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Befunde zur Erwerbstätigkeit - Die Wirtschaftssektoren

Artikel vom 23.09.2004

Mit dem technischen Fortschritt ist eine Gewichtsverschiebung der drei Produktionssektoren einhergegangen: Waren zu früheren Zeiten die Menschen überwiegend in der Landwirtschaft und seit der Industrialisierung im verarbeitenden Gewerbe tätig, so bindet heute insbesondere der Dienstleistungssektor Arbeitskraft an sich.

Die Theorie der Produktionssektoren

„Der französische Ökonom Jean Fourastié hat in einer der bekanntesten Theorien des ökonomischen und damit des gesamtgesellschaftlichen Strukturwandels das Wirtschaftssystem in die folgenden Produktionssektoren unterteilt:

  • primärer Sektor (vor allem Landwirtschaft, Urgewinnung);
  • sekundärer Sektor (vor allem verarbeitendes Gewerbe wie Industrie und Handwerk)
  • tertiärer Sektor (vor allem Handel, Verwaltung, freie Berufe, Dienstleistungsberufe).

Diese Einteilung in drei Produktionssektoren geht zwar auf die Ökonomen Allan B. G. Fisher und Colin Clark zurück, hat aber bei Fourastié eine bedeutende Erweiterung erfahren: Es geht nicht, wie vielfach fälschlich unterstellt, um eine Klassifikation der Wirtschaftsbereiche, sondern um eine Theorie, die die Auswirkungen des technischen Fortschritts bzw. der Arbeitsproduktivität in den einzelnen Wirtschaftbereichen analysiert (wobei Arbeitsproduktivität definiert ist als Arbeitsergiebigkeit, als Verhältniszahl des Produktionswertes und damit der Wertschöpfung im Hinblick auf die eingesetzte Arbeitsmenge). Auf dieser Grundlage kommt Fourastié zu folgender Differenzierung:

  • Primär ist ein Produktionssektor, in dem der technische Fortschritt und damit die Steigerung der Arbeitsproduktivität mittelmäßig stark ist;
  • sekundär ist ein Produktionssektor mit großem technischen Fortschritt;
  • tertiär ist ein Produktionssektor mit geringem oder gar keinem technischen Fortschritt.

Neben anderen Forschern erkannte Fourastié den technischen Fortschritt als ‚Grund- und Hauptfaktor der wirtschaftlichen Entwicklung‘. Dies hat zwei Konsequenzen:

  • die ‚wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung der Gegenwart... ist von der Steigerung der Arbeitsproduktivität beherrscht‘; und
  • die unterschiedlichen Raten und Steigerungsraten der Arbeitsproduktivität in den einzelnen Produktionsbereichen schaffen, so könnte man folgern, Spannungszustände, Ungleichgewichte in und zwischen den Produktionsbereichen.

Damit ist eine wichtige Erkenntnisquelle erschlossen, weil gesellschaftliche Strukturveränderungen sich auf die Entwicklung der Arbeitsproduktivität in den einzelnen Wirtschaftssektoren zurückführen lassen. Aber auch Fourastiés Theorie und Prognose sind zeitbedingt, wie an der Automatisierung und datengestützten Informatisierung im Bereich der Büroarbeit und damit großer Teile des Dienstleistungssektors sichtbar wird.
Die Bezeichnung ‚tertiärer Sektor‘ für diesen Bereich ist nicht länger zulässig, weil es sich nicht mehr um nur drittklassige Möglichkeiten der Steigerung der Arbeitsproduktivität in diesem Sektor handelt. Inzwischen hat die Entwicklung der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien dazu geführt, dass als vierter Sektor ein Informationssektor auszugliedern ist.“
(Schäfers, Bernhard 2002: Sozialstruktur und sozialer Wandel in Deutschland, 7. Auflage, Stuttgart: Lucius und Lucius, S. 176f.)

Deutschlands Entwicklung zur Dienstleistungsgesellschaft

Indikatoren des Strukturwandels
„In der Regel wird der Strukturwandel durch zwei grobe statistische Eckdaten angezeigt: Durch den Anteil der drei Sektoren an der volkswirtschaftlichen Wertschöpfung (am Bruttosozialprodukt) und an der Verteilung der Erwerbstätigen auf die drei Sektoren. Bis in die achtziger Jahre des 19. Jahrhunderts hinein war Deutschland eine Agrargesellschaft, mehr als die Hälfte der Erwerbstätigen war im primären Sektor beschäftigt. Vom Ende des 19. Jahrhunderts bis in die siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts hinein durchlief Deutschland dann die Phase einer Industriegesellschaft: Immer mehr Erwerbstätige arbeiteten im sekundären Sektor - in den fünfziger und sechziger Jahren fast die Hälfte. Der Anteil der Erwerbstätigen im primären Bereich schrumpfte kontinuierlich - von gut einem Drittel um die Jahrhundertwende auf sieben Prozent im Jahre 1970.

Gleichzeitig stieg der Anteil der Dienstleister kontinuierlich an und überholte in den siebziger Jahren den inzwischen rückläufigen Anteil der Erwerbstätigen in der Produktverarbeitung. Seit den siebziger Jahren ist Deutschland also zu einer Dienstleistungsgesellschaft geworden. Der tertiäre Sektor dominiert in der Beschäftigung und in der Wertschöpfung; er dehnt sich immer weiter aus, während der industriell-handwerkliche kontinuierlich zurückgeht und der Primärsektor auf einen kleinen, weiter schrumpfenden Rest zusammengedrückt wird. 1998 arbeiteten in den alten Ländern 64 Prozent der Erwerbstätigen im Dienstleistungssektor, 34 Prozent im Produktionssektor und nur noch 2,6 Prozent im primären Sektor. Allerdings ist dabei zu beachten, dass ein großer Teil der Dienstleistungen ‚produktionsbezogen‘ ist - sie dienen der Planung und Durchführung der Güterproduktion sowie der Verteilung der Güter. Daher ist es durchaus angemessen, die moderne Gesellschaft als eine industrielle Dienstleistungsgesellschaft zu bezeichnen.

Die Ursachen des Strukturwandels
Die Ursachen des skizzierten Strukturwandels sind sehr vielschichtig. Man kann einen primär ökonomischen Ursachenkomplex von einem systemisch-soziologischen Ursachenkomplex unterscheiden. Auf die ökonomischen Ursachen haben bereits die Klassiker der Drei-Sektoren-Theorie hingewiesen: Die ungeheuren Produktivitätsfortschritte in der Agrarproduktion und Güterherstellung setzen Arbeitskräfte frei, die in den Dienstleistungssektor verlagert werden. Der Dienstleistungssektor kann als Auffangbecken für die ‚überflüssig‘ gewordenen Arbeitskräfte dienen, weil dort die Rationalisierung und die Produktivitätszuwächse zumindest teilweise stärkeren Einschränkungen unterliegen. So lassen sich zum Beispiel Schulunterricht oder Pflegedienste an alten Menschen nicht in dem Maße automatisieren wie die Montage von Autos oder Fernsehgeräten. Zudem erhöht sich mit dem Anstieg der Realeinkommen auch die private Nachfrage nach Dienstleistungen.

Folgen des Strukturwandels

Der Anteil von Aufwendungen, die der private Verbraucher für Dienste ausgibt, steigt nachweislich stetig an. In die Verschiebungen bei der privaten Nachfrage spielen auch weitere Veränderungen in den Lebensbedingungen, im Wertesystem oder in der Bevölkerungsstruktur hinein: zum Beispiel stärkere Nachfrage nach Freizeitangeboten durch sinkende Arbeitszeiten, höherer Bedarf an Unterhaltung und Versorgung durch die Alterung der Bevölkerung oder vermehrte Nachfrage nach Reparatur- und Wartungsdiensten durch die Technisierung des Alltags.
Systemisch-soziologische Ursachen hängen insbesondere mit der wachsenden Komplexität sozialer und ökonomischer Systeme zusammen. Mit der zunehmenden Kompliziertheit der Gesellschaft steigt ihr Bedarf an Regelung, Vermittlung und Steuerung; sie erfordert ein Mehr an Planung, Abstimmung und Kontrolle sowie ein Mehr an Kompetenzen und Ausbildung.“
(Geißler, Rainer 2000: Entwicklung zur Dienstleistungsgesellschaft. In: Informationen zur politischen Bildung 269: Sozialer Wandel in Deutschland, S. 19f.)

Schwerpunkte innerhalb des Dienstleistungssektors

„Zur näheren Betrachtung der Schwerpunkte innerhalb der Dienstleistungen lassen sich diese nach funktionalen Schwerpunkten in vier Gruppen gliedern, nämlich die gesellschaftsbezogenen, die wirtschaftsbezogenen, die distributiven und die haushaltsbezogenen Dienstleistungen.

Unter gesellschaftsbezogenen Dienstleistungen sind alle direkten oder indirekten Leistungen für Personen bzw. Familien zu verstehen, die dem individuellen bzw. kollektiven, sozialen und kulturellen Bedarf entsprechen (u.a. Heime, Schulen, Kliniken und Verwaltung).

Wirtschaftsbezogene Dienstleistungen sind Dienste, die von privatwirtschaftlichen Firmen oder staatlichen Institutionen als Vorleistungen, d.h. zur intermediären Verwendung für andere Wirtschaftsbetriebe, produziert und angeboten werden (u.a. Finanzierungsinstitute, Unternehmensberatungen, Versicherungsgewerbe).

Dienstleistungen, die zur Deckung der Mobilitäts-, Kommunikations- und Transportbedürfnisse der privaten Haushalte und der Wirtschaftsunternehmungen von privatwirtschaftlichen oder öffentlichen Anbietern erstellt werden, werden distributive Dienstleistungen genannt (u.a. Einzelhandel, Großhandel, Speditionen, Warenhäuser).

Unter haushaltsbezogenen Dienstleistungen werden konsumentenbezogene Dienstleistungen verstanden, die von privaten Anbietern für private Haushalte zum Endverbrauch erstellt werden.

Betrachtet man die Veränderungen der Beschäftigungsentwicklung im Dienstleistungsbereich in Westdeutschland von 1980 bis 1997, fällt auf, dass die Beschäftigungsentwicklung uneinheitlich verlaufen ist. Vom gesamten Beschäftigungszuwachs von 3,2 Millionen entfallen alleine 2,5 Millionen auf den Bereich der wirtschafts- und gesellschaftsbezogenen Dienstleistungen. Mit annähernd 190 000 neuen Arbeitsplätzen leistet der Bereich der haushaltsbezogenen Dienstleistungen den geringsten Beitrag zur Beschäftigungsentwicklung.

Im Gegensatz dazu sind die wirtschaftsbezogenen Dienstleistungen mit rund 1,2 Millionen neu geschaffenen Arbeitsplätzen mit Abstand am schnellsten gewachsen. Im Gesamtvolumen kompensiert dies aber keineswegs die Beschäftigungsverluste des verarbeitenden Gewerbes, das vom Strukturwandel besonders stark betroffen ist.“
(Rürup, Bert / Sesselmeier, Werner 2001: Wirtschafts- und Arbeitswelt. In: Korte, Karl-Rudolf / Weidenfeld, Werner: Deutschland Trendbuch. Fakten und Orientierungen, Opladen: Leske+Budrich, S. 249f.)

Information als vierter Sektor

„Zur Zeit findet eine ökonomische und technische Revolution statt, in der die Informations- und Kommunikationstechnologien (IuK-Technologien) eine Schlüsselrolle einnehmen. Heute werden bereits mehr als 50 Prozent der Arbeitsplätze durch IuK-Techniken deutlich geprägt, und dieser Einfluss wird auch noch weiter zunehmen. Um die Entwicklung zu veranschaulichen, wird das klassische Drei-Sektoren-Modell um einen vierten Sektor ergänzt, in dem alle Informationstätigkeiten zusammengefasst werden.

Diese Vier-Sektoren-Hypothese wird heutzutage auch von der OECD favorisiert, da der Informationssektor eine relativ einfache Kenngröße zum Vergleich von Volkswirtschaften bis hinunter zur regionalen Ebene ist. Die Entwicklung des Informationssektors bis hin zum Jahr 2010 untermauert eindrucksvoll den Trend des Strukturwandels in Richtung Informationsgesellschaft. Nach ihr werden im Jahr 2010 bereits 55 Prozent der Beschäftigten im Informationssektor zu verzeichnen sein. Man spricht hier auch von Informatisierung der Arbeitswelt.“
(Rürup, Bert / Sesselmeier, Werner 2001: Wirtschafts- und Arbeitswelt. In: Korte, Karl-Rudolf / Weidenfeld, Werner: Deutschland Trendbuch. Fakten und Orientierungen, Opladen: Leske+Budrich, S. 250f.)

Literatur und Links

Links zum Thema Erwerbstätigkeit

Downloadbare Dokumente

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  • Hartz, Peter et al. 2002: Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt. Vorschläge der Kommission zum Abbau der Arbeitslosigkeit und zur Umstrukturierung der Bundesanstalt für Arbeit, Berlin: Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit. Online-Version
  • Hof, Bernd 2001: Szenarien zur Entwicklung des Arbeitskräftepotenzials in Deutschland. In: Aus Politik und Zeitgeschichte B8, S. 20-30. Online Version
  • Kistler, Ernst / Hiplert, Markus 2001: Auswirkungen des demographischen Wandels auf Arbeit und Arbeitslosigkeit. In: Aus Politik und Zeitgeschichte B3/4, S. 5-13. Online-Version
  • Klauder, Wolfgang 2001: Ende oder Wandel der Erwerbsarbeit? Die hausgemachte Arbeitslosigkeit. In: Aus Politik und Zeitgeschichte B21, S. 3-7. Online-Version
  • Klemm, K. 1999: Junge Erwachsene ohne Berufsausbildung. Zustandsbeschreibung und Perspektiven. Arbeitspapier 12 der Hans Böckler Stiftung.
  • Klenner, Christina 2002: Geschlechtergleichheit in Deutschland. In: Aus Politik und Zeitgeschichte B 33-34, S. 17-28. Online-Version
  • Naegele, Gerhard 2001: Demographischer Wandel und „Erwerbsarbeit“. In: Aus Politik und Zeitgeschichte B3/4, S. 3-4. Online-Version
  • Scherrer Käslin, Regina 2001: Auf dem Weg zur „Zweidrittelgesellschaft“. Integrationsprobleme marginaler Bevölkerungssegmente in die moderne Arbeitswelt. Online-Version
  • Schmidt, Simone 2000: Erwerbstätigkeit im Mikrozensus. Konzepte, Definition, Umsetzung, Mannheim: ZUMA. pdf-Datei, 989kb
  • Statistisches Bundesamt 2002a: Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland 2002, Stuttgart: Metzler-Poeschel. pdf-Datei, 382kb
  • Statistisches Bundesamt 2002b: Datenreport 2002, Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung. Möglichkeit zum Download

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