Wohnformen im Alter - Normales Wohnen
Artikel vom 30.06.2006
Die häufigste Wohnform im Alter spielt im Bewusstsein der Öffentlichkeit - und leider auch der Fachwelt - nur eine untergeordnete Rolle: das Wohnen in einer ganz normalen Wohnung. Von Renate Narten
Hilfe- und Pflegebedürftigkeit in Privathaushalten
Über 90 Prozent aller Menschen über 65 Jahren leben in ganz normalen Wohnungen und Wohnquartieren. Der allergrößte Teil von ihnen möchte diese Wohnform so lange wie möglich aufrecht erhalten. Laut dem dritten Altenbericht der Bundesregierung äußern rund 90 Prozent der 70- bis 85-Jährigen diesen Wunsch (BMFSFJ 2001:254). Selbst von denjenigen älteren Menschen, die bereits hilfe- und pflegebedürftig sind, gehen nur 19 Prozent davon aus, dass sie wahrscheinlich einmal in ein Heim umziehen werden (Schneekloth/Wahl 2005:85).
Einer Untersuchung von Infratest Sozialforschung aus dem Jahr 2005 zufolge sind etwa sieben Prozent der älteren Menschen in Privathaushalten pflegebedürftig, weitere 14 Prozent benötigen hauswirtschaftliche Hilfen. Allerdings unterscheidet sich der Pflege- und Hilfebedarf der älteren Menschen unter 80 Jahren deutlich von dem der Hochbetagten. Während nur vier Prozent der Unter-80-Jährigen pflegebedürftig sind, liegt der entsprechende Anteil bei den Über-80-Jährigen bereits bei knapp 20 Prozent. Rechnet man Hilfe- und Pflegebedarf zusammen, so sind bei den Unter-80-Jährigen nur 15 Prozent nicht mehr in der Lage, ein selbständiges Leben ohne fremde Hilfe zu führen, bei den Über-80-Jährigen dagegen ist es fast die Hälfte (46 Prozent). Siehe hierzu auch Tabelle 1: Hilfe- und Pflegebedarf älterer Menschen in Privathaushalten (in %) in der der Bildergalerie.
Da die Zahl der Hochbetagten sehr viel kleiner ist als die der sogenannten „Jungen Alten“ (65- bis 79-Jährige), fallen die hilfe- und pflegebedürftigen Hochaltrigen allerdings quantitativ nicht so stark ins Gewicht wie die der jüngeren Jahrgänge. Siehe hierzu auch Tabelle 2: Hilfe- und Pflegebedarf älterer Menschen in Privathaushalten (in Tsd.)in der Bildergalerie.
Bauliche Eignung der Wohnungen
Ein großer Teil der Pflegebedürftigen in Privathaushalten benutzt eine Gehhilfe (59 Prozent) oder einen Rollstuhl (38 Prozent). 24 Prozent benötigen ein Krankenbett. Nur wenige Wohnungen sind allerdings von vornherein so beschaffen, dass man bei eingeschränkter Beweglichkeit gut darin zurecht kommen kann.
Häufig sind die Wohnungen nicht stufenlos zu erreichen. Innerhalb der Wohnungen fehlen vor allem im Bad ausreichende Bewegungsflächen und eine barrierefreie Sanitärausstattung. Schmale Badezimmertüren behindern den Zugang zum Bad und hohe Schwellen in den Balkon- und Terrassentüren erschweren die Nutzung der Freisitze. Es fehlen Handläufe an Treppen und Stufen vor dem Hauseingang und immer wieder lassen sich Lichtschalter und Heizungsventile bei eingeschränkter Beweglichkeit nur schwer erreichen und bedienen.
Im Sanitärbereich und in den Zugangsbereichen förderte eine Untersuchung in Nordrhein-Westfalen die meisten Mängel zu Tage - also dort, wo bekanntermaßen Stufen, Schwellen und hohe Einstiege in Badewannen und Duschen Hindernisse für ältere Menschen darstellen (siehe Tabelle 3 in der Bildergalerie). Weniger bekannt sind dagegen Probleme in den anderen Räumen der Wohnung, vor allem im Schlafzimmer, das bereits an dritter Stelle genannt wird. Hier handelt es sich in der Regel um fehlende Bewegungsflächen und unpraktische Möblierungen.
Wohnungsanpassung und Wohnberatung
Bereits seit Mitte der 1980er Jahre gibt es bundesweit verschiedene Initiativen zur Anpassung des Wohnungsbestandes an die Bedürfnisse älterer Menschen. Insbesondere in Nordrhein-Westfalen liegen mittlerweile umfangreiche Erfahrungen vor. Danach erfordern nur etwa ein Drittel aller Anpassungsmaßnahmen bauliche Eingriffe in die Wohnung. In zwei Drittel der Fälle handelt es sich entweder um Ausstattungsveränderungen oder um den Einsatz von Hilfsmitteln (siehe Tabelle 4).
Dieser Verteilung entsprechend sind die Kosten der individuellen Maßnahmen in den meisten Fällen nicht sehr hoch. Einer Statistik der Wohnberatungsstelle München-Milbertshofen zufolge lagen im Jahr 2001 die Kosten in 57 Prozent der Fälle unter 500 Euro und in 32 Prozent der Fälle zwischen 500 und 2500 Euro. Erhält der betreffende Mieter Leistungen aus der Pflegeversicherung, so übernimmt diese die Kosten der Anpassungsmaßnahme bis zu einer Höhe von 2557 Euro. Die Kosten für Hilfsmittel werden in der Regel von der Krankenkasse bezahlt. Einige Städte und Landkreise stellen älteren Menschen mit geringem Einkommen zusätzliche Fördermittel für Wohnungsanpassungsmaßnahmen zur Verfügung. Solche Mittel sind deshalb notwendig, weil zum einen bei den Wohnungen einkommensschwacher Menschen ein besonders hoher Anpassungsbedarf besteht, zum anderen Mittel der Kranken- und Pflegekassen nicht präventiv eingesetzt werden können.
Auch wenn die Maßnahmen selbst häufig unspektakulär sind, erfordern sie doch eine eingehende Beratung der betreffenden Menschen. Meistens müssen beispielsweise Haltegriffe oder Hilfsmittel individuell angepasst oder ihre Benutzung eingeübt werden. Ohne die entsprechende Beratung kann eine durchgeführte Anpassungsmaßnahme ihren Zweck verfehlen, weil sie nicht zur Lösung des individuellen Problems geeignet ist oder vom betreffenden Menschen nicht angenommen wird.
In den letzten 20 Jahren sind in der Bundesrepublik zahlreiche Beratungsangebote zur Wohnungsanpassung entstanden. Allerdings sind die Chancen eines älteren Menschen, sich bei der Wohnungsanpassung fachlich beraten zu lassen, in der Bundesrepublik extrem unterschiedlich verteilt (siehe Tabelle 5). Einige Bundesländer (Baden-Württemberg, Berlin, Bremen und Nordrhein-Westfalen) haben schon in den 90er Jahren für einen annähernd flächendeckenden Ausbau von Beratungsstellen zur Wohnungsanpassung gesorgt, andere haben nach der Jahrtausendwende mit dem Aufbau einer landesweiten Infrastruktur zur Förderung der Wohnberatung begonnen (Bayern, Hessen, Niedersachsen) und wieder andere hoffen darauf, dass vor allem die Mitarbeiter von Sozialstationen und Pflegediensten diese Aufgabe „so nebenbei“ erledigen und stellen hierfür ein minimales Budget zur Verfügung (Saarland, Sachsen, Schleswig-Holstein). Schließlich gibt es einen Rest an Bundesländern, die nur ganz vereinzelt Angebote zur Wohnungsanpassungsberatung für ältere Menschen vorweisen können (Stand 2005).
Soziale Eignung der Wohnungen
Auch wenn es hinsichtlich der baulichen Qualitäten des vorhandenen Wohnungsbestandes noch umfangreiche Anpassungsbedarfe gibt, erfüllt dieser doch in sozialer Hinsicht die Wohnbedürfnisse älterer Menschen häufig sehr gut. Drei Faktoren spielen hierfür eine besondere Rolle:
- Zum einen finden sich in der vorhandenen Wohnung alle lieb gewonnenen Möbelstücke und andere Gegenstände aus der persönlichen Biographie in vertrautem Arrangement und Wohngewohnheiten können gepflegt werden.
- Zweitens bietet das vorhandene Wohnumfeld häufig auch eine vertraute Nachbarschaft und vor allem einen vertrauten Orientierungsrahmen für die Außer-Haus-Aktivitäten.
- Drittens sind die Mieten in den Bestandwohnungen zumeist vergleichsweise niedrig.
Die Beibehaltung vertrauter Wohnverhältnisse spielt insbesondere bei einsetzender Demenz eine wichtige Rolle. 48 Prozent der Pflegebedürftigen und 24 Prozent der Hilfebedürftigen in Privathaushalten weisen kognitive Beeinträchtigungen auf. Für diese Menschen ist es von enormer Wichtigkeit, ihr vertrautes räumliches Umfeld so lange wie möglich beizubehalten, um die verbliebenen Orientierungsfähigkeiten effektiv nutzen zu können.
Begleitende Dienste und soziale Integration
Neben den erwähnten Vorteilen des Verbleibs in der eigenen Wohnung kann diese Wohnform aber auch Nachteile im Hinblick auf die soziale Integration und die Verfügbarkeit von Hilfen mit sich bringen. Zwar zeigen verschiedene Untersuchungen, dass viele ältere Menschen auf ein informelles Hilfesystem aus Angehörigen, Nachbarn und Bekannten zurückgreifen können. Es gibt aber auch andere, die unter Vereinsamung leiden und nur wenig Zugang zu professioneller und informeller Hilfe haben. Für die Zukunft wird befürchtet, dass die Zahl dieser Menschen steigen wird, weil immer weniger ältere Menschen Kinder haben werden, und die wenigen Kinder auch seltener in der Nähe wohnen.
Die Versorgung mit vorpflegerischen Leistungen, Betreuungsleistungen bei demenziell erkrankten Menschen und hauswirtschaftlichen Hilfen wird bisher hauptsächlich von Familienangehörigen geleistet. In vielen Fällen funktionieren diese informellen Hilfesysteme auch bis heute sehr gut. So erhalten 92 Prozent der Pflegebedürftigen in Privathaushalten regelmäßig Unterstützungsleistungen durch ihre nächsten Angehörigen. 62 Prozent wohnen sogar mit ihrer Pflegeperson im gleichen Haushalt. Bei acht Prozent wohnt die Pflegeperson im gleichen Haus und bei 14 Prozent in einer Entfernung von nur zehn Minuten. Neun Prozent derjenigen, die über private Helfer verfügen, werden von Nachbarn, Freunden und Bekannten versorgt.
Der befürchtete Rückgang informeller Hilfen aufgrund rückläufiger Kinderzahlen und einer rückläufigen Bereitschaft von Töchtern und Schwiegertöchtern, zugunsten der Altenpflege die eigene Berufstätigkeit zu reduzieren, ist bisher nicht eingetreten. Statt dessen ist aber ein Strukturwandel bei den Hilfepersonen erkennbar, der andeutet, dass in Zukunft mehr Männer und mehr Personen aus der Nachbarschaft sowie dem Freundes- und Bekanntenkreis Hilfen für ältere Menschen erbringen. So waren im Jahr 2002 deutlich mehr Söhne in die Betreuung ihrer Eltern einbezogen als 1991, und auch der Anteil der Freunde, Nachbarn und Bekannten, die Hilfsdienste leisten, ist angestiegen (siehe Tabelle 6).
Angesichts hoher Kosten für professionelle Hilfs- und Pflegeleistungen und gleichzeitig erwarteter sinkender Einkommen alter Menschen wird es immer wichtiger, informelle Hilfenetze auch für solche Menschen, die keine Angehörigen oder Freunde haben, auszubauen und zu stärken. Dabei wird es immer um eine Kombination aus einfacher Vermittlung von Hilfen und einem Angebot an geselligen Veranstaltungen gehen, die einer Vereinsamung älterer Menschen entgegenwirken.
Für die Organisation sozialer Dienste im Wohnquartier sind verschiedene Modelle bekannt (vgl. zum Beispiel Wüstenrot Stiftung 1997:104ff):
- Ein Wohlfahrtsverband oder ein privates Dienstleistungsunternehmen (zum Beispiel Seniorenservice) verbindet in einem ausgewählten Wohnquartier seine/ihre professionellen Dienstleistungen mit der Mobilisierung ehrenamtlicher Hilfen und der Organisation kommunikativer Angebote.
- Bürgerschaftliche Initiativen wie etwa Nachbarschaftshilfevereine und Seniorengenossenschaften, die teilweise mit wohlfahrtsverbandlicher, kirchlicher oder wohnungswirtschaftlicher Anbindung existieren und zumeist als Vereine operieren, organisieren kommunikative Angebote, professionelle Dienste und ehrenamtliche Unterstützungsleistungen.
- Wohnungsunternehmen organisieren Hilfsdienste für ihre Mieter, so durch Beratungs- und Vermittlungsdienste von Sozialarbeitern, die im Unternehmen beschäftigt sind, verbunden mit der Organisation kommunikativer und nachbarschaftlicher Hilfen auf ehrenamtlicher und semiprofessioneller Basis (Narten 2004:42ff).
Als räumliche Voraussetzungen für die Organisation sozialer Dienste im Wohnquartier werden zentral gelegene, fußläufig oder leicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbare Büroräume und Räume für kommunikative Angebote benötigt. Diese können sowohl von der Kommune (wie etwa Freizeitheime, Begegnungs- und Tagesstätten, Bürgerhäuser), der Wohnungswirtschaft (Nachbarschaftstreffs), den Kirchen (Gemeindesäle), den Wohlfahrtsverbänden (Versammlungsräume) oder von im Quartier ansässigen Vereinen zur Verfügung gestellt werden.
Meistens sind die Eigentümer dieser Räume auch die Koordinatoren der sozialen Dienste. Nicht selten gibt es aber auch bilaterale Kooperationsbeziehungen zwischen denjenigen Institutionen, die die Räume zur Verfügung stellen und denjenigen, die die sozialen Leistungen anbieten und organisieren. So finden sich zahlreiche Beispiele von Wohnungsunternehmen, die die erforderlichen Räumlichkeiten in ihren Quartieren errichten und sie dann einem Wohlfahrtsverband oder Verein zur Verfügung stellen. Ähnliche Kooperationsbeziehungen sind zwischen Kommunen und sozialen Dienstleistern üblich.
Schlussbemerkung
Die Konzepte und Projekte zur Verbesserung der Situation älterer Menschen im normalen Wohnungsbestand sind weit weniger spektakulär als schicke Neubau-Wohnanlagen. Daher werden sie auch weitaus seltener in den Medien dargestellt. Sie sind aber die für die Lebenssituation Älterer quantitativ bedeutsamsten und verdienen deshalb ganz besondere Aufmerksamkeit.
Verbesserungen im normalen Wohnungsbestand haben unmittelbare Folgen für die Nachfrage nach Sonderwohnformen im Alter. Je mehr Wohnbedürfnisse älterer Menschen im normalen Wohnungsbestand befriedigt werden können, desto geringer wird die Nachfrage nach Sonderwohnformen für das Alter ausfallen.
Die Autorin: Dr.-Ing. Renate Narten M.A. ist Architektursoziologin. Sie gründete 1996 das Büro für sozialräumliche Forschung und Beratung in Hannover mit dem Arbeitsschwerpunkt „Wohnen im Alter”.
Literatur
Bertelsmann Stiftung - Kuratorium Deutsche Altershilfe (2003): Leben und Wohnen im Alter. Band 1: Neue Wohnkonzepte. Gütersloh/Köln.
Bertelsmann Stiftung - Kuratorium Deutsche Altershilfe (2004): Leben und Wohnen im Alter. Band 3: Quartiersnahe Wohnkonzepte. Gütersloh/Köln.
BMFSFJ (2001): Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Dritter Bericht zur Lage der älteren Generation. Bonn.
Infratest Sozialforschung (2003): Hilfe- und Pflegebedürftige in Privathaushalten in Deutschland 2002, Schnellbericht, München.
Narten, R. (2004): Wohnen im Alter - Bausteine für die Wohnungswirtschaft. Verband der Wohnungswirtschaft Niedersachsen Bremen. Hannover 2004.
Niepel, T. (1995): Effektivität und Effizienz von Beratung zur Wohnungsanpassung, Universität Bielefeld, Fakultät für Pädagogik.
Niepel, T. (1999): Wohnberatung. Erfolge, Wirkungsvoraussetzungen und Qualitätssicherung, Universität Bielefeld, Fakultät für Pädagogik.
Saup, W. (2001): Ältere Menschen im Betreuten Wohnen, Rieden.
Schneekloth, U.; Wahl, H. W. (2005): Möglichkeiten und Grenzen selbständiger Lebensführung in privaten Haushalten, München.
Schneekloth, U.; Wahl, H. W. (Hg.) (2005): Möglichkeiten und Grenzen selbständiger Lebensführung in privaten Haushalten (MUG III). München.
Stolarz, H. (1998): Wohnungsanpassung. Kleine Maßnahmen mit großer Wirkung. KDA, Köln.
Wüstenrot Stiftung (1997): Wohnquartiersnahe Alltagshilfen. Ergebnisse eines bundesweiten Wettbewerbs. Stuttgart.