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Demokratische Wissenschafts- und Technikgestaltung – Zur Demokratiefähigkeit von Zukunftstechnologien

Artikel vom 03.06.2003

Ob „Zukunftswissenschaften“ und „Zukunftstechnologien“ demokratiefähig und demokratieverträglich sind, ist eine offene und zugleich gesellschaftlich drängende Frage. Sind Bio- und Gentechnologien, Nano- und Medizintechnologien, Informations- und Kommunikationstechnologien mit unserem gewachsenen demokratischen Selbstverständnis, mit den eingeübten Entscheidungsverfahren kompatibel? Über welche prinzipiellen Möglichkeiten und pragmatischen Instrumente zur demokratischen Gestaltung von „Zukunftstechnologien“ verfügen wir? Von Kirsten Mensch und Jan C. Schmidt

Zwischen Expertokratie, Parlament und Bürgerbeteiligung

Dass die Zukunft von Mensch, Natur und Gesellschaft maßgeblich von Wissenschaft und Technik geprägt sein wird, steht außer Frage. Ob Bio-, Gen-, Medizin-, Infrastruktur-, Informations-, Energie- und Nanotechnologien – sie alle bestimmen schon heute das gesellschaftliche und individuelle Leben. Immer drängender stellt sich die Frage, welche leitenden Zukunftsziele, welche prinzipiellen Möglichkeiten und welche pragmatischen Instrumente unsere demokratisch verfassten Gemeinwesen entwickelt haben, um die wissenschaftlich-technische Zukunft aktiv zu gestalten. Welche politischen Potentiale können aktiviert werden? Welche juristischen Regelungen sollten installiert werden? Welche institutionellen Spielräume müssten ausgebaut werden? Und grundlegender und tiefgreifender: Wie erlangen wir einen Konsens über Ziele, Möglichkeiten und Instrumente für eine zukunftsfähige politische Technik- und Wissenschaftsgestaltung? Welche demokratische Signatur kann und soll die wissenschaftlich-technische Zivilisation von morgen haben?

Diese demokratiepraktischen und demokratietheoretischen Fragen standen im Zentrum einer öffentlichen Ringvorlesung von Schader-Stiftung und Technischer Universität Darmstadt im Jahr 2002. Der Titel der daraus entstandenen Publikation „Technik und Demokratie. Zwischen Expertokratie, Parlament und Bürgerbeteiligung“ spricht die Spannweite denkbarer Varianten der politischen Gestaltung von Wissenschaft und Technik an: am einen Ende expertokratische Vorstellungen, am anderen Ende die Bürgerbeteiligung oder auch – stärker noch – der idealistische Anspruch der direktdemokratischen Entscheidungsfindung durch das Volk.

Das Bild einer autonomen Wissenschaft, die fernab von gesellschaftlichen Einflüssen „reine Grundlagenforschung“ betreibt, ist mit Blick auf die heutigen „Zukunftswissenschaften“ und „Zukunftstechnologien“ nicht mehr zu halten. Diese Orientierung einer Wissenschaft im Elfenbeinturm ging einher mit ihrer fehlenden Einbettung in Gesellschaft, Kultur, Politik. So schien Wissenschaft auch immun zu sein gegenüber politischer Gestaltung. Eine solche Orientierung mag unproblematisch sein, solange Wissenschaft nicht selbst handlungsmächtig und gesellschaftsgestaltend wird. Seit Beginn der modernen Wissenschaft im 16. Jahrhundert jedoch wurde wissenschaftliches Wissen als Macht zur Gesellschafts- und Naturveränderung angesehen, wie etwa bei F. Bacon. Der Elfenbeinturm ist längst verlassen, auch wenn die Sehnsucht nach autonomer, reiner, „feiner“ Wissenschaft geblieben ist: Als Ideal wird der Elfenbeinturm als genuiner Ort von Wissenschaft immer wieder eingefordert.

Obwohl es heute im Zeitalter einer globalen „technoscience“ (Haraway 1995; Latour 1987) und der Biopolitik (Geyer 2001) keine Wissenschaft jenseits des Gesellschaftlichen mehr zu geben scheint, träumt die moderne Wissenschaft sowohl den Traum der Abschottung als auch den Traum der Alleinzuständigkeit und einer einseitigen Einwirkungslinie: Wissenschaftler als die allein Zuständigen für die Bestimmung dessen, was Wissenschaft ist und sein soll – darin zeigt sich der Wunsch nach expertokratischen Strukturen. Nur wissenschaftliche Experten sollten und könnten darüber entscheiden, wie Wissenschaft zu gestalten ist. Dass Wissenschaftler damit gleichzeitig darüber entscheiden, wie die Gesellschaft von morgen aussehen wird, verliert man dabei mitunter aus den Augen. Sind wissenschaftliche Experten legitimiert, über unsere globalen Zukunftspfade zu entscheiden? Haben sie die Kompetenz für derartige Entscheidungen, für gesellschaftliche Dringlichkeiten, d.h. für eine politische Einbettung von Wissenschaft und Technik?

Wie aber steht es mit dem Gegenpol zur Expertokratie, der direkt-demokratischen Entscheidungsfindung? Da die Bürger die Auswirkungen von Wissenschafts- und Technikentwicklungen zu tragen haben, müssen sie – so die Befürworter einer direkten Demokratie –  auch das Recht haben, über die weitreichenden Forschungs-, Wissenschafts- und Technologiepfade zu befinden. Wenn jeder Bürger über all das mitbestimmen darf, was ihn und die Gesellschaft betrifft („Kongruenzprinzip“), muss auch ein Mitspracherecht über die Gestaltung von Wissenschaft und Technologie bestehen. Aber haben die Bürger jene inhaltlichen Fachkompetenzen, die notwendig erscheinen, um Wissenschafts- und Technikentscheidungen adäquat fällen zu können?

Die extremen Pole, hier Expertokratie, dort direkte Demokratie, bergen jeweils Probleme in sich. So wird eine Expertokratie den Ansprüchen eines demokratischen Gemeinwesens nicht gerecht. Fragwürdig ist zudem, ob Experten aufgrund eigener, nicht offen gelegter Interessen zu einer unparteiischen Sicht auf Wissenschafts- und Technikentwicklung überhaupt in der Lage sind. Die direkt-demokratische Alternative verkennt hingegen die Relevanz von Fach- und Sachwissen, um komplexe wissenschaftliche und technische Zusammenhänge einschätzen zu können. Mangelnde Vermittelbarkeit kann ferner zu Wissensdivergenzen zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit führen, die die gesellschaftliche Entscheidungsgüte reduzieren. Weder eine reine Expertokratie noch eine reine direkte Demokratie sind somit wünschenswert.

Nach der repräsentativen Demokratie der Bundesrepublik Deutschland sind es auch weder die Experten allein noch das Volk direkt, die solche Entscheidungen fällen, sondern das Parlament ist der Ort, an dem relevante Entscheidungen getroffen werden. Die gewählten Abgeordneten des Volkes sind dazu berufen, auf dem Wege der Gesetzgebung gestaltend in Fragen, die das Gemeinwesen betreffen, einzugreifen. Doch gerade die komplexen Fragen, die Wissenschaften und Technologien heute aufwerfen, sowie die Möglichkeiten von unüberschaubaren und intrinsisch verwobenen Chancen und Risiken machen es schwer, Entscheidungen auf dem Wege der parlamentarischen Mehrheitsdemokratie zu treffen. Zumeist sind die Abgeordneten weder ausreichend informiert und kenntnisreich, um über eine sachgerechte Einschätzung von technologischen Entwicklungen und deren Auswirkungen verfügen zu können, noch sind sie die direkt Betroffenen.

Auch wenn sich die Debatte um die politische Gestaltung von Wissenschaft und Technik immer wieder an den Reinformen von Expertokratie, direkter Demokratie und Parlamentarismus orientiert, hat die demokratische Praxis längst vermittelnde Institutionen und Vorgehensweisen aufgezeigt. Die in der Bundesrepublik Deutschland praktizierte Form der repräsentativen Demokratie erlaubt eine Integration des direktdemokratischen Bürgerwillens und von Expertenwissen. In Richtung Expertokratie weisen die korporatistischen Strukturen und die bereits bewährten Instanzen der Politikberatung, wie zum Beispiel das Büro für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag (vgl. A. Grunwald in der Dokumentation der Ringvorlesung). In Richtung Bürgerbeteiligung sind erprobte Möglichkeiten zu Volksbegehren und Volksentscheiden erwähnenswert, aber auch Elemente deliberativer Demokratie. Diese haben eher experimentellen Charakter1 und kennzeichnen gesellschaftliche Suchbewegungen. Ihre Legitimation und Einbettung in etablierte demokratische Verfahren bleiben aber unklar. Demokratische Technikgestaltung liegt in Deutschland heute zwischen Expertokratie, Parlament und Bürgerbeteiligung. Sie ist ein offener, pluraler und kontextabhängiger Prozess, in welchem Entscheidungen auf sehr unterschiedlichen Ebenen des Politischen getroffen werden. Ob diese allerdings angesichts komplexer Wissenschafts- und Technikentscheidungen jeweils adäquat sind, war eine der Ausgangsfragen der öffentlichen Ringvorlesung.

Demokratische Entscheidungsprozesse verharren nicht unbeweglich so, wie sie einst verankert wurden. Nicht nur Wissenschaft und Technologie sind im Wandel, sondern auch demokratische Praxen und Prozeduren. Bei Technologien wie der Kernenergie und der Biotechnologie nahmen die Ansprüche der Bürger auf Einflussnahme zu. Bürger waren räumlich betroffen durch neue kerntechnologische Gefahren, durch Kernkraftwerke und durch die Endlagerung atomarer Abfälle. Sie fürchteten einen „radioaktiven Zerfall der Grundrechte“ (Roßnagel 1984), einen „Atom- und Überwachungsstaat“ (Jungk 1977) und eine „Technokratie“ (vgl. Schelsky 1961). Bürgerbewegungen artikulierten Ansprüche auf Beteiligung an der Gestaltung von Energie-Technologiepfaden. Ähnlich in der Biotechnologie: Ethische Aspekte wurden von Bürgern, Kirchen und Interessengruppen thematisiert, als durch den biotechnologischen Zugriff auf den Menschen unser kulturell geprägtes Menschenbild berührt wurde. Besonders brisant ist die Frage der politischen Gestaltbarkeit bei jenen Wissenschaftssektoren und Technologiepfaden, die weit in die Zukunft reichen und oftmals Elemente der Irreversibilität in sich tragen: Wenn schon weitreichende Entscheidungen politisch gefällt werden müssen, ist der Anspruch an deren Verantwortbarkeit und Legitimität zu Recht hoch. Brauchen wir eine neue Zielbestimmung, erweiterte Möglichkeiten und wirksamere Instrumente zu einer politischen Technik- und Wissenschaftsgestaltung?

Problempunkte und Herausforderungen

Ob die Wissenschafts- und Technikentwicklung überhaupt einer politischen Gestaltung zugänglich ist, ist eine zentrale Ausgangsfrage. Wenn man der skeptischen Sicht des technologischen Determinismus bzw. des eigendynamischen evolutionären Modells2 folgt, gibt es bei technologischen Entwicklungen nichts zu gestalten (vgl. kritisch dazu: Ropohl 1996, 22; s. auch Schmidt in der Dokumentation „Technik und Demokratie“). Es handele sich um eine globale gesellschaftliche, wirtschaftliche und technologische Entwicklung, die quasi automatisch und eigengesetzlich vorangetrieben werde. Eine derartige These hatte in den 1960er Jahren H. Schelsky mit seinem konservativen Hinweis auf den „Technischen Staat“ hervorgebracht und damit die sogenannte Technokratie-Debatte ausgelöst (Schelsky 1961): Demokratie transformiere sich zu einer Technokratie; Technik beherrsche demokratische Prozesse und Prozeduren.

Völlig abzuweisen war diese Sichtweise gewiss nicht: Keine Institution unserer repräsentativen Demokratie hat etwa über die Einführung der Informations­technologie und die daraus resultierende Präsenz von Personalcomputern in allen Lebensbereichen entschieden. Dem technologischen Determinismus zufolge wäre es, wenn überhaupt, möglich, bei der wissenschaftlichen Grundlagenforschung gestaltend zu wirken. Aber hier stehen die schnellen Entwicklungen und Veränderungen der Zukunftswissenschaften im Wege: Analysen, die darauf aufbauende Urteilsfähigkeit und mögliche Entscheidungen kommen vielfach zu spät. Zudem machen sich die Einflüsse der globalen Wettbewerbsstrukturen bemerkbar. So sind Informations- und Kommunikationstechnologien aufgrund des globalen Marktes im nationalen Bereich generell nur begrenzt gestaltbar.

Der technologische Determinismus unterstellt, dass Technikentwicklung weitgehend immun sei gegenüber politischer Gestaltung. Diesem Verständnis stehen Argumente entgegen, die die Wissenschafts- und Technikentwicklung selbst als einen sozialen und kulturellen Prozess identifizierbarer Akteursgruppen ansehen (vgl. allgemein Weingart 1989; Grunwald 2000, 22), welcher der politischen Gestaltung zugänglich sei. Entsprechende technikgenetische Modelle zielen auf die deskriptive Analyse der jeweiligen akteurbedingten Entstehungsprozesse soziotechnischer Systeme. Die Gestaltung auf unterschiedlichen Ebenen der Technikentstehung und -verwendung wird herausgestellt, ohne jedoch normative Gesichtspunkte einzum Beispielziehen bzw. politische Gestaltungsinstrumente explizit zu thematisieren.

Freilich ist politische Gestaltung und Steuerung im Zeitalter von „local and global governance“, einer „prozeduralen Politik“ (Heinelt & Mühlich 2000) bzw. einer „Subpolitik” (Beck 1986) nicht mehr als dirigistischer „top-down“-Prozess, sondern als eine „absichtsvolle Beeinflussung sozialer Prozesse“ (Mayntz 1997, 275). So kann von einem Steuerungsverzicht keine Rede sein. Vielmehr ändert sich die Art und Weise der Steuerung – und damit auch das Steuerungsverständnis. Der Staat setzt seinen Steuerungswillen mit anderen Mitteln um, zum Beispiel durch Verhandlungen mit gesellschaftlichen Akteuren, durch Partizipationsprozesse, durch Weiterleitung von Regelungsbefugnissen an Organisationen der Selbstverwaltung oder durch Nutzung von Netzwerken. Folglich muss man „politische Steuerung und gesellschaftliche Selbstregelung“ nicht als Alternativen verstehen, sondern als eine „verbreitete Mischform von Governance, die unter bestimmten Bedingungen besonders wirkungsvoll sein kann“ (ebd., 279).

Ob nun systemtheoretische, netzwerkartige oder handlungstheoretische, ob lokale oder globale, ob partizipative oder zentrale Gestaltungsperspektiven, – in ihnen liegen eine Reihe von Problemen im Hinblick auf die Demokratiefähigkeit der Zukunftswissenschaften und Zukunftstechnologien. Die Problempunkte markieren nicht nur Konfliktpotentiale und Interessenskollisionen, sondern weisen auf die wissenschaftlich-technische Tiefenstruktur moderner Gesellschaften und die demokratischen Fähigkeiten zu deren Handhabung hin. Der Umgang mit dieser Tiefenstruktur scheint eine unabweisbare demokratiepraktische und demokratietheoretische Herausforderung darzustellen. Einige Beispiele:

Wissenschaft und Technik weisen heute eine hohe Komplexität auf. In diesem Zusammenhang ist von einer neuen „Unübersichtlichkeit“ (Habermas 1985) und von einem stetig wachsenden „Nichtwissen“ (Beck 1996; Luhmann 1992) die Rede. Das ist problematisch hinsichtlich der Möglichkeit demokratischer Entscheidungsprozeduren. Zur politischen Wissenschafts- und Technikgestaltung bedarf es entscheidungsrelevanten Wissens über die jeweiligen Bereiche der Wissenschaft und Technikfelder.

Auf den ersten Blick scheinen diese Anforderungen dafür zu sprechen, Problemwahrnehmungen, Entscheidungen und Gestaltungen in die Hand von Experten zu legen. Aber auch im Kreise von Experten besteht das Problem des mangelnden Wissens und des ständig wachsenden Nichtwissens. So bleibt erstens unklar, wie gesellschaftliche Wissenschafts- und Technikprobleme als solche wahrgenommen werden können. Wie sollen Wahrnehmungsprozesse und Problemspezifikationen organisiert werden? Wer besitzt die Definitionsmacht über Probleme, über die politisch zu lösenden Herausforderungen?

Neben der Problemwahrnehmung steht zweitens die Anforderung an Problemlösung. Auch und gerade hier scheint der Experte gefragt zu sein. Aber hat der Ingenieur ausreichende Kenntnisse über die politikpraktischen, gesellschaftlichen, gesundheitlichen, ökologischen, globalen etc. Auswirkungen, die eine technische Entwicklung haben könnte? Kennt der Sozialwissenschaftler die technischen Zusammenhänge und die weiten Entwicklungspotentiale einer Technologie, um eine probleminduzierte Technikfolgenabschätzung vornehmen zu können?

Eine naheliegende Lösung, die auch immer wieder in Enquêtekommissionen und Ethikräten praktiziert wird, besteht darin, die Experten und ihr jeweiliges Fachwissen an einen Tisch zu bringen. Doch in diesen Runden sind nicht selten die jeweiligen disziplinären Barrieren, die Methoden, Sprachen, Denkfiguren derart verschieden, dass kaum ein gemeinsames Verständnis erzielt werden kann.3 Ist eine probleminduzierte Interdisziplinarität möglich, die von vielen so vehement gefordert wird, oder sind die disziplinären Wissenstypen nicht letztlich inkompatibel? Müssen nicht bei gemeinsam verfassten Abschlussberichten alle darauf vertrauen, dass der jeweilige Experte eine richtige Einschätzung der von ihm zu vertretenden komplexen Materie hat? Zudem liegt eine offenkundige Problematik derartiger Gremien in ihrer Zusammensetzung. Wer entscheidet, wer „Experte“ für welches Gebiet ist? Wenn nun alle irgendwo „Laien“ und „Experten“ sind, ist es fraglich geworden, wie man „Laien“ und „Experten“ überhaupt noch unterscheiden soll. Die Frage, wer als „Laie“ und wer als „Experte“ zu bezeichnen ist, ist nicht mehr abschließend zu beantworten.

Ein gewisses Maß an Fach- und Sachwissen für eine politische Wissenschafts- und Technikgestaltung scheint unumgänglich zu sein. Zur Komplexität kommen die Fragen der Vermittelbarkeit und der Trans­pa­renz hinzu. Können „Experten“ über neue technologische Entwicklungen die Öffentlichkeit derart informieren, dass auch der Bürger ein tieferes Verständnis erlangt? Zu Recht sind hier Zweifel angebracht. Aber, so könnte ein Gegenargument lauten, ein tieferes, wissenschaftliches Wissen ist gar nicht notwendig. Es könnte ausreichen, über die grundlegenden Probleme (zum Beispiel ethische Bedenken bei der Stammzellenforschung) oder das Ausmaß eines potentiellen Schadens (zum Beispiel in der Kernenergie) informiert zu sein. Doch dann führte man primär die Risiko-Debatte.

Die eigentlich weiterführende und grundlegendere Frage hingegen, welche Technologien als adäquat und wünschenswert anzusehen sind für eine zukunftsfähige Gesellschaftsentwicklung, würde verkannt werden. Noch schwieriger wird die Situation, wenn der noch frühe Stand der Forschung (zum Beispiel Nanotechnologie) eine hinreichende Einschätzung des zukünftigen Technologiepfades kaum zulässt. Doch dann tritt die Frage der Entscheidbarkeit nicht nur für Laien, sondern generell auf: Auf welcher Basis kann man dann eine Entscheidung überhaupt noch fällen?

Ein weiteres grundsätzliches Problem für die Demokratiefähigkeit liegt in der Pfadabhängigkeit bzw. Unumkehrbarkeit. Bei vielen der genannten Zukunftswissenschaften und -technologien kann durch ihre erstmalige Initiierung, aufgrund der mit ihr verbundenen Kosten (Beispiel: Kernenergie) oder aufgrund ihrer Freisetzung (Beispiel: Gentechnik, aber auch Informationstechnologien), eine Entwicklung in Gang gesetzt werden, die irreversibel ist. Der einmal eingeschlagene wissenschaftlich-technische Pfad kann unter Umständen gar nicht mehr oder nur unter erheblichen Kosten wieder verlassen werden.

Die damit verbundenen demokratietheoretischen Probleme liegen auf der Hand: Zum Zeitpunkt der Initiierung wird eine Entscheidung getroffen, deren Folgen zukünftige Generationen betreffen, ohne dass diese gestaltend Einfluss nehmen können. Ob und ggf. wie eine intergenerative Demokratie möglich ist und realisiert werden könnte, scheint derzeit ungeklärt. Eine relevante Teildiskussion zu einer intergenerativen Demokratie, die unter den Stichworten „Nachhaltige Entwicklung/Agenda 21“ und „intergenerative Gerechtigkeit“ geführt wird, hat bislang keine praktikablen Konzepte erbracht.

Das grundlegende Problem der Demokratiefähigkeit von Zukunftswissenschaften und -technologien bündelt sich in der Frage, wie der von der klassischen Demokratietheorie immer wieder formulierte Anspruch gewahrt werden kann, dass diejenigen, die Entscheidungen und Normen unterworfen sind, ihnen auch zustimmen müssten (vgl. Abromeit 2002). Dass dieser Anspruch nicht leicht einzulösen ist – zum Beispiel durch regelmäßige Abstimmungen – liegt nach der obigen Darstellung von Problemen auf der Hand. Alternativ zur klassischen Demokratietheorie kann man Demokratie verstehen als „ein Bündel von Verfahren zur Herstellung kollektiv verbindlicher Entscheidungen (...), die dadurch ausgezeichnet sind, dass sie rational motivierende Gründe der Anerkennung dieser Entscheidungen und der daraus resultierenden Verpflichtungen mitproduzieren.” (Klein/Schmalz-Bruns 1997, 12)

Aber auch dieses Verständnis von Demokratie, welches weiter und weniger anspruchsvoll ist hinsichtlich der Zustimmung eines jeden Einzelnen, liefert keine einfache, für alle Fälle gültige Perspektive für das Entscheidungs- und Legitimationsproblem der Gestaltung von Zukunftswissenschaften und -technologien. Vielmehr sind, je nach Fall und nach Gegenstandsfeld, verschiedene Formen von demokratischen Verfahren anzuwenden. Das ist schon heute in einigen Fällen gängige Praxis. So hat der Streit um die Atomenergie gezeigt, wie öffentlicher Protest der Bürger wirkungsvoll sein kann und dass er Einfluss gewinnen kann auf parlamentarische Prozesse. Die Gen­ und Medizintechnologie-Diskussion bewirkte die Einsetzung eines weiteren beratenden Expertengremiums, des Nationalen Ethikrates.

Diese sich immer weiter entwickelnde Komplexität der demokratischen Strukturen kann man als eine Antwort auf die Komplexität der anstehenden Entscheidungen werten (vgl. Schmidt 1997, 46). Damit mag eine, möglicherweise nicht immer begrüßenswerte, wachsende Streuung der Machtressourcen verbunden sein. Bislang scheint diese Weiterentwicklung der Demokratie ungeplant, unstrukturiert, scheinbar evolutionär zu verlaufen. Demokratie ist vielfach von wissenschaftlichen und technischen Entwicklungen getrieben. Gesellschaftliche Ziele, Visionen, Leitbilder liegen der Demokratieentwicklung kaum zugrunde. Der Rekurs auf tagespolitische Tendenzen und Wahlzyklen scheint hier ebenso wenig hilfreich zu sein wie die Orientierung an Interessengruppen, Parteien, Verbänden oder Protestbewegungen. Die Beiträge in diesem Buch zeigen aus unterschiedlichen Perspektiven heraus auf, welche Formen der Demokratie mögliche Antworten auf Entwicklungen von Wissenschaft und Technik sein könnten – und wie Demokratie ihrerseits systematisch weiterentwickelt und gestaltet werden könnte.

Von der Demokratieverträglichkeit zur Demokratiefähigkeit

Die auch in der Dokumentation „Technik und Demokratie“ akzentuierte, allerdings später zu erweiternde Frage nach der Demokratie- und Verfassungsverträglichkeit von Technik und Wissenschaft ist in Politik und in Politikwissenschaft immer noch nicht gängig (vgl. dazu Roßnagel 1989, Saretzki 2000, 17; Überblick in: Martinsen/Simonis 2000). Zwar haben die Arbeiten von A. Roßnagel, Th. Saretzki und anderen auf die Notwendigkeit einer erweiterten demokratietheoretischen bzw. rechtswissenschaftlichen Perspektive hingewiesen. Durchgesetzt hat sie sich nicht. Die Kriterien zur Bewertung von Wissenschaft und Technik rekurrieren nach wie vor auf Umwelt-, Gesundheits- und Sozialverträglichkeit oder auch internationale Wettbewerbsfähigkeit. Auch das Leitbild der Nachhaltigen Entwicklung stellt demokratietheoretische und -praktische sowie juristische Aspekte hinter soziale, ökologische, ökonomische Gesichtspunkte zurück, ebenso wie hinter ethisch-moralische bzw. institutionentheoretische Zugänge.

Dies ist bemerkenswert angesichts der tiefschichtigen gesellschaftlichen Diskussion um die Ambivalenz von Technisierungsprozessen seit den 1960er Jahren. In den frühen 1980er Jahren hatte der Jurist A. Roßnagel nach der „Verfassungsverträglichkeit der Kernenergie“ gefragt und eine “verfassungsverträgliche Technikgestaltung” eingefordert (Roßnagel 1984, 89). „Die Verwendung technischer Verfahren verändert nicht nur die Gesellschaft, sondern zugleich auch die Verwirklichungsbedingungen von Recht. Allgemein formuliert dürfte sich die weltverändernde Kraft der Technik – trotz Demokratie – letztlich als der stärkste Einflußfaktor für die Fortentwicklung des Rechts erweisen.“ (Roßnagel 1999, 857) Roßnagel fragte, ob sich die Technologien an das Recht oder, umgekehrt, das Recht an die Technologien anpassen bzw. anpassen sollten. Wer ist Schrittmacher? Nun ist „in dem wechselseitigen Anpassungsprozeß (... das) Recht der weniger bestimmende als vielmehr der sich anpassende Faktor“ (Roßnagel 1999, 859).

Nicht nur das Recht und die Recht-Entwicklung, auch die demokratischen Prozesse wären nach Roßnagels kritischer Analyse Getriebene der wissenschaftlich-technischen Entwicklung, ohne präventive Möglichkeiten zur Gestaltung. So verändern beispielsweise die Kontrollmöglichkeiten durch Informations- und Kommunikationstechnologien die bestehenden Machtverhältnisse zwischen Bürgern untereinander ebenso wie zwischen Bürgern und Staat, etwa mit Einwirkungen auf das Fernmeldegeheimnis und die entsprechenden Schutzbestimmungen. Die Bio- und Gentechnologien, die Fortpflanzungsmedizin mittels künstlicher Befruchtung, Samenbanken, Embryonentransfer, pränataler Implantationsdiagnostik führen zur Veränderung des Verständnisses dessen, was ein Mensch ist, wann das Menschsein beginnt und wie Menschenwürde zu fassen ist – mit verfassungs- und strafrechtlicher Relevanz.

Im Spannungsverhältnis von Recht und Zukunftstechnologien kann mithin zwischen mindestens zwei Aspekten unterschieden werden, die auch für demokratietheoretische Fragestellungen Bedeutung erlangen: Erstens wird in der einseitigen Einwirkungslinie von den Technologien auf das Recht auf jene Rechtsprobleme rekurriert, welche durch Entwicklung, Implementierung, Anwendung und Gebrauch von Technologien induziert werden. Zweitens bleibt die Hoffnung, dass das Recht nicht nur reaktiv wirksam wird. In ihm selbst liegen sowohl normativ fundierte als auch legitimierbare Potentiale, die zur Technikgestaltung herangezogen werden können. Gerade grundlegende Verfassungsziele werden nur dann bewahrt werden können, wenn man von ihnen ausgehend Zukunftswissenschaften und Zukunftstechnologien bewertet und Gestaltungsoptionen entwickelt, so Roßnagel. Die bestehende Rechtsordnung wäre demnach nicht nur reaktiv, sondern prospektiv in Anschlag zu bringen, um eine frühzeitige politische Gestaltung von Wissenschafts- und Technologiepfaden zu ermöglichen. Ob ihr dies allerdings ohne eine Reflexion über gesellschaftliche Ziele, Zukunftsvisionen und Zukunftskonzepte gelingt, bleibt eine offene, durchaus klärungsbedürftige Frage. Nicht nur „von der Wissenschaft werden Visionen erwartet“ (vgl. Frühwald 1997) für eine technische Zukunft, sondern insbesondere von der Gesellschaft und den demokratisch legitimiert Handelnden.

Der rechtswissenschaftliche Zugang von A. Roßnagel trifft sich mit den steuerungstheoretischen Zugängen der Politikwissenschaften. Im Zentrum steht die Frage nach Optionen, Instrumenten, Mechanismen, nicht nach Zielen, Zwecken und erstrebenswerten Zukünften: Können Staat und Verwaltung die wissenschaftlich-technische Entwicklung noch steuern und gestalten? Verfügen sie noch über die adäquaten Instrumente, Mittel, Machtmöglichkeiten, um eine Steuerung vornehmen zu können? Doch die rein steuerungstheoretischen Zugänge eines kräftigen, handelnden, zentralen Staates sind in Kritik geraten (vgl. Willke 1983). Das Verschwinden des Planungsoptimismus in den 1970er Jahren konnte die steuerungstheoretischen Zugänge nicht unberührt lassen.

Statt staatliches und Verwaltungs-Handeln einseitig hervorzuheben, rückte die Bürgerbeteiligung stärker ins politikwissenschaftliche Gesichtsfeld. P.J. Frankenfeld und Th. Saretzki sprechen heute – in aller Ambivalenz – von der Entdeckung der „technologischen Bürgerschaft“ (Frankenfeld 1992; Saretzki 2000). Sie argumentieren aus jeweils unterschiedlichen Perspektiven für eine Zivilgesellschaft, die nicht nur durch die Technologieentwicklung getrieben ist, sondern steuernd bzw. gestaltend wirkt. Neue Politikformen, partizipative, diskursive und prozedurale Verfahren sind konstitutiv für eine technologische Bürgerschaft. Technikentwicklung werde dann von einer in technologischen Fragen kompetenten Zivilgesellschaft zwar nicht (mehr) zentral gesteuert, wohl aber an Knotenpunkten von Netzen gestaltet. Die technologische Bürgerschaft betreibe mithin eine „partizipative Subpolitik“ (Beck 1986) auf unterschiedlichen Handlungsfeldern, d.h. eine „Politik von unten“ durch den technologisch aufgeklärten und mündigen Bürger (Saretzki 2000).

Der in der Sozialwissenschaft gängige Terminus Demokratieverträglichkeit von Forschung, Wissenschaft und Technik hat zwar neue Dimensionen im politischen Umgang mit der Technik aufgezeigt, reflektiert und analysiert. Unproblematisch ist er jedoch nicht. Schließlich setzt er eine Gegenüberstellung voraus, nämlich dass Technik als Gegenstand den demokratischen Entscheidungsprozessen äußerlich bleibt. Die technisch unberührte Demokratie gestaltet demnach die Technikentwicklung durch äußere Rahmenbedingungen, durch Ge- und Verbote, innerhalb derer sich technologische Entwicklungen vollziehen können. Nur in der Gesetzgebung, der Verteilung von Forschungsgeldern, den wirtschaftlich verwertbaren Patenten und der (Technik-) Folgenproblematik lägen mithin Kontaktstellen der beiden dualen, sehr ungleichen Partner (vgl. R. Grunwald, Technik und Demokratie 2003, 197). Erst vor dem Hintergrund dieses Dualismus zwischen Demokratie und Technik lässt sich die Frage nach der Verträglichkeit formulieren: Ist das Eine mit dem Anderen verträglich? Verträgt sich neue Technik mit gegebener Demokratie? Auf einem verwandten Gebiet, nämlich dem der Gesellschaft und Technik, haben die Techniksoziologie und die Technikphilosophie mit dualistischen Verständnisweisen gebrochen und den Durchdringungscharakter hervorgehoben (vgl. Weingart 1989, Latour 1987). Wäre nicht ähnliches produktiv für das Verhältnis von Technik und Demokratie, wie B. Latour in seinem provokativen Entwurf zu einem „Parlament der Dinge“ vorschlägt (Latour 2001)?

Die Redeweise von Demokratieverträglichkeit trägt ein problematisches, passiv-resignatives Rahmenkonzept von Demokratie hinsichtlich der Technikgestaltung in sich. Technikgestaltung wäre demnach primär staatlich-zentrale Gewährleistung von Rahmenbedingungen. Demokratie scheint festzustehen, während sich Technik verändert, entwickelt, stetig Neues hervorbringt. Nur wenn Demokratie fest verankert ist, kann sie als Maß und als regulativer Rahmen verwendet werden, um Technik hinsichtlich der Verträglichkeit für die gegebene Demokratie zu bewerten. Das resignative Rahmenkonzept akzentuiert zudem einseitig, wie in den 1970er und frühen 1980er Jahren unter Technikskeptikern üblich, die Risiken, Probleme, Fragwürdigkeiten. Nicht die Potentiale von Technik für eine positive Demokratieentwicklung und für eine Demokratisierung der Demokratie werden thematisiert, sondern lediglich der Passungscharakter, die Angepasstheit und Verträglichkeit einer schon in Gang gesetzten Technikentwicklung mit einer gegebenen Demokratie. Insofern spiegelt der Begriff „Demokratieverträglichkeit“ die traditionelle, zu kurz greifende und visionslose Risiko-Debatte wider.

Wird Demokratieverträglichkeit als einseitig limitierendes Kriterium zur Technikbewertung verwendet, kommt sie freilich zu spät, nämlich dann, wenn Risiken bereits offensichtlich sind, d.h. wenn eine Technologie bereits hinreichend entwickelt ist.  Die normative zukunftsrelevante Frage jedoch, welche Form einer Demokratie – möglichst technologisch-aufgeklärt – wir für ein gelingendes gesellschaftliches Leben (Horkheimer 1995) anstreben wollen und umsetzen können, lässt sich im Horizont des passiv-resignativen Rahmenkonzepts nicht einmal stellen. R. Herzog scheint Recht zu haben, wenn er grundsätzlich für eine gelingende Zukunft der wissenschaftlich-technischen Gesellschaft fordert: „Die Frage ,Was wollen wir eigentlich?‘ muss wieder in den Mittelpunkt der gesellschaftlichen Debatte  rücken.“ (Herzog 1998) Dazu scheint aber auch eine tiefgreifende Revision des Technik-Demokratie-Verständnisses notwendig zu werden.

Treffender und auch provokativer als von Demokratieverträglichkeit scheint es, von Demokratiefähigkeit zu sprechen. Mit dem programmatischen Hinweis auf Demokratiefähigkeit soll in diesem Buch ein Transformationsprozess im Verständnis von Technik und Demokratie – und ihrem Verhältnis – angedeutet werden. Technik setzt ihrerseits Normen, etabliert Regeln, fördert bestimmte Praxen. Wenn nun nach der Demokratiefähigkeit von Technik gefragt wird, wird Technik selbst eine Art Fähigkeit zugesprochen, nämlich dass Technik zur Demokratieentwicklung Entscheidendes beizutragen habe. Technik erscheint als machtförmige Instanz im politischen Aushandlungsprozess um Zukunft – positiv wie negativ.

Damit soll der Technik freilich nicht der Status eines menschlichen Subjektes, eines menschlich-politischen Handelnden oder Akteurs, zugesprochen werden. Doch scheint unbestreitbar, dass Technik in politischen Prozessen eine ähnlich machtvolle Rolle spielt wie politische Interessengruppen – insofern ist wohl die These des technologischen Determinismus mit dem Hinweis auf eine wissenschaftlich-technische Eigendynamik, jenseits des jeweiliges handelnden Einzelwissenschaftlers, partiell treffend. Begreift man Technik als Instanz im politischen Aushandlungsprozess, so ist es nicht alleine der Mensch, der fähig ist zum Umgang in und mit der Demokratie, zur Pflege und Weiterentwicklung. Noch weiterführende Überlegungen hat B. Latour angestellt, der auch Technologieformen – als sozio-technische Hybride – die Befähigung zu und die Teilhabe an Demokratie zuspricht (vgl. Latour 2001). Neben ihrer eigenen Fähigkeit können sie andere befähigen oder auch zu deren Fähigkeiten beitragen.

Wenn nach der Demokratiefähigkeit von Zukunftswissenschaften und Zukunftstechnologien gefragt wird, so soll programmatisch erstens der Demokratie-Technik-Dualismus zumindest teilweise überwunden werden. Technik erscheint machtförmig im Horizont von Demokratie; diese Machtförmigkeit wäre heute verstärkt zu berücksichtigen. Hier ist freilich weiterer demokratietheoretischer und -praktischer Klärungsbedarf zu konstatieren. Zweitens wird das äußere zentrale steuerungsorientierte Rahmenkonzept zur Technikgestaltung obsolet. Die technisierte Gesellschaft gleicht im Zeitalter der Biopolitik keiner sozialen Maschine, für welche das technische Vokabular (Instrumente, Steuerung, Mechanismen) angemessen wäre. Technikgestaltung findet plural und facettenreich auf unterschiedlichen politischen Ebenen statt. Denn Technik ist schon immer dort, wo Demokratie ist. Drittens hebt der Terminus „Demokratiefähigkeit” auch mögliche positive Aspekte der Technikentwicklung hervor. Nicht allein die Verträglichkeit, sondern die Fähigkeit und mithin die Förderung von Demokratie durch Technik wird akzentuiert. Viertens rückt damit die Frage nach der demokratischen Zukunft in der wissenschaftlich-technischen Zivilisation stärker in den Mittelpunkt. Demokratische Fähigkeiten können heute nur dann gefördert, gestärkt, ausgebaut werden, wenn Wissenschafts- und Technikgestaltung einen relevanten inneren Platz im politischen Aushandeln erhalten. Wissenschaft und Technik sind als Teilnehmer im Aushandlungsprozess beteiligt (vgl. Latour 2001). Weder eine Überschätzung noch eine Unterschätzung von deren Fähigkeiten ist da hilfreich. Eine demokratietheoretisch umfassende Reflexion über Ziele, Kriterien und Prozeduren einer politischen Wissenschafts- und Technikgestaltung könnte – jenseits der Verkürzungen von „Biopolitik“, „Medizinpolitik“, „Wissenschafts- und Forschungspolitik“ in partikuläre Politikfelder – dazu beitragen, einen integralen zukunftsrelevanten Politikbereich zu etablieren.

Die Autoren: Dr. Kirsten Mensch ist Politikwissenschaftlerin und seit 2000 Wissenschaftliche Referentin der Schader-Stiftung. Professor PD phil. Dr. rer. nat. Jan C. Schmidt, Physiker und Philosoph, lehrt an der Hochschule Darmstadt. 2003 war er Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Interdisziplinäre Technikforschung (ZIT) und am Institut für Philosophie der Technischen Universität Darmstadt.

Literatur

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Beck, Ulrich, 1986: Risikogesellschaft, Frankfurt a. M.: Suhrkamp

Beck, Ulrich, 1996: Wissen oder Nicht-Wissen? In: Beck, Ulrich et al. (Hrsg.):
Reflexive Modernisierung. Eine Kontroverse, Frankfurt a. M.: Suhrkamp, S. 289-315

Bröchler, Stephan / Simonis, Georg / Sundermann, Karsten (Hrsg.), 1999: Handbuch Technikfolgenabschätzung (HdbTA), Berlin: edition sigma

Frankenfeld, P.J., 1992: Technological Citizenship: A Normative Framework for Risk Studies, in: Science, Technology & Human Values 17, S. 459-484

Frühwald, Wolfgang, 1997: Von der Wissenschaft werden Visionen erwartet. In: Forschung – Mitteilungen der DFG 2-3/97, S. 1-4

Geyer, Christian (Hrsg.), 2001: Biopolitik, Frankfurt a. M.: Suhrkamp

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Grimmer, Klaus et al. (Hrsg.), 1992: Politische Techniksteuerung, Opladen: Leske + Budrich

Grunwald, Armin, 2000: Technik für die Gesellschaft von morgen. Möglichkeiten und Grenzen gesellschaftlicher Technikgestaltung, Frankfurt a. M./New York: Campus

Habermas, Jürgen, 1985: Die Neue Unübersichtlichkeit, Frankfurt a. M.: Suhrkamp

Haraway, Donna, 1995: Die Neuerfindung der Natur: Primaten, Cyborgs und Frauen, Frankfurt a. M./New York: Campus

Hartwich, Hans-Hermann (Hrsg.), 1986: Politik und die Macht der Technik, Tagungsbericht. Opladen: Westdeutscher Verlag

Heinelt, Hubert/Mühlich, Eberhard (Hrsg.), 2000: Lokale „Agenda 21“-Prozesse. Erklärungsansätze, Konzepte, Ergebnisse, Opladen: Leske + Budrich

Herzog, Roman, 1998: Demokratie darf nicht zur Expertokratie verkommen. In: Süddeutsche Zeitung, Nr. 228, S. 11

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1 Auf den experimentellen Charakter im Spannungsfeld von Technikeinführung und Demokratie weist W. Krohn in seinem Beitrag „Zukunftsgestaltung als Experimente von und mit uns selbst“, in: Kirsten Mensch/Jan C. Schmidt (Hrsg.): Technik und Demokratie, 2003, S. 157-177, hin.
2 Etwa als sozialtechnologische Modellierung der Technikentwicklung (vgl. Grunwald 2000, 54f).
3 Diesem Problem widmet sich u. a. K. Weber-Hassemer, Politische Entscheidung und Politikberatung in der „konsensualen Demokratie“. Das Beispiel des Nationalen Ethikrates, in: Kirsten Mensch/Jan C. Schmidt (Hrsg.): Technik und Demokratie, 2003, S. 77-88.

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