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Stadt entwickeln – Kulturwirtschaft fördern

Artikel vom 27.11.2008

Kreative wie junge Unternehmen der Kulturwirtschaft benötigen günstige Arbeitsräume und finden sie meist in vernachlässigten Bereichen der Stadt – die nach ihrer Entdeckung durch die Kreativen oft einen Aufwertungsprozess erleben. Wie lassen sich Raumansprüche von Kunst und Kultur, die Entwicklung brach gefallener Liegenschaften sowie eine Gründer- und Unternehmensförderung der Kulturwirtschaft zum wechselseitigen Nutzen miteinander verschränken? Was sind die Voraussetzungen eines produktiven Zusammenwirkens von Kulturwirtschaft und Stadtentwicklung? Ergebnisse eines Projekts des hessischen Wirtschaftsministeriums und der Schader-Stiftung mit sechs hessischen Kommunen.

Grundsätzliche Voraussetzungen

Grundsätzliche Voraussetzung für die positive Wirkung von kulturwirtschaftlichen Aktivitäten auf die Orts- und Stadtentwicklung sind innovative Ideen und engagierte durchsetzungsfähige Personen. Die Bereitschaft zur Kooperation, die Bereitschaft zu kommunizieren und zu vermitteln sowie Kreativität im Umgang mit Liegenschaften und planungsrechtlichen Instrumenten sind entscheidende Wegbereiter für die Entfaltung von Wechselwirkungen zwischen Kulturwirtschaft und Stadtentwicklung.

Kultursiedler und Pioniere der Kulturwirtschaft zumeist Kleinstunternehmen

Die Akteure der Kulturwirtschaft, die als „Raumpioniere“ oder „Kultursiedler“ Brachflächen, leer stehende Ladenlokale und sonstige unter- oder ungenutzte Liegenschaften mit ihren kreativen Tätigkeiten zu neuem Leben erwecken, sind fast immer Künstler, freiberuflich tätige Einzelpersonen und Kleinstunternehmen der Kulturwirtschaft, jedoch fast nie Großbetriebe und nur sehr selten mittelständische Unternehmen. Diese Pionierunternehmen der Kulturwirtschaft sind in allen Segmenten des Kulturbereichs und Lifestyle-Marktes tätig und zeichnen sich durch eine große inhaltliche und persönliche Flexibilität aus.

Die Kultursiedler bilden an bestimmten Standorten im Stadtgefüge lokale Standortgemeinschaften und Netzwerke – die so genannten kreativen Milieus. Dabei entstehen neue Formen der räumlichen, sozialen und funktionalen Verflechtung von Arbeit, Wohnen, Konsum und Freizeit. Die Kontakte innerhalb der kreativen Milieus sind in hohem Maße informell. Charakteristisch ist ein inhaltlich breites Leistungsspektrum, das mit Hilfe projektbezogener Kooperationen in räumlichen oder virtuellen Netzwerken und variierenden Teams angeboten wird. Diese Netzwerke erreichen dabei eine sich selbst tragende ökonomische Dynamik, allerdings auf sehr niedrigem Niveau.

Sehr geringe Einkommen in der kleinen Kulturwirtschaft

Kulturschaffende und Kleinstunternehmen der Kulturwirtschaft befinden sich meist in prekären Beschäftigungssituationen. Angesichts ihrer beschränkten wirtschaftlichen Ressourcen sind die Netzwerke der kleinen Kulturwirtschaft in besonderem Maße auf günstige Mieten und preisgünstiges vielfältiges Knowhow im Umfeld angewiesen. Gleichzeitig benötigen sie wie alle Innovationsnetzwerke einen leichten Zugang zu Informationen von hoher Qualität. Der Anteil von Kleinstunternehmen der Kulturwirtschaft wächst derzeit, es steigt auch die Zahl der Selbständigen.

Die Einkommen der Kleinstunternehmer sind sehr gering, viele können ihre Existenz nicht aus den so erwirtschafteten Einnahmen finanzieren. Mehrfachbeschäftigungen („Multijobber“) sind daher in der kleinen Kulturwirtschaft besonders verbreitet. Für viele Beschäftigte im Kulturbereich ist nicht nur die räumliche oder inhaltliche (horizontale) Flexibilität kennzeichnend, sondern auch die vertikale Tätigkeitsflexibilität. Dies bezeichnet fließende Übergänge zwischen Erwerbsarbeit und Freizeit, Hobby oder ehrenamtlicher Arbeit. Geregelte Arbeitszeiten sind eher selten, Arbeitszeit und Freizeit verwischen und damit auch dieGrenze zwischen Produktion und Konsum von Kultur.

So sind die Finanzen zwar häufig der Auslöser, aber nicht das einzige Motiv für die Mehrfachbeschäftigung. Auch das Streben nach Flexibilität und Abwechslung im Arbeitsalltag spielen eine Rolle. Das Kleinstunternehmen in der Kulturwirtschaft stellt bis zu einem gewissen Lebensalter die freiheitliche Alternative zum Dasein als „normaler“, sozialversicherungspflichtiger Angestellter dar.

Bevorzugte Standorte: Mit Flair und offen für Neues

Was ihren Standort betrifft, so sind Kulturschaffende und Kleinstunternehmen der Kulturwirtschaft wählerisch. Sie erbringen ihre Leistungen mit Vorliebe im ihnen gemäßen Umfeld. Ihre bevorzugten Standorte sind überwiegend hybride Räume, die sich in einem Übergangsstadium zwischen aufgegebener Nutzung und neuer Planung befinden. Vor allem vier Raumtypen werden entwickelt: Dies sind großflächige Konversionsareale, zum Beispiel der Industrie, des Militärs oder der Bahn sowie aufgelassene – häufig baukulturell interessante – Gewerbe- und Infrastrukturliegenschaften und schließlich Stadtquartiere im Umbruch sowie unspezifische Einzelgrundstücke und -gebäude.

Mangels Nachfrage von Investoren oder Desinteresse der Eigentümer an einer Verwertung hat eine klassische, auf marktwirtschaftliche Verwertung ausgerichtete Stadtplanung mit den genannten Standorten oft Probleme. Diese Areale besitzen aber ein wichtiges urbanes Potenzial, sie gelten als Möglichkeitsraum, Experimentier- und Erprobungsfläche. Ungeplant können sich in diesen marginalisierten Zonen neue Aktivitäten entfalten. Sie sind im positiven Sinne offen für Neues.

Die kreative Szene hat hohe Anforderungen an die Qualität und Baukultur ihrer bevorzugten Standorte: Insbesondere die Orte sind attraktiv, deren Innen- und Außenräume selbst gestaltbar sind. Aber auch die technische und funktionale Eignung der Liegenschaft für die beabsichtigten Zwecke ist ein wichtiges Kriterium, wie zum Beispiel Laderampen und stützenfreie große Räume für Ausstellungen.

Nutzungsdauer meist ungewiss

Wie lange eine Brache oder ein leer stehendes Gebäude von Kultursiedlern genutzt werden kann, darüber entscheiden zum einen der Markt, d. h. die Nachfrage nach zu entwickelnden Flächen oder Gebäuden, zum anderen die Eigentümer der Liegenschaft und die Kommunen durch Ausgestaltung ihrer Planungshoheit. Eine Unterscheidung von Event-Nutzungen, Zwischen- und Dauernutzungen kann nicht immer trennscharf erfolgen, oft geht das eine in das andere über.

Der Prozess der Aufwertung wird stark von der Aufmerksamkeit gesteuert, die bislang vernachlässigte Liegenschaften infolge der Kreativaktivitäten erhalten. Aus Sicht der Stadtentwicklung agieren die jungen Kreativen dabei als „Trüffelschweine“, die besondere Lagequalitäten einer Liegenschaft entdecken, durch ihre Aktivitäten entwickeln und öffentlich sichtbar machen

Leerstandsfolgen: Verwahrlosung, Kostensteigerung, Wertverlust

Immobilienleerstand ist als Folge des demografischen und wirtschaftsstrukturellen Wandels zu einer verbreiteten Erscheinung geworden, selbst in Städten ohne Bevölkerungsrückgang und mit Flächennachfrage gibt es Leerstand in zentral gelegenen Stadtteilen. Dabei werden von der Öffentlichkeit vor allem die sichtbaren Zeichen einer Verwahrlosung als Problem wahrgenommen. Folge von geringerer Nutzungsintensität sind zudem steigende Kosten der technischen und sozialen Infrastruktur, deren Betriebskosten auf weniger Nutzer umgelegt werden müssen. Ladenleerstand in den Erdgeschosszonen kann zum „trading-down“ führen, einer Abwärtsspirale von Negativimage, Abwanderung und weiterer Verschlechterung der Vermietungschancen. Die Eigentümer der Liegenschaften müssen sinkende Erträge und fallende Immobilienwerte befürchten.

Leerstand ist Ressource und Entwicklungschance

In einer sich stetig verändernden Stadt ist Leerstand normal und stellt auch eine Ressource dar. Leerstand bietet Experimentierflächen und Möglichkeitsräume, mit denen die Entwicklung innovativer Projekte im sozialen wie im gewerblichen Bereich unterstützt werden. Kulturschaffende und Kleinstunternehmen sind „robuste Nutzergruppen“, die mangels finanzieller Möglichkeiten Räumlichkeiten mit geringer baulicher, energetischer und  ausstattungstechnischer Qualität in Kauf nehmen und befristete Nutzungsvereinbarungen akzeptieren. Eigentümern von Immobilien bieten Zwischennutzungsverträge mit extrem kurzen Kündigungsfristen die Flexibilität, für einen solventen Nachfrager kurzfristig über die Fläche verfügen zu können.

Die (Zwischen-)Nutzung von Gebäudeleerstand durch die kleine Kulturwirtschaft bietet nicht nur Arbeitsräume für die Kreativszene. Sie entwickelt auch einen attraktiven Kulturraum für Bürger und Touristen. Sie kann zur Aufwertung von Städten und Stadtquartieren führen und zur Imageverbesserung beitragen. Sie setzt im günstigsten Fall einen nachhaltigen Entwicklungsprozess durch „Raumpioniere“ in Gang.

Standortfaktor Kultur

Das kulturelle Angebot einer Gemeinde, zu dem auch Leistungen der Kulturwirtschaft zählen, ist mittlerweile ein anerkannter Standort- und Wirtschaftsfaktor. Dessen Förderung ist ein Instrument zur Profilierung von Regionen, Städten und Stadtquartieren. Eine von Kultur und Kulturwirtschaft maßgeblich beeinflusste Urbanität ist zum Leitbild einer nachhaltigen Stadtentwicklung geworden.

Im Wettbewerb um den Zuzug möglichst gut ausgebildeter und finanzkräftiger Bevölkerungsgruppen ist die positive Außensicht ein entscheidender Standortvorteil. Auch die ansässigen Bildungseinrichtungen profitieren hiervon, da sie an Attraktivität gewinnen. Dank einer vielfältigen und aktiven Kunst- und Kulturszene werden Städte attraktiver für Touristen, und vom Kulturtourismus profitieren nicht allein die Kulturanbieter und die Gastronomie- und Beherbergungsbetriebe.

Kulturwirtschaftliche Nutzungen: Potenzial für Innenentwicklung

Kulturwirtschaftliche Nutzung von Brachen im Sinne von Experimentierräumen, auch ergänzt um Wohnen und Gewerbe, stellt ein Potenzial für die Innenentwicklung einer Stadt dar. Sie kann einen entscheidenden Beitrag zur Verdichtung und damit auch zur Verringerung des Flächenverbrauchs an den Stadträndern leisten.

Kulturwirtschaftliche Nutzungen: Belebung des Quartiers

Neue Läden in den Erdgeschossen schaffen im Quartier Anziehungspunkte für das Publikum und beleben das Straßenbild. Verstärkter Publikumsverkehr führt zu einem subjektiv höheren Sicherheitsempfinden sowie objektiv zu verbesserter Sicherheit im öffentlichen Raum. Die Kleinunternehmen der Kulturwirtschaft sind auf ein funktionierendes Netzwerk von Partner-, Service- und Zulieferunternehmen angewiesen. So siedeln sich wegen steigender Nachfrage in der Folge von kulturwirtschaftlichen Nutzungen zum Beispiel Gastronomie, Einzelhandel und Anbieter unternehmensnaher Dienstleistungen an. Zudem wird die Ansiedlung von Komplementärnutzungen befördert.

Chancen für die Eigentümer

Aus Sicht der Eigentümer ist auch eine Nutzung unterhalb des gewünschten Mietzinsniveaus der beste Weg, um leer stehende Gebäude vor dem Verfall zu bewahren. Erwirtschaftet ein Eigentümer mit seinem leer stehenden Gebäude, dessen Standortqualität durch Sicherheitsprobleme zudem vermindert wird, keinen Ertrag, so hat er dennoch laufende Betriebskosten aufzuwenden. Eine Überlassung der Räumlichkeiten gegen Übernahme der Betriebskosten entlastet den Eigentümer und ist so ein Anreiz, einer befristeten Zwischennutzung zuzustimmen. Kurzfristig ausgelegte Projekte können die öffentliche Aufmerksamkeit auf einen aktuellen Leerstand lenken und die Vermarktungschancen verbessern. Insbesondere bei schwer zu vermarktenden Immobilienstandorten müssen oft erst Nutzungsalternativen entwickelt werden.

Effekte kulturwirtschaftlicher Nutzungen vielfältig

Die ökonomischen Auswirkungen kulturwirtschaftlicher Ansiedlungen sind vielfältig und überwiegend indirekt. Eine räumliche Bündelung kulturwirtschaftlicher Angebote in einem Quartier verbessert zunächst die Einkommenssituation der kulturwirtschaftlichen Akteure selbst. Es profitieren aber auch die anderen Marktteilnehmer im Quartier. Positive Effekte sind auf der Ebene der Gesamtstadt, des Stadtquartiers und auch der Liegenschaft zu verzeichnen.

Entwicklungsvoraussetzung kreativer Milieus: Kritische Masse

Wichtige Voraussetzung für das Entstehen neuer kreativer Milieus ist das  Vorhandensein von Experimentier- und Erprobungsflächen. Geeignete Flächen finden sich in allen Landesteilen Hessens. Damit die Kulturwirtschaft positive Wirkungen auf die Kommunalentwicklung entfalten kann, müssen noch weitere räumliche, infrastrukturelle und gesellschaftliche Voraussetzungen gegeben sein: Die Stadt sollte eine gewisse Mindestgröße haben. Nähe zu einem Ballungszentrum jedoch und die Anbindung an überregionale Verkehrsadern kann ggf. auch kleineren Städten eine Chance bieten. Darüber hinaus ist eine  „kritische Masse“ an jungen Kreativen notwendig. Sie findet sich unter anderem häufig an den Hochschulstandorten mit entsprechenden Fachbereichen.

Ebenfalls bedeutend ist die Art der Beziehungen zwischen den Akteuren. Erst offene Interaktionen zwischen den Akteuren können wirksame lokale Entwicklungseffekte erzeugen. Auch die Vernetzung der Kreativen untereinander in einer Stadt und die Qualität der Kommunikation mit Verwaltung und privatem Sektor spielen eine große Rolle.

Chancen auch für den ländlichen Raum

Die kritische Masse an Kulturproduzenten und Kulturkonsumenten findet sich in großen Städten und Ballungsräumen wesentlich leichter als im ländlichen Raum. Doch auch im ländlichen Raum können sich ohne Hochschule und Studentenschaft  kleine kulturwirtschaftliche Milieus herausbilden. Hier ist vor allem das große Angebot an Flächen und Liegenschaften zu geringen Kosten attraktiv.

Doch gelingt eine dauerhafte Neuansiedlung Kreativer nur selten. Eine gute Möglichkeit ist allerdings der zeitweise Aufenthalt von Kreativen und  Kulturinteressierten. Ein besonderes kulturelles Angebot kann Kulturtouristen und Kulturproduzenten auch in ländliche Orte ziehen, so dass diese vorübergehend Treffpunkte und Austauschplattformen werden.

Zum Ausgleich dieser Standortnachteile im ländlichen Raum ist eine inhaltlich breite Verknüpfung kultureller Angebote mit anderen Angeboten unverzichtbar. Gute Voraussetzungen zur Weiterentwicklung kulturwirtschaftlicher Ansätze sind gegeben, wenn diese in das regionale touristische Profil eingebettet werden können. Dies erlaubt es, kulturelle Angebote mit anderen Frequenzbringern zu kombinieren, insbesondere mit gastronomischen Angeboten und regionalen Festen. Es können aber auch Anlässe geschaffen werden, die auswärtige Kreativproduzenten oder ein überregionales kulturtouristisch interessiertes Publikum anziehen. Hierfür bieten sich thematisch stark spezialisierte Angebote mit Alleinstellungsmerkmal an.

Funktionalisierung der Kreativen, aber Vorteile für beide Seiten überwiegen

Die wichtigste Erkenntnis des Projekts zum 3. Hessischen Kulturwirtschaftsberichts ist die Einsicht, dass der Vorwurf der Funktionalisierung von Kreativen für die Ziele der kommunalen Entwicklung im Einzelfall berechtigt ist, in der Summe der dargestellten Leerstandsnutzungsprojekte aber die Vorteile für alle beteiligten Seiten überwiegen. Die Alternative zum Gewährenlassen der Kreativen wäre der Abriss von Gebäuden, die ausschließlich kommerziell geprägte Neubebauung oder die Umnutzung mit höchstmöglicher Rendite. Der Gewinn auch nur temporärer Raumnutzungsmöglichkeiten für die kleine Kulturwirtschaft analog zu den anerkannten Positivwirkungen von Gründerzentren ist dagegen ein wirklicher Zugewinn für die Stadt.

Positive Effekte benötigen aktive Unterstützung von Kommune und Land

Zentrale Erkenntnis ist ebenfalls, dass die Kulturwirtschaft der unterstützenden Kompetenz der Kommune, besonders der Ämter für Stadtentwicklung, Kultur, Wirtschaftsförderung und Liegenschaften bedarf. Erst mit einer aktiven Unterstützung können die Vorteile für die kommunale Gesamtentwicklung realisiert werden. Allerdings wird in der Studie auch deutlich, dass die Kreativwirtschaft ihre Selbstorganisationskraft verstärken sollte.

Will eine Kommune Kulturschaffende, Kleinstunternehmen und Hochschulabsolventen aus dem Kreativsektor in der Stadt halten, so sind die Öffnung und die Sicherung geeigneter Standorte unabdingbar. Dies sollte flankiert werden durch eine Reihe weiterer Maßnahmen zur  Verbesserung der Standortqualitäten, wie zum Beispiel die Einrichtung von Gründerzentren, Beratungs- und Vermittlungsstellen oder gezielte finanzielle Hilfen.

In der Praxis erschweren oftmals gesetzliche und administrative Regelungen das Zustandekommen temporärer kulturwirtschaftlicher Nutzungen. Zwischennutzungen sind im Allgemeinen den gleichen rechtlichen Regelungen unterworfen wie Dauernutzungen. Daher stehen alle Projekte, die von vorneherein für eine begrenzte Frist angelegt sind, oder bei denen unsicher ist, ob sie über einen längeren Zeitraum aufrechterhalten werden können, vor der Frage, ob der zu einer korrekten rechtlichen Absicherung erforderliche Aufwand aus der kurzfristigen Nutzung finanziert werden kann. Diese Fragen können jedoch mit kompetenter Unterstützung beantwortet werden.

Hier sollten Land und Kommunen den Empfehlungen der Enquete-Kommission des Bundestages „Kultur in Deutschland“ folgen, die in ihrem Abschlussbericht Bund, Ländern und Kommunen empfiehlt, Kulturcluster als Mittel zur Bündelung von Ressourcen im kulturellen Sektor und zur Steigerung der Wertschöpfung zu fördern. Sie empfiehlt zudem, die  Förderung der Kultur- und Kreativwirtschaft als politische  Querschnittsaufgabe im politisch-administrativen System zu verankern. Die Enquete-Kommission spricht sich dafür aus, Konzepte für die kulturelle sowie kultur- und kreativwirtschaftliche Nutzung von Übergangsräumen von kompetenten Institutionen entwickeln zu lassen. Diese könnten private Liegenschaften für eine entsprechende Nutzung akquirieren, Liegenschaften in privatem oder öffentlichem Eigentum verwalten und vermieten sowie als Ansprechpartner für Eigentümer und Akteure der Kultur- und Kreativwirtschaft fungieren. Die Kommunen sollten ihre Liegenschaften einer Zwischennutzung für Künstler und künstlerisch-kreative Akteure zugänglich machen, sofern eine andere Verwertung entsprechend den Zielen der Stadtentwicklung zumindest vorübergehend nicht möglich ist.

Da eine gezielte Unterstützung kulturwirtschaftlicher Projekte im Rahmen von Programmen der Städtebauförderung, der Wirtschaftsförderung und der Kulturförderung möglich ist, verfügt das Land Hessen in diesem Bereich bereits über eine ganze Palette von Förderinstrumenten.

Entwicklung kommunaler Handlungskonzepte

Die Erfahrungen der an dem Projekt des hessischen Wirtschaftsministeriums und der Schader-Stiftung beteiligten Kommunen (Eschwege, Frankfurt am Main, Gießen, Hanau, Kassel, Wiesbaden) haben gezeigt, wie auf kommunaler Ebene Handlungskonzepte entwickelt werden können. Erste Schritte sind neben der Informationssammlung (zum Beispiel Leerstandskataster, lokaler Kulturwirtschaftsbericht) vor allem der Aufbau von Kommunikationsstrukturen mit den relevanten Akteursgruppen. Auf dieser Grundlage können dann die eigenen kulturwirtschaftlichen Stärken identifiziert und den örtlichen Gegebenheiten angemessene kommunale Entwicklungsstrategien formuliert werden.

Um den Erfolg dieser Strategien (zum Beispiel Förderung spezialisierter Cluster, Aufbau von Gründerzentren, Umsetzung von Stadtteilkonzepten, Entwicklung von Wohn- und Arbeitsstandorten) abzusichern, bedarf es einer ausdrücklichen Berücksichtigung kulturwirtschaftlicher Belange in den Konzepten zur Stadtentwicklung. Dies betrifft vor allem das explizit zu formulierende Ziel der Mobilisierung von geeigneten brachgefallenen Liegenschaften für kulturwirtschaftliche Zwecke. Zielführend wäre die Entwicklung umfassender gesamtstädtischer Handlungsansätze nach Art eines „integrierten Stadtentwicklungskonzepts“.

Doppelstrategie: Netzwerkbildung fördern – Möglichkeitsräume öffnen

Ein effektives und produktives Zusammenwirken von Kulturwirtschaft und Stadtentwicklung kann vor allem von zwei strategischen Ansätzen befördert werden: Erstens, die Netzwerk- und Clusterbildung in der Kulturwirtschaft zu fördern und zweitens, Möglichkeitsräume für die Kulturwirtschaft zu öffnen und zu sichern. Der dritte hessische Kulturwirtschaftsbericht (siehe Publikationen) schlägt ein ganzes Bündel von Maßnahmen vor, mit denen diese strategischen Ansätze umgesetzt werden können.

Um neue Impulse für die Stadtentwicklung zu geben, sollte eine Netzwerk- und Clusterbildung insbesondere in den Teilbereichen der Kulturwirtschaft gefördert werden, in denen Freischaffende und Kleinstunternehmen verstärkt tätig sind. Dies ist zum Beispiel in den Bereichen Medien, Werbung, Grafik, Design, Architektur, Filmwirtschaft und künstlerisches Handwerk der Fall. Als Motor der Netzwerk- undClusterbildung wird die Implementierung von Experimentier- und Gründerstandorten – ergänzt um flankierende Maßnahmen der Wirtschaftsförderung – vorgeschlagen.

Um Möglichkeitsräume für die Kulturwirtschaft zu öffnen und zu sichern, sollte in Zukunft die Entwicklung von verfügbaren Flächen in einer Kommune nicht allein unter dem Aspekt der bestmöglichen Vermarktung im Rahmen der traditionellen Ziele der Stadtentwicklung und mit klassischen Instrumenten geschehen. Um die Chancen der Kulturwirtschaft zu verbessern, empfiehlt sich eine an das Prinzip der „Dreifelderwirtschaft“ angelehnte Vorgehensweise. Entwicklung und Vermarktung erfassen dann nicht alle verfügbaren Flächen, sondern ein Teil bleibt als Möglichkeitsraum für kulturwirtschaftliche Nutzungen bewusst „liegen“. Die kreativen Milieus, die sich auf solchen Flächen entfalten können, schaffen durch ihr Wirken erst jene Standortbedingungen, die wiederum von anderen Stadtbewohnern und Marktteilnehmern geschätzt werden.

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