Wider den sozialen Abstieg
Artikel vom 09.05.2005
Während zur Aufwertung der "sozialen Brennpunkte" früher vor allem auf investive, städtebauliche Maßnahmen der Wohnumfeldverbesserung gesetzt wurde, stehen heute Sozialplanung, Arbeitsförderung und Partizipation im Mittelpunkt vieler Ansätze.
Im Folgenden sollen einige Handlungsfelder schlaglichtartig beleuchtet werden, die in problematischen Stadtteilen bearbeitet werden.
Quartiersmanagement als Schlüsselinstrument
Quartiersmanagement wird gemeinhin als Schlüsselinstrument zur Bewältigung der komplexen Probleme in benachteiligten Stadtquartieren betrachtet. Was sich hinter dem Begriff verbirgt, kann sich jedoch zwischen den Städten stark unterscheiden. Dies wird auch durch die verschiedenen Synonyme widergespiegelt - die Rede ist von Quartier(s)-, Stadtteil- oder Gebietsmanagement. Das Spektrum reicht von der einzelnen Fachkraft mit bestimmten Funktionen bis zu komplexen Organisationsstrukturen, die verschiedene kommunale Ebenen mit einbeziehen. Die Maßnahmen eines solchen Stadtteilmanagements sollen typischerweise der Aktivierung örtlicher Potenziale, der Hilfe zur Selbsthilfe, der Entwicklung von Bürgerbewusstsein für den Stadtteil und der Entwicklung selbsttragender Bewohnerorganisationen und sozialer Netzwerke dienen. Das Quartiermanagement muss dabei sowohl Top-down- als auch Bottom-up-Ansätze umfassen, da eine bloße Verlagerung der Verantwortung auf die Quartiersebene eine Überforderung der Stadtteilakteure bedeuten würde.
Öffnung der Schulen zum Stadtteil
In Deutschland bestimmt noch immer die Schichtzugehörigkeit der Eltern die Bildungschancen der Kinder. Vor dem Hintergrund der besonderen Herausforderungen in den benachteiligten Stadtteilen begreifen sich immer mehr Schulen als Orte, an denen auch soziale und kommunikative Kompetenzen erworben werden können. Als eine Strategie greift hier die Öffnung der Schule, zum einen für neue Unterrichtsformen und -methoden, zum anderen aber auch nach außen, als eine Art "Bürgerzentrum" für den Stadtteil. In diesem Zusammenhang leisten die Schulen oftmals einen wichtigen Beitrag zur Sprachförderung, nicht nur von Migrantenkindern, sondern auch von deren Eltern. In anderen Fällen engagieren sich die Schulen für eine Verbesserung des Übergangs von der Schule in die Arbeitswelt, indem gezielt Schlüsselqualifikationen vermittelt und durch Praktika Einblicke in den Berufalltag gewährleistet werden.
Lokale Ökonomie/ Arbeitsmarktpolitik
Das Fehlen von Arbeitsplätzen und Beschäftigungsmöglichkeiten sowie von Qualifizierungs- und Ausbildungsangeboten ist ein weiteres Problem in den marginalisierten Stadtteilen. Mit der wachsenden Arbeitslosigkeit ist in den vergangenen Jahren deutlich geworden, welche Bedeutung lokale Ökonomien für die soziale Stabilisierung von Stadtteilen haben können:
"Sie bieten wohnungsnahe Arbeits- und Ausbildungsplätze; sie gehören zur Grundausstattung und sind zentraler Bestandteil örtlicher Nahversorgung; sie prägen mit ihren überwiegend auf lokale Bedürfnisse ausgerichteten Produktions- und Dienstleistungsangeboten die Versorgungsqualität, die Nutzungsvielfalt und die urbane Kultur von Stadtteilen; sie bieten einen oft unterschätzten Wirtschafts- und Arbeitsmarktfaktor und ein wichtiges Potenzial für die gesamtstädtische Ökonomie- und Arbeitsmarktentwicklung." (Krummacher et al. 2003: 117)
Vor diesem Hintergrund haben Aktivitäten zur Stärkung der Lokalen Ökonomie strategische Bedeutung für die langfristig tragfähige Entwicklung in den Stadtteilen. Sie sind auf arbeitsmarkt-, beschäftigungs-, struktur- und sozialpolitische Ziele gerichtet und umfassen damit die drei Handlungsfelder "Beschäftigung", "Qualifizierung und Ausbildung" sowie "Wertschöpfung im Gebiet".
Vielerorts bemühen sich Quartiersmanagement, lokale Akteure und Verwaltung im Rahmen des Programms "Soziale Stadt" darum, bestehende Unternehmen und Existenzgründer zu unterstützen, die lokale Beschäftigungssituation zu verbessern. "Wesentliche Bedeutung haben Vor-Ort-Büros für Wirtschaftsentwicklung, die bereits in einigen Programmgebieten eingerichtet wurden. Aufgaben dieser Büros sind insbesondere aufsuchende und begleitende Beratung sowie Qualifizierung von Einzelbetrieben, Existenzgründungsförderung, Initiierung von Netzwerken und Kooperationen, Imageverbesserung und Aufbau von Kommunikationsstrukturen sowie Einbindung von wirtschaftsrelevanten Einrichtungen (z.B. Arbeitsamt, Industrie- und Handelskammer, Handwerkskammer) in die Vor-Ort-Arbeit." (Böhme et al. 2003: 106)
Soziale Ökonomie
Selbst bei einer Förderung lokal ansässiger Unternehmen besteht jedoch die Gefahr, dass insbesondere schwer vermittelbare Langzeitarbeitslose nicht in die Erwerbsarbeit des formellen ersten Arbeitsmarktes integriert werden können. Für diese Gruppe werden ergänzende Hilfen im öffentlich geförderten zweiten Arbeitsmarkt, in der Fort- und Weiterbildung sowie in der Gemeinwesenökonomie angeboten. Eine Überleitung vom zweiten in den ersten Arbeitsmarkt gelingt jedoch nur bei einer Minderheit.
"Weitere wesentliche Strategie im Bereich der Lokalen Ökonomie ist die Förderung der Sozialen Ökonomie, das heißt von Betrieben, die vor allem lokal nachgefragte Dienstleistungen anbieten, die über den Markt und die öffentliche Hand nicht bereitgestellt werden können. (...) Gebietsbezogene Beispiele hierfür sind gemeinwesenbezogene Stadtteilbetriebe, Stadtteilservices, hauswirtschaftliche Dienstleistungsagenturen, Schulküchen sowie Stadtteil- und Kulturcafés. Dabei hat sich gezeigt, dass Projekte der Sozialen Ökonomie, die gleichermaßen soziale, gemeinwesenorientierte und ökonomische Ziele verfolgen, besonders geeignet sind, Einkommens- und Arbeitsmöglichkeiten für gering qualifizierte Personengruppen zu schaffen." (Böhme et al. 2003: 111)
Imageverbesserung und Öffentlichkeitsarbeit
Das Negativimage benachteiligter Stadtgebiete erweist sich als ein Schlüsselproblem für Atmosphäre und Stimmung vor Ort. Dabei muss die negative Außensicht nicht mit der Wahrnehmung durch die Bewohner selbst übereinstimmen, die beispielsweise ihre am Stadtrand gelegene Großwohnsiedlung für ihre "grüne Lage" schätzen. Medienberichte sind jedoch häufig ausschließlich an Problemen ausgerichtet. Eine Darstellung als Gebiete, in denen allein Armut und Verwahrlosung, Konflikte und Aggression den Alltag prägen, fördert Hoffnungslosigkeit, beeinträchtigt das Selbstwertgefühl der Bewohnerschaft und blockiert somit deren Engagement. Eine beteiligungs- und dialogorientierte Öffentlichkeitsarbeit ist daher in den betroffenen Gebieten wesentlich. Als Träger der Öffentlichkeitsarbeit treten vor allem die Quartiermanagement-Teams, aber auch Vereine, Initiativen, Wohnungsunternehmen, Projektträger und die Pressestelle der Verwaltung in Erscheinung. Insbesondere im Zusammenhang mit Imageförderung und Marketingstrategien wird in einzelnen Gebieten auch die lokale Wirtschaft aktiv.
Wohnungsunternehmen als Akteure der Stadtteilentwicklung
Auch die Wohnungsunternehmen treten als Akteure der Stadtteilentwicklung auf. Das soziale Management wird von verschiedenen Wohnungsgesellschaften mit unterschiedlicher Intensität verfolgt. Für die Wohnungsunternehmen besteht nicht zuletzt ein konkret ökonomisches Interesse an der Aufwertung ihrer Bestände, denn Vandalismus, Leerstand und hohe Fluktuation bedeuten für sie eine Ertragsminderung.
"In Zusammenarbeit mit den Kommunen werden beispielsweise folgende Maßnahmen praktiziert:
- Unterstützung lokaler Initiativen, um die nachbarschaftliche Kommunikation zu verbessern und gegenseitige Hilfen der Bewohner im Alltag zu stärken.
- Angebot von Räumen und Aufenthaltsmöglichkeiten für Jugendliche.
- Beratungs-, Hilfe- und Raumangebote für Mütter, ältere Menschen und auch für Arbeitslose, die bei geringen Einkommen oder geringer Freizeit an die Siedlung gebunden sind und soziale Kontakte benötigen.
- Angebot von Mietergärten in den Siedlungen, um Raum für private kommunikative Aktivitäten zu schaffen.
- Angebot von Hilfen beim Wohnungstausch.
- Hilfen bei der Gründung von lokal tätigen Unternehmen.
- Unterstützung der Jugendarbeit." (Krings-Heckemeyer 1998: 50)
Wohnungsunternehmen übernehmen häufig eine wichtige Rolle, indem sie Maßnahmen zur Wohnumfeldverbesserung und Gemeinwesenarbeit mit Beschäftigungs- und Qualifizierungsmaßnahmen verknüpfen. Die Verbindung von Arbeitsmarktpolitik mit gesellschaftlich wichtigen Handlungsfeldern, die zu spürbaren Verbesserungen im Quartier führen, sorgt für eine stärkere Identifizierung der Beteiligten mit ihrem Stadtteil.
Die unwirtliche Architektur und die geringe Nutzbarkeit der Außenräume versuchen die Wohnungsunternehmen in den vergangenen Jahren durch eine Reihe von Maßnahmen abzumildern. Dazu gehören eine repräsentativere bauliche Gestaltung durch Vorbauten sowie ansprechender gestaltete Foyers. Die für soziale und Aufenthaltsqualitäten im Wohnumfeld wichtige Differenzierung privater, halböffentlicher und öffentlicher Räume ist bei vielen Wohnanlagen kaum vorhanden, sie kann aber auch nachträglich noch hergestellt werden. In großen Häusern lohnt häufig die Einrichtung eines Concierge, der nicht nur Kontrolle gegen Vandalismus und Kriminalität ausübt, sondern dessen Position sich zudem mit kleinen Dienstleistungen verbinden lässt - etwa dem Verkauf von Lebensmitteln und der Annahme von Lieferungen.
Beispiel: Schuldnerberatung durch die Landesentwicklungsgesellschaft (LEG) NRW
Die Landesentwicklungsgesellschaft NRW bewirtschaftet etwa 110.000 Wohnungen und gehört damit zu den großen Immobilienunternehmen Deutschlands. Damit überschuldete Mieter (in Deutschland sind rund 5 Millionen Menschen überschuldet) nicht ihre Wohnung verlieren, unterstützt die LEG an ausgewählten Standorten Schuldnerberatungen. Diese helfen Betroffenen, die den Weg in die schwarzen Zahlen ohne professionelle Hilfe nicht schaffen, weil sie mit dem Ordnen ihrer Unterlagen und Amtsgängen überfordert sind. Die von der LEG unterstützten Schuldnerberatungen unterstützen die Mieter auch darin, ihr Einkommen besser einzuteilen, um so Mietrückstände abzubauen und sich gegen gerichtliche Maßnahmen und Zwangsräumungen zu schützen. In Essen-Bergmannsfeld haben der Stadtteilladen und die LEG die Schuldnerberatung gemeinsam initiiert. Finanziert wird das Projekt vom Land NRW und der LEG. Oft stellen die LEG-Mieterbetreuer den Kontakt zwischen Mietern und der Schuldnerberatung her, wenn Mietzahlungen ausbleiben.
Beispiel: Wohnumfeldverbesserung und Nachbarschaftlichkeit durch Partizipation
Die Nassauische Heimstätte, Wohnungs- und Entwicklungsgesellschaft mbH ist seit 1997 von der Stadt Dietzenbach mit der Sanierung des östlichen Spessartviertels in Dietzenbach beauftragt. Hier leben Bewohner aus 50 verschiedenen Kulturen. Das Sanierungsgebiet umfasst eine Wohnanlage mit fünf Hochhäusern und 1.020 Wohnungen. Vor allem das Wohnumfeld befand sich in einem verwahrlosten Zustand. Ein Leben außerhalb der eigenen vier Wände fand nicht statt. Nachbarschaftliche Begegnungen, Aktivitäten und Verantwortlichkeiten wurden dadurch eingeschränkt. Um die Gefahr einer zunehmenden Stigmatisierung zu stoppen, wurde ein besonderes Beteiligungsverfahren mit Kindern und Jugendlichen bei der Sanierung des Wohnquartiers entwickelt. Das Konzept wurde mit dem Preis Soziale Stadt 2002 ausgezeichnet.
Entwicklung lokaler Beschäftigungs- und Qualifizierungsprojekte in Nürnberg
In der etwa 2,5 km nordöstlich der Nürnberger Altstadt gelegenen Siedlung am Nordostbahnhof wohnen ca. 4.000 Menschen. Die Arbeitslosenrate liegt mit ca. 20 % doppelt so hoch wie in der Stadt Nürnberg. In der im Quartier befindlichen Konrad-Groß-Schule haben 80 % der Schüler einen Migrationshintergrund, ein ebenso hoher Anteil verlässt die Schule ohne qualifizierenden Hauptschulabschluss. In der Siedlung selbst gibt es keine Arbeitsplätze. Die Nahversorgung mit Lebensmitteln und anderen Dingen des täglichen Bedarfs war durch die Schließung des einzigen Lebensmittel-Supermarktes im Jahr 2001 und der einzigen Bäckerei zwei Jahre später nicht mehr gegeben, was insbesondere für viele ältere Bewohner ein Problem darstellt. Diese komplizierten Rahmenbedingungen waren Anlass für die Initiierung des lokalen Beschäftigungs- und Qualifizierungsprojektes "Bauhütte Nordostbahnhof" mit dem Ziel, vorrangig jugendliche und erwachsene Bewohner aus der Siedlung, die keine Ausbildung und keinen Job haben, einzubeziehen. Die Maßnahmen wurden mit dem Preis Soziale Stadt 2004 ausgezeichnet.
Literatur und Links
Franke, Thomas, 2003: Quartiermanagement - Schlüsselinstrument integrierter Stadtteilentwicklung, in: Deutsches Institut für Urbanistik im Auftrag des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, Strategien für die Soziale Stadt, S. 170-191
Oberste Baubehörde im Bayerischen Staatsministerium des Innern, 1999: Intakte Stadtquartiere. Maßnahmenkatalog zur Beseitigung und Vermeidung sozialer Fehlentwicklungen. Überblick mit Beispielen aus der Praxis.
Preis Soziale Stadt.
Verleihung 2000
Verleihung 2002
Verleihung 2004
Einen Beitrag zur öffentlichen Würdigung sozialer Projekte in den Städten und Wohnquartieren leistet der erstmals im Jahr 2000 ausgelobte Wettbewerb um den "Preis Soziale Stadt". In den Publikationen zur Preisverleihung ist eine Vielzahl von Projekten dokumentiert.
Stadtteilarbeit.de
Unter dem Link "Projekte" gelangt man zu einer ausführlichen Vorstellung verschiedener Praxisbeispiele.
Städte-Netzwerk NRW
Unter der Überschrift "Abkupfern erwünscht" befindet sich eine Linkliste zu Projekten und Kontaktadressen.