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Die Kirchen und der Populismus. Ein Tagungsbericht.

Artikel vom 07.03.2019

Vom 10. bis 12. September 2018 fand die interdisziplinäre Tagung „Die Kirchen und der Populismus. Interdisziplinäre Recherchen in Gesellschaft, Religion, Medien und Politik“ statt. Ein Tagungsbericht.  Von Christian Bauer, Richard Hartmann, Ilona Nord und Thomas Schlag.

Interdisziplinäre Recherchen

Es machte den besonderen Charakter dieser als Konsultation zum Thema zu bezeichnenden Zusammenkunft aus, dass hier unter dem Dach der Schader-Stiftung Vertreter bzw. Vertreterinnen der Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft (DGPuK), der Sektion Religionssoziologie der Deutschen Gesellschaft für Soziologie (DGS), der Deutschen Gesellschaft für Soziale Arbeit (DGSA) und des Arbeitskreises Politik und Religion der Deutschen Vereinigung für Politikwissenschaft (DVPW) mit der Konferenz der deutschsprachigen Pastoraltheologinnen und -theologen sowie der Sektion Praktische Theologie der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie (WGTh) kooperierten. Hinzu kamen Vertreter der römisch-katholischen wie der evangelischen Kirche, die bezogen auf ihre Organisationen Einschätzungen zur Thematik vornahmen.

Populismus: Begriffe, Emipirie und theologische Traditionen

Alexander Gemeinhardt begrüßte für die Schader-Stiftung, Ilona Nord für die Kooperationspartner der wissenschaftlichen Gesellschaften. Den Auftakt der Vorträge und Diskussionen bildeten zwei Beiträge zur Erkundung des Phänomens bzw. Eingrenzung des Begriffs des Populismus: Hans-Jürgen Puhle, Frankfurt am Main, stellte aus politikwissenschaftlicher Perspektive das Phänomen anhand historischer Bewegungen dar. Der Beitrag schärfte insbesondere den Blick für die Globalität des Phänomens. Andreas Scheu, Münster, ordnete die Phänomene kommunikationswissenschaftlich ein: Populismus als Stil verweise auf die Art und Weise politischer Kommunikation, Populismus als Strategie auf die Motive der Kommunikatoren und Populismus als Ideologie auf zugrundeliegende Inhalte. Zudem vermaß Scheu das Feld für das im weiteren Verlauf der Tagung zu diskutierende Grundkonzept: Populismen thematisieren den Antagonismus zwischen Eliten und Volk und lassen sich durch ihre prinzipiell antipluralistische Positionierung identifizieren.

Es folgten zwei empirisch orientierte Beiträge: Gert Pickel, Leipzig, sprach über zivilgesellschaftliche Polarisierungen in einer populistischen Ära und fokussierte hierbei auf die Erwartungen von Kirchenmitgliedern an die Politik ‚ihrer‘ Kirchen. Er konnte anhand von empirischen Untersuchungen zeigen, dass zum einen die Erwartungen der Kirchenmitglieder an die Politik der Kirchen betreffend des Populismus als in sich different zu bezeichnen sind und dass zum anderen Kirchenzugehörigkeit weder eine immunisierende noch eine befördernde Wirkung auf die Offenheit für Populismus hat. Zudem wurde klar, dass Religion innerhalb von populistischen Szenarien vor allem als Markierungsfaktor für eine Fremdidentifikation genutzt wird, d.h. dass der Islam zum Fokus für gruppenbezogene Ablehnung wird.

Hilke Rebenstorf, Hannover, gab im Anschluss Einblick in ihre Forschungen zum Einfluss von Religiosität, Kirchgang und religiösem Dogmatismus auf Islamfeindlichkeit und die Wahl rechter Parteien. Sie hob hervor, dass unter den religiösen Parametern die religiöse Exklusivität zentral für die Einstellung gegenüber dem Islam und Muslimen ist. Für die empirische Forschung stelle sich dringlich die Frage, wie man mit fehlendem Wissen (über den Islam) bei den Befragten sowie mit fehlenden Angaben und „Weiß nicht“-Antworten umgehen solle.

Die Journalistin und Theologin Antje Schrupp, Frankfurt a.M., widmete ihren Impulsvortrag dem Problem populistischer Kampagnen gegen Geschlechtergerechtigkeit und Genderforschung. Sie führte exemplarisch vor, wie durch populistische Agitation einer Errungenschaft der Demokratie, konkret dem Schutz diskriminierter Gruppen – in diesem Falle von Frauen – , die gesellschaftliche Legitimität entzogen werden soll. Der Praktische Theologe Christian Bauer, Innsbruck, lieferte sodann Einordnungen dazu, wie Populismus in Kirche und Religion verstanden werden kann. Hierfür rekurrierte er u.a. auf theologische Traditionen, die selbst Bezug nehmen auf von ihnen ermittelten Interessen des Volkes. Die lateinamerikanische Befreiungstheologie, die auch Papst Franziskus häufiger in seinem Referenzrahmen führt, verstand und versteht sich in diesem Sinne als eine Theologie des Volkes wie auch mit und für ‚das Volk‘.

Jan Werner Müller: Populismus keine Reformbewegung für die Demokratie

Den öffentlichen Abendvortrag hielt der Politikwissenschaftler Jan Werner Müller, Princeton. Er gab zu verstehen, dass Populisten (zumindest meistens) Antidemokraten bzw. Antidemokratinnen seien. Daneben widersprach er der häufig zu hörenden These, wonach es sich beim Populismus um eine Reformbewegung für die Demokratie handle. Vielmehr wies er auf die daraus hervorgehenden Gefahren für eine demokratische Kultur hin. Im Hinblick auf Strategien, die gegen Populismus hilfreich sein könnten, widersprach er Deutungen, die diesen zu psychologisieren versuchten und damit auch Anerkennung verschafften. Müller plädierte für differenzierte Analysen konkreter Phänomene, um so sowohl falsche Argumentationen wie auch ihre Konsequenzen zu entlarven. Nicht zuletzt lieferte er Hinweise zum Verhältnis von Populismus und Religion(en) und forderte, die Kennzeichen fundamentalistischer Bewegungen aus politischer und religiöser Perspektive zu analysieren. Auch innerhalb von Religionen gebe es antidemokratische Tendenzen, die als solche herauszuarbeiten seien.

Nach seinem Vortrag diskutierte Müller mit dem Kirchenpräsidenten der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) Volker Jung. Der Kirchenvertreter thematisierte den Diskussionsbedarf, den AfD-Mitgliedschaften von Kirchenmitgliedern für die Organisation auslösten. Er lotete verschiedene Strategien des Umgangs aus, die weder eskalieren noch verharmlosen dürften. Eine ihm wichtige Einsicht lautete, dass Populismen zugleich mediale Aufmerksamkeitserzeuger sind. Ginge Kirche auf scharfe Auseinandersetzungen mit populistischen Positionen in der Öffentlichkeit ein, erhielten diese zusätzliche Aufmerksamkeit, ohne dass eine notwendige differenzierte Debatte über Sachthemen geführt werden könne.

Populismus und die kommunikative Landschaft der Kirchen

Unter der Überschrift „Ansprüche und Wirklichkeiten“ referierte zu Beginn des zweiten Tages der Wiener systematische Theologe Ulrich H. J. Körtner über die „Kirche als politische Volkskirche“ und plädierte entlang aktueller Konfliktlinien für eine gleichermaßen differenzierte wie engagierte „nicht nur […] neue politisch-ethische, sondern auch eine neue theologische Streitkultur über den Kern und Grund des christlichen Glaubens“.

Nach einer Pause folgten Gesprächsrunden im ‚Worldcafé’, in denen sich die Teilnehmenden der Tagung über die bis dahin erfolgten Impulse und mögliche „Erfahrungen, Anschlussstellen, Ansätze“ in vertiefender und weiterführender Weise austauschen konnten.

Claudia Schulz, Ludwigsburg, präsentierte am Nachmittag ein Forschungsprojekt zu „Hatespeech in Kirche / Diakonie“, das die starke Zunehme von Verunglimpfungen dokumentierte. Drei Themenfelder: Genderfragen, Homosexualität und Furcht wurden vor dem Hintergrund dreier medial wirksamer Ereignisse analysiert: Untersucht wurden die Problemkonstruktionen, die Argumentationsformen und die Dynamik der digitalen Kommunikation. Barbara Thiessen, Landshut, erweiterte die Erfahrungskontexte im Aufzeigen der Wechselwirkung von rechtspopulistischen Zuspitzungen aufgrund der eindeutigen Positionierung evangelischer Landeskirchen zu Diversity und Gleichstellung in kirchlichen und sozialen Diensten. Dass auch in den Sachfeldern zumindest mit weltkirchlich-interkultureller Perspektive, aber sicher auch im inner-ökumenischen Dialog noch Sprengstoff liegt, werde dabei nicht nur in extrem rechtspopulistischen Kommunikationsformen offenbar.

Medienwissenschaftlich prüften Oliver Quiring, Mainz und Bernd Blöbaum, Münster, die Frage, wie populistisch kirchliche Kommunikation ist. Vor allem die hier feststellbare Polarität von Vertrauen und Misstrauen wurde durch deren aufgezeigte empirische Befunde deutlich. Kirche müsse damit leben, dass ihr nur noch auf einem niedrigen Niveau Vertrauen entgegengebracht werde. Gesellschaft sei „ethisiert“ und werde von daher mehr denn je an einzelnen Verhaltensweisen gemessen. Darum wirkten Skandalisierungen durch ökonomisches Gebaren, durch Missbrauch und fehlende Transparenz auf die Anerkennung ihrer Bedeutung. Kirche als Institution genieße per se keinen großen Vertrauensvorschuss mehr.

Der Nachmittag verdeutlichte, wie Kirche selber zur Zielscheibe populistischer Positionierungen werden kann. Christian Schemer, Mainz, befasste sich aus der Perspektive der Publizistik mit dem Wirkpotential populistischer Medienbotschaften und verwies dabei auf deren „advokative Kommunikationsstrategien“ sowie das systematische „blame shifting auf die Altparteien“. Die damit verbundene Polarisierung solle gerade der eindeutigen Zustimmung oder klaren Ablehnung dieser Medienbotschaften dienen. Als öffentliche Gegenstrategie empfahl er, gerade solche Gruppenkategorisierungen aufzubrechen.

Dass sich Kirche in einer vielfältigen und disparaten kommunikativen Landschaft bewegt und sich gerade angesichts populistischer Vereinfachungen dieser komplexen Wirklichkeit so sachlich und deutlich stellen muss, wurde auch in den Zwischenresümées von Gert Pickel und Barbara Thiessen deutlich.

Bischof Dr. Peter Kohlgraf, Mainz grüßte am Abend die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Symposions. Er schilderte seine Erfahrung in den sozialen Medien, die auf seinem Handy und in seinen Accounts ankommen. Dass es keine Scheu mehr gebe, die prominenten Verantwortungsträgerinnen und – träger direkt zu beschimpfen, wurde dadurch beispielhaft erfahrbar. Der Dienstag klang mit einem sommerlichen Empfang im Garten der Schaderstiftung aus, der viele weitere Gespräche förderte.

Populismus und kirchliche Praxis

Der dritte Tag war unter die Überschrift „Diagnosen und Herausforderungen aus Sicht der Kirchen und der Theologie“ gestellt. Hier unternahm Karl Waldeck, Hofgeismar aus Sicht eines Akademieleiters kirchliche Problemanzeigen und Fokussierungen in evangelischer Perspektive. Unter Heranziehung der Barmer Theologischen Thesen sowie des jüngst erschienenen EKD-Papiers „Konsens und Konflikt: Politik braucht Auseinandersetzung“ forderte er für die kirchlichen Handlungsfelder von Verkündigung, Seelsorge und Diakonie eine klare Positionierung der Kirche gegenüber populistischen Ausgrenzungsstrategien ein.

Aus römisch-katholischer Perspektive formulierte Andreas Lob-Hüdepohl, Berlin, seinerseits kirchliche Problemanzeigen und fokussierte diese auf die Forderung, zuerst einmal die „bittere Realität“ anzuerkennen, dass Fremdenfeindlichkeit und rechtspopulistische Einstellungsmuster sowohl in die Mitte der Gesellschaft wie auch der Kirche eingedrungen sind. Als ein notwendiges offensives Eintreten für die (zunehmend bedrohte) Demokratie als Staats- und Lebensform plädierte er unter der Signatur einer „Hoffnungsimprägnierung kirchlichen Handelns“ vor allem für ein breites Engagement in den Kirchen im Sinn der ‚Zivilcourage‘ als ‚Christuszeugnis‘.

Im Sinn einer praktisch-theologischen Problemanzeige und mit Fokussierung auf die evangelische Perspektive fragte Thomas Schlag, Zürich danach, wie populistisch eigentlich Kirche und Praktische Theologie selbst sind, gerade, wenn eine bestimmte neoliberale Deliberations- und Diskurskultur auf elaborierte Weise bestehende Dissense unterminiert. Er zeigte von dort aus empirische und hermeneutische Konsequenzen für die Disziplin selbst auf: Themen und Bereich der eigenen Forschung und Lehre sind immer wieder auf deren öffentliche, gesellschaftliche Relevanz hin zu prüfen und in Predigtlehre und Seelsorge, Bildung, Kirchen- und Gemeindeentwicklung, Diakonie und Pastoraltheologie zu diskutieren.

Wo und wie sich Kirchen zu Phänomenen des Populismus nun konkret verhalten sollen, erörterte Matthias Blöser, Mainz, am Beispiel des Zentrums Gesellschaftliche Verantwortung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau. Seine abschließenden Forderungen lassen sich zugleich als Extrakt einer Vielzahl von auf der Tagung geäußerten Strategien und Aktivitäten kirchlicher Praxis verstehen, wenn er hier benannte: Demokratische Kräfte inner- und außerhalb der Parlamente – auch Kirchen – müssen die plurale, freiheitliche Demokratie verteidigen und weiterentwickeln; demokratische Debatten sind über eigene Milieus hinaus zu fördern und zugleich sind klare Grenzen bei menschenverachtenden und antidemokratischen Diskursen zu setzen. Zudem gelte es, eigene Themen zu setzen statt Angstmacher nachzuahmen und schließlich müssten die Kirchen an konkreten Problemlösungen arbeiten und diese auch politisch einfordern. Stellungnahmen von Richard Hartmann, Fulda, Ilona Nord, Würzburg sowie Oliver Quiring, Mainz, beschlossen die Tagung.

Die hier kurz vorgestellten Beiträge werden in einer wissenschaftlichen Publikation, die zudem um weitere Beiträge aus dem Bereich sowohl der evangelischen wie der katholischen Theologie erweitert werden wird, im Jahr 2020 in der Reihe der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie bei der Evangelischen Verlagsanstalt Leipzig erscheinen.

 

Die Autoren:

Prof. Dr. Christian F. Bauer leitet das Institut für Praktische Theologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Innsbruck.

Prof. Dr. Richard Hartmann ist Professor für Pastoraltheologie und Homiletik an der Theologischen Fakultät Fulda.

Prof. Dr. Ilona Nord lehrt am Institut für Ev. Theologie und Religionspädagogik der Julius-Maximilians-Universität Würzburg.

Prof. Dr. Thomas Schlag ist evangelischer Theologe und Professor für Praktische Theologie an der Universität Zürich.

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