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Gegen den Krieg – Frans Masereels „Apokalypse unserer Zeit”

Artikel vom 03.04.2010

Frans Masereel, Infanterie angreifend, 1942

In seinen Arbeiten hat der Künstler Frans Masareel sich hauptsächlich von eigenen Lebensereignissen leiten lassen. Die „Apokalypse unserer Zeit” ist einer von sieben Zyklen, die er seit 1940 gegen den Krieg erarbeitete. Von Mechthild Haas

Gegen den Krieg – Frans Masereels Apokalypse unserer Zeit

Das bedeutendste Kunstwerk gegen den Krieg im Hessischen Landesmuseum ist die „Apokalypse unserer Zeit” von Frans Masereel. Der Zyklus, der insgesamt 26 großformatige Tuschzeichnungen umfasst, wurde 1953 von der Hessischen Landesregierung erworben und dem Landesmuseum übergeben. Grundlage für Masereels Arbeiten war die Erfahrung des Künstlers bei seiner Flucht aus Paris im Jahr 1940 vor den anrückenden deutschen Truppen in den damals noch unbesetzten Süden Frankreichs.1) 1953 ergänzte Masereel seine 25 Tuschzeichnungen der Jahre 1940 bis 1944 zusätzlich um ein Selbstporträt. Die Hessische Landesregierung ließ die Arbeiten im Lichtdruckverfahren in Originalgröße reproduzieren, um sie mit einer Auflage von 300 Stück in einer Mappe unter dem Titel „Apokalypse unserer Zeit” als Ehrengeschenk herauszugeben.2) Seit sich Masereels Tuschzeichnungen in Darmstadt befinden, wurde sein leidenschaftlicher Appell gegen den Krieg auch zum Gedenken an die Darmstädter Brandnacht am 11. September mehrfach ausgestellt.3) 24 Jahre sind seit der letzten Ausstellung der „Apokalypse unserer Zeit” vergangen.4)

Die „Apokalypse unserer Zeit” ist einer von sieben Zyklen, die Masereel seit 1940 gegen den Krieg erarbeitete.5) Für Masereel ist der Krieg ständig präsent als schreckliche Erinnerung, als Drohung, als apokalyptische Vision. Der Titel „Apokalypse” bezieht sich auf die biblische Endzeit-Vorstellung, deren früheste Darstellungen in der mittelalterlichen Bildwelt illuminierter Handschriften zu finden sind.6) In den druckgraphischen Zyklen der Reformationszeit fanden die Apokalypseillustrationen ihren Höhepunkt, namentlich in den bekannten Holzschnitten Albrecht Dürers (1471-1528), die neben Masereels Tuschzeichnungen in der Ausstellung gezeigt werden. Dürers Ausgabe der Apokalypse im Jahr 1498 war ein kühnes Unternehmen, denn erstmals gestaltete und verlegte ein Künstler selbst ein Buch. Der 28jährige Dürer veröffentlichte seine 15 Bilder umfassende Holzschnittfolge zum Bibeltext der Offenbarung, in der Johannes die Geschehnisse des jüngsten Tages beschreibt, in zwei verschiedenen Buchausgaben: die erste mit dem lateinischen Text der Vulgata, der Bibelübersetzung des Hieronymus, die zweite mit deutschem Text, den er aus der Bibel Anton Kobergers, seines Nürnberger Taufpaten, übernahm. Zwar lässt sich die genaue Auflagenhöhe der Apokalypse nicht feststellen, doch muss der Verkauf sehr erfolgreich gewesen sein, denn bereits 1502 wurde das Buch kopiert und als Raubdruck in Straßburg aufgelegt. 1511 erfolgte durch Dürer eine Neuauflage der lateinischen Ausgabe, die in der Ausstellung zu sehen ist.

Wichtige Vorläufer von Dürers Apokalypse waren die mittelalterlichen Bilderbibeln. Etwa die Kölner-Bibel, die um 1479 bei Quentell erschien, oder die Grüninger Bibel aus Straßburg von 1485. Mit seiner Apokalypse tat Dürer jedoch den entscheidenden Schritt von der Illustration hin zur bildlichen Interpretation: Seine Bilder stehen immer auf der rechten, der wichtigern Seite des Buches. Der Text ist jeweils in zwei Spalten auf den Rückseiten aufgedruckt, so dass der illustrative Zusammenhang von Bild und Text nicht mehr im Vordergrund steht. Dürers Schwerpunktsetzung auf die bildliche Vision der Apokalypse entsprach dem starken Interesse der Zeit an endzeitlichen Darstellungen. Im ausgehenden 15. Jahrhundert lebte man in der Erwartung das Jahr 1500 bringe
Weltuntergang und Gericht. Dürer gestaltete seine Apokalypse zum Zeugnis einer versteckten, doch entzifferbaren Kritik an Kirche, Staat und weltlichen Oberschichten.7) Bis heute blieb das bevorzugte Medium für die bildliche Interpretation der Offenbarung des Johannes die druckgraphische Folge, denn sie garantiert die Verbreitung der Bildtraktate. So war es nur konsequent, dass die Hessische Landesregierung Masereels Mahnung gegen den Krieg als Mappenwerk in hoher Auflage vervielfältigen ließ. Innerhalb des Zyklus hat der Künstler keine bestimmte Reihenfolge festgelegt, genauso wenig sind die heute verwendeten Titel der Einzelblätter von ihm verbürgt.

Die „Apokalypse unserer Zeit” ist eine pessimistische Diagnose zur Situation der Menschheit in der Mitte des 20. Jahrhunderts. In Anbetracht der umfassenden Vernichtungen des Zweiten Weltkriegs reflektiert Masereel im Selbstbildnis, das er 1953 dem Zyklus voranstellt, sein Selbstverständnis als Ich und als Künstler. Nicht zeichnend, sondern sehend zeigt sich Masereel. Sein Blick ist auf die (zurückliegende) Ferne fokussiert, die „seherische” Fähigkeit wird von der markanten schwarzen Hornbrille zusätzlich betont. Weniger Verzweiflung und Resignation kommen darin zum Ausdruck, als vielmehr die offensive, bestimmte Formulierung eines Wissenden, der in seine künstlerische Produktivität Vertrauen setzt. Masereels Kunst ist leicht verständlich. Es bedarf, was die Inhalte seiner Bilder betrifft, nicht umständlicher Interpretationen, seine Formen sind knapp und kompositorisch übersichtlich gestaltet. Seit den 1910er Jahren stellte Masereel sein künstlerisches Schaffen unter ein moralisches Diktat und avancierte zu einem der herausragenden Holzschnittkünstler und -illustratoren. 1983 brachte es Paul Ritter auf den Punkt: „... während des Ersten Weltkriegs von Genf aus mit dem Kreis um Romain Rolland für den Gedanken einer Verständigung der Völker ohne Krieg kämpfend, mit literarischen Verbindungen in alle Welt, vor
allem zu maßgebenden Schriftstellern des deutschen Sprachkreises, wie Stefan Zweig, Carl Sternheim, Kurt Tucholsky, Hermann Hesse, Leonhard Frank, Kasimir Edschmid, Johannes R. Becher und vielen anderen, feind den faschistischen Ideen, ein Kämpfer gegen Unterdrückung jeglicher Art, dessen Werk bis China, Russland, Nord- und Süd-Amerika Verbreitung fand, kurz ein Kosmopolit humanitären Gepräges, dies war Frans Masereel!” 8) Bis 1940 blieb der Holzschnitt Masereels bevorzugtes künstlerisches Medium. Die Reduktion der Bildidee auf das „Schwarz-Weiß” der in den Holzstock geschnittenen Linien entsprach der klaren Sprache seiner inhaltlichen Botschaft. In den Jahren der Flucht und des Krieges, von 1940 bis 1945, war es Masereel nicht mehr möglich, im Holzschnitt zu arbeiten. Stattdessen wählte er den Tuschpinsel als Zeichenmittel. Dieser Medienwechsel hatte praktische wie inhaltliche Gründe. Nicht nur ist der Holzschnitt technisch aufwändiger, sondern er ist auch ein Verfahren, das vom Künstler im Werkprozess mit Vorzeichnung, seitenverkehrtem Schneiden etc. eine intellektuelle Abstraktion und Distanzierung vom unmittelbar Gesehenen fordert. Wie aus Masereels einleitenden Worten zur „Apokalypse unserer Zeit” zu schließen ist, war dem Künstler diese Distanznahme damals nicht (mehr) möglich.
In der Folge griff Masereel ab 1940 zur chinesischen Tusche: „Sobald ich in eine kleine Stadt kam und dort Papier und chinesische Tusche vorfand – einen kleinen Pinsel hatte ich selbst in meiner Tasche – , ging ich daran, größere Zeichnungen zu machen, weil es mir darum zu tun war, ein gedrängtes Zeugnis dessen, was ich gesehen und verstanden, empfunden und gedacht hatte, auf Papier zu bringen, um ohne Rücksicht auf künstlerische Erwägungen, wenigstens eine allgemeine Vision dieser verfluchten Zeit unmittelbar zu vermitteln.” 9)

Wie beim Holzschnitt ist die Sprache der Tuschzeichnung das Schwarz und das Weiß, aber die Bilder sind ohne Zwischenschritt direkt aufs Papier gebracht. Mit dem Tuschpinsel ist eine weitaus schnellere Bildschöpfung möglich als mit dem Holzschnittmesser. Der Tuschstrich ist lebendig, er kann aus der Hand sprudeln und sich im Duktus zügig auf das Blatt ergießen. Damals zeichnete Masereel gegen den Verlust der Vergangenheit, die gestern noch eigene Gegenwart war. Er zeichnete gegen das Vergessen. Jede neue Zeichnung, jede künstlerische Variante des Gesehenen forderte eine abermalige Sicht auf die Zerstörung und kam immer wieder aufs Neue umso schmerzlicher zu Bewusstsein. Hier wurden Masereels Tuschzeichnungen existentiell. Laut Masereel gaben sie „ein gedrängtes Zeugnis... ohne Rücksicht auf künstlerische Erwägungen” 10) Im zyklischen Zusammenhang greift das „gedrängte Zeugnis” als horror vacui um sich, unzählige Pinselstriche bedecken das Zeichenblatt und scheinen alles in den Strudel des Verderbens eines sich endlos fortsetzenden Unheils ziehen zu wollen. Durch die wiederholte Konfrontation mit der Realität des Geschehenen wird das Ritual des Bannens, das jedem künstlerischen Akt immanent ist, konzeptuell aufgebrochen. Das scheint eine der besonderen Qualitäten der Arbeiten Masereels zu sein, ganz abgesehen von der ästhetischen Bewältigung des Themas.

Dafür wählt Masereel nicht den visuellen Tatsachenbericht. Vielmehr sucht er bei seiner künstlerischen Auseinandersetzung mit dem Grauen des Nationalsozialismus nach allgemeingültigen Formulierungen und Metaphern. Dabei zeugen die Darstellungen auch von der zündenden Kraft des politischen Zeichners, dessen Phantasie eine Vision des Infernos formt. Masereel bemüht die ikonographische Tradition der christlichen Kunst und greift auf entsprechende
Bildmotive zurück. Eine Tendenz zur Symbolisierung durchzieht den Zyklus, mit Vorliebe verwendet Masereel das Kreuzsymbol als Zeichen des Todes und der Qualen. Die Silhouetten der Kampfflugzeuge werden zu schwarzen Kreuzen, die den Himmel todbringend verdunkeln. Weitere christliche Bildmotive sind die Kreuzigung oder die Grablegung. Für die Totalität der inneren und äußeren Zerstörtheit steht die Metapher der Ruinenbilder. Doch verzichtet Masereel auf Aufbau- und Arbeitsszenen oder spielende Kinder und wachsende Pflanzen, mit denen viele seiner Zeitgenossen in den Trümmern die Zukunft antizipieren.11) Masereel liefert in seinen Ruinen keinerlei Aufhebung des Schreckens, er besteht auf dem Hinsehen, dem Sich-Aussetzen. Daneben setzt Masereel auf das alte Mittel der Allegorie: Das bombenwerfende Flugzeug mit dem grinsenden Gesicht des Todes wird zum Gleichnis des modernen, hochtechnisierten Krieges. Ein Ungetüm, halb Mensch halb Maschine, dessen Finger und Kopf feuerspeiende Kanonenrohre bilden, trampelt über Städte hinweg. Oder ein Riesenmoloch mit Panzerkopf treibt seine Heerscharen von Geschützen und Kampfwagen an. Das die Erdkugel umklammernde Totengerippe ist Sinnbild allgemeiner Todesverfallenheit. Doch gerade diese allegorisierenden Interpretationen vermögen heute am wenigsten zu überzeugen, ihnen haftet etwas Groteskes an. Die Personifizierung des Kriegstodes läuft Gefahr zu enthistorisieren. Der überzeitliche Tod lässt von konkreten Ursachen absehen und wird zur Macht, der alle Menschen hilflos unterworfen sind.

Mit der Technisierung des Krieges erweisen sich die alten Tugenden von Heldentum, Tapferkeit oder Hingabe als Chimäre. Wenn anonyme Massen vernichtet werden, verlieren Heldentaten an Bedeutung. In der Mehrzahl seiner Zeichnungen verzichtet Masereel auf individuelle Protagonisten des Kriegsgeschehens und füllt die Zeichenbögen mit Massen gleichförmiger Flugzeuge, Bomben, Panzer, Häuser, Soldaten, Menschen und Leichen. Damit einher geht die Beschreibung des Schlachtfelds im 20. Jahrhundert durch Überschaubilder. Diese zeigen leichenvolle Schützengräben, durch Luftangriffe verwüstete Städte, menschenleere Landschaften, zerpflügte Erde. Masereel reflektiert das Phänomen des modernen Kriegs und kreiert für seinen Zyklus neben der traditionellen Darstellung der Allegorie und christlichen Ikonographie ein neues Gestaltungsprinzip, das die Luftperspektive mit einem Bewegungsmoment paart. Dabei rekurriert Masereel auf die abstrakte Formation der Schlachtordnung und nutzt das formale Mittel der endlosen Reihung und Vervielfältigung. In Anbetracht der Fassungslosigkeit der Maschinisierung, der Industrialisierung und Anonymisierung des Tötens findet Masereel schließlich zu seiner, die „Apokalypse unserer Zeit” prägenden Bildformel. Es ist das von außen in den Bildraum Hereinbrechende – seien es die Kampfflugzeuge, die über das Blatt schwärmen, die Panzer, die aus allen Himmelsrichtungen einbrechen, die Fallschirmjäger, die vom Himmel herab gleiten, der Regen der Feuerbomben oder die Geschützfeuer über dem Wasser. Zwar hat Masereels Zyklus mit der „Apokalypse” der Bibel wenig gemein, doch kann in der ikonographischen Konstante 12) des Hereinbrechens ein Bezug zu den „Apokalyptischen Reitern” gesehen werden. Das Bild der heranstürmenden Vierergruppe, die Krieg, Hunger, Pest und Tod über die Welt bringt, wurde insbesondere durch Dürer in seiner „Apokalypse“ des Jahres 1498 geprägt.13) Für Masereel muss dieses Motiv besondere apokalyptische Sprengkraft besessen haben, denn als er ein Jahr nach der Edition des Ehrengeschenkes der Hessischen Landesregierung seinen Anti-Kriegs-Zyklus in einer wohlfeilen, verkleinerten Neuauflage im Zürcher Europa-Verlag herausgab, wurde der ursprüngliche Titel „Notre Apokalypse” durch „Die Apokalyptischen Reiter” ersetzt.14) In der dritten Figur der „Apokalypse”, das ist das vierte Blatt der 15 Blätter umfassenden Holzschnittfolge, führt Dürer in dramatischer Verdichtung die Unaufhaltsamkeit des göttlichen Strafgerichts vor Augen. Treten im Bibeltext (Apk. VI, 1-8) die vier apokalyptischen Reiter nacheinander auf, so formiert Dürer diese in seinem Holzschnitt zur Phalanx, die über die Menschheit hereinbricht. An ihrer Spitze jagt der Reiter mit Pfeil und Bogen, er steht für den Sieg; ihm folgt mit dem Schwert der Krieg; der Reiter mit der Waage steht für Teuerung und Hungersnot; der vierte Reiter auf einer Schindmähre ist der Tod. Unter ihm öffnet sich der Höllenrachen, der die Gestürzten verschlingen wird. Indem Dürer die vorwärts stürmenden Reiter in minimal zeitversetzten Momentaufnahmen ihres Galopps hintereinander schaltet, findet er ein überzeugendes Bild für die Welle von unerbittlicher Strafe, die über die Erde hinwegrollt.

Vergleichbar verkörpert das aus weiter Ferne anrückende Heer gleichförmiger Soldaten die aufs Töten gedrillte Kriegsmaschinerie. Herabstürzende Flugzeuge fegen die Flüchtenden hinweg. Flugzeuggeschwader legen Städte in Schutt und Asche. Salven von Brandbomben regnen auf Städte herab. Heranrollende, feuernde Panzer zermalmen winzige Menschenmassen. In technischen Details verweist Masereel hier auf die deutsche Wehrmacht. So tragen die marschierenden Soldaten den für die Deutschen typischen Gürtel von Stielhandgranaten, den sogenannten „Kartoffelstampfern”; oder Masereel spielt mit den Riesenpanzern auf die schweren deutschen Geschütze „Panther” und „Tiger” an, die ab 1943 den alliierten Panzern weit überlegen waren. Indem Masereel seine Geometrie der Massen mit den Kriegsexzessen, den zerstückelten Leibern, den zerbombten Häusern, den zerstörten Landschaften, kombiniert, bindet er das Geschehen zusätzlich an die Wirklichkeit und vermeidet, in eine Ästhetisierung abzudriften, wie sie durch die untergründigen Wechselwirkungen von Kunst, Krieg und Technik seit jeher bei Kriegsdarstellungen vorkommt und bis heute propagiert wird.

Dabei steht außer Frage, dass auch die Anti-Kriegs-Kunst sich vom ästhetischen Substrat des Grauens nährt, und dass dies bei der Rezeption der Kunstwerke Probleme aufwerfen kann. Zu Otto Dix’ „Schützengraben”-Gemälde, jenem Stillleben aus Leichen und Leichenteilen, das von den Nazis in der Ausstellung „Entartete Kunst” als Paradebeispiel „gemalter Wehrsabotage” angeprangert wurde, hatte der Kritiker Ernst Kállai 1927 geurteilt, die Kriegsgreuel würden „in einen Bezirk der Monumentalität” gerückt, „in dem es vollkommen gleichgültig ist, ob man gegen das Ungeheuerliche protestiert oder es in schaudernder Andacht über sich ergehen lässt” 15). Der westdeutsche Nachkriegsdiskurs um die Möglichkeit oder Unmöglichkeit von Darstellungsformen war im Wesentlichen durch die unterschiedliche, häufig verkürzte Rezeption des Satzes von Theodor Adorno geprägt: „nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch, und das frisst auch die Erkenntnis an, die ausspricht, warum es unmöglich ward, heute Gedichte zu schreiben.” 16) Wie kann man sich zu dieser Aporie verhalten – wohl wissend, dass eine Position außerhalb des gesellschaftlichen Schuld- und Verantwortungszusammenhangs verwehrt ist? Seit es bildliche Kriegsdarstellung und -berichterstattung gibt, besteht die Diskrepanz zwischen der durch Bilder und Medien geprägten Wahrnehmung von Krieg und dem wirklichen Geschehen des Kämpfens und Tötens. Ob die Menschen den Krieg für gerechtfertigt halten oder nicht, hängt vom vermittelten Bild, von der medialen Inszenierung ab.17) Deshalb wird keineswegs nur in diktatorischen Ländern versucht, die bildliche Darstellung zu beeinflussen, ja zu steuern. Seit dem Ersten Weltkrieg hat die Politik die Macht der Medien als Meinungsmacher schätzen gelernt und sie durch geschickte Funktionalisierung systematisch ins Kalkül zu ziehen gewusst. Trotz der längst zweifelhaften Wirkungsmächtigkeit von Dürers oder Masereels Bildfindungen bleibt mit der Bildapologetik die Frage nach dem widersprüchlichen Verhältnis von Kunst und Krieg aktuell. Der Bilderstreit geht weiter zwischen staatlich verordnetem Kriegsdesign und dem künstlerischen Versuch, sich dagegen zu stellen und über die Schrecken des Krieges aufzuklären.

Die Autorin: Dr. Mechthild Haas ist Leiterin der Graphischen Sammlung des Hessischen Landesmuseums in Darmstadt.

Der Beitrag erschien zuerst im Katalog zur 8. gemeinsamen Ausstellung „Gegen den Krieg” des Hessischen Landesmuseums Darmstadt und der Schader-Stiftung in der Reihe „Bilder gesellschaftlichen Wandels”.

1) Vgl. Frans Masereels Text von 1953 „Über die Entstehung der ‚Apokalypse unserer Zeit’“, Wiederabdruck in diesem Katalog S. 30-31. Am 13. Juni flieht Frans Masereel zu Fuß aus Paris in Begleitung seiner Frau, der Tochter von Carl und Thea Sternheim sowie Frau und Tochter von Jean Richard Bloch. Er lässt sich in Avignon nieder. 1943 nach der Besetzung auch des Südens von Frankreich durch deutsche Truppen weichen Masereel und seine Frau unter falschem Namen nach Lausson bei Montflaquin, Département Lot et Garonne aus. Vgl. Frans Masereel: La Guerre – Der Krieg, E-Book der gleichnamigen Ausstellung, Reichspräsident-Friedrich-Ebert-Gedenkstätte Heidelberg, 2010, S. 7.
2) Die Mappe hat das Format 64 x 48,5 cm. Jede Mappe ist nummeriert und vom Künstler signiert. Auf der Innenseite des Mappendeckels ist ein Kolophon montiert, Beilage ist ein gefaltetes Blatt mit von Masereel verfasstem Lebenslauf und seinem Text „Über die Entstehung der ‚Apokalypse unserer Zeit’“ (Wiederabdruck in diesem Katalog S. 30-32). Neben der Mappe gab die Hessische Landesregierung mit Hilfe des Hessischen Rundfunks 1953 unter dem Titel „Apokalypse unserer Zeit“ auch ein broschiertes Heft (21 x 27,8 cm, Druck W. Kohlhammer, 32 Seiten, unpaginiert) heraus. Darin sind die Texte Masereels abgedruckt sowie das Selbstbildnis und 11 der Tuschzeichnungen (HZ 4026, HZ 4029, HZ 4021, HZ 4016, HZ 4015, HZ 4037, HZ 4024, HZ 4020, HZ 4019, HZ 4014, HZ 4023).
3) In der Nacht vom 11. auf den 12. September 1944 warfen englische Bomber binnen einer knappen halben Stunde über 280.000 Bomben über Darmstadt ab. Der sogenannte „Fächerangriff“ entfachte einen verheerenden Feuersturm. Nahezu die gesamte Innenstadt wurde dem Erdboden leichgemacht. Die Bilanz war furchtbar: Über 10.000 Tote, eine hohe Zahl an Vermissten, zudem 70.000 obdachlos gewordene Menschen. Vgl. Klaus Schmidt: Die Brandnacht. Dokumente von der Zerstörung Darmstadts am 11. September 1944, Darmstadt 1964.
4) Apokalypse unserer Zeit von Frans Masereel und andere Bilder gegen den Krieg, bearb. von Peter Märker, Ausst. Kat. Hessisches Landesmuseum Darmstadt, 1986.
5) Vgl. Frans Masereel. Von Paris nach Avignon. Gezeichnetes Tagebuch einer Flucht. Juni 1940, Ausst. Kat. Heidelberg, Heidelberg 1986, S. 15.
6) Vgl. The apocalypse and the shape of things to come, hg. von Frances Carey, Ausst. Kat. The British Museum, London, 1999 (S. 311 ein Kurztext zu Frans Masereels „Apokalypse unserer Zeit“).
7) Zu Dürers „Apokalypse“ s. Albrecht Dürer. Das druckgraphische Werk in drei Bänden. Band 2 bearbeitet von Rainer Schoch, Matthias Mende, Anna Scherbaum, München, London, New York 2002, S. 59-105. Zu Dürers „Apokalypse“ s. Albrecht Dürer. Das druckgraphische Werk in drei Bänden. Band 2 bearbeitet von Rainer Schoch, Matthias Mende, Anna Scherbaum, München, London, New York 2002, S. 59-105.
16 17
8) Die frühen Holzschnittfolgen Frans Masereels. Eine Studie von Paul Ritter, Darmstadt 1983, S. 9.
9) Zit. aus Frans Masereel: „Über die Entstehung der ‚Apokalypse unserer Zeit’“, Wiederabdruck in diesem Katalog (S. 30-31), S. 30.
10) a.a.O.
11) Entsprechende Beispiele in: Zwischen Krieg und Frieden. Gegenständliche und realistische Tendenzen in der Kunst nach 45, Ausst. Kat. Frankfurter Kunstverein, Berlin 1980,
S.100, 106-109.
12) Vgl. „Motive aus der Apokalypse 1933-1945“, in: Apokalypse. Ein Prinzip Hoffnung. Ernst Bloch zum 100. Geburtstag, Ausst. Kat. Wilhelm-Hack-Museum Ludwigshafen am Rhein, Heidelberg 1985, S. 184-196.
13) Albrecht Dürer. Das druckgraphische Werk in drei Bänden (wie Anm. 7), Kat. 115.
14) Vgl. Frans Masereel: Die Apokalyptischen Reiter (26 Schwarz-Weiß Abbildungen und Texte von Masereel: Mein Lebenslauf. Wie „Die Apokalyptischen Reiter“ entstanden, und Heinrich Rumpel: Frans Masereel und sein Werk), Zürich 1954, 60 Seiten unpaginiert, Titelblatt.
15) Ernst Kállai: Dämonie der Satire, in: Das Kunstblatt, 11, 1927, (S. 97-104), S. 97.
16) Theodor W. Adorno: Prismen. Kulturkritik und Gesellschaft (1951), in: Ders.: Kulturkritik und Gesellschaft I, Gesammelte Schriften, Band 10.1, hg. von Rolf Tiedemann, Darmstadt 1998 (Suhrkamp 1977), S. 30.
17) Vgl. beispielsweise zu Inszenierungsarbeiten der Medien während des Golfkrieges 1991 Malte Olschewski: Krieg als Show. Die neue Weltinformationsordnung, Wien 1992, S. 201f.

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