Bundesdeutsche Wohnungspolitik seit 1945
Artikel vom 23.06.2006
Das Wohnen gehört zu den existenziellen Bedürfnissen und Voraussetzungen für ein menschenwürdiges Leben und ist damit von grundlegender Bedeutung für die Gesellschaftsordnung. Dennoch findet das Politikfeld Wohnen häufig nur geringe Aufmerksamkeit. Dieser Artikel stellt die wichtigsten Entwicklungen der bundesdeutschen Wohnungspolitik seit 1945 vor. Von Sybille Münch
Die Ausgangssituation nach dem Zweiten Weltkrieg
Wie schon nach dem Ersten Weltkrieg wurde auch nach 1945 von der staatlichen Wohnungspolitik vor allem erwartet, dass sie die Kriegsfolgen bewältigen helfe. Die Wohnungspolitik blieb – wie bereits während der Binnenwanderungen im 19. Jahrhundert – eine riesige "Wanderungsverarbeitungsmaschine". Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges waren in den Westzonen von 10,6 Mio. Wohnungen 2,3 Mio. (entsprechend 21%) völlig zerstört, weitere 2,3 Mio. schwer beschädigt*. In der Ostzone lag die Zerstörung mit etwa 10% des Vorkriegsbestandes von 5,1 Mio. Wohnungen deutlich niedriger. Die Versorgungslage war desaströs: Im Westen standen 14,6 Millionen Haushalten nur 9,4 Millionen Wohnungen zur Verfügung – Behelfsunterkünfte eingeschlossen. In der Regel teilten sich fünf Personen eine Wohnung. Jedem Bewohner standen damit nur ca. 15 qm zur Verfügung.
Die Aufbau-Phase: die Objektförderung
Von den drei Optionen, den Wohnungsbau über die Bauträger, über das Gebäude (Objekt-) oder über die Mieterkaufkraft (Subjektförderung) staatlich zu fördern, hat sich die junge Bundesrepublik für die Objektförderung entschieden. Das im Jahr 1950 verabschiedete Erste Wohnungsbaugesetz spiegelt diese Entscheidung wider. Durch die Vergabe von unverzinsten Baudarlehen aus Haushaltsmitteln des Bundes und der Länder bei etwa 30-35jährigen Tilgungsfristen gelang es entscheidend, den Wohnungsbau zu fördern. "Dies hat im internationalen Vergleich dazu geführt, dass die staatlichen Subventionen für private Investitionen in Mietshäuser und Eigenheimen relativ hoch waren und der private Anteil an der Bautätigkeit 1950 schon Zweidrittel (64%), 1960 Dreiviertel (76%), 1970 Vierfünftel (83%) und 1980 Neunzehntel (91%) betrug." (ebd.: 23)
Der soziale Wohnungsbau
Im Gegenzug zum Darlehen "war der Investor verpflichtet, für die Laufzeit der Darlehen nur an Haushalte zu vermieten, die bestimmte Einkommensgrenzen nicht überschreiten. Die Miethöhe richtete sich anfangs nach einer Richtsatzmiete; später nach der sog. Kostenmiete, die aus dynamischen (z.B. Zinsen, Betriebskosten) und staatlich festgelegten (z.B. Instandhaltungspauschalen) Elementen besteht. Nach Rückzahlung der Darlehen entfallen diese Bindungen. Die staatliche Förderung war anders als bis 1933 nicht mehr an Unternehmen gebunden, die gemeinnützige Bindungen (Dauerwohnrecht, Dividendenbegrenzung, Überschuss- und Vermögensbindung, Kostenmiete) dauerhaft garantierten.
Die Beschränkung der Kapitalverwertung des Investors ist auf das vorwiegend unrentierliche erste Drittel der Lebensdauer einer Wohnung beschränkt. Dieser Soziale Wohnungsbau stellt somit einen zeitlich befristeten Kompromiss zwischen einer marktwirtschaftlich orientierten und einer an der Schaffung dauerhaft gebundenen Bestände interessierten Wohnungsversorgung dar. Diesem Kompromiss liegt die Vorstellung zugrunde, dass ein Eingriff in die Marktkräfte nur aufgrund von Notsituationen erfolgen sollte." (Heinz/ Kiehle 2000)
Die Ära der Eigentumsförderung
Im Jahr 1951 begann mit der steuerlichen Abzugsfähigkeit von Investitionen im selbstgenutzten Eigentum die Phase der Eigentumsförderung. Mit dem Wohnungsbauprämiengesetz des gleichen Jahres wurde die private Vermögensbildung zum Erwerb von Wohneigentum gefördert. Die bis 1986 gezahlten Subventionen entsprachen etwa 40 % aller Finanzierungsmittel im Wohnungsneubau. Mit dem nahezu einstimmig verabschiedeten Zweiten Wohnungsbaugesetz wurde im Jahr 1956 die Orientierung auf Eigentumsförderung auch im Sozialen Wohnungsbau festgesetzt. Vermögens- und familienpolitische Ziele rückten so in den Vordergrund. Da sich die Stimulierungswirkungen dieser Eigentumsförderung "für den Wohnungsbau als begrenzt erwiesen, hat man in den sechziger Jahren den Schwerpunkt auf den zweiten Förderungsweg zugunsten von Haushalten mit mittlerem Einkommen verlegt. Anfang der siebziger Jahre kam es zur erneuten Verschiebung des Schwerpunktes von der direkten auf die indirekte Förderung der Eigentumsbildung durch Steuervergünstigungen (§7b Einkommenssteuergesetz). Die Förderung wurde auf den Bestand von Altbauwohnungen ausgedehnt. Die Eigentumswohnung erhielt Auftrieb gegenüber dem bis dahin bevorzugten Eigenheim." (von Beyme 1999: 97f)
Der Beginn der Deregulierungspolitik: die Subjektförderung
"In das Ende der 1950er Jahre fiel auch die hitzige Debatte um den Abbau der Wohnungszwangswirtschaft. Die zwangswirtschaftlichen Bindungen im Bereich von Altbauwohnungen, die 1946 durch die alliierten Militärregierungen eingeführt und 1950 vom Bundestag bestätigt wurden, gaben den kommunalen Wohnungsämtern je nach Lage der Wohnungsnot Belegungsrechte der Wohnungen, räumten ihnen die Festsetzung von Höchstmieten ein und schlossen das Kündigungsrecht des Vermieters weitgehend aus. Mit dem von Bundesbauminister Paul Lücke (CDU) gegen Widerstand auch in den eigenen Reihen durchgesetzten Gesetz über den stufenweisen Abbau der Wohnungszwangswirtschaft und die Einführung eines sozialen Mietrechtes (in Kraft getreten am 1. Juli 1960) wurde der Wohnungsmarkt dereguliert." (Bartholomäi 2004: 24)
"Die Folge der fortgesetzten Deregulierung des Wohnungsmarktes führte bei vielen Haushalten zu belastenden Mietsteigerungen. Mit der Einführung eines vom Einkommen, der Haushaltsgröße und der Miethöhe abhängigen Wohngeldes wurde 1965 eine zentrale Säule in der sozialen Wohnungsmarktwirtschaft eingeführt. Für die Befürworter ist das Wohngeld ein sozial treffsicheres und marktkonformes Instrument. Für die Kritiker stellt es eine Subvention der Vermieter ohne Wohnungsneubau oder anderes staatliches Steuerungspotential dar. Anpassungen erfolgen nicht regelmäßig und sind von der Haushaltslage abhängig." (Heinz/ Kiehle 2000)
Mieterschutz und Modernisierung: die sozial-liberale Wohnungspolitik
An der aufgezeigten Tendenz zur Liberalisierung und Eigentumsförderung hielt auch die sozial-liberale Koalition fest. Sie stärkte allerdings durch eine Reihe von Gesetzen die soziale Sicherung beim Mieterschutz. Das 1971 verabschiedete Kündigungsschutzgesetz verbot insbesondere die Kündigungsdrohung zur Erreichung einer höheren Miete, ebenso wurde die Mietsteigerung gesetzlich beschränkt: Mieterhöhungen müssen sich seitdem an der ortsüblichen Vergleichsmiete orientieren.
Seit 1973 signalisierten Preisentwicklung und steigende Zinsen einen Konjunkturabschwung, der weitere Investitionen im Wohnungsneubau unrentabel machte. Die Politik wendete sich der qualitativen Seite der Wohnungsversorgung zu, durch das Städtebauförderungsgesetz (1971) und das Wohnungsmodernisierungsgesetz (1976).
Deregulierung und Dezentralisierung ab 1982
"Nach dem Regierungswechsel 1982 strebte die neue CDU/CSU/FDP-Regierung eine massive Forcierung der wohnungsmarktpolitischen Liberalisierung an. Noch 1982 wurden die Preisgestaltungsspielräume der Vermieter erweitert. Die entscheidenden Weichenstellungen zur Deregulierung erfolgten 1986 bis 1988 als Reaktion auf einen vermeintlich ausgeglichenen Wohnungsmarkt: 1986 erfolgte der Rückzug des Bundes aus der Förderung des sozialen Mietwohnungsbaus. 1988 verabschiedete die Bundesregierung das Steuerreformgesetz, das die Wohnungsgemeinnützigkeit mit Wirkung zum 1.1.1990 aufhob. Hintergrund dieser Gesetzesinitiativen waren die wohnungspolitischen Prioritäten der neuen Bundesregierung, insbesondere ihre Präferenz für die Eigentumsförderung und eine Fehleinschätzung der Lage auf dem Wohnungsmarkt Mitte der 80er Jahre." (Holtmann/ Schaefer 1996: 36).
Die "neue" Wohnungsnot
Bedingt durch Faktoren wie den Trend zu Ein-Personen-Haushalten, das Eintreten der geburtenstarken Jahrgänge in die Haushaltsgründungsphase und durch den Anstieg der Zuwanderung aus der DDR und Osteuropa bei gleichbleibendem Wohnungsbestand wurde Ende der 80er Jahre deutlich, dass der Wohnungsmarkt über keinerlei Angebotsreserven mehr verfügte. Für die Fehleinschätzung des Bedarfs in den frühen 80er Jahren durch Politik und Bauwirtschaft war die Annahme einer sinkenden Nachfrage aufgrund rückläufiger Bevölkerungszahlen verantwortlich. Aufgrund von Leerständen in einigen Sozialwohnungsbeständen, die die beunruhigte Bauwirtschaft mit merklicher Investitionszurückhaltung beantwortete, war man fälschlicherweise von einer Sättigung des Wohnungsmarktes ausgegangen. Eine spürbare Reduktion im öffentlich geförderten und frei finanzierten Wohnungsbau waren die Folge gewesen.
Der Staat reagierte auf die Wohnungsknappheit und damit einhergehenden steigenden Mieten (insbesondere in Ballungsregionen) durch ein verstärktes Engagement im Wohnungsbau vor allem durch die Verbesserung der Abschreibungsmöglichkeiten für Mietwohnungen, höhere Förderung von Eigentumsbildung und Wiedereinstieg in den Sozialen Wohnungsbau.
Steuerliche Förderung der Wohneigentumsbildung – die Eigenheimzulage
Die Eigenheimzulage steht seit 1996 als progressionsunabhängige Zulage an Stelle des vorherigen Sonderausgabenabzugs. Durch eine im Voraus kalkulierbare Zulage soll insbesondere Schwellenhaushalten und Familien mit Kindern der Weg ins Eigenheim geebnet werden.
Mit der Reform der Eigenheimzulage zum 1.1.2004 werden Neubauten und Bestandsimmobilien in gleicher Höhe gefördert. Die Unterstützung der Wohneigentumsbildung von Familien in Städten blieb auch unter der rot-grünen Regierung vor allem mit Blick auf deren Beitrag zur Stabilisierung städtischer Quartiere ein vorrangiges Anliegen.
Rot-grüne Wohnungspolitik 1998-2005
Die rot-grüne Wohnungspolitik ist im Wesentlichen von drei Reformen bestimmt gewesen: Der Sozialwohnungsbaureform sowie der Wohngeldanpassung und der Mietrechtsreform. Mit der Reform des Wohnraumförderungsgesetz zum 1.1.2002 ist das Wohnungsbaurecht grundlegend reformiert worden. Als Zielgruppe werden nicht mehr "die breiten Schichten der Bevölkerung" benannt, sondern diejenigen "Haushalte, die sich am Markt nicht angemessen mit Wohnraum versorgen können und auf Unterstützung angewiesen sind." Neue Leitlinie ist zudem die Einbeziehung des vorhandenen Wohnungsbestandes zur Lösung von Wohnraumversorgungsproblemen. Sie sollen nicht mehr nur über den Neubau, sondern auch über die Modernisierung von Altbauten, den Erwerb von Belegungsrechten zugunsten Wohnungssuchender oder durch Förderung des Erwerbs vorhandenen Wohnraums angegangen werden.
Zum 1. Januar 2001 trat die Wohngeldreform in Kraft. Sie war notwendig geworden, da das Wohngeld seit 1990 nicht mehr an die Entwicklung der Mieten und der Einkommen angepasst worden war. Danach wird das Wohngeld in den alten Ländern an das deutlich höhere Wohngeld der neuen Länder (Sonderwohngeld) angepasst. Seit dem 1.1.2005 wird Wohngeld nur noch an Nicht-Transferleistungsbezieher geleistet, da bei Transferleistungsbeziehern die Unterkunftskosten von der Leistungsstelle berücksichtigt werden.
Mit dem zum 1.9.2001 in Kraft getretenen Gesetz zur Neugliederung, Vereinfachung und Reform des Mietrechts wurden asymmetrische Kündigungsfristen für Mieter und Vermieter eingeführt. Dies sowie die Erleichterungen beim Abschluss von Zeitmietverträgen soll den gestiegenen Mobilitätsanforderungen durch den Arbeitsmarkt an die Mieter Rechnung tragen. Die Senkung der Kappungsgrenze von 30 auf 20 Prozent soll Mieter in bislang preisgünstigen Wohnungen vor zu starken Mieterhöhungen schützen.
Bilanz: von der Wohnungspolitik zur Wohnungsmarktpolitik
"Insgesamt wird die Wohnungspolitik in Deutschland noch von sozialstaatlichen Leitvorstellungen dominiert. Doch sowohl die Stärkung der Vertragsfreiheit beim Mietrecht als auch die Konzentration des sozialen Wohnungsbaus auf 'nicht marktfähige Personen' und die Betonung der Subjektförderung mittels des Wohngeldes deuten Veränderungen an. Wohnungspolitik wird zur Wohnungsmarktpolitik, d.h. es wird darauf gesetzt, Personen zum selbständigen Agieren am Wohnungsmarkt zu befähigen und nur noch 'Restgruppen' jenseits des Marktes mit Wohnraum zu versorgen.
Parallel dazu stellen die neuen Programme 'Soziale Stadt' und 'Stadtumbau Ost' nicht (mehr) auf individuelle Leistungen ab (auf die ein Rechtsanspruch besteht). Sie zielen vielmehr auf die Veränderung und Verbesserung von Lebenschancen, die zunächst von den unmittelbaren Programmadressaten, d.h. Kommunen, Wohnungsgesellschaften und anderen Organisationen, umzusetzen sind. Ist dies erfolgt, mögen veränderte und verbesserte Lebenschancen zwar für einzelne wichtig sein, die einzelnen müssen diese aber auch tatsächlich nutzen. Insofern schlägt sich auch in der Wohnungspolitik die in der aktuellen politischen Debatte immer stärker hervortretende Kontroverse zwischen Verteilungs- und Zugangsgerechtigkeit nieder. Im Zentrum dieser Kontroverse steht die Frage, ob Lebenschancen durch Umverteilung und die Gewährung individueller Rechtsanspruch zu sichern sind oder aber durch die Gewährleistungen bestimmter allgemein verfügbarer Zugangsvoraussetzungen, denen für gesellschaftliche Teilhabe und die Realisierung individueller Lebensentwürfe eine entscheidende Rolle zukommt." (Heinelt 2004: 257)
Literatur
Bartholomäi, Reinhart C. 2004: Wohnungspolitik in Deutschland – eine begriffliche und historische Annäherung. Die Entwicklung des Politikfelds Wohnen. In: Egner, Björn/Georgakis, Nikolaos/Heinelt, Hubert/Bartholomäi, Reinhart C.: Wohnungspolitik in Deutschland. Positionen. Akteure. Instrumente. Darmstadt
Beyme, Klaus von 1999: Wohnen und Politik. In: Flagge, Ingeborg (Hrsg.) 1999: Geschichte des Wohnens. Von 1945 bis heute. Aufbau – Neubau – Umbau, Bd. 5, Stuttgart, 81-152.
Heinz, Ulrike/Kiehle, Wolfgang 2000: Wohnungspolitik. In: Andersen, Uwe/Woyke, Wichard (Hrsg.): Handwörterbuch des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland. 4., völlig überarbeitete und aktualisierte Auflage, Bonn 2000.
Holtmann, Everhard/Schaefer, Rainer 1996: Wohnen und Wohnungspolitik in der Großstadt. Eine empirische Untersuchung über Wohnformen, Wohnwünsche und kommunalpolitische Steuerung. Opladen: Leske + Budrich
*Zahlen, soweit nicht anders angegeben, aus: Heinz/ Kiehle 2000
Die Autorin: Dr. Sybille Münch, Politikwissenschaftlerin, war von 2004 bis 2006 Wissenschaftliche Referentin der Schader-Stiftung.