung. Diese Aufgabe bietet gleichfalls wenig Berührungspunkte mit der Praxisseite. Sie unterliegt, wie erläutert wird, einer Art Hierarchisierung: Mittel aus EU-Töpfen sind "die Krönung", die Kooperation mit Geldgebern aus der Praxis – Unternehmen, Bürgerstiftungen – vergleichsweise unattraktiv, Kontakte mit Stakeholdern, um "an Geld zu kommen", eher unbeliebt.
Noch ein entscheidendes, mehrfach genanntes Hemmnis für das Zustandekommen von Praxiskontakten ist die Knappheit der Ressource Zeit im Wissenschaftsbetrieb. Forschungszeit muss regelrecht erkämpft werden.
Ursachen für Dialogprobleme sind aber schon früher anzusiedeln. Bereits die "typische Bildungskarriere" blendet den Praxisbezug aus, von einem Dialog ganz zu schweigen. Optimierte Studieninhalte konzentrieren sich zunehmend auf bestimmte, dabei weniger werdende Themenfelder. Gerade unter jungen Wissenschaftlern, wird ergänzend angemerkt, herrscht große Unsicherheit über das Wie eines Dialogs. Befürchten sie die Trivialisierung von Wissenschaft? Und passt dazu die Beobachtung, dass es bislang vorwiegend etablierte Hochschullehrer sind, die sich dem Ansinnen der Schader-Stiftung widmen?
Wobei im Rahmen dieser Analyse zu differenzieren ist, wie eingewendet wird – denn Wissenschaft findet nicht nur in den Universitäten, sondern zu einem vergleichsweise kleinen Teil in anwendungsorientierten Instituten statt. Doch auch die Position der dort tätigen Forscher ist komplex, da sie mehreren Herren dienen müssen: ihren Geld- und Auftraggebern wie auch dem Wissenschaftsrat als Kontrollinstanz. Das macht insbesondere die Entwicklung von Gütekriterien für Evaluierungsverfahren schwierig.
Was hindert Praxispartner am Dialog mit den Gesellschaftswissenschaften?
Wie der Bericht über die Kooperation eines Bürgervereins mit seinem wissenschaftlich tätigen Beirat zeigt, ist auch in funktionierenden wechselseitigen Wissenschafts-Praxis-Beziehungen die Zeitknappheit des Forschers ein Problem, auf das in der ansonsten unkomplizierten Zusammenarbeit Rücksicht genommen werden muss. Davon abgesehen profitiert in diesem Beispielsfall der Verein von fundierter Beratung, und der Wissenschaftler findet hier den Praxisbezug und ein Forschungsfeld. Zeitknappheit kann sich auch auf der Praxisseite als Dialoghindernis erweisen, und angesichts genügend anderer Aufgaben fragt sich mancher Praktiker in mancher Runde: Was soll ich hier? Ungut ist es, so wird ergänzt, wenn zwecks anwendungsorientierter Forschung praktische Probleme definiert werden und dabei eine Seite die andere dominiert.
Mangelnde personelle Kontinuität in Unternehmen oder Verbänden stellt sich ebenso als Hemmschuh dar und erschwert ein funktionierendes Gespräch mit Vertretern der Wissenschaft. Zwar fällt die Liste der Schwierigkeiten auf Seiten der Praxis deutlich kürzer aus, aber eines kann nicht die Lösung sein: die Koordination des Dialoggeschehens auf die Praxis zu "schieben", wie es derzeit beobachtet wird.
Den Dialog zwischen Gesellschaftswissenschaften und Praxis stärken
Gesellschaftswissenschaftler müssen entschiedener ihre Aufgabe anerkennen, Dialoge zu führen und sich gesellschaftlich einzumischen. Darin stimmt der Teilnehmerkreis grundsätzlich überein. Viele Wissenschaftler, so eine Einschätzung, sind auch grundsätzlich bereit, etwas für die Gesellschaft zu tun. Im Kontakt mit der Praxis fällt ihnen dann manches Mal doch, wie registriert wird, allein die Rolle des Experten und weniger des Gesprächspartners auf Augenhöhe zu – auf einer Bürgerversammlung beispielsweise obliegt ihnen die Zuständigkeit für fachliche Erläuterungen.
Als einer der Ansatzpunkte für Verbesserungen wird der Bereich Bildung genannt. Schon in den Studiengängen sollte die Praxissicht einen größeren Stellenwert einnehmen. Auch Nachwuchswissenschaftler müssten vermehrt an das Thema Praxis herangeführt werden. Noch agieren Wissenschaftler oft hilflos, wenn sie ihr Arbeitsgebiet Nicht-Wissenschaftlern erklären sollen. Wobei, so wird betont, zwischen den Fächern hinsichtlich des Praxisbezuges große Unterschiede bestehen. Architektur oder die Ingenieurwissenschaften bieten im Studium mehr davon, während mancher Wirtschaftswissenschaftler nie in einem Unternehmen gearbeitet hat. Das bleibt nicht ohne Einfluss auf die Dialogfähigkeit, so eine Anmerkung an dieser Stelle.
Wie und bei wem ansetzen?
Gefordert wird ein genauer Blick auf die Ausgangspunkte der sozialen Systeme. Dialogbereitschaft muss honoriert werden, um die Selbstbezüglichkeit der Wissenschaft nicht weiter zu forcieren. Anreizsysteme werden empfohlen, die das Eintreten in Praxisdialoge lohnend machen. Dazu Vorschläge aus der WorldCafé-Runde:
- Forschungsberichte, die mit einem wissenschaftsjournalistischen Praxissupplement in Form eines Statements zu den praktischen Implikationen des Themas gekoppelt sind, sollten bevorzugt in wissenschaftliche Journale aufgenommen werden. Um ein solches System zu etablieren, bräuchte es ein populäres Forum, eine "Praxisrelevanz-Peer-Group", die durchaus hohe Hürden für die Aufnahme in die Praxisausgabe setzen sollte.
- Ein Nachwuchspreis für Praxisrelevanz könnte förderlich sein und noch dazu neue Geldgebermilieus erschließen – vorausgesetzt, es handelt sich nicht um eine "zweitklassige" Auszeichnung.
- Ohnehin sollten Anreize für Dialoge mit der Praxis im Bereich der Drittmittelförderung angesiedelt sein.
- Als Ort für wechselseitige Kontakte zwischen Wissenschaft und Praxis eignen sich, so ein Vorschlag, die Pressestellen der Universitäten. Sie können Informationen für die Praxis zusammentragen und weitergeben. Pressearbeit allein, wird an diesem Punkt eingewendet, reicht allerdings nicht aus.
- Um Wissenstransfer wirksam leisten zu können, müssen Schnitt- oder Andockstellen komplexe Informationen aufbereiten, ohne in Mediensprache zu verfallen. Das leisten Transferstellen in den Universitäten, die allerdings bis jetzt vorwiegend den Bereich der Ingenieur- und Naturwissenschaften abdecken. Zusätzlich müssten sich die Gesellschaftswissenschaften darum bemühen, "Transfergeeignetes" anzubieten.
Wer genau soll und kann diesen Dialog führen – und mit wem? Grundlagenforscher zum Beispiel brauchen Übersetzer in die Praxis. Dabei hat Grundlagenforschung ihre Berechtigung. Die Forderung nach Praxisbezug sollte nicht übertrieben werden. Dass der Dialog per se nicht einfach ist, zeigen schon die Schwierigkeiten eines Gesprächs zwischen zwei Fakultäten an der Universität. Als interessante Ansprechpartner, darauf wird hingewiesen, kommen Postdocs in Frage, vor allem die zahlreichen unter ihnen, die nicht wissenschaftlich tätig bleiben, sondern beispielsweise in Verwaltungen oder Verbänden arbeiten.
Mit welchem Instrumentarium kann die Schader-Stiftung den Dialog weiter verbessern?
Die Schader-Stiftung bewegt sich, so eine Einschätzung, mehr auf die Wissenschaft zu. Sie kann den Weg aus dem Elfenbeinturm in die Praxis, in Unternehmen und Redaktionen, ebnen. Die Schader-Stiftung sollte, so einer der Vorschläge, das Thema "Dialog" an sich in den Mittelpunkt ihrer Tätigkeit stellen: Die Stiftung initiiert einen Arbeitskreis, der sich in gleichbleibender personeller Besetzung kontinuierlich in kürzeren Abständen trifft. Oder sie bietet als "Formateverwalterin" eine Plattform für experimentelle Dialoge, denn fertige Rezepte für den Dialog zwischen Gesellschaftswissenschaften und Praxis existieren nicht. Für einen guten Dialog ohne "Scheren im Kopf" kann eine assoziative, ja tagungsordnungsfreie Zusammenarbeit hilfreich sein. Ergebnisoffenheit, das heißt der Verzicht auf die Einforderung von Ergebnissen, ist dabei nicht, wie betont wird, mit Ergebnislosigkeit gleichzusetzen, sondern sie führt möglicherweise zu überraschenden Resultaten.
Die Schader-Stiftung könnte, wird vorgeschlagen, einen "public impact factor", der in den Gesellschaftswissenschaften fehlt, entwickeln. Die Arbeit bereits bestehender Dialogforen erfährt Unterstützung durch die Schader-Stiftung, indem sie weiterhin die Praxisseite stärkt. Insgesamt, so ein Resümee, müssen neue, unbekannte Wege wie auch unkonventionelle Lösungsansätze gefunden werden.
Welche Aufgabenfelder thematisiert das Gespräch zwischen Gesellschaftswissenschaften und Praxis?
Grundsätzlich sollten die Gesellschaftswissenschaften, so ein Argument, eher Reflexions- als Lösungswissen anbieten und eine beobachtende Rolle einnehmen – und auf die Behauptung verzichten, durch wissenschaftlichen Input könne die Gesellschaft immer weiter verbessert werden. Wichtiger ist darzustellen, dass es verschiedene Lösungen mit verschiedenen Nebenfolgen gibt. Gute Lösungen findet die Gesellschaft dann durchaus selbständig. Entgegen dieser Einschätzung wird von den Gesellschaftswissenschaften Mut zur Positionierung eingefordert, was auch konkrete Handlungsempfehlungen beinhaltet. Austausch mit der Praxis findet bereits statt in den Sektionen und Arbeitskreisen der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft. Themen sind, neben anderen, Entwicklungspolitik, die Menschenrechte sowie Verbände- oder Migrationsforschung. Fragen zu Stadtpolitik und Infrastruktur in einer zunehmend heterogenen, schnelleren und mobileren Gesellschaft sollten ein Arbeitsthema sein. Als weiteres Feld wird Pluralitätsfähigkeit genannt: Nicht nur die Gesellschaft braucht sie im Sinne einer Robustheit, die zulässt, Fremdes zu integrieren, sondern die Wissenschaft braucht in sich die Fähigkeit zur Pluralität.
Aus Sicht der Moderatorin Dr. Kirsten Mensch
Drei WorldCafé-Runden mit entsprechend vielen Tischgästen ergeben eine Fülle von Ideen und Anregungen. Vielfach kreist die Diskussion um die Frage, wie man Anreize im Wissenschaftssystem schaffen kann, um den Dialog mit der Praxis attraktiv werden zu lassen. Denn bislang scheint für Menschen, die ihr Berufsleben der Wissenschaft verschrieben haben, der Bezug zur und Kontakt mit der Praxis wenig lohnend zu sein. Die Debatte im WorldCafé schwankt zwischen Strukturbedingungen in der Wissenschaft selbst sowie deren möglichen Änderungen und dem, was die Schader-Stiftung tun könnte, um Gesellschaftswissenschaften und Praxis verstärkt und dauerhaft in Dialog miteinander zu bringen. Interessant ist dabei, wie sehr sowohl Wissenschaftler als auch Nicht-Wissenschaftler die Zwänge des Wissenschaftssystems, insbesondere die Anforderungen im Rekrutierungsverfahren, kritisieren. Zugleich jedoch scheinen alle Beteiligten ein Aufweichen der Zwänge für äußerst schwierig zu halten. Sollte das nicht eine Herausforderung für die Schader-Stiftung sein?
WorldCafé 2 mit Prof. Jutta Allmendinger Ph.D.
Herausforderungen an den Dialog zwischen Gesellschaftswissenschaften und Praxis
Um den Ist-Zustand des Dialogs zwischen Gesellschaftswissenschaften und Praxis zu diskutieren, ist eine simple Frage zu Beginn unerlässlich: Wer soll mit wem sprechen? Auf der einen Seite steht der wissenschaftliche Sektor in Form der Gesellschaftswissenschaften in ihrer disziplinären Breite, auf der anderen eine multidimensionale Akteursgruppe, die mit dem Begriff Praxis beschrieben wird. Der Praxissektor umfasst in diesem Verständnis die Teilsysteme Politik, öffentliche Verwaltung, Wirtschaft, Medien und Zivilgesellschaft.
Richtet sich der Fokus auf den derzeitigen Zustand des Dialogs zwischen Gesellschaftswissenschaften und Praxis, so ist festzustellen, dass in der Gesamtheit zu wenige Formate vorhanden sind, die Dialogprozesse ermöglichen und zu Interaktion zwischen den Sektoren führen. Der Dialog, sofern er stattfindet, ist partiell angelegt und weist nur wenig Persistenz auf. Darüber hinaus ist zwischen den Sektoren eine starke Hierarchisierung feststellbar, die einen partizipativen Austausch auf Augenhöhe erschwert. Dadurch, dass die Wissenschaft in vielen Fällen die Deutungshoheit beansprucht, gestaltet sich eine Etablierung und Institutionalisierung intersektoraler Dialogformen als diffizil.
Des Weiteren leben sich die einzelnen Sektoren aufgrund unterschiedlicher Anreizsysteme zunehmend auseinander. So stellt die Reputationswährung der Wissenschaft nicht den Transfer von wissenschaftlichen Erkenntnissen in die Öffentlichkeit dar, da Arbeiten mit Transferthematik in den prestigeträchtigen "peer-reviewed" Journals nur wenig Beachtung finden. Im Gegensatz zur angelsächsischen Buchkultur, die es versteht, wissenschaftliche Sprache zu transferieren, richtet sich die wissenschaftliche Sprache im deutschsprachigen Raum stark an der Scientific Community aus.
Getrennte Sektoren: Sprachbarrieren überwinden
Grundlegende Voraussetzung für den Dialog ist eine sprachliche Annäherung und die Fähigkeit, sich gegenseitig zu verstehen. Ein zentrales Problem, das den Dialog zwischen Gesellschaftswissenschaften und Praxis betrifft, ist eine fehlende Verständigung über die Sektoren hinweg. Zu häufig reden Wissenschaft und Praxis aneinander vorbei. Damit Dialog gelingen kann, gilt es, das Kommunikationsproblem zu lösen und zwischen den verschiedenen Sprachen der Sektoren zu vermitteln.
Mangelnde Reflexion: Zeit als dialoghemmender Faktor
Die einzelnen Sektoren weisen eine unterschiedliche Zeitlichkeit auf. Die Praxis, besonders die Teilsysteme Politik und Wirtschaft, stehen unter einem enormen Zeitdruck, während wissenschaftliche Ergebnisse Zeit benötigen, um sich reiben und entfalten zu können. Dabei befinden sich vor allem junge Wissenschaftler "im Hamsterrad" und müssen entscheiden, wofür sie ihre Zeit einsetzen. So sollen sie möglichst viele Drittmittel generieren und gleichzeitig in den Top-Journals publizieren, bei denen oft der Tauschwert entscheidender ist als der Inhalt der Artikel. In diesem Prozess bleibt zu wenig Zeit für Reflexion. Ein Dialog als Moment der Reexion und als Pause im Sinne des Innehaltens ist unter diesen Bedingungen kaum zu verwirklichen.
Gefahr der Instrumentalisierung: Die Rolle der Wissenschaft im Dialogprozess
Von Seiten der Praxis, vor allem von Seiten der Politik, besteht die Erwartung, dass wissenschaftliche Arbeiten für die Politik passende Lösungen generieren. Die Erwartungshaltung der Adressaten beeinflusst den Transfer und die Transferprodukte. Die Wissenschaft soll häufig diejenigen Probleme lösen, die durch die Praxis nicht in den Griff zu bekommen sind. Neben dem Kommunikationsproblem zwischen den Sektoren und den unterschiedlichen Handlungslogiken ist insgesamt ein tradiertes, mechanisches Verständnis von Wissenschaft auszumachen. Mittels einer inputorientierten Steuerung in Form von finanziellen Steuerungsanreizen soll die Wissenschaft Produkte erzeugen. Die Generierung und der Transfer von Wissensbeständen und Erkenntnissen werden hierbei vernachlässigt.
Für die Wissenschaft geht mit einer dialogorientierten Arbeits- und Funktionsweise ein Risikopotential einher, da im Dialog Deutungsmacht und Verantwortung teilweise abgegeben werden. Die Wissenschaft wird in vielen Fällen zu Legitimationszwecken von Politik oder Wirtschaft benutzt. Häufig implizieren bereits Fragestellungen von Forschungsvorhaben Machtverhältnisse. Die Studien werden dann genutzt, um Politik zu legitimieren. Es finden Instrumentalisierungen der Wissenschaft im Kommunikationsprozess statt, beispielsweise durch die Klassifikation als Begleitforschung. Die Verweigerung von Kommunikation kann für die Wissenschaft in diesem Zusammenhang ein Mittel der Einflussnahme und der Gegensteuerung darstellen.
Wege zu einem gelingenden Dialog zwischen Gesellschaftswissenschaften und Praxis
Vor dem Hintergrund der beschriebenen hemmenden Faktoren gilt es, Kommunikationskriterien herzustellen, Rahmenbedingungen für einen Dialog zwischen Wissenschaft und Praxis zu schaffen und Erwartungen abzugleichen. Nicht zuletzt geht es auch darum, die individuellen und auch egoistischen Interessen der Dialogbeteiligten zu bedienen. Verletzte Eitelkeiten, etwa nach dem Motto "die Wissenschaft hat die wahre Rationalität, die Praxis ist selbst schuld, wenn sie sie nicht annimmt", stehen derartigen Verständigungsprozessen entgegen. Der Versuch einer Verständigung kann in handlungsentlastenden Organisationsformen gelingen. Hilfreich sind Institutionen, die Transdisziplinarität ermöglichen. Positive Ansatzpunkte in Form von Transferformaten und interdisziplinärer Forschung sind im Bereich der Technikforschung, beispielsweise durch die Fraunhofer-Institute, vorhanden. Dadurch können Netzwerke zwischen Wissenschaftlern und Praktikern entwickelt, Themen gesetzt und Dialog verändert werden. Wichtig wäre ein Paradigmenwechsel in dem Sinne, dass Wissenschafts-Praxis-Kontakte nicht nur auf eine Anwendung, sondern auch auf eine Umwandlung von Wissen abzielen. Der Dialog sollte dabei nicht hierarchisch, sondern gleichberechtigt stattfinden.
Transformation von Wissen kann nicht nur im Sinne einer Einbahnstraße in eine Richtung verlaufen. Gewinnbringend ist der gegenseitige Wissenstransfer, bei dem auch die Bürger als Experten in den Dialogprozess zwischen Wissenschaft und Praxis miteingebunden werden. Dazu sollte dieser Diskurs auf Dauer angelegt und verstetigt werden.
Dialogfördernd wäre außerdem die Verbindung von Grundlagen- und Anwendungsforschung. Dazu müssten neue Formate mit interdisziplinär vorgelagerten Prozessen gefunden werden, die auf reinen Grundlagenprojekten aufbauen, die interdisziplinäre und intersektorale Treffen mit der Praxis ermöglichen und die Grundlagenforschung schlussendlich sichtbar machen.
Mit Blick auf die Lehre ist ein Praxisbezug während des Studiums unerlässlich. Die Fähigkeit, sich über die Sektoren hinweg zu verständigen und Forschung zu vermitteln, ist essentiell für einen gelingenden Dialog. Exemplarisch könnte an dieser Stelle ein Medientraining für Doktoranden angeführt werden, das auch Verständnis für die Bedarfe der Medien vermittelt. Dazu gehören auch häugere Treffen zwischen Wissenschaft und Praxis, um eine gemeinsame Sprache zu nden. Exemplarisch lässt sich in diesem Bereich die "Journalist in Residence Fellowship" des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung anführen, die Journalistinnen und Journalisten eine intensive Zusammenarbeit mit der Wissenschaft ermöglicht und die Voraussetzung für gegenseitiges Verständnis schafft.
In der Summe geht es darum, wissenschaftliche Karrieren zu entschleunigen und Kompetenzen zu schaffen, die interdisziplinäres Arbeiten ermöglichen. Das bedarf mehr Zeit, geeigneter Formate und herrschaftsfreier Räume, in denen Dialog auf Augenhöhe stattfinden kann. Die Schader-Stiftung könnte mit dem Schader-Forum eine solche Arena der Handlungsentlastung bieten.
Perspektiven: Die Schader-Stiftung als handlungsentlastender Akteur
Die Schader-Stiftung kann den Dialog zwischen Gesellschaftswissenschaften und Praxis fördern, indem sie eine politisch und weltanschaulich nicht fixierte Stätte des Austauschs darstellt. Insbesondere für Nachwuchswissenschaftler kann sie Freiräume schaffen, um sie an den Schnittstellen zwischen Wissenschaft und Praxis zu unterstützen. Die Schader-Stiftung ermöglicht Dialogförderung und ist ein Ort, an dem überkomplexe oder bislang ausgesparte Top-Themen behandelt werden können. Die Themen müssen hierbei nicht politisch besetzt oder im wissenschaftlichen Ranking hoch angesiedelt sein. Die einzelnen Akteure und Disziplinen können in der Schader-Stiftung mit dem Ziel einer Dialogverdichtung zusammengebracht werden. Entscheidend ist an dieser Stelle die Sicherung der Kontinuität des Diskurses. Was das Format der Zusammenkünfte betrifft, ist der "Runde Tisch" ein exemplarisches Format. Entscheidend hierbei sind eine Regelmäßigkeit der Treffen und ein partiell konstanter Teilnehmendenkreis, um eine gewisse Kontinuität zu erreichen. Durch eine interdisziplinäre, intersektorale und statusdifferenzierte Zusammensetzung der Gesprächsrunden können Synergien entstehen. Es reicht also nicht nur aus, Treffen zu organisieren und die entsprechenden Räumlichkeiten zu stellen. Die Schader-Stiftung soll vielmehr seismographisch als "Themenwatcher" operieren und eine "Advocacy Function" für zu Unrecht liegengebliebene Themen wahrnehmen (zum Beispiel: Soziale Implikationen der Energiewende). Eine zusätzliche Handlungsoption für die Schader-Stiftung liegt darin, Agenda-Setting zu betreiben und bestimmte Themen voranzutreiben (zum Beispiel: Neuorganisation der privaten und öffentlichen Fürsorge; Nachhaltigkeit; Wachstum).
Durch die Schaffung eines Vertrauensraums, die Kontinuitätssicherung der Diskussion und den Einbezug partizipativer Elemente kann die Schader-Stiftung einen Beitrag für einen gelingenden Dialog zwischen Gesellschaftswissenschaften und Praxis leisten.
Aus Sicht der Moderatorin Vera de Wendt
Dialog erfordert die Bereitschaft, sich Zeit zu nehmen und "auf Augenhöhe" miteinander zu sprechen. Das gemeinsame Ziel des Dialogs kann das Ausloten der Möglichkeiten zur Verständigung sein, um sich dann darüber auszutauschen, inwieweit die Handlungslogiken kompatibel sind.
Sprachliche Annäherung als Voraussetzung für Dialoge kann durch neue Formate erreicht werden. Es könnten neue Zeitschriften etabliert werden, in denen wissenschaftliche Erkenntnisse in einer für die Praxis verständlichen Sprache aufbereitet werden. Mehr Doktorarbeiten könnten in die Praxis verlagert werden. Bereits bei der Formulierung von Forschungsvorhaben sollten praktische Nutzenaspekte berücksichtigt werden. Medientraining für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler kann zur besseren Verständigung beitragen. Durch Kontinuität gekennzeichnete Stammtisch-Formate wären hilfreich.
Die Schader-Stiftung kann die Vertrauensbildung zwischen interdisziplinären, intersektoralen und statusdifferenten Gruppen fördern und als neutraler Raum zur handlungsentlasteten Verständigung einladen. Dabei sollten "vergessene" und überkomplexe Themen den Vorzug erhalten.
WorldCafé 3 mit Prof. Dr. Klaus-Dieter Altmeppen
Dialog-Kommunikation in der Schader-Stiftung
Dialog muss kommuniziert werden, es reicht nicht aus, wenn er nur betrieben wird. Dies mag zunächst paradox erscheinen, schließlich ist Dialog eine Form der Kommunikation. Jedoch ist die Öffentlichkeit bei dieser Form – bei dem Dialog zwischen Gesellschaftswissenschaften und Praxis, wie er in der Schader-Stiftung betrieben wird – meist außen vor beziehungsweise schenkt diesem wenig (mediale) Aufmerksamkeit, so wird zu Beginn der WorldCafé-Runde festgestellt. Die Gesellschaftswissenschaften verfügen über wenige öffentlichkeitswirksame "Stars und Sternchen" und müssen ihre mediale Präsenz daher verstärkt selbst in die Hand nehmen. Die Schader-Stiftung sollte dabei zukünftig Unterstützung leisten, wie sie es bei der Vermittlung von Dialog bereits seit 25 Jahren erfolgreich tut. Konkret bedeutet das, die Schader-Stiftung spitzt ihren Stiftungsauftrag zu, indem sie den Dialog zwischen Gesellschaftswissenschaften und Praxis nicht nur herstellt, sondern diesen Dialog auch in und mit der Öffentlichkeit kommuniziert.
Die Schader-Stiftung als Förderer journalistischer Qualität
Öffentliche Kommunikation ist Grundlage moderner Gesellschaften. Kommunikation sorgt für Stabilität, gesellschaftliche Ordnung und Fortschritt. Allerdings gibt es zwei wachsende Problemlagen: den Generation Gap und die nachlassende Qualität der medialen beziehungsweise journalistischen Kommunikation. Ersteres äußert sich in einem Auseinanderdriften der jungen und alten Generationen durch die Wahl der Kommunikationsmittel – das bezieht sich auf die unterschiedliche Nutzung der Neuen Medien. So gibt es auch in den Gesellschaftswissenschaften Differenzen in der Art der Kommunikation zwischen Nachwuchsforschern und Etablierten. Die andere Problemlage – die nachlassende Qualität – lässt sich durch die extreme Ökonomisierung der Kommunikation erklären. Es kommt zu keiner Entwicklung von Qualität mehr: Die Redaktionen betreiben ein bloßes Sammeln von gewinnbringenden Agenturmeldungen und die prekären Arbeitsverhältnisse in der Branche erschweren die Recherche und Vermittlung komplexer Themen. In der medialen Kommunikation geht es heute ausschließlich um Quoten, dabei verachtet die Qualität der Transmission. Die Kommunikation leidet.
Konzeptionelle Ideen zur Qualitätssteigerung sind zwar vorhanden, beispielsweise als "Stiftung Medientest", werden in der Politik jedoch noch kaum wahrgenommen. An die Problematik der Verachung medialer Kommunikation sollte die Schader-Stiftung anknüpfen und zukünftig als Förderer von qualitätsvollem Journalismus auftreten. Denn für eine gelingende Kommunikation, insbesondere über den Dialog zwischen Gesellschaftswissenschaften und Praxis, ist guter Journalismus unabdingbar.
Good-Practice-Beispiele für die Förderung von gutem Journalismus gibt es deutschlandweit wenige. Diese Realität verweist nicht zuletzt auf die Dringlichkeit einer solchen Förderung, präzisiert ein Teilnehmer. Mögliche Aufgaben der Schader-Stiftung könnten deshalb sein: Die Medienlandschaft sowie das Medienverhalten im Hinblick auf Defizite und Probleme zu analysieren und überdies einen Preis für guten Wissenschaftsjournalismus beziehungsweise für gelingende wissenschaftliche Kommunikation zu verleihen. Ebenfalls sinnvoll erscheint der WorldCafé-Runde die Einrichtung einer Summer School für Journalisten, in der nicht nur qualitätsvoller Wissenschaftsjournalismus erarbeitet wird, sondern die Journalisten mit dem Gegenstand in Kontakt kommen, über den sie berichten sollen: den Dialog zwischen Gesellschaftswissenschaften und Praxis.
Koordinierung einer Dreiecksbeziehung
An diesen Gedanken schließt ein weiteres mögliches Tätigkeitsfeld der Stiftung an, nämlich Transferorganisator zu sein; Transferorganisator für die Wissenschaft, die Praxis und die Medien. Denn um Dialog besser beziehungsweise überhaupt kommunizieren zu können, bedarf es nicht nur einer Qualitätssteigerung der journalistischen Kommunikation, sondern auch einer Schnittstelle zwischen diesen drei Akteuren.
Die Schader-Stiftung könnte zukünftig diese Dreiecksbeziehung koordinieren und neben der Bereitstellung der Infrastruktur sowie der Förderung von gutem Wissenschaftsjournalismus auch die Wissenschaftler im Umgang mit den Medien trainieren. Zudem könnte über die Einrichtung einer Expertendatenbank als Service für Medienschaffende nachgedacht werden. Ihr Vorbild findet die Schader-Stiftung im "Mediendienst Integration", einer ebensolchen Service-Plattform zu den Themen Migration, Integration und Asyl in Deutschland. Die Schader-Stiftung könnte sich ebenfalls (nur) auf ihre Spezialthemen konzentrieren, und so ihr vorhandenes Mitarbeiterpotenzial entsprechend nutzen, so die Überlegungen.
Ferner sollte die Nutzung der Neuen Medien innerhalb der Gesellschaftswissenschaften sowie in deren Kommunikation mit der Praxis und Öffentlichkeit vorangetrieben werden. So könnte beispielsweise über die Erforschung sowie Erstellung eines Regelwerks zur "richtigen" Kommunikation nachgedacht werden. Auch im Hinblick auf den Generation Gap wäre dies eine erste mögliche Handlungsanleitung und zudem eine Anknüpfung an das Konzept des "Lebenslangen Lernens". Eine weitere Überlegung ist es, generell die Forschung zur kommunikativen Praxis stärker als Aufgabenfeld der Stiftung wahrzunehmen.
Indes herrscht in der WorldCafé-Runde Einigkeit darüber, dass die Schader-Stiftung nicht ausschließlich Schnittstelle beziehungsweise Transferorganisator sein sollte, sondern auch weiterhin Innovationskontor ist und bleibt, und ihre Ideen in den wissenschaftlichen Diskurs einführt.
Verstetigung durch Fachkompetenz – Die Schader-Stiftung als Innovationskontor
In der Vergangenheit hat sich die Schader-Stiftung in Good-Practice-Beispielen für die Vermittlung von Dialog sowie durch ihre Fachkompetenz und ihre Modellprojekte hervorgetan. Auch zukünftig sollte die Fachkompetenz in Form der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bestehen bleiben. Diese sollten von der Entwicklung des theoretischen Konzepts bis zur praktischen Umsetzung an einem Projekt beteiligt sein, ähnlich der Arbeitsweise des "Bauhaus Dessau". Inhaltliche Themen, die sich in der Vergangenheit als relevant erwiesen haben, wie der demographische Wandel, Leben in der Stadt oder Integration, sollten weiter- und tiefergehend erforscht werden. Zudem wird vorgeschlagen, diese Themenbereiche zusammenzuführen, um eine Erforschung von "Lebenswertigkeit" sicherzustellen und somit eine höhere Handlungsebene im Blick zu haben.
Eine zu breite und rein funktionale thematische Neuaufstellung, so ein Beitrag, sollte nicht die Zielsetzung der Schader-Stiftung sein, vielmehr gilt es neue Ideen nach Möglichkeit aus dem wissenschaftlichen "Nebenstrom" zu generieren und in bestehende Themenfelder einzuspeisen – sozusagen eine neuartige Herangehensweise an bestehende und eventuell stagnierende Themenfelder und wissenschaftliche Problemlagen zu finden. Die Kommunikation der Forschungsergebnisse in und mit der Öffentlichkeit sollte weiterhin durch Publikationen und vermehrt auch durch die Neuen Medien erfolgen.
Vor dem Hintergrund der Fachkompetenz der Schader-Stiftung sollte zukünftig zudem ein stärkerer Fokus auf die Verstetigung von Modellprojekten gelegt werden und ein weiterer auf die Aufwertung kultureller Wertschätzung.
Durch eine (verstärkte) Kommunikation des Dialogs von Gesellschaftswissenschaften und Praxis sowie dessen anwendungsorientierter Ergebnisse in die Öffentlichkeit, könnte die Schader-Stiftung in Kontakt mit den Bürgern treten. So würde ein besserer Austausch über die Realisierbarkeit anwendungsorientierter Wissenschaftsmodelle stattfinden und somit deren Verstetigung optimiert. Hinzu kommt, dass die Schader-Stiftung durch die Kommunikation des Dialogs zur Stärkung der Engagement-Kultur beitragen würde. Denn nur durch die Partizipation der Bürger, so wird argumentiert, geschieht tatsächlicher gesellschaftlicher Wandel. Überdies wird das Bewusstsein für verschiedenste Modellprojekte geschärft, wodurch letztlich kulturelle Wertschätzung zunimmt.
Aus Sicht des Moderators Dr. Patrick Honecker
Eine positive Form des Austauschs von Wissenschaft und Praxis wird in zahlreichen Projekten zur Migration und Diversität gesehen. Hier forciert die hohe gesellschaftliche Relevanz die Nachfrage an wissenschaftlicher Expertise.
Als problematisch wird von den Diskutanten sehr häufig die Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Medien beschrieben. Die vielfältigen Veränderungen in der medialen Praxis, von der Ökonomisierung bis zur Kannibalisierung durch digitale Formate, erschwert eine angemessene Form des Transports von relevanten Themen aus der Wissenschaft zu relevanten Zielgruppen.
Daher spricht man sich in dieser WorldCafé-Runde für unterstützende Maßnahmen der Schader-Stiftung im Bereich der Wissenschaftskommunikation aus. Dabei wird besonders der Wunsch nach moderierten Medientrainings im Stiftungszentrum formuliert.
WorldCafé 4 mit Prof. Dr. Stephan Lessenich
Gleichberechtigte Akteure
Einen Dialog zwischen zwei Akteuren kann es nur geben, wenn die Akteure selbst sich auf einer gleichberechtigten Ebene begegnen. Wichtig dabei ist, zu verdeutlichen, dass der Dialog an sich ernst genommen werden muss, dass es nicht um einen ansonsten meist monologisch geprägten Wissensaustausch geht. Einen solchen gleichberechtigten Dialog kann es zwischen Gesellschaftswissenschaft und Praxis aus rein ideologischen Gründen nicht geben, so die These eines Teilnehmenden. Vor einem Dialog mit der Praxis muss die Professionalisierung der Wissenschaft stehen und ihre Autonomievorstellung geklärt werden. Man benötigt allerdings den Dialog, um Probleme zu lösen. Die Gesellschaftswissenschaften verstehen sich jedoch als beobachtende Wissenschaft, die sich in das Handeln der Akteure nicht einzumischen sucht. Die Widersprüchlichkeit von Wissenschaft und Praxis und das Auseinanderdriften dieser beiden Pole durch ihre Professionalisierung zeigen, dass eine dritte Säule nötig wird, die sowohl die Sprache der Wissenschaft spricht als auch den Bezug zur Praxis herstellen kann.
Gemeinsame Sprache
Ein besonderes Problem bei der Debatte um einen erfolgreichen Dialog wird im Fehlen einer gemeinsamen Sprache von Wissenschaft und Praxis erkannt. Die Machtstrukturen des Feldes bedingen den Transfer von der Wissenschaft in die Praxis. Wer machtbewusst nachfragt, kann sich leichter Zugang zu wissenschaftlichem Wissen verschaffen. Es muss aber gelingen, auch weniger Machtvollen die Wege zu wissenschaftlichen Erkenntnissen zu ebnen. Es wird gefragt, ob man möglicherweise PR-Berater braucht, um sozialwissenschaftliche Erkenntnisse in die Öffentlichkeit zu bringen. An dieser Stelle stellt sich die Frage der Definition von Öffentlichkeit – dies könnten die verschiedensten Akteure sein: Geldgeber, Presse, Auftraggeber, Gemeinwesen.
Identifikation der Adressaten
Es ist problematisch, von einem Dialog zwischen Wissenschaft und Praxis zu sprechen und diesen einzufordern, wenn im Voraus unklar ist, wer die Praxis ist beziehungsweise diese repräsentiert. Adressaten können Organisationen und Personen gleichermaßen sein: "Man weiß nicht a priori, wer die potenziellen Partner sind." Eventuell braucht es neben der Politikberatung, die oft als Adressat des Austauschs zwischen Wissenschaft und Praxis gilt, eine Gesellschaftsberatung.
Gemeinsame Formulierung des Themas
Ein gelingender Dialog zwischen Wissenschaft und Praxis formuliert bereits das Thema, mit dem es sich zu beschäftigen gilt, gemeinsam. Die frühzeitige Bezugnahme führt zum Transfer von gegenseitigem Wissen – im Optimalfall gibt es während des Prozesses regelmäßige Rückmeldungen aus beiden Bereichen. Die Vielfalt der Themenbezüge und Fragestellungen ist jedoch bedingt durch die verschiedenen Formen der Forschungsförderung. Abhängig davon können Themen bereits gemeinsam formuliert werden oder aber abhängig sein von den Förderbedingungen selbst (Auftragsforschung, Drittmittelprojekte).
Bereitschaft zur Veränderung
Der Dialog bedarf eines klugen Situationsverständnisses; nach Aristoteles bedeutet dieses für die Akteure, situationsangemessen zu handeln und zu wissen, wo Handlungsbedarfe bestehen. Hierzu braucht es ein gegenseitiges Verständnis der Situation des jeweiligen Dialogpartners, namentlich der Gesellschaftswissenschaften und der Praxis. Die Praxis muss befähigt werden, wissenschaftlich zu denken und zu handeln, so wie gleichermaßen die Wissenschaft befähigt werden muss, praktisch zu denken und zu handeln. Eine eigene Forschungseinrichtung, die sich mit den Fragestellungen beschäftigt und den Bereich intermediär übernimmt, so die Überlegung, soll als eine dritte Säule den Dialog zwischen Wissenschaft und Praxis vermitteln. Es wird vorgeschlagen, dass die Stiftung die Aufgabe der Initialzündung eines "Leibniz-Instituts für Transformationsforschung" übernimmt.
Kontinuität des Dialogs
Um den Dialog zwischen Wissenschaft und Praxis erfolgreich zu fördern, ist es notwendig, ihn auf Dauer anzulegen. Nur so kann sichergestellt werden, dass ein regelmäßiger und konstruktiver Austausch stattfinden kann.
Themenstellungen für die zukünftige Arbeit der Stiftung
Möglicherweise ist ein spezielles Format vonnöten, um sozialwissenschaftliche Probleme zu erkennen. Um gesellschaftlich relevante Themen für die zukünftige Arbeit der Stiftung zu identifizieren, gibt es verschiedene Herangehensweisen, die abhängig sind von der Perspektive der Akteure. Im Folgenden wird dargestellt, welchen Einfluss diese unterschiedlichen Perspektiven auf die Fragestellungen nehmen.
Freiheit der Wissenschaft versus Probleme der Gesellschaft versus Auftragsforschung
Auf der einen Seite steht das Privileg freier Wissenschaft, die eigenen Themen selbst zu identizieren. Daneben gibt es Drittmittelprojekte und Auftragsforschung, bei denen zumindest im Groben Themen vorgegeben sind. Die Freiheit der Wissenschaft ist gefährdet, sobald Themenstellungen von außen vorgeschrieben werden.
Auf der anderen Seite stehen die gesellschaftlichen Akteure, die, so kann man meinen, ihre Probleme selbst am besten identifizieren können. Wer bestimmt also die Probleme – die Wissenschaft als Beobachter oder die Akteure als Interagierende? Eine Aufgabe der Stiftung kann es sein, Scheinprobleme zu identizieren und den öffentlichen Diskurs von Fehlwahrnehmungen zu befreien.
Zeitnähe versus Zeitferne
Die Relevanz von Themen ist von zeitlichen Gegebenheiten abhängig. Das Aufkommen von Themen innerhalb der Gesellschaft führt zu unterschiedlichen Betrachtungen in Wissenschaft und Praxis. Prioritätenbildung erfolgt oft durch politische Vorgaben. Der Zeitpunkt der gesellschaftlichen Relevanz eines Themas unterscheidet sich vom Zeitpunkt der Beschäftigung innerhalb der Wissenschaften mit diesem. Der interdisziplinäre Dialog ist abhängig von Zyklen und Amtszeiten in Ministerien und der Regierung, die bestimmen, welche Themen aktuell relevant werden. Diese zeitliche Relevanz ist eine besondere Herausforderung beim Generieren von Themen für die zukünftige Stiftungsarbeit.
Die Rolle der Stiftung
Im Verlauf des Gesprächs mit den unterschiedlichen Teilnehmenden wird deutlich, dass diese sich verschiedene Aufgaben für die Stiftung vorstellen können.
Themeninkubator und Themenscout
Ein Teil der Teilnehmenden sieht die Stiftung in der Funktion eines "Themeninkubators". Die Stiftung soll frühzeitig zukünftige Themen erkennen und diese sowohl in der Wissenschaft als auch in der Praxis kommunizieren. Ein Vorschlag für konkrete Fragestellungen, zu denen sich die Stiftung beschäftigen sollte: 1. (an die Keynote des Vormittags angelehnt): Wie ist mit der Expansion umzugehen – sind wachstumsferne Gesellschaften denkbar?
2. Unter welchen Bedingungen kann die Lernfähigkeit der Praxis und der Wissenschaft gesteigert werden (Zeittakt, Beschleunigung durch neue Kommunikationswege)? Andere Teilnehmende sehen die Aufgabe der Stiftung darin, Themen zu identizieren, die noch nicht oder noch nicht ausreichend von den Sozialwissenschaften aufgegriffen wurden. Als konkretes Beispiel werden die Themen Prostitution und Altersdiskriminierung genannt, die in Deutschland noch nicht ausreichend behandelt werden. Die Funktion der Stiftung als Themenscout bringt eine Vielfalt von Themen mit sich.
Vermittlungsinstanz
Als weitere mögliche Aufgabe für die Stiftung wird das "Matchmaking" genannt. Die Stiftung kann als Vermittler fungieren, den Austausch von Wissenschaft und Praxis insofern zu fördern, als dass das Wissen in die Praxis getragen und gleichermaßen Problemstellungen in die Wissenschaft transportiert werden. Um im Dialog zwischen Wissenschaft und Praxis erfolgreich zu sein, bedarf es eines Dialogs innerhalb der Wissenschaften. Die Sozialwissenschaften brauchen selbst einen institutionalisierten Dialog als Vorstufe, damit die Wissenschaft mit der Praxis in Dialog treten kann. Das Einüben von Sprechweisen ist dabei von basaler Bedeutung. Es gibt derzeit keinen institutionalisierten Dialog der Gesellschaftswissenschaften untereinander innerhalb der Universitäten. Die Schader-Stiftung kann also als Vermittler zwischen Praxis und Wissenschaft einerseits und innerhalb der Wissenschaft andererseits fungieren.
Übersetzungsagentur
Die Stiftung kann sich als Initialzünder eines "Leibniz-Instituts für Transformationsforschung" verstehen, als eine Institution zwischen Wissenschaft und Praxis – eine intermediäre Instanz, die die Sprache der Wissenschaft und der Praxis jeweils für die andere Seite "übersetzt".
Plattform/Börse
Die Stiftung als Plattform oder Börse, auf der einerseits die Praxis und auf der anderen Seite die Wissenschaft ihre aktuellen Themen und Problemstellungen (etwa auf regionaler Ebene) darstellen kann.
Experte für einen Themenkomplex
Entgegen den voranstehenden Aufgaben, die die Teilnehmenden für die Schader-Stiftung sehen, gibt es die Meinung, dass sich diese auf ein Themengebiet fokussieren sollte, in dem die Stiftung Expertise anbieten kann und zu welchem die Arbeit intensiviert werden kann. Wenn man die Themen der Gesellschaftswissenschaften in ihrer vollen Breite versucht zu behandeln, überfordert das die Stiftung – so diese Meinung. Je kleiner das Themengebiet, desto besser.
Aus Sicht des Moderators Dr. Thomas Windmann
Die Gesprächsrunden im WorldCafé sind geprägt von grundsätzlichen Problemdiskussionen und konstruktiven Lösungsansätzen. Kann es einen echten Dialog zwischen den Gesellschaftswissenschaften und der Praxis geben? Ja: Wenn alle zu Veränderungen bereit sind und sich auf Augenhöhe begegnen! Die frühzeitige Bezugnahme zur Praxis, ein Abgleichen der Problemwahrnehmung aller Beteiligten und die Analyse des machtstrukturierten Umfeldes in Projekten werden angestrebt, um zukünftig die Erwartungen zu treffen und die Erfolge nachhaltig zu sichern. Die Zielgruppen der Gesellschaftswissenschaften bezogen auf die Öffentlichkeits- und Lobbyarbeit werden immer wieder thematisiert. Potenzielle Handlungsfelder für die Schader-Stiftung sehen die Diskussionsteilnehmer im Vermitteln und Übersetzen zwischen Wissenschaft und Praxis, dem Matchmaking der Partner, dem Themenscouting und der Rolle der Stiftung als Inkubator für zukünftige Trends.
WorldCafé 5 mit Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Renate Mayntz
Welche Praxis meint die Frage nach guter Praxis?
Die Frage nach Beispielen guter Praxis des Dialogs zwischen Gesellschaftswissenschaften und Praxis fordert zunächst zwei Gegenfragen heraus. Zum ersten: Welche Praxis der vielen möglichen ist gemeint, wer ist jeweils Gegenpart der Gesellschaftswissenschaften? Persönliche Erfahrungen, so Professorin Mayntz, habe sie nur im Dialog mit der Politik. Zum zweiten stellt sich die Frage, welche Art der Kommunikation als Dialog bezeichnet werden soll.
Wissenschaftskommunikation hat vielfältige Formen
Die Kommunikation von wissenschaftlichen Ergebnissen findet in vielen Formen statt. Besonders die Naturwissenschaften bedienen sich dieser Vielfalt. Diese bemühen sich darum, ihre Arbeit möglichst verständlich und möglichst breit zu kommunizieren. Ein solch breiter, auf ein Verständnis der Öffentlichkeit ("public understanding of science") angelegter Ansatz findet sich in den Sozialwissenschaften nicht. Dort gibt es punktuelle, auf einzelne Themenfelder beschränkte Bemühungen, wissenschaftliche Ergebnisse für die Medien aufzubereiten und den Medien den Zugang zu Experten zu vermitteln. Dialogartige Gesprächsformen, die nicht zwingend unter Beteiligung von Gesellschaftswissenschaftlern stattfinden, aber als Vorbilder dienen könnten, finden sich beispielsweise in den evangelischen Akademien. Diese machen es sich zur Aufgabe, Konfliktparteien zu einem Gespräch zusammenzuführen und Gespräche zwischen Gruppen anzuregen, zwischen denen bislang keine Kommunikation stattfindet. Als weiteres Beispiel wird der Bergedorfer Gesprächskreis der Körber-Stiftung genannt, der jedoch auf eine Kommunikation innerhalb der intellektuellen und politischen Elite beschränkt ist. Zukunftswerkstätten oder Wahrheitskommissionen sind weitere Beispiele.
Dialog ist Aufklärung und Kooperationsanbahnung
Dialog ist nur eine von vielen möglichen Formen der Kommunikation zwischen Wissenschaft und Praxis. So sind Beratung und Dialog durchaus unterschiedliche Ansätze. Während etwa Beratung von Politik handlungsorientiert ist, bezeichnet Dialog eine ergebnisoffene Verständigung. Damit entspricht Dialog als Form auch eher einem Selbstverständnis der Sozialwissenschaftler, sich als Problemdiagnostiker zu begreifen, die im klassischen Sinne über die Verhältnisse aufklären – im Gegensatz zu einem Anspruch, Probleme lösen zu wollen. Beratung soll in diesem Sinne zu besserer Politik führen, Dialog allerdings zu Kooperation.
Ganz generell kann man sich Dialog als eine Kommunikation zwischen (potentiellen) Kooperationspartnern vorstellen. Dialogpartner haben jedoch nicht unbedingt gemeinsame, sondern möglicherweise ganz verschiedene Ziele und Interessen. Dies wirft die Frage auf, unter welchen Umständen Kooperation bei unterschiedlichen Interessen überhaupt möglich ist. Diese Frage ist sowohl als praktisches wie als wissenschaftliches Problem wohlbekannt. Entscheidend für das Ergebnis ist, ob sich die Dialogpartner als Gleichberechtigte gegenüberstehen oder einer übergeordneten hierarchischen Instanz unterstehen. Letztere kann Kooperation erzwingen. Ob ein von der Politik erzwungener Dialog jedoch ein Muster für die Kommunikation zwischen Gesellschaftswissenschaften und Praxis sein kann, ist sehr fraglich.
Beschränkt sich die Wissenschaft auf die Bereitstellung von Informationen, so genügt dies nicht für das Zustandekommen einer wirklichen Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Praxis. Der eigentliche Brückenschlag besteht in der Anwendung wissenschaftlicher Theorien und Kenntnisse, wofür es in den Sozialwissenschaften kaum systematische Ansätze gibt.
"Gemeinsamer Verstehenshorizont" ist Bedingung des Dialogs
Die Verständigung unterschiedlicher Partner ist nicht nur aufgrund eventuell verschiedener Interessenlagen voraussetzungsvoll. Die Frage ist: Unter welchen Bedingungen können sie sich gegenseitig verstehen? Zunächst muss es eine grundsätzliche Bereitschaft zur Kommunikation mit Menschen aus anderen Bereichen oder Milieus geben. Darüber hinaus setzt ein Dialog zweierlei voraus: Zum einen ein Motiv, sich auf das Gespräch einzulassen und zum anderen einen gemeinsamen Gesprächsgegenstand. Der individuelle Anreiz und das verbindende Thema sind Bedingungen für einen gemeinsamen Verstehenshorizont. Eine weitere wichtige Rahmenbedingung ist Zeit, die für das wechselseitige Kennenlernen und den Aufbau von Vertrauen notwendig ist.
Wissenschaftliche Politikberatung funktioniert nicht
Sozialwissenschaftliche Beratung von Politik, so wird anhand persönlicher Erfahrungen geschildert, verlaufe aus wissenschaftlicher Sicht regelmäßig ergebnislos. Dies gelte für Anhörungen und Beratungsgremien, und in etwas eingeschränkter Form auch für Enquete-Kommissionen. Oft würde den vortragenden Wissenschaftlern gar nicht zugehört. Wenn etwas aufgegriffen wird, so oftmals als vorschnelle Umsetzung unausgereifter Gedanken oder Jahre später in einem ganz anderen Kontext. Dies ist den unterschiedlichen Rationalitäten von Politik und Wissenschaft geschuldet, aber ebenso dem Gegensatz einer sich auf Problemdiagnose konzentrierenden Sozialwissenschaft und einer an Handlungsansätzen interessierten Politikpraxis. Übrig bleibt bei einzelnen Wissenschaftlern die Hoffnung, einmal in einem persönlichen Gespräch mit einem Entscheidungsträger Ideen vorzubringen, die in Erinnerung bleiben und deren Zeit irgendwann einmal kommt.
Die Kritik, sozialwissenschaftliche Argumente könnten je nach politischer Bedarfslage beliebig beschafft werden, wird zurückgewiesen. Es besteht ein erheblicher Unterschied zwischen der Gutachtertätigkeit eines gezielt ausgewählten Einzelwissenschaftlers und der Tätigkeit eines unabhängig agierenden wissenschaftlichen Gremiums. Wer über den mutmaßlich geringen Sachverstand von Politikern klagt, berücksichtigt dabei nicht, dass Politik eine Querschnittsaufgabe ist und stets eine Fülle von Themen zu behandeln hat, so einer der Teilnehmenden. Andere Praxisfelder sind dagegen thematisch wesentlich konzentrierter angelegt, was vermutlich auch zu anderen Formen der Rezeption führt.
Deutlich kritisiert wird die Vorstellung, Politikberatung durch die Wissenschaft müsse auf die Übernahme wissenschaftlicher Gedanken in die Politik hinauslaufen. Ein Teilnehmender hält dies für anmaßend, denn damit will der Wissenschaftler das politische Ergebnis vorwegnehmen und letztlich demokratische Entscheidungen durch wissenschaftlichen Ratschlag ersetzen.
Die gesellschaftliche Problembearbeitung ist bereits verwissenschaftlicht
Der Kontakt mit der akademischen Wissenschaft an Hochschulen ist für eine wissenschaftliche Problembearbeitung in vielen Fällen nicht erforderlich. Die Professionalisierung der Praxis hat dazu geführt, dass diese Aufgabe in Organisationen von wissenschaftlich ausgebildetem Personal übernommen wird. Dies zeigt auch, welche Bedeutung der berufliche Verbleib von Absolventen für das Verhältnis zwischen Gesellschaftswissenschaften und Praxis hat.
Gesellschaftswissenschaften sollen Hilfe zur Verhaltensänderung leisten
Auf die Frage, welchen speziellen inhaltlichen Beitrag die Gesellschaftswissenschaften für bestimmte Praxisfelder leisten können, werden keine Antworten genannt. Allgemeiner wird ihr Potenzial mit Problembeschreibung und Ursachenanalyse dargestellt. Lösungen können die Gesellschaftswissenschaften nicht anbieten, da damit immer zugleich auch Wertfragen verbunden sind. Die Wertfreiheit der Wissenschaft kann aber gewahrt bleiben, wenn diese sich auf die Analyse der meist ohnehin bereits vorhandenen Lösungsvorschläge beschränkt, und deren mögliche Risiken und Nebenwirkungen aufzeigt. Dies sind dann wissenschaftliche Aussagen über die möglichen Folgen beabsichtigten Handelns. Gehör bei der Politik werden solche Überlegungen jedoch nur in den Phasen vor politischen Entscheidungen finden.
Dagegen sind die Erwartungen anderer Disziplinen und aus der Praxis an das, was die Gesellschaftswissenschaft leisten soll, recht eindeutig: Sie soll Hilfen zur Verhaltensänderung bereitstellen. Die Sozialwissenschaft hat hierfür jedoch keine Antworten, da sie sich in der Regel darauf beschränkt, das Zustandekommen bestehender Verhaltensweisen zu erklären, jedoch nicht untersucht, wie diese zu verändern sind. Es wird eine neue Art von Forschung benötigt, die neue Praktiken initiiert. Beispielhaft hierfür ist Professor Wolfgang van den Daele zu nennen, der Deliberationsverfahren initiiert und empirisch studiert hat.
Mögliche Dialogthemen für die Sozialwissenschaften schwer greifbar?
Als gesellschaftliche Problemlagen, die zum Thema eines Dialogs gemacht werden sollten, werden unter anderem genannt: Wie können die auseinanderdriftenden gesellschaftlichen Milieus wieder zusammengeführt werden? Kommunikation über Milieugrenzen hinweg findet, so sagt die Stadtforschung, immer weniger statt. Wer kann die Stadt-Umland-Beziehungen gestalten, wer die Innenentwicklung der Städte? Auch die Energiewende ist ein drängendes Thema. Als aktuelles Beispiel der Stiftungsarbeit wird die Verknüpfung der Themenfelder Arbeitsmarkt, demographischer Wandel und Regionalentwicklung genannt: Wie können ländliche Regionen angesichts des Fachkräftemangels im Kampf um die besten Köpfe mithalten? Welche Rolle kann hier eine gezielte Integrationspolitik spielen?
Die genannten Beispielthemen zeichnen sich dadurch aus, dass sie "immer das ganze Leben umfassen", sich also mindestens aus Sicht der Praxis als hochkomplexe, sich über die Zeit verändernde Zusammenhänge darstellen. Doch die Fluidität und Veränderlichkeit eines Gegenstands ist aus Sicht der Sozialwissenschaft problematisch: Die Gültigkeit wissenschaftlicher Aussagen ist zeitlich beschränkt. Was heute richtig war, kann in wenigen Jahren falsch sein. Zwar kann dies mit einer regelmäßigen, institutionalisierten Berichterstattung über ein Feld aufgefangen werden, bei einzelnen Aussagen ist man dagegen vorsichtig. Darin zeigt sich eine Sehnsucht nach einfachen Rahmenbedingungen, wird aus Sicht der Praxis entgegnet, mit einem diagnostischen Bericht macht es sich die Wissenschaft zu leicht. Im gemeinsam definierten Sinn besteht Dialog darin, Akteure zu einer Kooperation zu bringen. Das ist erheblich schwerer.
Benötigt Dialog einen geschützten Raum?
Da der Druck von Machtverhältnissen und Rollenerwartungen Hindernisse eines offenen Dialogs sind, so ein Argument, muss es "geschützte Räume" geben, in denen die Gesprächspartner von diesem Druck befreit sind. Die Räume dürften keine „Ohren haben“ und man müsse dem Dialog eine längere Laufzeit geben. Dem wird deutlich widersprochen: Der "geschützte Raum" ist keine Option, die einen Dialog mit Politikern ermöglicht. Denen fehlt es schon an der nötigen Zeit. Üblich ist ein kurzer Small Talk, schon ein zweistündiges Gespräch ist eine absolute Ausnahme. Im Übrigen werden die Ideen eines individuellen Politikers im Prozess der politischen Willensbildung zermahlen. Persönliche Überzeugung genügt nicht, um politisch handlungsfähig zu sein. Es sind beispielsweise Koalitionszwänge und Ressortzuständigkeiten zu beachten, und im politischen Multi-Vetosystem der Bundesrepublik müssen auch die übrigen Vetospieler überzeugt werden.
Hilfreich kann ein geschütztes Dialogsetting jedoch für die Kommunikation mit anderen Praxisgruppen sein: Da die Angehörigen der Exekutive in anderen Zeithorizonten denken können und nicht unter den gleichen Zwängen stehen wie Politiker, sind sie für die Wissenschaft die interessanteren Gesprächspartner. Auch Organisationen der Zivilgesellschaft oder Bürgergruppen kommen als Dialogpartner in Frage.
Modelle für die Stiftungsarbeit
Dialog, so hat die Diskussion gezeigt, braucht zu seinem Entstehen verbindende Themen und Motivation zum Gespräch. Dialog benötigt auch, so ein Hinweis, den Mut zum Unperfekten, die Bereitschaft, sich auf Unfertiges oder Unvollendetes einzulassen. Hier hat die Wissenschaft große Schwierigkeiten, denn sie wartet die Perfektion ihrer Aussagen ab, bis sie zum Gespräch bereit ist. Deswegen hinkt sie der Diskussion hinterher. Für die Praxis hat dagegen die rasche Verbreitung und Diskussion von experimentellen Erfahrungen oder "best practices" großen Nutzen. Dem wird entgegnet, dass die Verbreitung von "best practice"-Beispielen oftmals wenig Substanz hat. Das Grundproblem bleibt jedoch, wie Beispiele aus Experimenten oder "best practices" in andere Kontexte transferiert werden können. Voraussetzungen zur Umsetzung solcher Erfahrungen sind Macht oder mindestens eine Lern- und Veränderungsbereitschaft der Gesellschaft. In China wird systematisch mit gesellschaftlichen Regeln experimentiert und diese gegebenenfalls auf andere Regionen übertragen. Doch in China, so ein Einwand, wird nicht die Blaupause 1:1 übernommen, sondern aus der Vorlage etwas Eigenes entwickelt.
Wenn Dialog nicht von alleine entsteht, so muss sein Entstehen gefördert werden. Der erste Impuls kann von einer Förderinstanz ausgehen, die Themen setzt und gezielt zum Gespräch einlädt. Im Alternativmodell geht der Impuls von einem der Gesprächspartner aus, der dann von der Förderinstanz unterstützt wird. Doch die Gesellschaftswissenschaft beschränkt sich selbst, merkt ein Teilnehmer an, sie will ja nur analysieren. Im Gegensatz dazu ist ein pädagogisches Arbeiten nicht möglich, ohne sich ganz selbstverständlich in einem normativen Rahmen zu bewegen, und ohne zu gestalten. Die Schader-Stiftung, so der Schluss, muss daher auch selber Initiative ergreifen. Dialog, der erfolgreich sein will, muss Dauer haben, es braucht dafür Zeit und einen Rahmen. Als mögliche Form der Dialogförderung wird der Schader-Stiftung vorgeschlagen, Arbeitsgemeinschaften von Wissenschaftlern und Praktikern zu schaffen, die sich in einer gewissen Kontinuität treffen und auf ein bestimmtes Arbeitsergebnis oder Produkt hinarbeiten. Die zentrale Frage der Förderung des Dialogs zwischen Gesellschaftswissenschaften und Praxis bleibt stets: Wer redet mit wem, zu welchem Thema und warum?
Aus Sicht des Moderators Dr. Michael Hinz
An der Jubiläumstagung der Schader-Stiftung als Moderator teilgenommen zu haben, war ein ertragreiches Vergnügen. Für bemerkenswert halte ich insbesondere zwei Dinge: Zum einen die Nachdrücklichkeit und Nachhaltigkeit, mit der die Stiftung ihre Partner – aktuelle wie künftige – in ihre Themenndung und Strategieentwicklung für die kommenden Jahre einzubinden versucht. Und zum anderen den Mut, sich insbesondere mit dem Programmteil WorldCafé eines Formates zu bedienen, das gerade bei einem Kreis von Teilnehmerinnen und Teilnehmern, die dieses Format nicht kennen, ein gewisses Risiko in sich birgt, auf der anderen Seite aber auch große Chancen mit sich bringt. Im Ergebnis der von mir moderierten WorldCafé-Runde sehe ich zahlreiche Ideen und Anregungen für die weitere Arbeit der Schader-Stiftung, die in Auswertung der Tagung hoffentlich insgesamt zu dem Ergebnis kommt: Experiment gelungen!
WorldCafé 6 mit Prof. Dr. Thomas Pleil
Rolle der Online-Kommunikation für die Gesellschaftswissenschaften
Das Internet prägt zunehmend die Realitätskonstruktion und damit die Wahrnehmung von Themen. Das Internetangebot kann man untergliedern in ein Informationsangebot und ein Angebot des Dialogs.
Bezüglich der Nutzung der Online-Kommunikation für den Dialog zwischen denGesellschaftswissenschaften und der Praxis stellen sich einige grundlegende Fragen:
- Was findet man im Netz und was sollte man finden?
- Welche Ansätze des Dialogs mit der Praxis sind sinnvoll?
- Was bringt die Online-Publikation für die Wissenschaft?
- Wie steht es mit der Öffentlichkeit der Lehre?
- Welche Bedeutung haben "Social Media" und spezielle Plattformen für den Dialog?
Bisher wird die Online-Publikation in den Gesellschaftswissenschaften eher gering bewertet. Bei großer Publikationsfreude im Internet besteht sogar die Gefahr der Reputationsminderung, man gilt schnell als "Dampfplauderer". Gedruckte Publikationen und die Veröffentlichung von Aufsätzen in referierten Fachzeitschriften gelten immer noch als Maßstab für die wissenschaftliche Anerkennung. Dadurch gibt es wenig Anreiz, das Internet für die Kommunikation nicht nur mit der Praxis sondern auch innerhalb der Wissenschaft zum Beispiel zur Vernetzung zu nutzen. Das Internet dient bisher vor allem als Informationspool und als mediales Hilfsmittel.
Es gibt allerdings einige positive Beispiele für den Online-Dialog:
- Twitterkanal der Historiker mit Informationen zur Reichsprogromnacht am 9. November 1938,
- Videoserie in den USA zu wirtschaftswissenschaftlichen Themen,
- Science Blogs – die bisher jedoch vor allem im naturwissenschaftlichen Bereich angesiedelt sind.
Motivlage und Zielgruppen des Dialogs
Die Motive für den Dialog können zum einen gemeinwohlorientiert sein – man will zur Lösung eines gesellschaftlichen Problems beitragen. Zum anderen können ganz egoistische Motive dahinter stehen, zum Beispiel die Förderung der eigenen Karriere durch den Dialog. Beide Motive können sich ergänzen oder überschneiden. Voraussetzung, dass ein Wissenschafts-Praxis-Dialog gelingt, ist eine Praxis, die wissenschaftliche Expertise abruft und eine Wissenschaft, die Antworten anbietet. Es stellt sich also die Frage nach den Zielgruppen und Akteuren für einen wirksamen Dialog.
Bei den Zielgruppen der Wissenschaft ist zu unterscheiden zwischen den Akteuren im Anwendungsbereich und der allgemeinen Öffentlichkeit und Politik. Wissenschaft braucht in der Regel enge Bezüge zu bestimmten Praxisgruppen, dies gilt insbesondere für die sogenannten Bindestrich-Soziologien, zum Beispiel die Arbeitssoziologie zu den Gewerkschaften. In der Rechtspraxis ist der intensive Dialog zwischen den Rechtswissenschaften und der Anwendungsebene des Rechts gang und gäbe. Im Zentrum des Dialogs stehen demnach Inhalte und je nach Disziplin und Anwendungsfeld ist der Dialog auch in den Dialogformaten verschieden.
Der Dialog darf keine Einbahnstraße sein, zum Beispiel als Angebot der Wissenschaft an die Praxis, sondern muss auch umgekehrt als Lernen von der Praxis verlaufen. Die Probleme der Praxis fallen nicht in den Kompetenzbereich einer einzigen Wissenschaft. Die Motivlage muss also auf beiden Seiten korrespondieren. Voraussetzung für einen wirksamen Dialog ist ein Akteursmix, die Nutzung der Interdisziplinarität der Wissenschaft (zum Beispiel die Arbeitssoziologie mit den Arbeitswissenschaften) und das Finden einer gemeinsamen Sprache.
Doch wie kann die Zielgruppe erweitert werden und damit die Kampagnenfähigkeit der Wissenschaft und der Einfluss auf die Politik? Hier bietet die verstärkte Online-Kommunikation eine geeignete Plattform, verbessert die Möglichkeit der Teilhabe und die Nutzung wissenschaftlicher Expertise zum Beispiel durch Nichtregierungsorganisationen.
Voraussetzungen für einen wirksamen Online-Dialog
Die Voraussetzungen für den Dialog sind:
- Das Selbstverständnis der Wissenschaft zum Beispiel als Citizen Science,
- die Medienkompetenz der Wissenschaften – Web Literacy,
- ausreichend Zeit und Ressourcen von Wissenschaft und Praxis für den Dialog.
Das Internet kann den Raum für den Dialog erweitern. Der Online-Dialog braucht jedoch klare Spielregeln, er muss betreut und begleitet werden und die Anforderungen müssen definiert sein. Wichtig ist auch Vertrauen in Format und Institution als Grundlage für einen wirksamen Dialog. Folgende Voraussetzungen müssen also gegeben sein:
- Festlegung von Zielen und Aufgabenstellung,
- zeitliche und personelle Ressourcen,
- Einsatz eines Dialogmanagers,
- Festlegung eines Zeitrahmens.
Die Erfahrung zeigt, dass moderierte Online-Foren geeignete Dialogformate sind, wobei die Moderation durch einen Dialogmanager als fördernder Faktor entscheidend ist. Als weiterer fördernder Faktor ist eine serviceorientierte Anfangsschulung zur Schaffung von Dialogstrukturen vor allem für die Wissenschaft vorstellbar und wünschenswert.
Als eher hemmender Faktor wird die komplexe sprachliche Konstruktion in den Gesellschaftswissenschaften angesehen. Sie gilt als Herrschafts- und Kompetenzausweis. Einig sind sich die Teilnehmenden, dass die Sprache vereinfacht werden muss, um einen wirksamen Dialog führen zu können. Als weiterer hemmender Faktor wird das Fehlen von Leitmedien und Qualitätsjournalismus im Internet hervorgehoben. Es gibt zwar einzelne Lichtblicke, die sich langsam herauskristallisieren, aber insgesamt ist das Feld eher bunt und der Online-Diskurs wenig qualitätsvoll. Angemerkt wird, dass die Kommunikation zwischen Wissenschaft und Praxis weiterhin on- und ofine erfolgen sollte. Es hat sich als sinnvoll erwiesen, Online-Angebote durch direkte Kommunikation und den persönlichen Erfahrungsaustausch zu ergänzen, wobei Online-Offline-Grenzen zunehmend verschwimmen.
Gesellschaftswissenschaftliche Herausforderungen der nächsten zehn Jahre?
Bei der Frage nach den gesellschaftswissenschaftlichen Herausforderungen, den zentralen Fragestellungen und Perspektiven für die Zukunft, sind vier Bereiche hervorzuheben:
- Inklusion verknüpft mit Demographie und Vielfalt, gesellschaftliche Teilhabe und soziale Gerechtigkeit.
- Transformation der Gesellschaft durch die extreme Veränderung von Arbeit und Beruf. Mit dem Bedeutungsverlust von Arbeit geht ein zunehmender Identitätsverlust einher, der durch die Neuen Medien beschleunigt wird. Es stellt sich die Frage, ob komplexe Gesellschaften noch eine vernünftige Identität ausbilden können.
- Die Ausdifferenzierung der gesellschaftlichen Milieus und Identitäten und die Wechselbeziehung von Gesellschaft und Individuum. Wie sind die Fliehkräfte der unterschiedlichen Milieus zu bewerten und wie kann ein neuer gesellschaftlicher Zusammenhalt entstehen?
- Die Zukunft der Demokratie nach dem NSA-Skandal. Die Demokratie muss neu gedacht und vermessen werden und als Thema operationalisiert werden.
Welche Rolle könnten Stiftungen als Partner für den Dialog spielen?
Der Vorteil von Stiftungen ist, dass sie ohne Eigeninteresse Menschen zusammenbringen und den Dialog initiieren können. Dadurch genießen sie eine Vertrauensposition, die sie zu idealen Partnern des Dialogs zwischen Wissenschaft und Praxis macht. Sie können zudem ohne Rücksicht auf Interessen und Politik eigene Themen setzen. Das Programm "Lernen vor Ort" hat gezeigt, dass Stiftungen als "Irritation" des kommunalen Dialogs fungieren und damit neue Impulse setzen können. Stiftungen können innovative Ideen und Erfahrungen aufbereiten und kommunizieren, können also Erfahrungs- und Wissensmanagement betreiben und Lernplattformen für junge Menschen anbieten. Das Handlungsspektrum könnte ergänzt werden durch die Bewertung wirksamer Dialogformate und eine Aufbereitung entsprechender Good-Practice-Beispiele im Internet. Die Rolle von Stiftungen kann also vielfältig sein.
Ausgehend von den beschriebenen Herausforderungen sind für die zukünftige Arbeit der Schader-Stiftung folgende strategische Themenfelder vorstellbar:
- Zukunft der Demokratie,
- Zukunft des Wirtschaftens,
- Nachhaltigkeit,
- Generationengerechtigkeit und soziale Gerechtigkeit,
- Migration, Demographie, alternde Gesellschaft,
- Realität 2.0: Bedeutung künstlicher Intelligenz, Strukturierung des Alltags durch Algorithmen / Smart Living /"Autonomie" von Maschinen,
- Überwachung Internetverkehr,
- Bildung: Lebenslanges Lernen, Zukunft von Schulabbrechern.
Die Themen "Zukunft der Demokratie" und "Zukunft des Wirtschaftens" werden dabei als prioritär aber als schwierig und abstrakt für den Dialog mit der Praxis eingeschätzt.
Aus Sicht des Moderators Prof. Dr. Franz Nick
Unter dem Eindruck der morgendlichen Keynotes werden die Nachhaltigkeit und die Zukunft des Wirtschaftens als besonders bedeutsame Themen diskutiert, wovon Projektaufträge abgeleitet werden sollten. Auch die Zukunft der Demokratie, unter den Aspekten der Steuerung der Gesellschaft, der Wissensgesellschaft und der sozialen Gerechtigkeit wird als wichtiger Themenpulk für den Dialog herausgestellt. Eine These lautet dabei: Die Demokratie muss neu vermessen werden.
Perspektivisch sollte nach Auffassung der WorldCafé-Besucher die Transformation der Gesellschaft mit Blick auf die Veränderungen von Arbeit und gewandelte Berufsbilder das Interesse der Schader-Stiftung finden. Ebenfalls verdient die Veränderung der Kommunikation in der Gesellschaft durch soziale Netzwerke Beachtung. Die Online-Kommunikation wird als Instrument zur Unterstützung des Dialogs, insbesondere wegen der vergrößerten Reichweite, gesehen. Dabei müsste sich jedoch die Wissenschaftssprache um Verständlichkeit für die Praxis bemühen.
WorldCafé 7 mit Prof. Dipl.-Ing. Julian Wékel
Gute Erfahrungen im Dialog zwischen Wissenschaft und Praxis
Die Disziplinen Stadtplanung und Architektur bilden ein Feld vielfältiger Dialogbeziehungen zwischen Akteuren und Stakeholdern. Eine Status quo-Betrachtung zeigt, dass der Dialog zwischen diesen Wissenschaften und der Praxis bereits in Akademien stattfindet, wie beispielsweise der Deutschen Akademie für Städtebau und Landesplanung, sowie in Hochschulen und Stiftungen. Diese Akteure bieten gute Zugänge zu den Dialogpartnern.Förderlich gestalten sich in diesem Zusammenhang vor allem "familiäre Situationen" – die Möglichkeit, sich in einem engen Kreis austauschen zu können. Einen solchen Ort der Begegnung und des Austauschs bietet auch die Schader-Stiftung.
Kommunen und Wissenschaft brauchen Orte für Experimente und Bürgerwissen Ein Beispiel, wie die Wissenschaft ihren Weg in die Praxis findet, wird von den Teilnehmenden auf der kommunalen Handlungsebene gesehen. Manche Kommunen greifen zur Bewältigung komplexer kommunaler Zukunftsaufgaben und zur Legitimation kommunalpolitischen Handelns auf wissenschaftliche Expertise zurück und kommunizieren diese somit auch in die Praxis. Da den Kommunen oftmals der Raum und die Möglichkeiten fehlen, neue experimentelle Wege einzuschlagen, werden vorrangig abgesicherte beziehungsweise anwendungserprobte wissenschaftliche Erkenntnisse nachgefragt. Dennoch werden Experimente als wichtig erachtet, um innovative Lösungen zu generieren. Die Schaffung von Experimentierfeldern kann ein neues Forschungsfeld für die Gesellschaftswissenschaft beschreiben. Dabei bedarf es auch einer gewissen Risikobereitschaft der Wissenschaft, geschlossene Theorien nicht nur genuin sondern querschnittsorientiert weiterzudenken und sich einer Sprache zu bedienen, die für die Praxis verständlich ist.
Gerade der Paradigmenwechsel in der Stadtentwicklung von Wachstum zu Schrumpfung liefert diesbezüglich Experimentierstoff. Beispielsweise erfordert die Anpassung an demographische Schrumpfungsbedingungen teilweise alternative Versorgungslösungen, wie freiwillige Fahrdienste oder virtuelle Schulen, die sich aufgrund einer Vielzahl von Regelungen und standardisierten Vorgaben oft nicht umsetzen lassen oder zu "kalkulierten Regelverstößen" führen. Es stellt sich die Frage, wie solche Regelverstöße zukünftig systematisiert und eine Hinterfragung von Rechtsnormen erfolgen kann. Derzeit erproben einige Bundesländer, wie eine Standardöffnung oder Befreiung von landesrechtlichen Bestimmungen erfolgen kann, um die kommunalen Handlungsspielräume zu erweitern. Es wird angeregt, dass die Schader-Stiftung solche Experimente und Fragestellungen aufgreift.
Dialogstrukturen zwischen Wissenschaft und Praxis
Die Dialogstrukturen zwischen Wissenschaft und Praxis bestehen auf kommunaler Ebene überwiegend zwischen Stadt und Wissenschaft auf der einen und den Bürgern und der Stadt auf der anderen Seite. Der direkte Dialog zwischen Bürgern und Wissenschaft findet bisher kaum statt. Einen solchen Dialog zu fördern ist Ziel aktueller Projekte, wie beispielsweise "Citizen Science", "Labore für die Zivilgesellschaft" oder "Community-Based Research". Hier geht es über den Erfahrungsaustausch hinaus auch um die wissenschaftliche Reexion des Handelns. Damit die Partizipation der Bürgergesellschaft erfolgreich ist, muss sie von den Kommunen gezielt gefördert werden und politisches Gewicht bekommen. Fördernd ist in diesem Prozess die Erarbeitung konkret sichtbarer Ergebnisse, beispielsweise die Schaffung von Labels für die eigene Stadt wie "Umwelt-Stadt Europas", "Wissenschaftsstadt" oder "Gemeinwohlstadt". Der Wissenschaft kommen in diesem Dialog zwei Rollen zu: 1. die Vermittlung technischen Expertenwissens an die Bürger und 2. die Sicherstellung einer nachhaltigen, gerechten Prozessmoderation.
Um den Rahmen für Dialog- und Experimentierprozesse zu schaffen und diese zu fördern, erscheinen die folgenden Aspekte wesentlich: Zum einen wird eine gewisse "Unperfektheit des Ortes" als hilfreich erachtet, um Innovationen entstehen zu lassen. Innovationen entstehen demnach nicht an "perfekten" Orten, sondern eher an Orten, an denen Probleme erkennbar beziehungsweise sichtbar sind. Eine Teilnehmerskizze verdeutlicht, angelehnt an das so genannte "Unperfekthaus" in Essen, dass die Schader-Stiftung als ein solcher Denk- und Gesprächsraum fungieren könnte.
Es bedarf einer Abkehr von der Suche nach einer perfekten Lösung für komplexe gesellschaftliche Probleme. Dialogprozesse sollen vielmehr der Entstehung vielfältiger Lösungsansätze dienen. Maßgeblich für jeden Dialogprozess ist dabei die Gewinnung der "richtigen" Akteure für ein Thema. Im Zusammenhang mit der Frage, wie beispielsweise "Lernorte" gestaltet werden müssen, um ansprechend zu wirken, zeigt sich der Bedarf nach konkreten Handlungs- und Anwendungswissen. Hierfür wird die Kooperation von Architektur und Städtebau mit der Pädagogik als zielführend angesehen.
Entwicklung von Partizipationsprozessen – Interdisziplinäre Ansätze und die Rolle der Gesellschaftswissenschaft
Das Partizipationsverhalten zivilgesellschaftlicher Gruppen im Planungsprozess hat sich in den vergangenen Jahren verändert. Dies bietet auch der Wissenschaft die Möglichkeit, verstärkt Erkenntnisse aus der Praxis zu generieren und miteinzubinden. Wie sich neue Formen der Planungspartizipation zivilgesellschaftlicher Gruppen gestalten und wie Bürger als Experten oder "Bürgerflüsterer" alternativ beziehungsweise additiv zu bisherigen institutionalisierten Verfahren in den Dialog gebracht werden können, bedarf einer genaueren Analyse. Vor allem aber sind die Gründe, Bedingungen und Konsequenzen für die Umsetzungsschwierigkeiten von Großprojekten in interdisziplinärer Form zu untersuchen. Insgesamt stellt sich die Frage, welche Ansatzpunkte die Wissenschaft liefern kann, damit Bürgerbeteiligungsprozesse dahingehend gestaltet werden können, Gemeinwohlinteressen abzufragen und wissenschaftliche Erkenntnisse zu gewinnen. Vor allem online-gestützte Partizipationsprozesse erfahren seit einiger Zeit einen Aufschwung. Eine Aufgabe der Sozialwissenschaft könnte darin gesehen werden, diese Systeme zu konzipieren, zu evaluieren und bestimmte Fragen aufzuwerfen, etwa: "Was wollen die Bürger?", "Wie reagieren Politik und Verwaltung darauf, beziehungsweise was halten sie dagegen?", "Welche Rolle spielen Macht und Interessen?".
Unter den Teilnehmenden besteht Einigkeit darüber, dass eine Entscheidungsfindung in den genannten Prozessen nur gewährleistet werden kann, wenn die Bürger mit in die Verantwortung genommen werden. Nur wenn die Bürger auch für die Konsequenzen ihrer Entscheidungen Verantwortung tragen, können solche Prozesse institutionalisiert werden. In den Fragen, wie die Verantwortung übertragen werden kann und unter welchen Voraussetzungen eine Selbstregulierung funktionieren kann, wird Diskussionsbedarf gesehen. Diesen Diskurs könnte die Schader-Stiftung organisieren.
Interdisziplinarität und Forschungsverbünde in der Gesellschaftswissenschaft
Ein Blick auf die Forschungslandschaft und hier speziell auf die Verbundforschung und geförderte Forschung (etwa durch Mittel der Deutschen Forschungsgemeinschaft oder des Bundesministeriums für Bildung und Forschung) zeigt, dass bestimmte Forschungsdisziplinen mit deutlich mehr Mitteln versehen werden als andere. In Verbindung damit steht oftmals auch ein bestimmtes Qualitätslabel. Eine Aufgabe für die Schader-Stiftung könnte es ein, sich vor allem den riskanten Forschungen, Nischenforschungen oder experimentellen Forschungen anzunehmen.
Forschung im Verbund bedeutet vielfach auch Zusammenarbeit in interdisziplinären Teams. Nach Meinung einiger Teilnehmer findet Interdisziplinarität in den Ingenieurswissenschaften häufiger Anwendung als in den Gesellschaftswissenschaften. Ein Dialog zwischen der Wissenschaft und der Praxis auf der einen Seite aber auch innerhalb der Wissenschaft (mit anderen Lehrstühlen beziehungsweise Disziplinen) und innerhalb der Praxis (Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft) wird als notwendig formuliert. Dabei zeigt sich allerdings, dass Interdisziplinarität vor allem dann funktioniert, wenn die Bearbeitung von Forschungsaufgaben eine Zusammenarbeit erfordert.
Die Zusammenarbeit von Vertretern aus der Wissenschaft mit der Praxis wird in der wissenschaftlichen Community in Deutschland oftmals als Hemmnis angesehen. In anderen Ländern wie beispielsweise den USA wird der Praxisbezug weitaus positiver bewertet. Hierzulande ist demnach ein Dialog innerhalb der Wissenschaft notwendig, um den Mehrwert der Zusammenarbeit von Wissenschaft und Praxis zu verdeutlichen. Weiterhin wird ein stärkerer Praxisbezug der Gesellschaftswissenschaft als notwendig erachtet, um zukünftig alle gesellschaftlichen Gruppen in einer an Heterogenität zunehmenden Gesellschaft erreichen zu können. An dieser Stelle befinden sich die Gesellschaftswissenschaften als beobachtende Wissenschaften in einem Dilemma. Da sie sich mit der Abbildung der Praxis befassen, müssen sie eine gewisse Distanz wahren. Auf der anderen Seite besteht die Forderung einer Zusammenarbeit mit der Praxis, weshalb sie keine Distanz zu dieser pflegen sollen. In der wissenschaftlichen Beobachtung wird eine Gesellschaft anhand von Daten und Statistiken simuliert bzw. visualisiert, deren Abgleich mit der Realität erfolgen muss. Auch dieser Konflikt kann einen Ansatzpunkt für die Schader-Stiftung darstellen.
Aus Sicht des Moderators Prof. Dr. Hanns H. Seidler
Ausgangspunkt der Diskussionen sind die Überlegungen zum Dialog von Wissenschaft und Praxis im Bereich Stadtplanung und Architektur. Sehr schnell besteht Übereinstimmung, dass es wenig fruchtbar ist, wenn die Wissenschaft die Praxis mit geschlossenen Theorien konfrontiert, die umzusetzen sind. Weitaus zielführender ist es, wenn "Orte des Dialogs" geschaffen werden können, die Gelegenheit zu Experimenten geben, wo neue, auch durchaus risikoreiche Gedanken gedacht und hergebrachte Normen und Erfahrungen in Frage gestellt werden können.
Dafür muss aber auch eine Dialogfähigkeit hergestellt werden, die insbesondere die Bereitschaft der Wissenschaft umfasst, Praxis nicht als wissenschaftlich "minderwertig" zu qualifizieren, sondern in einem erweiterten Sinne der Interdisziplinarität in den eigenen Erkenntnisprozess einzubinden, ohne die notwendige reflexive Distanz aufzugeben. Die Einbindung der Praxis kann mittlerweile durch IT-gestützte Partizipation erfolgen mit der Zielsetzung, eine translationale Wissensproduktion zu ermöglichen.