Interkulturelle Öffnung und Willkommenskultur in Kommunen des ländlichen Raums
Artikel vom 16.06.2014
Nach zweijähriger Projektarbeit geht das Forschungs-Praxis-Projekt „Integrationspotenziale ländlicher Regionen im Strukturwandel“ in die abschließende Bewertungs- und Transferphase. Im Rahmen des dritten Netzwerkseminars am 27./28. Mai 2014 in Bad Kissingen wurden die von den Forschungsinstituten DESI und imap GmbH erarbeiteten Handlungsempfehlungen gemeinsam mit den beteiligten Kommunen und einem erweiterten Fachpublikum diskutiert. Von Gudrun Kirchhoff
Drittes Netzwerkseminar des Forschungs-Praxis-Projekts „Integrationspotenziale ländlicher Regionen im Strukturwandel"
Nach zweijähriger Projektarbeit geht das Forschungs-Praxis-Projekt „Integrationspotenziale ländlicher Regionen im Strukturwandel“ in die abschließende Bewertungs- und Transferphase. Das beauftragte Forschungsinstitut DESI hat in Zusammenarbeit mit der imap GmbH auf Basis der Erhebungen in den Kommunen und den Erfahrungen aus dem Coachingprozess Handlungsempfehlungen erarbeitet, die im Rahmen des dritten Netzwerkseminars am 27./28. Mai 2014 in Bad Kissingen gemeinsam mit den beteiligten Kommunen und einem erweiterten Fachpublikum diskutiert wurden. Im Zentrum stand die Frage, wie Kommunen des ländlichen Raums interkulturelle Öffnung und Willkommenskultur in Leitbildprozesse und kommunale Entwicklungsstrategien integrieren können, um ihre Attraktivität für Zuwanderer zu steigern. Ziel sind abgestimmte Empfehlungen an Bund, Länder und Kommunen, wie kommunale Integrationspolitik im ländlichen Raum zukunftsfähig gestaltet werden kann.
Nach einer Begrüßung durch den Oberbürgermeister der Stadt Bad Kissingen, Herr Kay Blankenburg, und einer Einführung durch Alexander Gemeinhardt, Vorstandsvorsitzender der Schader-Stiftung, lieferten zunächst zwei Fachvorträge zu den Themen „Potenziale ländlicher Kleinstädte in peripheren Lagen“ und „Wie können Kommunen für qualifizierte Zuwanderer attraktiv werden?“ Impulse für die Diskussion. Im Anschluss stellte Bülent Arslan, Geschäftsführer der imap GmbH, Ergebnisse aus dem Coachingprozess vor und Dr. Frank Gesemann erläuterte die übergeordnete Struktur und das Anliegen der Handlungsempfehlungen zum Projekt „Integrationspotenziale ländlicher Regionen im Strukturwandel“.
Als Erfolgsfaktoren für Veränderungsprozesse in kommunalen Institutionen sieht Herr Arslan erstens die geplanten Inhalte und Maßnahmen, diese müssen nachvollziehbar und transparent sein, aber auch Vorteile für die Beschäftigten bringen, so dass eine bessere Bewältigung der Aufgaben damit einhergeht. Als zweiten Aspekt nennt er eine entstehende Gruppendynamik, die das Gelingen befördert. Den zentralen Schlüssel stellt daher die Kommunikation zwischen den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und mit der Führungsebene dar. Diesbezüglich können sich vor allem die „kurzen Wege“ innerhalb kleiner Verwaltungen als Vorteil erweisen. Ein weiterer Faktor sei die jeweilige Organisationskultur und nicht zuletzt die individuelle innere Haltung der Beschäftigten, denn interkulturelle Öffnung berührt individuelle Werthaltungen und damit auch die emotionale Ebene.
Insgesamt konnten durch den Seminar- und Coachingprozess in den beteiligten Projektkommunen eine Vielzahl von Ideen und Maßnahmen zur interkulturellen Öffnung der Verwaltung entwickelt werden, die sich zum Teil bereits in der Umsetzung befinden. Bislang sei noch eher die Sachebene und weniger die strukturelle Ebene tangiert. In allen Kommunen sei das Interesse für interkulturelle Kompetenz gewachsen und eine potenzialorientierte Sicht auf Zuwanderung und Integration gefördert worden. Maßgeblich für den Erfolg seien die Etablierung des Themas auf der Führungsebene sowie die Einbindung der lokalen Politik. Maßnahmen zur aktiven Anwerbung von Zuwanderern seien jedoch kaum entwickelt worden. Für die Nachhaltigkeit des Prozesses bedarf es für die Zukunft einer tiefergehenden Auseinandersetzung mit der Organisationsstruktur.
Einer der wesentlichen Erfolge des Projektes sei die Aufwertung der Akteure der Integrationsarbeit und eine stärkere Wahrnehmung innerhalb der Verwaltung und durch die Politik. Es seien Sichtweisen verändert und neue Bereiche zusammengeführt worden, so in einigen Kommunen der Bereich Integration mit der Wirtschaftsförderung. Den Paradigmenwechsel hin zu einer potenzialorientierten Sicht auf Zuwanderung und die Anerkennung von Vielfalt als neuer Grundlage kommunaler Gemeinschaft beschreibt Frank Gesemann als zentrale Herausforderung und empfiehlt die Erarbeitung und Etablierung eines Leitbildes „Vielfalt“ in einem dialogischen Selbstverständigungsprozess der städtischen Gesellschaft.
Interkulturelle Öffnung und Willkommenskultur als Teil einer kommunalen Entwicklungsstrategie
Wie Interkulturelle Öffnung und Willkommenskultur in eine kommunale Entwicklungsstrategie integriert werden können, diskutierten zum inhaltlichen Abschluss des ersten Tages Oberbürgermeister Kay Blankenburg, Dr. Jutta Aumüller von DESI, Asa Petersson von der Region Mainfranken GmbH, Wiebke Schindel vom Hessischen Ministerium für Soziales und Integration und Dr. Klaus Ritgen vom Deutschen Landkreistag. Die Umsetzung von interkulturellen Öffnungsprozessen hänge maßgeblich von der Größe der Verwaltung und den damit einhergehenden Kapazitäten und Ressourcen für neue Verwaltungsaufgaben ab. Die Seminar- und Coachingphase habe verdeutlicht, dass es in den kleinen Verwaltungen teilweise schwierig ist, Mitarbeiter für den Prozess freizustellen. Aber bei konkreten Anlässen und Problemlagen würde auch in kleineren Städten sehr zielgerichtet an Konzepten der Anerkennungs- und Willkommenskultur gearbeitet, so Frau Aumüller. Der Begriff „Willkommens- und Anerkennungskultur“ umschreibt im Prinzip eine Bürger- und Kundenorientierung, so Herr Ritgen in seinem Statement, die in diesem Sinne eine Selbstverständlichkeit für die Kommunen darstellen sollte. Dies stellt die Städte und Gemeinden auf der einen Seite und die Landkreise auf der anderen Seite vor unterschiedliche Herausforderungen, da jede kommunale Ebene ihre eigenen spezifischen Kontakte zur Zielgruppe hat. Eine übergreifende Aufgabe sei die Anwerbung und Gewinnung von Neu-Zuwanderern. Für die Entwicklung einer Fachkräftestrategie sei die Kooperation zwischen Landkreis und kreisangehörigen Gemeinden erforderlich, diese könne auch in einem größeren regionalen Kontext erfolgen, wie sie zum Beispiel die Region Main-Franken repräsentiert. Weitere Aufgaben, die die Landkreise für die Kommunen übernehmen könnten und müssten, sei beispielsweise die Erarbeitung eines kreisweiten Integrationskonzeptes, an dem sich die einzelnen Gemeinden beteiligen können. Eine sinnvolle Aufgabenteilung kann darin gesehen werden, dass die Landkreise ein bestimmtes Serviceangebot leisten, mit dem sie die Gemeinden unterstützen können (Sammeln von Fachwissen zur interkulturellen Öffnung, Informationen über kultursensible Bewerbungsverfahren, etc.). Für den Erfolg seien eine insgesamt gut funktionierende Zusammenarbeit und ein gutes Kooperationsklima zwischen Stadt und Landkreis erforderlich.
Steuerung interkultureller Öffnungsprozesse
Der zweite Veranstaltungstag untergliederte sich in drei thematische Panels: 1. Steuerung interkultureller Öffnungsprozesse, 2. Gewinnung von Neuzuwanderern und Willkommenskultur, 3. Einbindung von Zivilgesellschaft und Wirtschaft. Jeweils zwei kurze Impulsreferate führten in das jeweilige Thema ein.
In Panel 1 setzte sich Prof. Keim in seiner Anmoderation zunächst mit dem Begriff Steuerung auseinander. Steuerung bedürfe der Interpretation, denn sie setze zum einen Steuerungsfähigkeit und damit Ressourcen und Potenziale der Steuernden voraus, um wirksam werden zu können. Zum anderen gehe es um die Steuerbarkeit des Prozesses, denn nicht alle Vorgänge ließen sich steuern, Steuerung habe Grenzen. Als Beispiel nannte er die Religion, die sich der Steuerung kommunal Verantwortlicher entziehe.
Die Umsetzung interkultureller Öffnungsprozesse setze eine strategisch steuernde Integrationspolitik, die Festlegung von Zielen und Handlungsfeldern und die Analyse ihrer Wirkungen voraus, so Frank Gesemann in seinem Impuls. In der Diskussion ging es vor allem um die Frage, wie eine Steuerung gestaltet werden kann, wenn keine klaren personellen Zuständigkeiten umgesetzt werden können, wie das in kleineren Städten häufig der Fall ist. Für Integrationsbeauftragte bzw. Koordinierungsstellen für Integration fehlen meist die finanziellen Mittel, entsprechende Strukturen sind eher auf Landkreisebene oder in größeren Städten (ab 50.000 Einwohner) vorhanden. Zentrale Bedeutung haben daher die politische Führungsebene und deren politischer Wille interkulturelle Öffnungsprozesse voranzubringen und die Kooperation von Stadt und Landkreis zur Schaffung von Grundlagen für eine aktiv gestaltende Integrationspolitik (Integrationsberichte und –konzepte). Es müssten nicht zwingend neue Gremien oder Funktionen geschaffen werden. Wichtig sei vielmehr, sich auf einen langfristigen Veränderungsprozess einzustellen, denn die interkulturelle Öffnung von Organisationen ist ein andauernder und von mehrstufigen Zielsetzungen begleiteter Prozess. Entscheidend ist, Integration und interkulturelle Öffnung als Querschnittsaufgaben in der Verwaltung zu verankern: Das heißt, sie in den unterschiedlichen Ressorts und Abteilungen zum Thema zu machen. Zudem sei künftig von Bedeutung, für strategisch wichtige Funktionen in der Verwaltung verstärkt Menschen mit Migrationshintergrund anzusprechen und deren Multiplikatoreneffekte sowohl intern als auch außerhalb der Verwaltung zu nutzen.
Gewinnung von Neuzuwanderern und Willkommenskultur
Ein sehr pragmatisches und beispielhaftes Herangehen zur Etablierung einer Anerkennungs- und Willkommenskultur hat die Stadt Bergen gewählt. Im Zentrum stehen drei Bausteine: Ein Willkommenspaket mit Informationsmaterialien, ein mehrmals jährlich stattfindender Neubürgerempfang und die Installierung von Neubürgerpaten, die einen vom Land Niedersachsen finanzierten Qualifizierungskurs zu Integrationslotsen absolvierten und Orientierungshilfe für Neuzuziehende anbieten. Der Erfahrungsaustausch unter den Paten wird durch einen Stammtisch organisiert, der von der Verwaltung begleitet wird. Die Aktivierung von ehrenamtlichem Engagement in Form der Neubürgerpaten bietet beim Umgang mit der derzeit erfolgenden Zuwanderung von rumänischen Staatsbürgern (derzeit 105 Personen) auch Unterstützungspotenzial für die Stadtverwaltung Bergen. Bei der Erarbeitung und Installierung von Maßnahmen sei unter anderem das Anknüpfen an bereits vorhandene Strukturen und Potenziale sinnvoll, so zum Beispiel in Bad Kissingen an den Kurtourismus und die Gesundheitswirtschaft (Mehrsprachigkeit, Erfahrungen im Umgang mit ausländischen Gästen und kultureller Vielfalt, Gastfreundlichkeit).
Kunden- und Dienstleistungsorientierung zeichne sich auch durch eine aktive Öffentlichkeitsarbeit aus, wozu ebenfalls eine gut geführte Homepage zähle. Ein schwieriger aber wichtiger Baustein sei die Einbindung und Entwicklung einer Kunden- und Dienstleistungsorientierung der Ausländerbehörden. Das Land Niedersachsen stellt Mittel für die Weiterentwicklung der Behörden zu Eingliederungsagenturen zur Verfügung, die der Landkreis Göttingen in Anspruch nimmt. Alltägliche Diskriminierungserfahrungen in Verwaltungen könnten durch eine interkulturelle Qualifizierung von Verwaltungsfachangestellten abgebaut werden.
Einbindung von Zivilgesellschaft und Wirtschaft
Erfolgreiche Integrationspolitik sei maßgeblich abhängig von einer guten Vernetzung und Kommunikation der im Integrationsbereich tätigen Akteure und zivilgesellschaftlich Aktiven. Beispielhaft steht dafür das Netzwerk für die Integration von Migrantinnen und Migranten in Stendal als zentrales Gremium mit einer professionellen Koordination durch den Integrationskoordinator des Landkreises. In diesem Gremium sind Stadt und Landkreis Stendal gleichberechtigt vertreten. Dieses Netzwerk hat sich selbst Arbeitsthemen gesetzt und so genannte Arbeitstische eingerichtet. In das Themenfeld Ausbildung, Schule, Beruf, Arbeitsmarkt ist auch die lokale Wirtschaft eingebunden.
Die Stendaler Migranteninitiative (SteMi), in der sich überwiegend Frauen mit akademischem Hintergrund und aus binationalen Beziehungen organisieren, zeigt beispielhaft, dass gerade Frauen maßgebliches ehrenamtliches Engagement im Integrationsbereich leisten. Grundsätzlich muss um die Beteiligung von Migrantinnen und Migranten geworben werden, sie sind sowohl in den Vereinen als auch in den politischen Parteien und Vereinigungen unterrepräsentiert. Hier hilft die direkte persönliche Ansprache oder auch Aktionen, wie die jährliche interkulturelle Woche, die von fast allen Kommunen organisiert wird. Die Ansprüche an Mitgestaltung und Mitverantwortung sollten aber nicht zu hoch gesteckt werden, denn es bestehe die Gefahr der Überforderung, da viele Migrantinnen und Migranten bei der Bewältigung ihres alltäglichen Lebens bereits große Leistungen erbringen müssen. Migranten tun sich zudem manchmal schwer mit dem deutschen Vereinswesen, denn in vielen Herkunftsregionen ist das gemeinschaftliche Leben eher über Familienbande organisiert. Eine Ausnahme bilden die Sportvereine, sie bieten gerade für die Kinder und Jugendlichen einen niedrigschwelligen Zugang.
Die Einbindung der lokalen Wirtschaft bei den Themen Integration, Fachkräftesicherung und Zuwanderung stehe erst am Anfang. Eine gezielte Anwerbung von qualifizierten Zuwanderern sei bei den Unternehmen bisher noch unterrepräsentiert. Auch wenn in der Öffentlichkeit viel über den Fachkräftemangel diskutiert werde, sei der Mangel an Fachkräften bei den Unternehmen scheinbar noch nicht angekommen. Es fehlten gezielte Analysen zum Fachkräftebedarf insbesondere zum Bedarf von ausländischen Fachkräften. Um den Arbeitgebern die Möglichkeiten der Anwerbung ausländischer Fachkräfte zu eröffnen, hat der Landkreis Stendal eine Infobroschüre gemeinsam mit Jobcenter und Arbeitsagentur über die Rahmenbedingungen (Aufenthaltsrecht, Berufsanerkennungsgesetz, ergänzende Qualifizierungsmöglichkeiten, etc.) zusammengestellt, die demnächst veröffentlicht wird. Neben dem Wissen über aufenthalts- und arbeitsrechtliche Fragen bei der Anwerbung ausländischer Fachkräfte sei aber auch eine Änderung der Unternehmenskultur wichtig (Einstellung auf eine veränderte Klientel, veränderte Ausschreibungsverfahren, Familienfreundlichkeit). Beispielhaft ist die Initiative von IHK und Handwerkskammer im Landkreis Göttingen, die im Rahmen des Projektes „Adelante“ junge Spanier in Ausbildungsberufe in Unternehmen des Landkreises vermittelt haben.
Zum Schluss wurde auf die unterschiedlichen Geschwindigkeiten hingewiesen, die zwischen Verwaltung, Wirtschaft und Zivilgesellschaft nicht kongruent seien, was bei Kooperationen und gemeinsamen Initiativen zu beachten sei. Ideallösungen gäbe es nicht, diese könnten nur ortsspezifisch entwickelt werden.
Die Autorin: Gudrun Kirchhoff ist Diplom-Soziologin und seit 2006 Wissenschaftliche Referentin der Schader-Stiftung.