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Reform der sozialen Sicherung: Was sagt uns die Generationenbilanz?

Artikel vom 29.04.2004

„Dass wir derzeit weit vom Zustand der Nachhaltigkeit entfernt sind, beziffert die deutsche Generationenbilanz sehr präzise: Auf fast das Dreifache des Inlandsprodukts beziffert sich die Nachhaltigkeitslücke, d.h. das, was wir eigentlich an Rücklagenbildung hätten betreiben müssen, um unsere Kinder in ihren Leistungsansprüchen so zu stellen, wie uns selbst.“ Von Bernd Raffelhüschen

Reform der sozialen Sicherung: Was sagt uns die Generationenbilanz?

Vortrag anllässlich der Verleihung des Schader-Preises am 29. April 2004

Die langfristige Finanzierbarkeit der deutschen Sozialversicherungssysteme ist angesichts des sich rapide zuspitzenden doppelten Alterungsprozesses nicht gewährleistet. Alle in Bismarckscher Tradition entworfenen Sicherungssysteme – ob Renten-, Kranken- oder Pflegeversicherung – fußen auf dem gleichen Prinzip, dem Generationenvertrag. Immer weniger tendenziell gesunde Junge finanzieren immer mehr Alte, die immer älter werden und deren Krankheits- bzw. Pflegebedürftigkeitswahrscheinlichkeit deutlich zunimmt. Die sich daraus ergebenden zukünftigen Finanzierungslücken machen weitere Anhebungen der Beitragssätze oder drastische Leistungskürzungen unumgänglich. 

Im Vortrag sollen zunächst die Konsequenzen des demographischen Wandels für die Nachhaltigkeit der gesetzlichen Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung mit Hilfe der Generationenbilanzierung und anhand ergänzender Beitragssatzprojektionen auf derzeitiger Gesetzesgrundlage quantifiziert werden. Ausgehend von der Diagnose des gesetzlichen Status quo soll dann aufgezeigt werden, ob und inwieweit spezifische Reformmaßnahmen eine echte Therapie darstellen und somit zukünftig mehr Nachhaltigkeit in den Generationenverträgen generieren könnten. Dass wir derzeit weit vom Zustand der Nachhaltigkeit entfernt sind, beziffert die deutsche Generationenbilanz sehr präzise: Auf fast das Dreifache des Inlandsprodukts beziffert sich die Nachhaltigkeitslücke, d.h. das, was wir eigentlich an Rücklagenbildung hätten betreiben müssen, um unsere Kinder in ihren Leistungsansprüchen so zu stellen, wie uns selbst.

Im Fall der Rentenversicherung werden die aktuellen Nachhaltigkeitsreform und potentielle zukünftige Strategien zur Erhöhung der gesetzlichen Altersgrenze diskutiert. Hier zeugt sich, dass die (fast) identischen Vorschläge der Rürup- und Herzog-Kommission tatsächlich Nachhaltigkeit in das System getragen hätten – mit den im Dezember vergangenen Jahres beschlossenen Nachhaltigkeitsgesetz ist jedoch nur etwa zwei Drittel der Wegstrecke hinter uns gebracht. Auch bedarf es noch eines klar marktorientierteren Feinschliffs, um wirkliche Handlungsfreiheit für einen mündigen Staatsbürger herzustellen. 

Beträchtlich komplexer ist die Nachhaltigkeitsanalyse der gesetzlichen Krankenversicherung. Die versteckte Staatsverschuldung dieses Systems dürfte im günstigsten und eher unrealistisch optimistischen Fall bei etwa 80 Prozent des Inlandsprodukts liegen – im realistisch optimistischen Fall eines leichten Kostendrucks bei über zwei Inlandsprodukten liegen. Das Gesundheitsmodernisierungsgesetz schafft hier keine Abhilfe und eine „Bürgerversicherung“ verschlimmert die Situation eher, als dass sie eine Verbesserung bringt. Die nachhaltige Therapie wird anhand der Freiburger Agenda illustriert. Sie besteht im Prinzip aus einer Abkehr vom planwirtschaftlichen Regulierungsmaßnahmen hin zu deutlich größerer marktorientierter Eigenverantwortung. Daneben geht es selbstverständlich um eine Abkehr der Einnahmenseite vom Lohn, weil allein durch die Gesundheitsprämien das Lohnnebenkostenproblem wirklich angegangen werden kann. Die sicherlich erforderliche sozialpolitische Flankierung ist selbstverständlich im Steuerbereich und nicht im Sozialversicherungssystem zu suchen.

Schon die Einführung der umlagefinanzierten Pflegeversicherung GPV war ein historischer Fehler, der nur noch innerhalb eines Zeitfensters von wenigen verbleibenden Jahren zu korrigieren ist, weil zukünftige Pflegebedürftige – dann mit Recht – darauf verweisen werden, dass sie lange Jahre in die GPV eingezahlt hätten und das System dennoch unbezahlbar bleibt. Zukünftige Generationen müssten nämlich Beitragssätze in der Größenordnung von – je nach Kostendruck – sechs bis fast zehn Prozent im Jahr 2057 zahlen. Dies ist nicht zumutbar. Deshalb muss eine nachhaltige Reform der Pflegeversicherung immer auf eine fast vollständige Privatisierung und damit auf mehr private Kapitaldeckung abzielen. Viel Zeit bleibt allerdings nicht: Wenn nicht unverzüglich im Sinne eine Auslaufmodells gehandelt wird, ist die wohl letzte Chance auf eine solide Absicherung des Pflegerisikos verspielt. 

So und nur so kann für alle Generationen eine wirkliche Nachhaltigkeit in den sozialen Sicherungssystemen - mit relativ gleicher Belastung - hergestellt werden.. Ob allerdings dieses „gleich“ auch „generationengerecht“ ist, bleibt eine Werturteilsentscheidung, die nur vom Wähler getroffen werden kann. Nur sollten wir – und mit wir sind die geburtenstarken Jahrgänge der 50er bis 70er Jahre gemeint - uns darüber im Klaren sein, dass wir auf diejenigen Rücksicht zu nehmen haben, die noch nicht mitstimmen können – es sind unsere Kinder. Tun wir es nicht, dann bleibt Ihnen nur eines, nämlich uns als die Verursacher des Problems die rote Karte zu zeigen. 

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