Wandel der Arbeitswelt: Einführung
Artikel vom 09.05.2005
Der Frankfurter Flughafen ist ein Ort, an dem künftige Arbeits- und Lebenswelten heute schon Realität sind. Der organisatorische Aufbau des Flughafens in übereinander liegenden, miteinander vernetzten Schichten ist eine Metapher für eine urbane Lebenswelt, in der Ethnien, soziale Gruppen, Dienstleister und Nachfrager logistisch miteinander verknüpft sind, sich aber dabei nicht zu Gesicht bekommen.
Sieht so die Zukunft von Arbeit und Gesellschaft aus?
These 1: Uns geht die Arbeit aus!
In unserem neuen Jahrhundert, so die These, würden 20 Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung ausreichen, um die Wirtschaft auf dem heutigen Stand in Schwung zu halten. 80 Prozent der so genannten erwerbsfähigen Bevölkerung blieben demzufolge ohne Job. Rationalisierung, Automatisierung und Flexibilisierung von Arbeitsabläufen führen also dazu, dass uns die Arbeit ausgeht.
These 2: Arbeitsplatzabbau wird durch wachsenden Dienstleistungssektor wettgemacht
Die gegenläufige Annahme lautet: Die Beschäftigung wächst aufgrund der massiven Ausweitung des Dienstleistungssektors in der Informationsgesellschaft an, was den Verlust von Arbeitsplätzen weitgehend ausgleichen kann.
Allerdings lassen sich die Muster der Schaffung von Arbeitsplätzen in der Informationsgesellschaft nur schwer abbilden und quantifizieren. Arbeitsplätze, die mit den neuen Informationstechnologien geschaffen werden, sind durch diese immer auch gefährdet. Sind die Mitarbeiter der Call-Center von heute die Arbeitslosen von morgen?
Qualifikations- und Kompetenzlücken im Umgestaltungsprozess
Jedes Jahr verschwinden durchschnittlich über 10 Prozent aller Arbeitsplätze. Sie werden durch andere Arbeitsplätze in Verbindung mit neuen Arbeitsprozessen in neuen Unternehmen ersetzt, die neue, bessere oder umfassendere Qualifikationen voraussetzen. Ein wesentlich geringeres Tempo wird auf der Angebotsseite, bei der Vermittlung neuer Kompetenzen eingeschlagen. Dies führt zu einem "Arbeitsmarkt mit zwei Geschwindigkeiten", mit einem Überangebot an überholten Fertigkeiten einerseits und Engpässen bei den neuen Kompetenzen andererseits. Die Herausforderung liegt in der Schließung dieser Qualifikationslücke.
Globalisierung führt zu Lohnspreizung und Arbeitsmarktdifferenzierung
Globalisierung ist die Umschreibung für eine neue, höhere Form der internationalen Arbeitsteiligkeit und für eine international grenzenlos mobile Wirtschaft. Damit setzt sie Einfacharbeitsplätze einem starken Anpassungsdruck aus und erfordert Investitionen in Innovationsbereichen.
Wenn auch künftig alle Arbeitsfähigen beschäftigt sein wollen, führt diese Entwicklung der Erwerbsarbeit also zu einer weiteren Spreizung zwischen qualitativ höheren und besser bezahlten sowie qualitativ niedrigeren und schlechter bezahlten Arbeitsplätzen. Für das Wohnen bedeutet das: Zu Lasten des mittleren Marktsegments steigt sowohl die Nachfrage nach hochpreisigem Wohnraum in guten bis sehr guten Lagen mit hervorragender Ausstattung wie auch der Bedarf an preisgünstigem Wohnraum für Bezieher kleiner Einkommen.
Vom Arbeitnehmer zur Ich-AG
Es besteht ein unauflöslicher Konflikt zwischen technologischer Modernisierung, die Arbeitskräfte freisetzt, und Arbeitsmarktpolitik, die Vollbeschäftigung (bei Vermeidung von größerer Ungleichheit) anstrebt. Internationaler Wettbewerb, Globalisierung der Märkte und die dynamischen Veränderungen in den Bereichen Wissen und Information erfordern ein grundlegend neues Verständnis der Rolle und des Selbstverständnisses der Beschäftigten im Arbeits- und Produktionsprozess. Mit steigenden Kompetenz-, Flexibilitäts- und Mobilitätsanforderungen wird der moderne Mitarbeiter stärkere Eigenverantwortung übernehmen müssen. Er muss stets und überall für neue Aufgaben zur Disposition stehen. Alle, nicht nur die hochqualifizierten Wissensarbeiter, sind aufgefordert, sich als "Ich-AG" zu verstehen.
Der Zukunftsforscher Peter Wippermann kreierte diesen Begriff und umschrieb ihn folgendermaßen: "Jeder ist für sein Schicksal selbst verantwortlich. Das Ich wird als Aktiengesellschaft begriffen, das nach den Prinzipien der Ökonomie geführt wird" (Trendtag 2000). Die Hartz-Kommission hat das aufgegriffen: Wer keine Arbeit hat, kann sich selbst welche schaffen, und sich als Miniaturunternehmen, eben als Ich-AG auf dem Markt anbieten.
Flexibilität im Berufsprofil, in der Erwerbsbiografie, im Arbeitsrhythmus und in den Unternehmen
Arbeitsplatz und -ort, möglicherweise sogar das Berufsprofil mehrfach im Lauf des Lebens zu wechseln, wird für die meisten Beschäftigten künftig eher die Regel sein. Phasen von Erwerbstätigkeit werden von solchen der zeitweisen Erwerbslosigkeit - ggf. für Fortbildung - unterbrochen. Know-how und Qualifikationsniveau erneuern sich rasch. Lebenslanges Lernen wird zur Notwendigkeit.
Um flexibel zu bleiben, beschäftigen Unternehmen immer kleinere Kernbelegschaften; projektbezogen werden diese um Randbelegschaften und Spezialisten ergänzt. Die neue Flexibilität schließt den Einsatz von Teilzeitarbeit, Zeitarbeit, befristeten Arbeitsverträgen, Telearbeit und generell neuen Formen der Arbeitsbeziehungen ein.
Die künftige Arbeitswelt wird in einer Weise organisiert sein, in der die Grenzen zwischen abhängiger Beschäftigung und Selbstständigkeit, zwischen Arbeit und Lernen sowie Arbeit und Freizeit nicht mehr so klar sind wie bisher. Die Freizeit des einen wird die Arbeitszeit des anderen in Anspruch nehmen.
Unternehmen verhalten sich wie Quecksilber: Sie fusionieren, geben sich neue Namen, gliedern sich wieder auf etc. Sie bevorzugen stärker dezentralisierte und netzorientierte Organisationsformen mit vielseitigen Arbeitsaufgaben.
Neue innovative Milieus, neue Bedeutung der Regionen
Im globalen Wettbewerb konkurrieren nicht nur Unternehmen, sondern auch Standorte miteinander. Erfolgreiche Wachstumsregionen zeichnen sich vor allem durch eine gelungene Kombination von wissenschaftlicher, technischer und wirtschaftlicher Kompetenz sowie durch andere innovationsfördernde Standortfaktoren (z.B. Infrastruktureinrichtungen) aus. Man spricht vom "innovativen Milieu".
Auch die Freizeit- und Kulturangebote der Städte, "weiche Standortfaktoren", gewinnen aufgrund entsprechender Bedürfnisse ihrer gut bezahlten Einwohner zunehmende Bedeutung.
Raum-Zeit-Dimensionen verändern sich
Bis heute trennen wir zwischen Arbeit und Freizeit, zwischen Ausbildungszeit, Arbeitszeit, Rentenzeit. Diese Aufteilung des Lebens in verschiedene Zeitphasen korrespondiert mit der Aufteilung in verschiedene Raumkategorien: Arbeitsraum, Wohnraum, Raum für Erholung und Freizeit.
In der flexibilisierten Arbeitswelt lösen sich diese Kategorien auf und gehen neue Verbindungen ein.
Räume zum Leben und Arbeiten
Urbane Stadtteile und Siedlungen sind für die Zukunft besser gerüstet. Sie zeichnen sich wie folgt aus:
- vielfältige Typologie der Wohnformen
- Möglichkeit kleinteiliger (i.d.R. horizontaler) Nutzungsmischung
- Nachverdichtung der Städte
- nutzungsneutrale Raumangebote
sozialkulturelle Differenziertheit der Beteiligten
Beispiel Frankfurt: Concierge-Residenzen
Welche Wohnformen werden die gut bezahlten "Wissensarbeiter" bevorzugen? In einigen Großstädten entstehen bereits neue Angebote je nach deren Status. In Frankfurt am Main wurde das erste Bürohochhaus mit Wohnungen in den obersten zehn Geschossen errichtet. Obgleich die Mieten sehr hoch sind, gab es dem Anschein nach keine Vermietungsprobleme. Ebenfalls in Frankfurt wurde in dem so genannten Deutschherrenviertel am Main ein Appartement-Wohnturm gebaut: "Endlich gibt es einen Turm zum Wohnen in Frankfurt. (...) Das Konzept der Concierge-Residenzen schwappt auf Deutschland über. (...) Zielgruppe sind private und institutionelle Langzeit-Gäste, die zwischen 98 verschiedenen Grundrisstypen und 30 Einrichtungsstilen wählen können. Es gibt Kurzzeit- oder Boarding-Appartements und bis zu dreigeschossige Langzeitmietwohnungen. Bei der anvisierten Klientel sind auch Serviceangebote und Sicherheitsanlagen vom Feinsten." (Baumeister Heft 9/2002, S. 20; vgl. dazu auch: Dorothee Baer-Bogenschütz: Das Main-Plaza in Frankfurt. Ein Hauch von Manhattan an der Ausfallstraße nach Offenbach. In: Die Zeit 51/2001)
Beispiel Köln: Boardinghäuser
Viele Wohnungsunternehmen besitzen Hochhäuser aus den 1970er Jahren, in denen sie an die "breiten Schichten der Bevölkerung", für die sie gebaut wurden, nicht mehr vermieten können. Sie sind inzwischen zu Transferstationen für Zuwanderer und Asylbewerber geworden. Manche liegen an bevorzugten Stellen im Stadtgebiet. Für zwei solcher Gebäude in Köln, direkt am Rhein gelegen, wurde der Umbau zu Boardinghäusern vorgeschlagen.
Beispiel Tübingen: Nutzungsmischung und Vielfalt
Das Französische Viertel in der Tübinger Südstadt bietet ein dichtes Nebeneinander von Alt und Neu, Wohnen und Gewerbe. Neben umgebauten Pferdeställen aus ehemaligen Kasernenbeständen gibt es gemischt genutzte Neubauprojekte von Baugruppen, die in partizipativen Prozessen "ihren Block" gestalten. Nutzungsmischung und architektonische Vielfalt wirken der Segmentierung der Stadt, vor allem aber einer einseitigen Sozialstruktur entgegen. (vgl. dazu auch Andreas Feldtkeller: Das Tübinger Modell zur Stadt der kurzen Wege. In: Das Bauzentrum Baukultur 3/2001)
Integrierte Betrachtung von Lebensstilen, Wohnmilieus, Raum- und Zeitstrukturen für die zukunftsfähige Gestaltung von Mobilität und Stadt
Auszüge ohne Literaturverweise aus dem Zwischenbericht des Projekts „StadtLeben“, entnommen dem Teil von Joachim Scheiner:
"Eine der Kernthesen von StadtLeben ist es, dass bestimmten Lebensstil- und Milieugruppen spezifische Mobilitätsformen eigen sind. Mobilität ist allerdings ein in mehrfacher Hinsicht zweideutiger Begriff. Zum einen bezeichnet er sowohl soziale als auch räumliche Mobilität, die wiederum kurzfristige (Verkehrshandeln) und langfristige Mobilität (Wanderungen) umfasst. Zum anderen wird er sowohl für realisierte Bewegungen (Umzug, Verkehrshandeln, sozialer Auf- und Abstieg) verwendet als auch in seiner ursprünglichen Semantik als Beweglichkeit oder Bewegungspotenzial, also im Sinne einer Möglichkeit. Dieses Potenzial ergibt sich nicht nur aus der Beweglichkeit des Akteurs selbst als ´Nachfrager´, sondern auch aus der Erreichbarkeit von Zielen als ´Angebote´. Drittens wird räumliche Mobilität häufig mit physischer Bewegung gleichgesetzt, umfasst aber auch die Nutzung von Medien, und zwar sowohl stärker individualisierte als auch die klassischen Massenmedien.
Erstens behauptet die These von der (partiellen) Loslösung der Lebensstile von sozialstrukturellen Bedingungen eine Ausweitung des sozialen Möglichkeitsraums. Dies gilt analog auf räumlicher Ebene, weil die Lockerung struktureller Bedingungen zum einen auch die räumliche Herkunft nur noch sehr begrenzt als Restriktion für die Gestaltung des eigenen Lebens erscheinen lässt, und zum anderen räumliche Bindungen an die Wohnumgebung stark lockern kann.
Zweitens hat die Individualisierung und Pluralisierung der Lebensstile prospektiv auch eine veränderte Dynamik der Zusammenhänge von sozialer und räumlicher Mobilität zur Folge. So verändern sich beispielsweise die individuellen Mobilitäts-Kalküle bei einem Arbeitsplatzwechsel. Die Abwägung zwischen Fernpendeln und Umzug in die Nähe des Arbeitsplatzes nach einer beruflichen Veränderung fällt häufiger zugunsten des Pendelns aus, wenn mit dem Pkw eine schnelle Raumüberwindung möglich ist und Wohneigentum die Standortbindung verstärkt. Moderne Formen der Teilnahme am Erwerbsleben (Doppelverdiener-Haushalte, häufiger Arbeitsplatzwechsel) machen eine distanzminimierende Standortwahl ohnehin schwierig.
Drittens führt die zunehmende Mediatisierung der Gesellschaft, das partielle Ersetzen von Face-To-Face-Interaktion durch medial vermittelte Kommunikation zur Ausdehnung der Möglichkeitsräume, in deren Folge sich auch die physischen Verflechtungen verändern. In welcher Weise sich dies vollzieht, ist bisher weitgehend offen. Vor allem im Zusammenhang mit Telearbeit werden diesbezüglich verschiedene Thesen diskutiert. Von zentraler Bedeutung ist dabei die Frage, ob physischer Verkehr durch Telekommunikation eher substituiert wird oder beide als komplementäre, sich möglicherweise verstärkende Formen zu sehen sind.
Gegenüber den traditionellen Massenmedien ermöglichen die neuen Medien einen qualitativen Sprung in der Komplexität räumlicher Verflechtungen. Bekanntlich wurde bereits mit dem Fernsehen die Erde als ´globales Dorf´ wahrgenommen, allerdings war dies ein Dorf mit sehr einseitiger Kommunikationsrichtung. Die neuen Medien ermöglichen eine exponentielle Steigerung der Vielfalt und Komplexität sowie die selbstbestimmte Steuerung von Verflechtungen durch Institutionen und Individuen in Bezug auf Geschwindigkeit, Effizienz und Zeitautonomie in der Informationsübermittlung sowie eine ´Verdichtung´ der Mobilitätsformen. Die Nutzung dieser Medien ist hochgradig lebensstilspezifisch. Vermuten lässt sich in der Adaptionsphase eine hohe Bindung an das Innovationspotenzial technik-affiner ´Pioniere´.
Zusammenfassend stehen Mobilitätsprozesse also auf mehreren Ebenen untereinander (Wohnen und Alltagsmobilität, physische und virtuelle Mobilität) sowie mit sozioökonomischen Veränderungen in Zusammenhang."
Links und Literatur
Aus Politik und Zeitgeschichte. Nr. 21 vom 18. Mai 2001 (Heft zum Thema)
Beck, Ulrich: Schöne neue Arbeitswelt. Vision: Weltbürgergesellschaft. Frankfurt: Campus 1999
Dostal, Werner: Von der Industriegesellschaft zur Informationsgesellschaft. Qualifikationen, Techniken, Märkte. In: Schader-Stiftung (Hg.): wohn:wandel. Szenarien, Prognosen, Optionen zur Zukunft des Wohnens. Darmstadt 2001
Fukuyama, Francis: Konfuzius und die Marktwirtschaft. Der Konflikt der Kulturen. München: Kindler 1995
Giarini, Orio; Liedtke, Patrick M.: Wie wir arbeiten werden. Der neue Bericht an den Club of Rome. Hamburg: Hoffmann & Campe 1998
Henckel, Dietrich; Eberling, Matthias; Grabow, Busso: Zukunft der Arbeit in der Stadt. Stuttgart: Kohlhammer 1999
Mitchell, William J.: City of bits. Leben in der Stadt des 21. Jahrhunderts. Basel: Birkhäuser 1996
Rifkin, Jeremy: Das Ende der Arbeit und ihre Zukunft. Frankfurt u.a.: Campus 1995
Sassen, Saskia: Metropolen des Weltmarktes. Frankfurt u.a.: Campus 1996
Sennett, Richard: Der flexible Mensch. Berlin: Berlin Verlag 1998