Kommunikation im Klimawandel. Wie bringen Städte den Klimawandel „nach Hause“?
Artikel vom 06.06.2014
Nicht nur die deutschen Kommunen sind in ihrem Gestaltungsanspruch und in ihren Zielsetzungen überaus politisch ambitioniert. Mittlerweile schreiben sich die Kommunen, allen voran die Großstädte, selbst eine hohe Verantwortlichkeit für das globale wie für das Klima vor Ort zu. Nicht zuletzt aufgrund der unausweichlichen Physikalität der Problembetroffenheit entwickelten die Kommunen diese ihnen „naturwüchsig“ zugewachsene freiwillige Aufgabe zu einer Quasi-Pflichtaufgabe der Daseinsvorsorge. Auf diese Weise haben sie die Verbesserung des globalen Klimas sowie der Standort- und unmittelbaren Lebensbedingungen vor Ort als eine der wesentlichen lokalen Zukunftsaufgaben definiert. Von Hubert Heinelt und Wolfram Lamping
1. Einleitung
Verantwortung wird den Kommunen indes auch von außen zugeschrieben. Übergeordnete Politikebenen sowie internationale Klimabündnisse werden nicht müde, die wichtige Rolle der Kommunen im Kampf gegen den Klimawandel zu betonen. Die Zuversicht, die aus den Ankündigungen und Begründungen kommunaler klimapolitischer Programme und Maßnahmen im Allgemeinen spricht, ist bisweilen erstaunlich. Aus den kommunalen Aktionsprogrammen spricht geradezu ein Gestaltungsoptimismus, der an den „aktiven Staat“ der 70er Jahre erinnern lässt.
Die nachfolgenden Überlegungen entstanden im Rahmen der von Hubert Heinelt geleiteten DFG-Forschergruppe „Lokale Generierung handlungsrelevanten Wissens – am Beispiel lokaler Strategien und Maßnahmen gegen den Klimawandel in den Städten Frankfurt a.M., München und Stuttgart“. Wir greifen im Folgenden auf in dieser Forschergruppe gewonnene Erkenntnisse zurück.
Die DFG-Forschergruppe fragt allgemein danach
- warum sich Städte für bestimmte Maßnahmen und Strategien (Klimaschutz, Klimaanpassung) entschieden haben – und für andere nicht
- wie politische Entscheidungen, die einen Beitrag zur Bewältigung des Klimawandels zu leisten versprechen, von den Städten begründet werden
- welche lokalen klimapolitischen Problemdefinitionen, Handlungsorientierungen und „Sinnkonstruktionen“ den Entscheidungen zugrunde liegen.
2. Fragestellung
Klimawandel muss in lokalen Debatten erst zu einem lokalen Problem gemacht werden. Aufgrund der geringeren „materiellen“ Betroffenheit versuchen auch die drei Untersuchungsstädte Frankfurt, München und Stuttgart, wenn auch in deutlich unterschiedlicher Intensität, geographische Distanz (Globalphänomen Klimawandel) in lokale Nähe (klimapolitische Verantwortung der Stadt in ihrem Nahbereich) zu übersetzen und auf diese Weise „den“ Klimawandel zu entabstrahieren und lokal bearbeitbar zu machen.
Lokale Klimapolitik ist daher vor allem anderen der Versuch der kommunikativen Aneignung eines überlokalen Phänomens, im Zuge dessen eine eigene Verantwortlichkeit nicht nur zugeschrieben, sondern begründet und vermittelt werden muss. Eine solche Verantwortlichkeit für lokales Handeln mit simultanem globalen Bezug (sei es durch lokale Anpassung an die Folgen des globalen Klimawandels oder sei es durch lokale Klimaschutzmaßnahmen zur Bekämpfung der Ursachen des globalen Klimawandels), insbesondere wenn hierfür erhebliche finanzielle, personelle und organisatorische Ressourcen mobilisiert werden (sollen), bedarf nicht nur kommunikativer Übersetzungs- und Rechtfertigungsleistungen, sondern auch einer dezidierten Politik der ökologischen „Selbstalarmierung“ (Luhmann).
Wie stellen die Kommunen nun bei der neuen Herausforderung Klimawandel kommunikativ Handlungsrelevanz her? Sind sie doch weder verpflichtet, sich dieses Problems anzunehmen noch sind die meisten deutschen Städte hiervon in einer signifikanten Weise (jedenfalls verglichen mit anderen Weltregionen) materiell betroffen – während sich ihr jeweiliger Beitrag zur Lösung dieses globalen Problems, abgesehen von kleinräumiger Klimaanpassung, kaum ermitteln lässt. Wie gelingt es den Städten also, sich durch kommunikative Prozesse das globale Phänomen Klimawandel anzueignen?
Im Folgenden wird zunächst (in Abschnitt 3) darauf eingegangen, vor welchen Herausforderungen Kommunen in ihrem Bestreben stehen, das globale Problem des Klimawandels zu einem Gegenstand lokaler Politik zu machen. Anschließend (in Abschnitt 4) geht es um Mechanismen kommunikativer Interaktion in lokalen Debatten, mit Hilfe derer es (in den drei genannten Städten) gelungen ist, bestimmte klimapolitische Maßnahmen zu begründen und durchzusetzen. In Abschnitt 5 schließlich wird die stadtspezifische Relevanz dieser Mechanismen in aller Kürze für die drei Städte illustriert.
3. „Bringing Climate Home” (Slocum 2004)
Klimawandel nach Hause zu bringen, bedarf, wie angedeutet, erheblicher kommunikativer Übersetzungsleistungen. Lokale Klimapolitik ist daher vor allem anderen der Versuch der kommunikativen Aneignung eines überlokalen Phänomens, im Zuge dessen eine eigene Verantwortlichkeit nicht nur zugeschrieben, sondern begründet und vermittelt werden muss. Eine solche Verantwortlichkeit für lokales Handeln mit simultanem globalen Bezug (sei es durch lokale Anpassung an die Folgen des globalen Klimawandels oder sei es durch lokale Klimaschutzpolitik) muss kommunikativ zugeschrieben und begründet werden.
Da lokale Klimapolitik ein Politikfeld ist, das sich durch sachlich, räumlich und zeitlich schwer vermittelbare Kausalzusammenhänge auszeichnet, ist diese Fähigkeit lokaler Akteure zur Selbstalarmierung, d.h. die glaubhafte Behauptung von Betroffenheit und die überzeugende Schaffung von Handlungsdruck, von entscheidender Bedeutung. Lokale Klimapolitik erfordert hierbei nicht nur den Willen und die Fähigkeit, inter-regional zu denken (über die Grenzen des eigenen Verantwortungsgebiets hinaus, gar global), sondern auch inter-temporal (an die Lebensbedingungen kommender Generationen, gar an eine weit entfernt liegende Zukunft)
Klimawandel muss in lokalen Debatten folglich erst zu einem lokalen Problem gemacht werden. Aufgrund der schon angesprochenen geringeren „materiellen“ Betroffenheit versuchen auch die drei Untersuchungsstädte, wenn auch in deutlich unterschiedlicher Intensität, geographische Distanz (Globalphänomen Klimawandel) in lokale Nähe (klimapolitische Verantwortung der Stadt in ihrem Nahbereich) zu übersetzen und auf diese Weise „dem“ Klimawandel seine Abstraktheit zu nehmen und ihn lokal bearbeitbar zu machen.
Frankfurt, München und Stuttgart, unsere Fallbeispiele, sind klimapolitisch aktiv und innovativ: Im Wettbewerb „Kommunaler Klimaschutz 2011“ des Deutschen Instituts für Urbanistik konnte Stuttgart mit seinem neuen und wirkungsvollen Finanzierungsmodell „Stadtinternes Contracting“, mit dem das Amt für Umweltschutz energetische Maßnahmen der städtischen Ämter und Eigenbetriebe vorfinanziert, in der Kategorie „Innovative und vorbildliche Strategien zur Umsetzung des kommunalen Klimaschutzes“ den ersten Platz belegen. Der klimatologischen Bewältigung der eigenen Kessellage als lokaler Daueraufgabe geschuldet, reklamiert Stuttgart ferner eine Vorreiterrolle im Bereich der Klimaanpassung. Zwei Jahre zuvor konnte München in diesem Wettbewerb in derselben Kategorie mit seinem 2007 gegründeten Bündnis „München für Klimaschutz“ reüssieren, das als formalisiertes Netzwerk aus Verwaltung, Verbänden, Wissenschaft, Politik und Wirtschaft das Ziel verfolgt, neue Ideen und Umsetzungsstrategien für den Klimaschutz zu entwickeln. München schreibt sich überdies zu, mit dem 2012 beschlossenen Ziel, den Energieverbrauch in der Stadt bis 2025 in Gänze aus erneuerbaren Energien zu decken, „Hauptstadt der erneuerbaren Energien“ zu sein. Die Stadt wäre damit in der Tat die erste Millionenstadt, der ein solches Unterfangen gelingen würde. Frankfurt a.M. hingegen hatte 2010 die Auszeichnung „Klimaschutzkommune 2010“ beim Wettbewerb „Bundeshauptstadt im Klimaschutz“ u.a. aufgrund des drei Jahre zuvor getroffenen Beschlusses gewonnen, neue städtische Gebäude ausschließlich im Passivhaus-Standard zu bauen.
Durch Mechanismen kommunikativer Interaktion, wie sie im folgenden Abschnitt behandelt werden, wird versucht, die Herausforderung Klimawandel lokalspezifisch zu übersetzen und in den jeweiligen örtlichen Bezügen mit politischer Handlungsrelevanz und Begründung zu versehen. Sie holen den Klimawandel buchstäblich „nach Hause“ in den eigenen Nahbereich. Diesen spezifischen Mechanismen kommunikativer Interaktion kommt in den drei Untersuchungsstädten eine unterschiedliche Relevanz zu.
4. Mechanismen der Kommunikation im Klimawandel
Fünf Mechanismen kommunikativer Interaktion haben sich für die Entwicklung klimapolitischer Strategien und Maßnahmen als relevant erwiesen:
- Beobachtung anderer und Orientierung an ihnen
- Diskursive Entwicklung eines Bezugspunkts für eine triadische Kommunikation
- framing
- Immunisierung
- issue relabeling
4.1 Beobachtung anderer und Orientierung an ihnen
Dies ist ein zentraler Mechanismus. Lokale Klimadebatten sind in einem hohen Maße gekennzeichnet durch die Legitimation des eigenen Handelns durch das Handeln anderer Städte. Hierzu gehören der Vergleich und Wettbewerb mit anderen Städten sowie der Vergleich und die Nachahmung von Aktivitäten anderer Städte. Für Fälle, in denen „Nachahmung in Nacheifern übergeht“ (Benz/Dose), stehen nicht zuletzt die gerade im Bereich lokaler Klimapolitik häufig anzutreffenden Wettbewerbe um Titel – wie den einer „European Green Capital“.
4.2 Die diskursive Entwicklung eines Bezugspunkts für eine triadische Kommunikation
Als „triadisch“ gilt eine argumentierende Kommunikation, wenn sich beim Argumentieren die Kommunikationsteilnehmer auf ein gemeinsam geteiltes bzw. von ihnen anerkanntes Drittes beziehen und der Bezug auf dieses Dritte eine Verständigung überhaupt erst ermöglicht oder zumindest erleichtert. Dieses Dritte und die sich in ihm niederschlagenden klimapolitischen Herausforderungen und Zielvorstellungen sind häufig noch recht allgemein und schlagen sich in Leitbildern nieder – wie dem der „globalen Verantwortung“ oder dem allgemeinen Slogan „Global denken – lokal Handeln“ (etwa in Frankfurt und München). Das Ziel ist, eine diskursive Auseinandersetzung über klimapolitische Aktivitäten und deren Begründung in Gang zu setzen. Dies kann geschehen durch Verweise auf:
- Aktivitäten anderer Städte
- anerkannte “Autoritäten”
- „externe Experten“
- Gutachten/Studien
- Ergebnisse von Debatten mit gesellschaftlichen Akteuren
- „seit langem bekannte Tatsachen“/etwas, das als selbstverständlich gilt
4.3 „Framing“: Die fortlaufende (Selbst-)Begründung und Stabilisierung von Entscheidungen
Framing zielt auf die Frage, wie klimapolitische Maßnahmen oder Programme strategisch am besten „eingetütet“ werden. Framing ist also, bildhaft gesprochen, das „Sinnpäckchen“, das den Maßnahmen und Programmen mit auf den Weg gegeben wird. Eine entsprechende inhaltliche Rahmung erfolgt über eine bestimmte inhaltliche Ausrichtung klimapolitischer Debatten – etwa im Hinblick auf die Erhaltung bestimmter Standards des Stadtklimas, die Energieeinsparung durch energetische Gebäudesanierung oder eine effiziente klimaschonende Energieerzeugung. Überdies ist in allen drei untersuchten Städten (aber besonders in Stuttgart und München) ein „framing“ klimapolitischer Aktivitäten zu beobachten, dass die Kostenersparnis durch Maßnahmen des Klimaschutzes thematisiert. Beim Framing geht es also um die Begründung klimapolitischer Maßnahmen (Bedeutungsgebung) und die Stabilisierung einer lokalen Wissensordung.
4.4 Immunisierung
Mit Immunisierung soll ein Mechanismus bezeichnet werden, der die Ansteckungsgefahr gegenüber alternativen Sichtweisen bannt. Der Mechanismus der Immunisierung prägt sich in den von uns untersuchten Städten am augenfälligsten über den Verweis auf Selbstbindungen aus. Am meisten verbreitet sind dabei Verweise auf Verpflichtungen, die die Städte durch den Beitritt zu internationalen Klimaschutznetzwerken eingegangen sind. Die gleiche Funktion hat der Verweis auf Entscheidungen überörtlicher Instanzen, denen man sich nicht oder nur schwer entziehen könne. Maßnahmen und die ihnen zugrunde liegenden Annahmen werden auch dadurch immunisiert, dass ihre Vorbildfunktion innerhalb der Stadt und über sie hinaus betont wird, die mit einer Infragestellung der Maßnahme verloren gehen würde.
4.5 „Issue relabaling“
Unter „issue relabeling“ wird ein Umetikettieren von Politikinhalten verstanden, mit dem die Wahrnehmung beeinflusst werden soll. In der Klimapolitik der drei untersuchten Städte lässt sich eindeutig ein „issue relabeling“ beobachten – und zwar mit zwei unterschiedlichen Stoßrichtungen.
Zum einen werden klimapolitischen Aktivitäten positive Effekte für andere Politikfelder zugeschrieben oder sogar als Teil anderer Politikfelder ausgewiesen. So wird in einem Beschluss des Stuttgarter Stadtrats darauf hingewiesen, dass durch das im Rahmen des Klimaschutzkonzeptes Stuttgart (KLIKS) finanzierte „kommunale Förderprogramm zur Energieeinsparung [...] Gesamtinvestitionen von 21,2 Millionen Euro insbesondere für das Handwerk ausgelöst [worden sind]. In diesem Zusammenhang ist Klimaschutz ein Programm zur Wirtschaftsförderung“ (Stuttgart; vgl. Ähnliches auch in München).
Umgekehrt ist auch zu beobachten, dass Maßnahmen, die anderen Politikfeldern zuzurechnen sind, eine klimapolitische Bedeutung beigemessen und sie klimapolitisch umetikettiert werden. Auf diese Weise werden etwa Verkehrsprojekte oder die Ausweitung von Naherholungsgebieten auf einmal mit Belangen des Klimaschutzes oder der Klimaanpassung begründet, um ihre Durchsetzbarkeit zu erhöhen.
5. Die stadtspezifische Relevanz der Mechanismen
Die von uns herausgearbeiteten Mechanismen kommunikativer Interaktion spielen mit Blick auf die Begründung klimapolitischen Handelns eine wichtige Rolle. Sie haben in den Städten eine unterschiedliche Relevanz, was sich im jeweiligen städtischen Selbstverständnis widerspiegelt. Wir können an dieser Stelle nur einen Kurzüberblick über die Rolle der Mechanismen in den jeweiligen städtischen (Selbstverständigungs-)Debatten geben.
In München wird der Klimawandel als „sportliche“ Herausforderung und lokale Chance wahrgenommen und in Kategorien der ökonomischen und ökologischen Bewältigbarkeit thematisiert. Daher spielt beim prioritären Klimaschutz (CO2-Reduktion, erneuerbare Energien) der Mechanismus der Beobachtung anderer und der (wettbewerblichen) Orientierung an ihnen eine wichtige Rolle, sieht sich München doch in einer bundesweiten Vorreiterrolle und reklamiert auf dem Gebiet des Klimaschutzes eine Spitzenposition, die es zu halten gelte. Hinzu tritt der Mechanismus der Herausbildung eines Bezugspunktes für eine triadische Kommunikation, der sich in München auch darin wiederfindet, dass die Stadt für sich eine ethische Verantwortlichkeit für die Bekämpfung des Klimawandels reklamiert: München sieht sich als lokal verantwortlicher Akteur in der Pflicht für globalen Klimaschutz. Die Wahrnehmung des Klimawandels als „sportliche“ Herausforderung wiederum geht einher mit einem spezifischen Framing, das die Effekte der städtischen Klimapolitik insbesondere für die Stärkung der lokalen Wirtschaft akzentuiert (Wirtschaftsstandort München) und als Kernbotschaft postuliert, dass Klimaschutz „sich rechnet“.
Auch in Frankfurt spielt der Mechanismus der Beobachtung anderer und der Orientierung an ihnen eine wichtige Rolle, allerdings in einer Konnotation, die unter dem Leitbild „nachhaltige Stadt“ die eigene Stadt- und Standortattraktivität hervorhebt und als Alleinstellungsmerkmal herausstellt, man sei die „Hauptstadt der Passivhäuser – nirgends leben mehr Menschen in diesen besonders energiesparenden Wohnungen“. Mit einer Klimapolitik in und mit Gebäuden transzendiert Frankfurt „Klima“ in eine Frage der Qualität des Standortes im regionalen und globalen Wettbewerb. Der Anspruch an die eigene Fortschrittlichkeit, Modernität und Lebensqualität ist die gemeinsame Schnittmenge von Klimaanpassung und Klimaschutz. Diese Schnittmenge zeigt sich zum einen in der diskursiven Konstruktion eines bestimmten Bezugspunkts klimapolitischer Debatten – nämlich von Klimapolitik als Imagefaktor der Stadt – sowie zum anderen in einem Framing, das Klimapolitik in einem hohen Maße als Energieeffizienzpolitik ausdeutet und als Beitrag zur Sicherung der städtischen Zukunftsfähigkeit definiert. Diese Zukunftsfähigkeit soll zugleich, im Sinne der Ästhetisierung des Stadtbildes, visuell sichtbar sein – in Gestalt von Gebäuden oder sich durch die Stadt ziehenden „Speichen und Strahlen“ als Maßnahmen der Klimaanpassung.
Stuttgart hingegen verzichtet nahezu vollständig auf die Beobachtung anderer und der Orientierung an ihnen und ist auf dem Gebiet der städtischen Klimapolitik durch ein hohes Maß an Selbstreferentialität gekennzeichnet. Dieser topographie-induzierte Zwang zur Selbstbefassung zeigt sich in der Dominanz eines bestimmten Bezugspunkts klimapolitischer Debatten, der die eigene klimatische Vulnerabilität in den Vordergrund stellt und Klimaanpassungsmaßnahmen zu einer im politischen Alltag kollektiv geteilten und kaum in Frage gestellten Notwendigkeit werden lässt (Toskana-Klima am Neckar). Der Imperativ des Bedrohtseins ist angesichts der eigenen Klimasensitivität geradezu stilbildend und das Moment der klima-therapeutischen, gleichwohl unaufgeregten Dauerbeschäftigung mit dem eigenen „Stadtkörper“ ein Wesenszug der städtischen Klimaanpassungspolitik. Städtische Klimaanpassungsmaßnahmen werden überdies durch Verweis auf die eigene, jahrzehntelange stadtklimatologische Expertise und das hohe Maß an wissenschaftlicher Erfahrungsbildung gegen Kontestierung in den lokalen Debatten imprägniert (Immunisierung). Um Klimaschutz überhaupt mit Handlungsrelevanz aufzuladen, bedarf es in Stuttgart einer dezidierten Politik des Issue Relabeling, im Zuge dessen städtische Klimaschutzmaßnahmen explizit als Energiekosten-Einsparmaßnahmen gerahmt werden und Klimaschutz im Wesentlichen an seinem Beitrag zur Erreichung eines prioritären Ziels gemessen wird: der Einsparung öffentlichen und privaten Geldes. Diese Akzentuierung des monetären Zusatznutzens von Klimaanpassungs- und Klimaschutzmaßnahmen durchzieht die Stuttgarter Klimadebatten wie ein „roter Faden“.
Fazit: Durch Mechanismen kommunikativer Interaktion wird Klimawandel nicht nur „lokalisiert“, sondern je spezifisch und sinnhaft mit lokaler Relevanz aufgeladen. Den Mechanismen kommt eine Schlüsselrolle zu, wenn es darum geht, Klimawandel „nach Hause“ zu holen.
Die Autoren: Prof. Dr. Hubert Heinelt ist Professor für Öffentliche Verwaltung, Staatstätigkeit und lokale Politikforschung am Institut für Politikwissenschaft der Technischen Universität Darmstadt. PD Dr. Wolfram Lamping lehrt ebenfalls Politikwissenschaft an der Technischen Universität Darmstadt und arbeitet in der von Hubert Heinelt geleiteten DFG-Forschergruppe „Lokale Generierung handlungsrelevanten Wissens – am Beispiel lokaler Strategien und Maßnahmen gegen den Klimawandel“.