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Artikel vom 14.05.2019

Wie wollen wir in den Städten zusammenleben? Inwieweit kann Immigration in den Städten gestaltet und wie kann Integration gefördert werden? Von Matthias Schulze-Böing  

Herausforderung Immigration

Migration ist möglicherweise nicht die „Mutter aller politischen Probleme in diesem Land“, als die sie kürzlich von Bundesinnenminister Horst Seehofer apostrophiert wurde (Frankfurter Rundschau vom 06.09.2018). Aber dass es sich gleichwohl um ein zentrales Thema handelt, das die Gesellschaft und Menschen umtreibt, dürfte nicht zu bestreiten sein.

Die Stadtgesellschaften in Deutschland haben sich vor nur drei Jahren als überaus vital und leistungsfähig gezeigt, als es darum ging, ab dem Sommer und Herbst 2015 schnell und wirksam gemeinsam mit Stadtverwaltungen und anderen Behörden Hilfe für hunderttausende Flüchtlinge zu organisieren. „Willkommenskultur“ war das Stichwort der Stunde. Ein paar Jahre später ist Ernüchterung eingetreten. Immigration ist ein Thema geworden, das die Gesellschaft spaltet. Die Ereignisse von Chemnitz mit teilweise gewalttätigen Aktionen gegen Immigranten und einer radikalisierten Hasskommunikation aus dem Sommer 2018 stellen den vorläufigen Höhepunkt einer Zuspitzung von Konflikten dar, die sich an der Immigration und am Umgang mit Immigranten entzündeten.

Die Städte sind von Immigration besonders betroffen. Sie sind das Ziel von Migrationsströmen und Knotenpunkte von Migrationsbewegungen – und zwar nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. Nicht zufällig hat die Internationale Organisation für Migration (IOM), eine Unterabteilung der Vereinigten Nationen, das Thema „Migration und Städte“ in den Mittelpunkt einer ihrer letzten Jahresberichte gestellt.1 Die Funktionsfähigkeit von Städten ist ein ganz entscheidender Faktor bei der Frage, wie Immigration in einer Gesellschaft verarbeitet wird und ob Integration der Zugewanderten in die Aufnahmegesellschaft gelingt.

Städte sind historisch über Jahrhunderte durch Immigration geprägte Sozialsysteme und sie sind, wenn es um Integration geht, sicher die wichtigste politische Ebene im gesellschaftlichen Gefüge der Aufnahmegesellschaft.

Durch den Bestseller „Arrival City“ des kanadischen Journalisten Doug Saunders2 bekam dieser Sachverhalt vor einigen Jahren ein einprägsames und anschlussfähiges Label. Er beschreibt, wie die weltweite Realität von Migration das Gesicht von Städten verändert, wie sich durch Migration neue Formen der Stadt-Land-Beziehung über große räumliche Distanzen herausbilden (zwischen dem Dorf im Herkunftsland und dem „Dorf in der Stadt“ beziehungsweise der ethnischen Gemeinschaft in der Ankunftsstadt), wie sich durch Migration aber auch neue Quellen für Wohlstand und wirtschaftliche Entwicklung herausbilden. Saunders blendet die problematischen Aspekte von Immigration in den Städten, die Probleme von sozialer Belastung, die Risiken residenzieller Segregation und kultureller Fremdheit zwischen Stadtgesellschaft und Neu-Ankömmlingen nicht aus, gibt aber all diesen Phänomenen eine positive, zuweilen sehr optimistische Wendung. Wenn sich etwa bestimmte ethnische Gruppen in einzelnen Stadtteilen konzentrieren, sieht Saunders keine Gefahr für ein gutes Zusammenleben in der Stadt, sondern den Vorteil der Bildung ethnischer Netzwerke, die Neu-Immigranten auffangen können.

Wie man auch immer zu einzelnen Thesen von Saunders steht, er hat die Unverzichtbarkeit des Potenzials von Städten für die Bewältigung von Migrationsprozessen in der Welt in sehr eindrucksvoller Weise in den Fokus gerückt. Ohne funktionierende Städte, so die Schlussfolgerung, funktioniert auch Migration nicht.

Zwischen Assimilation und Multikulturalismus

Damit stellt sich die Frage, inwieweit Immigration in den Städten gestaltet und wie Integration gefördert werden kann. Was man unter „Integration“ genau verstehen soll, ist sowohl in den Sozialwissenschaften wie in Politik und kommunaler Praxis keineswegs eindeutig definiert, sondern vielmehr Gegenstand anhaltender Kontroversen und einer inzwischen geradezu ausufernden Literatur.3 Hat man in den Kulturwissenschaften und der Stadtsoziologie noch in den sechziger Jahren ganz selbstverständlich Integration mit dem Begriff der „Assimilation“ gleichgesetzt,4 so wird mit dem Begriff der multikulturellen Gesellschaft seit den achtziger Jahren ein sehr einflussreiches Gegenkonzept dazu vertreten. Die Stadt Frankfurt am Main hatte Ende der achtziger Jahre sogar ein noch heute bestehendes kommunales „Amt für multikulturelle Angelegenheiten“ gegründet.

Das Konzept der multikulturellen Gesellschaft will nicht nur beschreiben und analysieren, wie verschiedene kulturelle Modelle in der Gesellschaft nebeneinander bestehen und gelebt werden. Es ist vielmehr ein normativ-programmatisches Konzept. Nicht die Angleichung von Verhaltensformen, Gewohnheiten und Identitäten der Immigranten an die Aufnahmegesellschaft ist darin das Ziel, sondern die bewusste Anerkennung einer Vielfalt von kulturellen Identitäten. Auftrag der Politik ist, dieser Vielfalt Ausdrucksmöglichkeiten und den verschiedenen Identitäten Respekt zu verschaffen. Die Kultur der Aufnahmegesellschaft selbst wird dann zu einer Kultur innerhalb einer Vielzahl gleichberechtigter anderer Kulturen. Sie kann gegenüber Einwanderern kein Primat beanspruchen. Das damit verbundene Versprechen an die Aufnahmegesellschaft: Durch zunehmende Vielfalt wird die Gesellschaft nicht nur offener, sondern auch reicher und zukunftsfähiger in einer international zunehmend verflochtenen globalisierten Welt.

Nun ist die moderne Gesellschaft auch ganz unabhängig von der Immigration funktional, aber auch sozial und kulturell hochgradig differenziert. Man denke an die verschiedenen Funktionskreise von Wirtschaft, Staat und Zivilgesellschaft, an die Eigentümlichkeiten regionaler Strukturen und Lebensbedingungen oder die Vielfalt von sozialen Milieus.5 Gerade in den Städten ist die Vielfalt von Lebensbedingungen und Lebensformen in den Quartieren und Sozialräumen seit jeher geradezu Programm.

Die moderne Gesellschaft war noch nie homogen. Wenn man so will, war sie auch immer schon „multikulturell“. Aber mit wachsender Differenzierung und Komplexität der Gesellschaft gibt es einen gleichermaßen wachsenden Bedarf, den Zusammenhalt der Gesellschaft zu sichern. Die Bildung von Nationalstaaten war historisch gesehen unter anderem auch das Projekt, Menschen aus verschiedenen Klassen, Schichten und Lebensverhältnissen doch in einer gewissen Weise „unter einem Dach“ zusammenzuführen und zwischen ihnen ein nicht nur rational kalkuliertes, sondern auch ein emotionales Band zu knüpfen. Der moderne Wohlfahrtsstaat ist auf dem Boden der Nationalstaaten entstanden als Antwort auf die den sozialen Zusammenhalt gefährdende Dynamik von Industrialisierung und kapitalistischer Wirtschaftsweise.

Mit der Immigration entstehen neue Differenzierungen mit neuen Herausforderungen für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Paul Collier6 zum Beispiel sieht in der mit der Immigration verbundenen wachsenden kulturellen Vielfalt der Gesellschaft eine Gefahr für die für den Wohlfahrtsstaat mit seinen finanziellen Umverteilungsmechanismen unverzichtbare gesellschaftliche Solidarität. Alberto Alesina und Edward Glaeser7 haben in einer Untersuchung zu den Methoden der Armutsbekämpfung in den USA und Europa, etwas zugespitzt, die These vertreten, die Integration in den klassischen Einwanderungsgesellschaften wie den USA habe hauptsächlich deshalb gut funktioniert, weil es aufgrund fehlender sozialer Schutzsysteme für die Einwanderer überlebenswichtig ist, sich schnell an die Aufnahmegesellschaft anzupassen, Arbeit zu suchen und das Leben aus eigener Kraft zu gestalten. Die ausgebauten, im globalen Maßstab recht großzügigen Wohlfahrtssysteme in Europa verleiteten die Immigranten in dieser Lesart dagegen, ihr Leben mit Sozialleistungen zu bestreiten, den Spracherwerb zu verschleppen und die notwendigen Anpassungsleistungen an die Regeln des Arbeitsmarktes zu vernachlässigen. Ein starkes soziales Sicherungssystem verbunden mit einer großen Toleranz für die Beibehaltung der Kultur und der Lebensweise aus den Herkunftsländern, also das, was im Konzept der multikulturellen Gesellschaft gefordert wird, wäre dann für die Integration eine denkbar schädliche Kombination.

In der Tat gibt es viele Hinweise, dass man den Immigranten mit einer zu großen Akzeptanz der Beibehaltung von Kultur und Lebensformen aus den Herkunftsländern gewissermaßen einen „Bärendienst“ erweist. Ruud Koopmans8 zeigte, dass multikulturelle Toleranz für das Beharren auf der Kultur der Herkunftsländer die Chancen am Arbeitsmarkt verringert. Danzer/Firat9 machen deutlich, dass das Leben in „ethnischen Enklaven“ die Bildungschancen und damit auch die Arbeitsmarktchancen massiv beeinträchtigen kann. Die vielfältigen Probleme, die die Entwicklung ethnischer Parallelgesellschaften, die sich den Normen und Werten der Aufnahmegesellschaft entziehen, für die rechtsstaatliche Ordnung und das Zusammenleben gerade auch im städtischen Kontext auslöst, sind ebenfalls nicht zu unterschätzen.10

Es gibt also gute Gründe für Skepsis gegenüber dem Konzept der multikulturellen Gesellschaft. Integration kann nicht gelingen, wenn man es völlig ins Belieben stellt, welchen Elementen der Aufnahmegesellschaft man sich annähert oder sie übernimmt und welche man ignoriert oder abweist. Dass man die Rechtsordnung anerkennt, ist eine selbstverständliche Voraussetzung des Lebens in jeder Aufnahmegesellschaft. Darüber hinaus ist es legitim, dass eine Aufnahmegesellschaft die Anerkennung ihrer Grundwerte, etwa der demokratischen Regelung von Herrschaft und der Freiheitsrechte des Individuums, einfordert. Wenn man dies ernst meint, wird man auch feststellen, dass dieses Wertsystem nicht mit allen kulturellen Ordnungsmustern der Herkunftsländer von Immigranten zwanglos vereinbar ist, sondern dass es hier Spannungsverhältnisse gibt. Dies zu ignorieren wäre ebenso fahrlässig wie ein Ausweichen vor den mit dem Aufeinandertreffen unterschiedlicher Wertsysteme zwangsläufig verbundenen Konflikten.

Wenn man Integration ernst meint, wird man also immer auch in einem gewissen Rahmen über Assimilation und Anpassung sprechen müssen. Wenn es Unverträglichkeiten zwischen der Kultur von Einwanderern und den zentralen Werten der Kultur der Aufnahmegesellschaft gibt, etwa in Bezug auf die Rolle der Frau in der Gesellschaft, das Verhältnis von Familienwerten und gesellschaftlichen Normen oder das Verhältnis von Religion und Staat, scheint es wenig sinnvoll, darauf mit dem Leitbild der multikulturellen Gesellschaft zu reagieren. Vielmehr ist es, wie Miller11 plausibel darlegt, im Sinne des Erhalts des Zusammenhalts der Aufnahmegesellschaft und der Sicherung der Akzeptanz von Immigration bei ihrer Bevölkerung sowohl legitim als auch notwendig, von Einwanderern zu erwarten, dass sie einen Teil der mitgebrachten Kultur aufgeben. Eine verunsicherte und in ihrem Selbstverständnis in Frage gestellte Gesellschaft wird sich mit der Integration schwerer tun als eine selbstbewusste Gesellschaft, die offen für Fremde ist, aber auch klar formuliert, was sie von diesen erwartet.

Dabei ist aber immer im Blick zu behalten, dass es eine homogene Kultur in kaum einer Gesellschaft gibt und dass es weder realistisch noch wünschenswert wäre, eine solche homogene Kultur anzustreben. Durch Immigration werden den ohnehin in der Gesellschaft vorhandenen Differenzierungen weitere hinzugefügt. Auch die Gruppe der Immigranten ist ja in sich alles andere als homogen. Auch hier gibt es nicht nur ethnische Unterschiede, sondern Schichten, Kulturen, Milieus und Gruppen mit Sonderinteressen.

Integration ist immer auch ein Prozess des Dialogs zwischen Einwanderern und Aufnahmegesellschaft, ein wechselseitiger Lernprozess, aber auch ein Prozess des Aushandelns und der Auseinandersetzung um Positionen und Werte. Jörg Hüttermann zeigt in seinen sehr interessanten Untersuchungen der Beziehung von „Alteingesessenen“ und Migranten in deutschen Städten, dass Konflikte um bestimmte Themen, etwa Moscheebauten oder das Verhalten im öffentlichen Raum, nicht unbedingt ein Zeichen gescheiterter Integration sein müssen. Manche Konflikte kann man sogar als Ausdruck von Erfolgen bei der Integration verstehen, etwa wenn es Immigranten gelingt, sich in Vereinen zu organisieren und im politischen Prozess eigene Interessen nach den demokratischen Regeln der Aufnahmegesellschaft zu vertreten.12

Für eine nachhaltige Integrationsstrategie auf gesamtgesellschaftlicher wie auf der lokalen Ebene braucht es Realismus und Augenmaß. Immigration war und ist immer mit so etwas wie „sozialem Stress“ für die Immigranten wie für die Aufnahmegesellschaft verbunden. Beide müssen sich bewegen und gewohnte Gewissheiten in Frage stellen, die Immigranten sicher stärker als die Mitglieder der Aufnahmegesellschaft. Zu einem realistischen Integrationskonzept gehört die Einsicht, dass ein gewisses Maß von Assimilation unverzichtbar ist, aber auch die Erkenntnis, dass es kein einheitliches Drehbuch für Integration gibt. Integration hat sehr viele Gesichter. Deshalb ist die lokale Ebene und der Beitrag der Städte so wichtig.

Zum Realismus gehört auch ein unverkrampftes Verhältnis zum Konflikt um Immigration und Integration. Nur wenn alle Stimmen gehört werden, kann man vermeiden, dass sich gesellschaftliche Konflikte in regressiven und möglicherweise auch gewalttätigen Formen Ausdruck verschaffen. Wer mit dem Tempo und dem Ausmaß von Immigration Probleme hat, ist deshalb noch kein „Rassist“. Aber auch derjenige, der mehr Offenheit für Fremde einfordert und Benachteiligung und Diskriminierung kritisiert, ist kein Störenfried. Konflikte können fruchtbar und Ausgangspunkt für gesellschaftliche Lernprozesse sein, auch im Bereich der Migration. Wichtig ist allein, dass sie offen und innerhalb der Regeln von Recht und Demokratie ausgetragen werden. Dabei ist die interessante und wahrscheinlich nur praktisch beantwortbare Frage, wie groß der Vorrat an Gemeinsamkeiten sein muss, damit Meinungsverschiedenheiten und Konflikte produktiv gestaltet werden können. Ohne einen solchen Vorrat führen Konflikte zum Zerfall.

Integration – ein Querschnittsthema in der Stadt

Abb. 1 Integrierte kommunale Strategie. Quelle: Matthias Schulze-Böing

In den Städten ist Integration eine zentrale Gestaltungsaufgabe, die künftig eine noch größere Bedeutung haben wird als schon heute. Dabei ist Integrationspolitik ein Querschnittsthema, das kaum ein kommunales Handlungsgebiet auslässt. Wohnen, Stadt und Quartiersentwicklung, Arbeit, Bildung oder öffentliche Sicherheit und Ordnung – all diese Themen sind von den Herausforderungen der Immigration betroffen, können aber auch einen wichtigen Beitrag zum Gelingen von Integrationsprozessen leisten.

Dass Integration ohne die Integration in Erwerbsarbeit nicht möglich ist, dürfte kaum jemand bestreiten. Dass dafür Sprachqualifizierung, allgemeine und berufliche Bildung, das Verständnis und die Befolgung der Regeln des Arbeitsmarktes und des Beschäftigungssystems des Aufnahmelandes notwendig sind, ist offenkundig. Die Kommunen können das mit guten Angeboten im Bereich der frühkindlichen Erziehung und Kinderbetreuung, in der Jugendarbeit, mit sozialer Arbeit in den Schulen, Kooperationsnetzwerken mit Betrieben und einer gut durchdachten lokalen Arbeitsmarktpolitik fördern.

In einer integrierten kommunalen Strategie ist Integration also im Fokus sehr unterschiedlicher Handlungsfelder, sowohl explizit als auch implizit. (Dazu Abbildung 1 oben und im Downloadbereich) Wenn kommunales Handeln in diesen Handlungsfeldern Defizite aufweist, wird Integration behindert. Umgekehrt fördern gute lokale Arbeitsmarkt-, Bildungs-, Stadtentwicklungs- und Ordnungspolitik Integration, auch wenn sie sich nicht explizit als Integrationspolitik verstehen. Zuweilen ist es sogar klug, den Integrationsaspekt nicht allzu sehr in den Vordergrund zu rücken, um etwa Vorbehalten oder Verteilungskonflikten erst gar keinen Raum zu geben. In einer Stadt der Vielfalt ist Integration ohne gutes bereichsübergreifendes Regieren („good governance“) nicht möglich.

Wichtig scheint mir, dass sich eine integrierte soziale Entwicklungsstrategie für Integration nicht ausschließlich an Immigranten richtet. Es sollte stets eine Strategie für alle Bürger/innen sein, für die „Alteingesessenen“ wie für neu Ankommende. Auch die Angehörigen der Aufnahmegesellschaft mit ihren Problemen und Interessen sollten sich darin wiederfinden. Angebote oder die Maßnahmen, die sich explizit und ausschließlich an Immigranten oder bestimmte Gruppen unter ihnen richten, sollten die sicher in vielen Fällen notwendige, aber begründungsbedürftige Ausnahme, gute kommunale Dienste für alle Bürger/innen, die der Vielfalt der Stadtbevölkerung in ihrem Inhalt und in der Form der Umsetzung gerecht werden, die Regel sein.

Gute kommunale Dienstleistungen tragen der besonderen Lebenssituation von Immigranten wie der anderer Gruppen Rechnung, nutzen interkulturelle Kompetenz und tragen der Vielfalt in der Bevölkerung auch durch die personelle Zusammensetzung der Verwaltung Rechnung. In einer von Vielfalt geprägten Stadt sollte die Verwaltung diese Vielfalt in einer gewissen Weise spiegeln. Die Ausbildung und Rekrutierung von Menschen mit Migrationshintergrund für Verwaltungsfunktionen ist dafür ein guter Weg.

Eine ausgewogene soziale Entwicklungsstrategie ist zugleich eine Strategie zur Integration. Integrationspolitik, die sich nur um Immigranten kümmerte, würde gewissermaßen ihr Thema verfehlen. Integration ist als Teil der sozialen Entwicklung in der Stadt in all ihren Ausprägungen und Handlungsfeldern zu sehen. Eine soziale Entwicklungsstrategie sollte zugleich die wichtigsten Handlungsfelder – Stadtentwicklung, Bildung, Zusammenleben, Arbeit, Beruf und Wirtschaft – in einer in sich abgestimmten, integrierten Art und Weise adressieren.

Gemischte Quartiere – Voraussetzung für Integration

In Deutschland gehört es zum Leitbild der Stadtentwicklung, soziale und ethnische Segregation zu begrenzen und so weit es geht zu verhindern. In der sozialwissenschaftlichen Stadtforschung ist diese Position immer wieder kritisch hinterfragt worden.

Hartmut Häußermann und Walter Siebel13 und wie bereits oben bemerkt Doug Saunders14 halten dem Leitbild der sozial und ethnisch durchmischten Viertel entgegen, dass es nicht nur unrealistisch, sondern in gewisser Form auch repressiv sei, da es die natürliche Selbstorganisation ethnischer Gemeinschaften in Sozialräumen den Normen der Mehrheitskultur unterordne. Ethnische Netzwerke und Cluster, die sich in segregierten Quartieren ausbilden und reproduzieren, könnten dagegen eine wichtige Katalysatorfunktion für die Integration von Immigranten haben.

Es gibt jedoch gute Gründe, am Leitbild der sozial durchmischten Stadt festzuhalten, auch wenn es viele Hinweise gibt, dass die soziale Segregation in den deutschen Städten insgesamt eher zunimmt und damit ein Stück des sozialen Zusammenhalts in der Gesellschaft gefährdet wird.15

In sozial und/oder ethnisch segregierten Vierteln kumulieren sich soziale Benachteiligungen. Die Adresse wird zum Stigma. Sozial und ethnisch homogene Viertel mindern die Entwicklungschancen von Kindern und Jugendlichen.16 Wie man aus der kognitiven Lernpsychologie weiß, ist für soziales Lernen eine gewisse Heterogenität unverzichtbar. Gerade für sozial benachteiligte Jugendliche sind Rollenmodelle von beruflich erfolgreichen und gut integrierten Menschen besonders wichtig. Wenn arme Kinder in benachteiligten Quartieren von armen Erwachsenen gewissermaßen nur lernen können, wie man arm bleibt, werden Entwicklungschancen blockiert.

Auch für die Integration ist die Ausbildung ethnisch homogener Viertel ein Risiko. Vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit hoch segregierten Quartieren in Europa von Neukölln bis Molenbek erscheint mir die These von Saunders, dass Integration und Segregation zwanglos miteinander vereinbar seien, leichtfertig, wenn nicht sogar gefährlich zu sein. Für Neuankömmlinge mag es zunächst eine Erleichterung sein, auf ethnische Netzwerke und Kontakte mit Menschen aus dem gleichen Herkunftsland zurückgreifen zu können. Auch bei der Integration in Arbeit mögen ethnische Netzwerke mitunter hilfreich sein. Langfristig laufen Immigranten aber Gefahr, sich in eine Falle zu begeben, die sie in einer gesellschaftlich prekären Situation festhält.

Konsequente Ordnungspolitik

Ein Feld, auf dem die Kommunen Handlungsmöglichkeiten haben, das aber im Zusammenhang mit dem Thema Integration eher selten genannt wird, ist die Politik für Sicherheit und Ordnung, auch und gerade vor Ort in der Kommune.

Immigrationswellen gehen fast immer mit dem Anwachsen des informellen Sektors einher, oft eng verbunden mit ethnischen Netzwerken und ethnisch geprägten Wirtschaftsstrukturen. Dieser informelle Sektor kann Integration erleichtern, insofern dort Arbeits- und Verdienstmöglichkeiten jenseits der mit hohen Schwellen versehenen formellen Arbeitsmärkte entstehen. Informelle Strukturen sind aber sehr häufig auch mit krassen Missständen, Ausbeutung, irregulären Arbeitsbedingungen und Missbrauch von Sozialleistungen verbunden, die kein geordnetes Staatswesen auf Dauer hinnehmen kann. Nicht zuletzt sei daran erinnert, dass etwa Flüchtlinge auch deshalb Deutschland als Ziel gewählt haben, weil sie hier funktionierende rechtsstaatliche Strukturen erwarten, die sie in den Herkunftsländern vermissen. Deshalb ist es auch für die Glaubwürdigkeit von Staat und öffentlicher Verwaltung gegenüber Immigranten wichtig, dass diese die bestehenden Rechtsnormen konsequent durchsetzen.

Praxisbeispiel Offenbach am Main

Abb. 2 Kommunale Integrationsstrategie: Handlungsfelder und Maßnahmen. Quelle: Matthias Schulze-Böing

Am Beispiel der Integrationsstrategie der Stadt Offenbach soll abschließend dargestellt werden, wie eine gesamthafte Integrationsstrategie in einer Kommune in konkrete Programme, Maßnahmen und Projekte umgesetzt werden kann. Die Integrationsstrategie ruht auf vier Säulen, denen Handlungsfelder und Maßnahmen zugeordnet sind. (Dazu Abbildung 2 oben und im Downloadbereich)

Jede dieser „Säulen“ der Integrationspolitik ist in der Stadt Offenbach mit einem besonderen, über viele Jahre entwickelten Entwicklungs- und Politikkonzept untersetzt. Zu nennen sind hier insbesondere:17

Das Konzept „Bildungskoordination“: Mit Hilfe von Förderprogrammen des Bundes wie „Lernende Region“ und „Lernen vor Ort“ wurden Konzepte zur Integration der verschiedenen kritischen Bildungsbereiche entlang von Übergängen im Bildungssystem entwickelt und implementiert. Dazu gehören eine fortlaufende Koordination der relevanten Bildungsakteure in der Stadt und ein systematisches Bildungsmonitoring.

Die Strategien der sozialen Stadt- und Quartiersentwicklung mit den Programmen der „Sozialen Stadt“, des Quartiersmanagements und den wohnungspolitischen Leitlinien der Stadt Offenbach.

Für das Ziel eines konstruktiven Zusammenlebens verschiedener Kulturen wurde bereits vor über zehn Jahren ein erstes Integrationskonzept für die Stadt entwickelt, das im Jahr 2014 fortgeschrieben wurde. Zu einem guten Zusammenleben gehört in Offenbach jedoch auch ein klares Bekenntnis zur Durchsetzung des Rechts. Dafür gibt es ein sehr konsequentes Vorgehen gegen Sozialmissbrauch, irreguläre Arbeit und Ausbeutung im Wohnungsmarkt, verbunden mit einer effektiven Behördenkooperation auch über die Grenzen der Kommunalverwaltung hinaus. Die Förderung von zivilgesellschaftlichen Organisationen im Bereich der Migrationsbevölkerung (sogenannte „Migrantenselbstorganisation“) ist ein weiterer Schwerpunkt dieses Handlungsfeldes. Es geht darum, Teilhabe am politischen Prozess der Kommune zu ermöglichen und die Interessen von Immigranten durch diese selbst zu vertreten.

Dass gelingende soziale Integration sehr stark mit der Integration in den Arbeitsmarkt zu tun hat, ist selbstverständlich. Die Stadt Offenbach hat dafür im Jahr 2012 das örtliche Jobcenter kommunalisiert und als Teil einer übergreifenden sozialen Entwicklungspolitik aufgestellt. Mit einer ausdifferenzierten Gründungsförderung mobilisiert die Stadt das wirtschaftliche Potenzial der Immigranten.

Alle diese strategischen Handlungsfelder leben von einer guten internen und externen Vernetzung der Stadtverwaltung. Es gibt zu allen Themenbereichen Netzwerke, in denen Verwaltungsakteure mit Akteuren externer Behörden und Akteuren der Zivilgesellschaft zusammenarbeiten. Dazu gehören die Kammern und Verbände, Schulen, Arbeitsagenturen, Polizei, nicht zuletzt aber auch zivilgesellschaftliche Organisationen wie Ausländervereine, Kirchen, Moscheevereine, soziale Träger und bürgerschaftliche Initiativen.

Ein wirksames Netzwerkmanagement ist insofern zentraler Bestandteil guten Regierens für Integration in der Stadt. Paradoxerweise ist es gerade die chronische Finanzknappheit der Kommune, die diesen Netzwerkansatz unterstützt. Es ist wichtig zu kooperieren, um Ressourcen zu „poolen“, kooperative Problemlösungen zu realisieren und so etwas wie kommunale Ko-Produktion von Verwaltung und der Adressaten ihres Handelns umzusetzen. Die relative Überschaubarkeit einer Stadt mit 134.000 Einwohnern und einer schlanken Verwaltung tut ein Übriges, um Netzwerke zu stimulieren und produktiv zu machen.

Ein weiteres wichtiges Element des integrierten Politikansatzes der Stadt ist die Begleitung durch Sozial- und Bildungsberichterstattung, die die Entwicklungen in der Stadt beobachtet, Aktivitäten beschreibt und Wirkungen untersucht. Ein kontinuierliches Integrationsmonitoring rundet dieses Berichtswesen ab.18

Schlussbemerkung

Die Entwicklung der Zuwanderung hat die Frage des gelingenden und guten Zusammenlebens in den Städten neu auf die Tagesordnung gesetzt. Städte sind Drehscheiben der Immigration und wichtige Katalysatoren für Integrationsprozesse. Sie tragen einen großen Teil der Verantwortung für gelingende Integration (und der damit verbundenen finanziellen Lasten). Wenn die Gesellschaft Immigration also produktiv gestalten will, ist sie auf funktionierende, aktive und engagierte Städte angewiesen.

Nebeneinander, gegeneinander und miteinander – das sind im städtischen Kontext nicht unbedingt Alternativen. Das Zusammenleben in der Stadt enthält stets von allem etwas. Man könnte sagen – das ist auch gut so. Städte sind dadurch attraktiv, dass sie kulturelle und soziale Vielfalt zulassen und Optionen im Nebeneinander schaffen. Genau das macht, neben dem Arbeitsplatz- und Wohnungsangebot, Städte für Immigranten attraktiv. Dass sich Vielfalt nicht immer bruchlos fügt, dass es im Alltag und im Quartier im Zusammenhang mit Immigration auch Konflikte gibt, kann das Zusammenleben stören, kann aber auch eine Chancen für soziales Lernen und soziale Innovation sein. Flapsig formuliert – es kommt darauf an, was man daraus macht.

Es sollte aber nicht vergessen werden, dass die Stadt nur dann zur „Integrationsmaschine“19 wird, wenn die Kohäsionskräfte groß genug sind, um die zentrifugalen Kräfte von Segregation und Konflikt auszugleichen. Der soziale Zusammenhalt in der Stadt ist keineswegs garantiert, sondern stets in Frage gestellt, zumal in Zeiten von angespannten Wohnungsmärkten und Immigration. Deshalb ist es eine wichtige Aufgabe der Kommune, auch das Miteinander in der Stadt, gemeinsam mit der Bürgerschaft und ihren zivilgesellschaftlichen Organisationen, zu organisieren. Gerade in den Vereinen und Initiativen, aber auch in den Quartieren liegen die großen Potenziale, das „soziale Kapital“ des Gemeinwesens zu erhalten und immer wieder neu zu bilden.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der erweiterten Dokumentation des Symposiums „Die Praxis der Gesellschaftswissenschaften“, das anlässlich des 90. Geburtstags des Stifters Alois M. Schader am 16. Juli 2018 im Schader-Forum stattfand.

Matthias Schulze-Böing: Nebeneinander, gegeneinander, miteinander. Wie wollen wir in den Städten zusammenleben? In: Alexander Gemeinhardt (Hrsg.): Die Praxis der Gesellschaftswissenschaften. 30 Jahre Schader-Stiftung, Darmstadt 2018, 106-116.

Der Autor:
Dr. Matthias Schulze-Böing ist Leiter des Amtes für Arbeitsförderung, Statistik und Integration der Stadt Offenbach und Geschäftsführer des Eigenbetriebs MainArbeit – Kommunales Jobcenter Offenbach. Er ist zudem EU-Referent der Stadt Offenbach und seit 2007 Sprecher des Bundesnetzwerks Jobcenter.

Literatur

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1 IOM International Organization for Migration (2016): World Migration Report 2015. Migrants and Cities: New Partnerships to Manage Mobility. Geneva: IOM.

2 Saunders, Doug (2011): Arrival City. How the Largest Migration in History is Reshaping our World. London: Windmill.

3 Hüttermann, Jörg (2018): Figurationsprozesse in der Einwanderungsgesellschaft. Zum Wandel der Beziehungen zwischen Alteingesessenen und Migranten in deutschen Städten. Bielefeld: transcript. Fouroutan, Naika / Karakayali, Juliane / Spielhaus, Riem (2018): Postmigrantische Perspektiven. Frankfurt am Main: Campus.

4 Hauck, Gerhard (2016): Kultur. Zur Karriere eines sozialwissenschaftlichen Begriffs. Münster: Westfälisches Dampfboot.

5 Pries, Ludger (Hrsg., 2013): Zusammenhalt durch Vielfalt? Bindungskräfte der Vergesellschaftung im 21. Jahrhundert. Wiesbaden: Springer VS.

6 Collier, Paul (2013): Exodus. Immigration and Multiculturalism in the 21st Century. London: Penguin.

7 Alesina, Alberto / Glaeser, Edward (2004): Fighting Poverty in the US and Europe: A World of Difference. London: Oxford University Press; zitiert nach: Weede, Erich (2015): Die Zukunft der Nation und des Nationalstaates oder Migration als neue nationale Frage. Vortrag auf der Konferenz des Liberalen Instituts vom 16.04.2015 „Europa, die EU und der Sinn der Nation“. Online verfügbar unter www.libinst.ch/presentationen/LI-Vortrag-Nation-Weede.pdf (15.09.2018).

8 Koopmans, Ruud (2017): Assimilation oder Multikulturalismus? Bedingungen gelungener Integration. Münster: Lit-Verlag.

9 Danzer, Alexander M. / Yaman, Firat (2010): Immigranten in Deutschland: Ethnische Enklaven schwächen die Sprachkompetenz, mehr Bildung stärkt sie. IAB-Kurzbericht, 17/2010. Nürnberg: Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung.

10 Scheffer, Paul (2016): Die Eingewanderten. Toleranz in einer grenzenlosen Welt. München: Hanser.

11 Miller, David (2016): Strangers in Our Midst. The Political Philosophy of Immigration. Cambridge (Mass.): Harvard University Press.

12 Hüttermann, Jörg (2018): Figurationsprozesse in der Einwanderungsgesellschaft. Zum Wandel der Beziehungen zwischen Alteingesessenen und Migranten in deutschen Städten. Bielefeld: transcript.

13 Häußermann, Hartmut / Siebel, Walter (2001): Integration und Segregation – Überlegungen zu einer alten Debatte. In: Deutsche Zeitschrift für Kommunalwissenschaften (DfK) 1/2001, S. 68–79.

14 Saunders, Doug (2011): Arrival City. How the Largest Migration in History is Reshaping our World. London: Windmill.

15 Helbig, Marcel / Jähnen, Stefanie (2018): Wie brüchig ist die soziale Architektur unserer Städte? Trends und Analysen der Segregation in 74 deutschen Städten. Discussion Paper P 2018–001. Berlin: Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung.

16 Strohmeier, Klaus-Peter (2010): Soziale Segregation – Herausforderung der Städte im 21. Jahrhundert. In: Das Programm Soziale Stadt. Kluge Städtebauförderung für die Zukunft der Städte. WiSo-Diskurs 10/2010. Bonn: Friedrich-Ebert-Stiftung, S. 66–83.

17 Die entsprechenden Materialien sind alle unter www.offenbach.de herunterladbar. Vgl. zu Strukturdaten der Stadt und den einzelnen Aktionsfeldern etwas ausführlicher: Schulze-Böing, Matthias (2018): „Man muss sich Sisyphos als glücklichen Menschen vorstellen“. Ein Konzept für kommunale Integrationspolitik. In: Stadtforschung und Statistik, Jg. 31, Heft 2/2018. Stuttgart: Verband deutscher Städtestatistiker, S. 51–60.

18 Schulze-Böing, Matthias (2017): Kann man Integration messen? Konzept und aktuelle Ergebnisse des Integrationsmonitorings der Stadt Offenbach. Statistik aktuell Nr. 18. Stadt Offenbach am Main: Amt für Arbeitsförderung, Statistik und Integration.

19 Heitmeyer, Wilhelm (1998): Versagt die „Integrationsmaschine“ Stadt? Zum Problem der ethnisch-kulturellen Segregation und ihrer Konfliktfolgen. In: Heitmeyer, Wilhelm / Dollase, Rainer / Backes, Otto (Hrsg.): Die Krise der Städte. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

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