Gesellschaftliche Konflikte im Zuge der Energiewende
Artikel vom 16.03.2016
Am 14. März 2016 fand im Schader-Forum eine Veranstaltung zum Thema „Gesellschaftliche Konflikte im Zuge der Energiewende“ statt. Die Veranstaltung, bestehend aus Wissenschaftlichem Symposium und öffentlicher Podiumsdiskussion, wurde von der Schader-Stiftung in Kooperation mit dem Forschungsverbund „Dezent Zivil“ und dem Team Ewen organisiert.
Die Schweigende Mehrheit: ein Phantom? Gesellschaftliche Konflikte im Zuge der Energiewende
Trotz allgemeiner Zustimmung zur Energiewende ist bei der lokalen Umsetzung von erneuerbaren Energievorhaben starker, teilweise heftiger Widerstand festzustellen. Welche sozialen und kognitiven Prozesse führen zu Meinungsverhärtungen und verschärfen interessenbasierte mobilisierte lokale Proteste gegen Windenergievorhaben? Welche Argumente bewegen die Menschen, welche sozialen Mechanismen verstärken den Protest? Neben den lauten Protestgruppen gibt es allerdings auch schweigende Bevölkerungsteile. Was wollen diese und welche Formen der Information und des Dialogs erreichen die schweigende Mehrheit?
Zu diesen Fragen veranstaltete die Schader-Stiftung gemeinsam mit dem Forschungsverbund „Dezent Zivil“ ein wissenschaftliches Symposium. Im Rahmen der Veranstaltung wurden die Ergebnisse zweier vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderter Forschungsprojekte – Dezent Zivil und Energiekonflikte – vorgestellt und anschließend mit Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, Politik und Verwaltung erörtert. Darüber hinaus wurden auf einer öffentlichen Podiumsdiskussion thesenartig Handlungsempfehlungen in Bezug auf partizipative Prozesse erörtert.
Ergebnisse des Symposiums
Im ersten Teil des Symposiums stellten die Forscher der Forschungsverbünde „Dezent Zivil“ und „Energiekonflikte“ unter anderem fest: Der häufig in der Beteiligungsforschung und -praxis verwendete Begriff der „Akzeptanz“ ist kritisch zu sehen. Er macht analytisch blind für unterschiedliche Meinungsbildungsdynamiken, bei denen zum Beispiel ehemals Befürworter von Windenergieanlagen zu Kritikern werden können. Diese Personenkreise können nachvollziehbare Gründe haben, weshalb sie eine Planung ablehnen, die nicht allein mit dem NIMBY Phänomen – Not in my Backyard – gleichzusetzen oder zu erklären sind. Zudem wurden die Grenzen von „Beteiligung“ bei Bauvorhaben zur Windenergie thematisiert und kritische Erfolgsfaktoren wie politische Unterstützung der zentralen Akteure oder transparente Planung gemeinsam diskutiert.
Am Nachmittag diskutierten die Teilnehmer des Workshops in drei Gesprächskreisen an Thementischen über „Frühe Bürgerbeteiligung“, „Akzeptanz“ und „Sachlichkeit“, allesamt Themenkomplexe, die im Umgang mit unterschiedlichen Zielgruppen in Beteiligungsprozessen von großer Bedeutung sind.
Frühzeitigkeit der Bürgerbeteiligung gilt gemeinhin als zentraler Erfolgsfaktor gelingender Beteiligungsverfahren. Die Teilnehmer des Thementisches, der sich mit Fragen der Bürgerbeteiligung auseinandergesetzte, differenzierten diese These. Es geht nicht nur darum zeitlich früh in einer Planung Bürgerinnen und Bürger in den Prozess einzubinden. Wichtig ist zudem, dass politisch Verantwortliche zum Beteiligungsprozess stehen und Vorhaben in ein ganzheitliches Gesamtkonzept – beispielsweise Leitbilder für die Region – eingefasst sind, bei denen bereits breite Bevölkerungskreise in der Entwicklung mitgewirkt haben. Einigkeit bestand zudem darin, dass neben der formellen Beteiligung informelle Beteiligungsangebote unabdingbar sind. Allerdings müsste informelle Beteiligung auch „gut gemacht“ und eine sinnvolle Ergänzung zu formellen Verfahren sein. Dazu gehören die laienverständliche Informationsaufbereitung, klare Ausweisung zu welchen Themen eine Beteiligung erfolgen kann und eine glaubwürdige Berücksichtigung der Beteiligungsergebnisse in weiteren Planungsverfahren.
Einig waren sich die Teilnehmenden des zweiten Thementisches „Akzeptanz“, dass Bürgerbeteiligungsverfahren nicht zum Zwecke der Akzeptanzbeschaffung durchgeführt werden sollten. Stattdessen sollten diese vor allem ergebnisoffen und transparent gestaltet werden, um so eine gegenseitige Wertschätzung der Interessen, Klärung der Fachfragen und im optimalen Fall sogar eine faire Konfliktaustragung zu ermöglichen. Anstelle eines Konsenszwangs geht es in erster Linie darum, für Nachvollziehbarkeit und Klarheit beim Zustandekommen eines Ergebnisses zu sorgen.
Wie kann die Sachlichkeit einer teils stark emotional geführten Diskussion gewahrt bleiben, beziehungsweise wie geht man sachlich mit Unsachlichkeit um? Teilnehmer des Thementisches zur „Sachlichkeit“ hoben hervor, dass „unsachliche“ Diskussionen häufig in Ängsten begründet liegen, die sich zum Teil aus Unwissen, Misstrauen oder vagen Befürchtungen speisen. Diese gilt es zunächst zur Sprache zu bringen, um sie im Prozess der Versachlichung, das heißt einer transparenten Abwägung von Interessen, gegenüber zu stellen. Letztendlich sieht sich die Moderation immer mit unterschiedlichen Modalitäten von Sachlichkeit konfrontiert, da jedes Funktionssystem seine eigene „Sachlichkeit“ hat. Um die Sachlichkeit einer Diskussion zu ermöglichen, sind die Aufbereitung und Verfügbarkeit von Informationen für die gesamte Bürgerschaft und nicht nur die Gegner eines Vorhabens integraler Bestandteil des Verfahrens.
Podiumsdiskussion
Den Abschluss des Tages bildete eine öffentliche Podiumsdiskussion, die sich gemeinsam mit eingeladenen Podiumsteilnehmern aus der Forschung und Praxis dem Thema der „schweigenden Mehrheit“ widmete.
Zu Beginn der Podiumsdiskussion betonte Michael Frey von der Hochschule für öffentliche Verwaltung in Kehl die Artikulationsrolle der Moderation in Beteiligungsverfahren. All die Belange, die im Rahmen eines Genehmigungsverfahrens normalerweise kein rechtliches Gewicht haben, sollten in Beteiligungsverfahren Raum zur Artikulation erhalten. Aus ihrer „neutralen“ Rolle kann die Moderation dann die emotionalen oder persönlichen Anfeindungen herausfiltern, um die sachliche Grundlage einer Diskussion zu gewährleisten.
Auch für Bettina Brohmann vom Öko-Institut ist das Ansprechen emotionaler Aspekte essentiell. Die rationalen Beweggründe für ein Vorhaben sollten transparent gemacht werden wie auch die emotionale Ansprache der Bürgerschaft hinsichtlich bestehender Ängste und Besorgnisse.
Aus Perspektive der kommunalen Verwaltung schilderte Michèle Bernhard von der Koordinationsstelle Bürgerbeteiligung der Stadt Heidelberg ihre Erfahrungen. Seit 2012 verfügt die Stadt Heidelberg über Leitlinien, die das „wie“ der Beteiligung regeln. Diese „Spielregeln“ sehen vor, dass das Konzept eines Bürgerbeteiligungsverfahrens mit den Betroffenen zusammen entwickelt wird. So wird von Anfang an sichergestellt, dass der Rahmen der Beteiligung allen Teilnehmenden deutlich wird. Zur Adressierung der „schweigenden Mehrheit“ setzt die Stadt Heidelberg auf Kommunikation über mehrere Kanäle. Hier zeigen sich zum Teil beachtliche Diskrepanzen: Während die Teilnehmenden von Online-Umfragen ein Vorhaben möglicherweise größtenteils befürworten, schlägt den Vorhabenträgern bei öffentlichen Diskussionen zum Teil heftiger Widerstand entgegen. Deshalb ist es wichtig die unterschiedlichen Modalitäten des Austauschs aneinander zu koppeln, um zu einem vollständigeren Meinungs- und Interessensbild der Bürgerschaft zu gelangen.
Die Bürgerbeauftrage der Stadt Darmstadt Imke Jung-Kroh, Beraterin der Verwaltung und Stadtspitze bei der Planung, Durchführung und Auswertung von Projekten mit Bürgerbeteiligung, benannte Gründe für ein Schweigen beziehungsweise die nicht-Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger. So ist für einen Teil der Bürgerschaft der Status quo zufriedenstellend, wohingegen ein anderer Teil sich von den Beteiligungsverfahren inhaltlich nicht angesprochen fühlt. Andere hingegen fühlen sich aufgrund der „Sprache“ der komplexen Planungsvorhaben ausgeschlossen. Darin sieht sie einen der Gründe für das Problem der Elitenbeteiligung, gerade bei anspruchsvolleren Verfahren. Dem versucht die Stadt Darmstadt mit dem Pflegen von Netzwerken in die Bürgerschaft hinein entgegen zu wirken.
Auf die Frage des Moderators Christoph Ewen, ob man denn die „schweigende Mehrheit“ ansprechen sollte, antwortete Michael Frey mit einem entschlossenen „Ja“. Es ist wichtig die „Kommunikationsblasen“ unterschiedlicher Bevölkerungsteile aufzuschließen und in einen wahren Dialog zu treten. Auf Facebook findet ein Großteil der Organisation und des Austauschs von kritischen Bürgerinitiativen statt, so dass man dort die dominanten Argumentationsmuster vorfindet, auf die man dann vonseiten der Prozessverantwortlichen zielgerichtet antworten kann.
Auf die Frage aus dem Publikum, „wann und wie die Beteiligung erfolgt“, erläuterte Michèle Bernhard das Vorgehen der Stadtverwaltung. Drei Monate vor dem Beschluss des Gemeinderats werden Projekte dem Gemeinderat vorgestellt und gemeinsam erörtert, welche Spielräume für ein Beteiligungsverfahren mit welchen Zielgruppen bestehen, die dann ggf. vom Gemeinderat abgesegnet werden. Brohmann ergänzte, dass neben der Frühzeitigkeit der Beteiligungsverfahren auch fundierte Informationen erforderlich sind, um den Planungsgegenstand klar zu umreißen.
Auf die Frage ob nicht häufig bereits Planungen feststünden und Bürger nur noch „ja“ oder „nein“ zu Vorhaben sagen könnten, betonte Imke Jung-Kroh, dass informelle Beteiligung nicht im Ja/Nein-Schema funktioniert, sondern den Prozess der Aushandlung und Abwägungsentscheidung stärkt. Es geht um die Beurteilung von Varianten, den dialogischen Austausch, der bei einer Zuspitzung in eine Ja/Nein-Frage nicht mehr möglich ist. Man muss zwischen Verfahren unterscheiden, die vorrangig der Information und Transparenz dienen, und solchen, die echte Gestaltungsspielräume bieten. Nur dann kann von Bürgerbeteiligung die Rede sein.
Fazit: Es gibt nachvollziehbare Gründe, warum Teile der Bevölkerung sich nicht beteiligen – weil sie sich schlichtweg für das behandelte Thema nicht interessieren oder Vertrauen in die repräsentativen Verfahren haben und es deshalb für nicht erforderlich halten sich einzubringen. Allerdings, es bestehen auch Blockaden, die es zu beheben gilt. Wenn Betroffene von Planungsvorhaben sich nicht einbringen, etwa weil sie die „Sprache“ der Planung nicht verstehen oder kein Mehrwert im Einbringen Ihrer Meinung sehen. Diese Blockaden gilt es zu beheben.
Weiteres Material
Die Vortragsfolien des Wissenschaftlichen Symposiums stehen Ihnen im Downloadbereich als PDF-Dateien zur Verfügung.
Ebenso finden Sie im Downloadbereich das Programm des Wissenschaftlichen Symposiums und der öffentlichen Podiumsdiskussion.