Meine Stadt, Deine Stadt?
Artikel vom 28.05.2020
Gerechtigkeit in einer (Stadt-)Gesellschaft. Ein Blogbeitrag von Anna-Lisa Müller.
Wer lebt eigentlich in einer Stadt?
Für diese Frage scheint es eine simple Antwort zu geben: Menschen. Eigentlich ja, aber auch noch Tauben, Mäuse, Hunde, Katzen und Ratten. Und was ist mit den Wespen, die verlässlich das leckere Eis umschwirren, das ich mir gerade gekauft habe? Und wie ist es mit dem Löwenzahn, der auf dem Parkplatz zwischen den Pflastersteinen wächst? Irgendwie ist es dann doch keine so simple Antwort, die wir auf diese Frage geben können. Und sie lässt mich weiterfragen. Leben eigentlich alle auf die gleiche Weise in der Stadt? Der Hund der Nachbarin und ich sicher nicht. Wie lebt die Familie aus Syrien, zwei Häuser weiter? Und was ist mit der wohnungslosen Frau, die ich immer wieder in der Fußgängerzone treffe?
Sicher, sie alle leben in der Stadt. Aber ist es auch eine Stadt für alle? Ich stelle mir diese Fragen, weil ich wissen möchte, wie Gerechtigkeit in einer Gesellschaft möglich ist und wie es gelingen kann, dass alle an (ihrer) Stadt teilhaben. Dass sie Zugang zu dem haben, was eine Stadt lebenswert macht. Das können das Theater, das Kino, der Park oder die Flaniermeile am Fluss sein. Was braucht es, damit „alle“ daran teilhaben können? Und wer sind eigentlich „alle“?
Ich meine, dass es möglich ist, viele an unserer Stadt teilhaben zu lassen. Und damit auch an unserer Gesellschaft. Das hat für mich mit Gerechtigkeit zu tun. Ich finde es gerecht, wenn Menschen, die hier leben, Zugang zu dem haben, was für sie da ist. Dazu müssen wir alle etwas tun. Damit die wohnungslose Frau, der ich zuschreibe, wenig Geld zu haben, ins Theater gehen kann. Um das zu ermöglichen könnte ich zum Beispiel bereit sein, einen etwas höheren Kartenpreis zu zahlen. Und vielleicht gibt es auch eine andere Kommunikationsform, als „Grillen verboten“ zu schreiben oder ein Piktogramm mit durchgestrichenem Grill? Das hilft auch der Familie aus Syrien, die noch nicht lange in Deutschland lebt und nicht gut deutsch spricht. Sie könnte besser verstehen, dass im Park nicht privat gegrillt werden darf, wenn auch Menschen ohne Sprachkenntnisse das Verbotsschild verstehen.
Um das Narrativ einer Stadt zu verwirklichen, die möglichst alle an dem teilhaben lässt, an dem sie teilhaben wollen, sind wir alle gefragt. Besonders interessiert mich dabei, was öffentliche Einrichtungen wie das Theater oder die Stadtverwaltung tun können und schon tun, um das in die Tat umzusetzen. Denn diese Institutionen sind die Schnittstelle zwischen uns, der Zivilgesellschaft, und jenen Anderen – jenen in „der Politik“, jenen in „der Gesellschaft“. Ich frage Euch: Was macht Ihr, und was kann ich tun für eine Stadt für alle? Geht das?
von Anna-Lisa Müller.