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Umsetzung der Leipzig Charta: Rahmenbedingungen für kommunale Stadtentwicklung

Artikel vom 25.08.2008

Foto: Oleg Senkov/Shutterstock.com

Stadtentwicklung steht vor der Herausforderung, viele einander berührende Politik- und Handlungsfelder zu berücksichtigen, um tragfähige Lösungen anbieten zu können. Basis und Rahmen für die Diskussion um eine integrierte Stadtentwicklung bildet die Leipzig Charta. Von Engelbert Lütke Daldrup

Aktuelle Herausforderungen der Stadtentwicklung

Städte sind seit je her einem stetigen Wandel unterworfen und sind räumliches und soziales Abbild gesamtgesellschaftlicher Veränderungen. Momentan ist dieser Wandel möglicherweise so intensiv wie selten zuvor. Dieser Umstand hat gravierende Auswirkungen auf Fragen der Stadtentwicklung, die immer komplexer werden und den neuen Herausforderungen entsprechend angegangen werden müssen. Bei allen Problemen, die den Städten auf den Nägeln brennen, liegen Chancen und Risiken eng beieinander. Die demographischen Strukturveränderungen, der Klimawandel und  die wirtschaftliche Globalisierung  überlagern sich in ihren Auswirkungen auf die Stadt und sind nicht mehr voneinander isolierbare Entwicklungen.

Redet man heute über den Zustand und die Perspektiven von Städten (und die damit verbundenen Ängste), langt man schnell beim demographischen Wandel  und den damit verbundenen Herausforderungen an. Die durch Alterung erzwungenen  Anpassungen sind nicht schlicht eine Herausforderung für die Infrastruktur, sondern berühren zentrale Lebens- und Funktionsbedingungen in den Städten. Städte müssen - zumindest in Teilbereichen - eher langsamer als schneller, eher entspannter als aufgeregter und eher integriert als spezialisiert werden. Das ist eine komplexe Aufgabe, die über die traditionellen „Zuständigkeiten“ der Akteure hinausgeht.

Hinzu kommt die ebenso beunruhigende demografische Perspektive schnell wachsender Migrantenanteile, vor allem in den größeren Städten. Bei Anteilen Zugewanderter von absehbar mehr als 40% der Gesamtbevölkerung und über 60% in den „jugendlichen Altersgruppen“ wird das Fremde zur Normalität und die Bewältigung der Integrationsaufgabe zur städtischen Überlebensaufgabe. Identitätsbilder und Selbstwahrnehmungen der bisherigen Mehrheitsgesellschaft geraten ins Wanken. Damit drohen die Ausgangs- und Ankerpunkte von Stadt-gestaltung verloren zu gehen. Dies umso mehr,  als sich  auch innerhalb der deutschen Ursprungsgesellschaft soziale Differenzen verstärken. Selbst in der gegenwärtigen ökonomischen Aufschwungphase kann man beobachten, dass sich gesellschaftliche Benachteiligungen räumlich überlagern und dadurch nochmals verstärkt werden. Die Unterschiede zwischen armen und reichen Städten und Stadtteilen, zwischen deutschen und migrantengeprägten Quartieren, zwischen wachsenden und schrumpfenden Wohngebieten und zwischen bildungsnahen und bildungsfernen Bevölkerungsteilen wachsen.

Daneben baut sich auch durch den Klimawandel ein stadtpolitischer Handlungsdruck auf. Fast 70% des gesamten Energieverbrauchs fallen in den Bereichen Gebäude und Mobilität an – also originär städtischen Faktoren. Will man bei der Energieeinsparung quantitativ relevante Erfolge erreichen, ist dies ohne veränderte Mobilitätskonzepte, höhere Gebäudeenergieeffizienz und verstärkte Nutzung regenerativer Energien in Städten nicht darstellbar.

Leipzig Charta zur nachhaltigen europäischen Stadt

Im Bewusstsein der hohen Relevanz von städtischen Themen hat das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft in der ersten Hälfte des Jahres 2007 die für Stadt- und Raumentwicklung zuständigen Ministerinnen und Minister der übrigen 26 EU-Staaten unter der Schirmherrschaft von Bundesminister Wolfgang Tiefensee zu einem informellen Ministertreffen nach Leipzig geladen. Ziel war es, sich im Interesse einer bürgernahen Politik auf Eckpunkte eines gemeinsamen Handelns in der Stadt- und Raumentwicklung zu verständigen. Dabei wurden unter dem Leitthema „Die europäische Stadt und ihre Region stärken – Wettbewerbsfähigkeit, sozialen und territorialen Zusammenhalt in den Städten und Regionen Europas entwickeln“ drei politische Dokumente verabschiedet:

  • Leipzig Charta zur nachhaltigen europäischen Stadt,
  • Territoriale Agenda der Europäischen Union,
  • Schlussfolgerungen der deutschen Ratspräsidentschaft zum informellen Ministertreffen  (diese enthalten insbesondere Aussagen  über die Umsetzungsschritte zur Leipzig Charta und zur Territorialen Agenda).

Hinter der Verabschiedung der Leipzig Charta und der Territorialen Agenda steht die gemeinsame Erkenntnis, dass Themen der integrierten Stadtentwicklung und des territorialen Zusammenhalts auf die politische Agenda der Europäischen Union gesetzt werden müssen, um in den Städten und Regionen den demografischen und sozialen Wandel, den Klimawandel und die Auswirkungen des ökonomischen Strukturwandels bewältigen zu können. Beide Dokumente sehen sich dem Nachhaltigkeitsziel (Göteborg-Strategie) und den Zielen der Lissabon-Strategie (Wettbewerbsfähigkeit) gleichermaßen verpflichtet. Besondere Aufmerksamkeit soll dabei auf benachteiligte Stadtquartiere und „Europa als Sozialraum“ gelegt werden.

Die Ministerinnen und Minister haben sich in der Leipzig Charta dazu verpflichtet, in den Mitgliedstaaten Initiativen zur Einbettung der Ziele, Grundsätze und Strategien der Leipzig Charta in nationale, regionale und lokale Entwicklungspolitiken zu ergreifen. Um das Instrument der integrierten Stadtentwicklung voranzubringen und entsprechende Governance-Strukturen zu unterstützen sollen die erforderlichen Rahmenbedingungen auf nationaler Ebene geschaffen werden.

Nationale Stadtentwicklungspolitik

Die Leipzig Charta wird in Deutschland mit der Nationalen Stadtentwicklungspolitik umgesetzt. Das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung hat die Initiative für eine eigenständige Nationale Stadtentwicklungspolitik 2007 im direkten Anschluss an die deutsche EU-Ratspräsidentschaft gemeinsam mit der Bauministerkonferenz, dem Deutschen Städte- und Gemeindebund sowie dem Deutschen Städtetag ins Leben gerufen. Mit dieser partnerschaftlich angelegten Initiative soll die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands und seiner Städte und Regionen gestärkt und gesichert werden. Städte und Gemeinden sollen sich im Sinne der Nachhaltigkeit entwickeln, d. h. sie sollen den sozialen Ausgleich ermöglichen, die natürlichen Lebensgrundlagen schonen und wirtschaftlich erfolgreich sein.

Gute Praxis

Unter diesen Zielsetzungen erarbeitete die Bundesregierung bereits verschiedene Handlungs- und Förderprogramme, die spezifische Problemlagen in den Städten und Gemeinden in den Blick nehmen und mit einer Vielzahl von Angeboten die Kommunen bei der Bewältigung ihrer Herausforderungen unterstützen. Bei der Weiterentwicklung der „Guten Praxis“ wird im Sinne einer integrierten Stadtentwicklung die ressortübergreifende Kooperation, die bei der Sozialen Stadt erfolgreich praktiziert wird, auf alle Programme der Stadtentwicklung übertragen. Mit „integriert“ ist hier aber nicht nur die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Dezernaten bzw. Fachbereichen gemeint, vielmehr soll auch die Kooperation zwischen Bund, Ländern und Kommunen auf allen Ebenen zur Bündelung der Kräfte beitragen.

Im Rahmen der verschiedenen Programme der Städtebauförderung des Bundes werden in vielfältigen Bereichen notwendige Investitionen in Städten und Gemeinden möglich gemacht. Im Jahr 2008 stehen dabei über 500 Mio. Euro an Fördermitteln zur Verfügung. Diese fließen neben der Sozialen Stadt in die Programme Stadtumbau Ost und West, Städtebauliche Sanierungs- und Entwicklungsmaßnahmen, in die energetische Sanierung der sozialen Infrastruktur, den Bereich Denkmalschutz und das Innenstadtprogramm „Aktive Stadt und Ortsteilzentren“ zur Revitalisierung und Stärkung der Innenstädte.

Projektreihe für Stadt und Urbanität

Stadtentwicklung ist durch ständigen Wandel und veränderte Herausforderungen geprägt, Nationale Stadtentwicklungspolitik muss somit als lernender Prozess angelegt sein. Unter der „Projektreihe für Stadt und Urbanität“ unterstützt die Nationale Stadtentwicklungspolitik folglich innovative, beispielgebende und partnerschaftliche Ansätze der Stadtentwicklung. Im Rahmen des Auftaktkongresses im Juli 2007 wurden einem Teilnehmerkreis von mehr als 1.000 Personen nicht nur die Zielsetzungen der Leipzig Charta vorgestellt, sondern mit dem 1. Projektaufruf zugleich die Projektreihe für Stadt und Urbanität gestartet. Die Nachfrage hat die Erwartungen übertroffen, der Bedarf an einer abgestimmten, integrierten Stadtentwicklungspolitik wurde von zahlreichen Akteuren der Stadtentwicklung geäußert: Rund 330 Interessenbekundungen von Kommunen, kommunalen Kooperationen, aber auch von zivilgesellschaftlichen Gruppen und Vereinen wurden eingereicht, erste Pilotprojekte konnten bereits beim Zweiten Nationalen Stadtentwicklungskongresses im April 2008 vor über 800 Teilnehmern vorgestellt werden.

Um auch künftig eine möglichst breite Öffentlichkeit zum „Mitmachen“ zu animieren, wurden im Rahmen der umfassenden Diskussion mit den Partnern der Nationalen Stadtentwicklungspolitik, d.h. den Ländern und Kommunen – aber auch mit Vertretern aus Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft, sechs „Glaubenssätze“ der Nationalen Stadtentwicklungspolitik festgelegt. Die verschiedenen Verantwortlichen aus Politik, Verwaltung, planenden Berufen, Wirtschaft, Wissenschaft, Zivilgesellschaft – kurz: alle Interessierten – sollen sich im Rahmen dieser sechs Schwerpunkte in die Weiterentwicklung der Nationalen Stadtentwicklungspolitik einbringen:

  • Zivilgesellschaft – Bürger für ihre Stadt aktivieren
  • Soziale Stadt – Chancen schaffen und Zusammenhalt bewahren
  • Innovative Stadt – Motor der wirtschaftlichen Entwicklung
  • Klimaschutz und globale Verantwortung – Die Stadt von morgen bauen
  • Baukultur – Städte besser gestalten
  • Regionalisierung – Die Zukunft der Stadt ist die Region

Diese sechs Handlungsfelder bilden nun auch den Rahmen für den 2. Projektaufruf der Projektreihe für Stadt und Urbanität, der im April 2008 auf dem 2. Bundeskongress zur Nationalen Stadtentwicklungspolitik veröffentlicht wurde.

Im Frühjahr dieses Jahres wurde zusätzlich unter dem Vorsitz von Bundesminister Wolfgang Tiefensee das Kuratorium der Nationalen Stadtentwicklungspolitik ins Leben gerufen. Gemeinsam mit etwa 40 Kuratoriumsmitgliedern aus dem In- und Ausland (Bundesländer, Kommunen, Verbände, Zivilgesellschaft, Einzel-persönlichkeiten aus Wirtschaft und Wissenschaft) wurde eine Plattform geschaffen mit der Zielsetzung, städtische Themen stärker im fachlichen und gesellschaftlichen Dialog zu verankern.
 
Nationale Stadtentwicklungspolitik baut somit auf neue Ideen, auf das Engagement und auf den offenen Diskurs einer Vielzahl von Beteiligten. Dazu trägt auch der Internetauftritt www.nationale-stadtentwicklungspolitik.de bei, der seit April 2008 „online“ ist und unter anderem einen Überblick zu den Pilotprojekten, Veranstaltungen und Veröffentlichungen der Nationalen Stadtentwicklungspolitik bietet.

Der Autor: Dr. Engelbert Lütke Daldrup, Stadtplaner, war von 2006 bis 2009 Staatssekretär im Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung.

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