Vielfältige Lebensformen - Ehen und Scheidungen
Artikel vom 22.09.2004
Die Zahl der Ehen und Scheidungen gibt darüber Auskunft, ob und wie sich die Neigung zum Heiraten geändert hat und wie dauerhaft die Partnerschaften sind, die durch die Ehe fixiert wurden.Ungleiche Lebensbedingungen schlagen sich auch im Heiratsverhalten nieder: Die meisten Ehen werden zwischen Angehörigen gleicher Schichten geschlossen. Personen mit hohem Ausbildungsstand sind seltener verheiratet als solche mit geringerer Bildung. Dafür werden Scheidungen jedoch mit steigendem Status der Ehepartner seltener.
Eheschließungen und Scheidungen im 20. Jahrhundert
„Wie alle sozio-demographischen Variablen unterliegen auch das Heiratsalter und die Verheiratetenquote dem sozialgeschichtlichen Wandel bzw. sie sind selbst ein wichtiger Indikator für diesen Wandel.
1910 betrug das durchschnittliche Heiratsalter bei Erstheirat 27,4 (Männer) und 24,8 (Frauen) Jahre. 1970 war es in der früheren Bundesrepublik auf 25,6 bzw. 23,0 Jahre gesunken. In der DDR wurde deutlich früher geheiratet: 1970 mit 24,0 Jahren bei Männern und 21,9 Jahren bei Frauen.
Seither gab es wieder einen Anstieg des Erstheiratsalters: 1995 lag es im früheren Bundesgebiet bei 29,9 bzw. 27,5 Jahren und in den Neuen Bundesländern bei 28,5 bzw. 26,4 Jahren. Der Anstieg ist v. a. auf die nicht-ehelichen Lebensgemeinschaften und eine andere Lebensplanung im dritten Lebensjahrzehnt (der Postadoleszenz) zurückzuführen. (...)
Rückläufig ist (...) die Verheiratetenquote, d. h. der Prozentanteil Verheirateter an der jeweiligen Altersgruppe. Von den Männern waren in der Altersgruppe der 30-45-Jährigen 1960 85,7 % verheiratet, von den Frauen 84,7 % (Westdeutschland). 1995 war der Anteil in Gesamtdeutschland auf 65,9 bzw. 74,4 % gesunken. (...)
Ein Indikator der Familien- und Gesellschaftsstruktur bereitet der Analyse wie der familien- und gesellschaftspolitischen Einschätzung einige Schwierigkeiten: die Scheidungsquote (Anteil der Scheidungen in einem Zeitraum bezogen auf eine Grundgesamtheit, z. B. Scheidungen pro Jahr auf 10.000 Ehen).
Die Scheidungsquoten unterliegen sehr stark dem sozialen Wandel (...). 1890 betrug die Scheidungsquote (Scheidungen auf 10 Tsd. Ehen) 7,4, 1910 15,2, 1950 67,5 und 1980 61,3 (die Zahlen sind auf das frühere Bundesgebiet bezogen). Der ‚Einbruch‘ der Scheidungsquoten in den neuen Bundesländern 1991 ist zum einen auf die Umstellung des Scheidungsrechts zurückzuführen (das in der DDR nicht mit vergleichbaren ökonomischen Folgen für die Ehepartner verbunden war, vor allem wegen der größeren ökonomischen und sozialrechtlichen Stellung der Frau), zum andern auf Suche nach Stabilität.
Die mit Abstand höchsten Scheidungsquoten finden sich nach vier bis einschließlich sieben Ehejahren; danach gibt es ein langsames, nach dem 9. Ehejahr ein deutlicheres Abflauen der Scheidungsquote.“
(Schäfers, Bernhard 2002: Sozialstruktur und sozialer Wandel in Deutschland, 7. Auflage, Stuttgart: Lucius und Lucius, S. 143ff.)
Der Zusammenhang zwischen dem Heiratsverhalten und sozialer Ungleichheit
„Die Einflüsse ungleicher Lebensbedingungen und damit mehr oder weniger eng zusammenhängender Werthaltungen zeigen sich bereits bei der Eheschließung. Zwar unterscheidet sich die Heiratshäufigkeit in verschiedenen Bevölkerungsgruppen kaum. Personen mit hohem Ausbildungsstand sind jedoch seltener verheiratet als solche mit geringerer Bildung. Dies gilt für Männer erst seit kurzem, für Frauen schon seit längerer Zeit. Frauen heiraten seltener, weil sie befürchten müssen, dass eine Heirat und vor allem die Gründung einer Familie sie daran hindern werden, ihre hohe Qualifikation im Berufsleben entsprechend zu ‚verwerten‘.
Hochqualifizierte Frauen und Männer heiraten im Allgemeinen auch später als geringer qualifizierte. Denn lange Bildungs- und Ausbildungsphasen ermöglichen erst in höherem Lebensalter materielle Sicherheit und führen so zu einem höheren Heiratsalter.
Die meisten Ehen werden zwischen Angehörigen gleicher (Bildungs- und Einkommens-)Schichten geschlossen. Diese so genannte Schichtungs-Homogamie ist keineswegs, wie man meinen könnte, im Abnehmen begriffen, sondern trat im Gegenteil in den vergangenen Jahrzehnten immer deutlicher hervor: So zeigte sich Anfang der 90er Jahre, dass die Schichtzugehörigkeit von Partnern der jüngeren Altersgruppe (zwischen 1958 und 1967 Geborene) stärker übereinstimmt als in der älteren Gruppe der zwischen 1933 und 1942 Geborenen.
Von den an- und ungelernten Arbeitern der jüngeren Altersgruppe haben ca. 53 % einen Partner aus diesen beiden unteren Schichtungsgruppen, von der ältesten Gruppe nur ca. 50 %. Die romantische Annahme, Liebe sei an ‚Standesgrenzen‘ nicht gebunden und Aufstieg per Heirat stelle besonders für Frauen eine durchaus realistische Chance dar, orientiert sich also an der Ausnahme und nicht an der Regel.
‚Gleich und gleich gesellt sich gern‘, sagt der Volksmund. Die Ursachen dafür, dass dies insbesondere für das Heiraten von Bildungsgleichen gilt, sind unter anderem in der Bildungsexpansion zu finden. In den 50er und 60er Jahren, als Frauen noch wesentlich seltener als Männer höhere Bildungsabschlüsse erreichten, blieb Männern schon aus Gründen der Häufigkeit nichts anderes übrig, als sich mit Frauen geringerer Bildung (und damit häufig auch geringerer beruflicher Stellung und Einkommensstufe) zusammenzufinden. Dies ist heute nicht mehr der Fall.
Seit den 80er Jahren sind Frauen auch in Einrichtungen weiterführender Bildung wenigstens so häufig vertreten wie Männer. Dadurch sprechen heute bereits die Häufigkeits-, Gelegenheits- und Begegnungsstrukturen in Schule, Beruf etc. dafür, einen Partner von gleichem Bildungsstatus zu finden. (...)
Ähnlich wie bei der Schließung von Ehen zeigen sich auch bei Ehescheidungen gewisse Einflüsse ungleicher Lebensbedingungen. Anders als bestimmte Bereiche von Prominentenscheidungen in Massenmedien vermuten lassen, werden mit steigendem Status der Ehepartner Scheidungen seltener und nicht häufiger. Die höheren Alttagsbelastungen in den unteren Schichten tragen zum Zerbrechen von Beziehungen bei. Allerdings sollte man diese Tendenzen nicht überbewerten. Andere Faktoren haben einen größeren Einfluss als ungleiche Lebensbedingungen: Kinderlose und in Städten lebende Eheleute, sowie berufstätige Frauen werden wesentlich häufiger geschieden als kinderreiche und auf dem Land lebende Ehepartner sowie Hausfrauen.“
(Hradil, Stefan 2001: Soziale Ungleichheit in Deutschland, 8. Auflage, Opladen: Leske und Budrich, S. 444f.)
Literatur und Links
Links zum Thema Lebensformen und Haushalte
Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung
Das BiB bietet zahlreiche Informationen speziell zu den demographischen Aspekten von Haushalten und Lebensformen.
Deutsches Jugendinstitut München
Das DJI ist ein außeruniversitäres Forschungsinstitut und beschäftigt sich neben dem Schwerpunktthema Jugend auch stark mit den Lebensverhältnissen von Familien.
Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Das Familienministerium bietet auf seiner Homepage Publikationen, Gesetzestexte und vieles mehr zum Thema Familienpolitik an.
ifb - Staatsinstitut für Familienforschung an der Universität Bamberg
Das ifb unter Leitung von Laszlo A. Vaskovics (2014: Prof. Dr. Henriette Engelhardt-Wölfler) stellt seine Mitarbeiter sowie deren Publikationen und Forschungsprojekte vor.
Statistisches Bundesamt Wiesbaden
Im Bereich „Bevölkerung“ werden auch Daten zu Haushalten und Familien bereit gestellt.
Downloadbare Dokumente
Brüderl, Josef et al. 1999: Premarital cohabitation and Marital Stability in West Germany. pdf-Datei, 113kb
Deutsche Bundestag, Enquete-Kommission Demographischer Wandel 2002: Schlussbericht der Enquete-Kommission „Demographischer Wandel - Herausforderungen unserer älter werdenden Gesellschaft an den Einzelnen und die Politik“. pdf-Datei, 2094kb
Küpper, Beate 2000: Sind Singles anders als die anderen? Ein Vergleich von Singles und Paaren, Bochum: Ruhr-Universität (Dissertation). pdf-Datei, 959kb
Schaeffer-Hegel, Barbara 2002: Zukunftsfaktor Kinder. In: Aus Politik und Zeitgeschichte B 22/23, S. 3-6. Online-Version
Schulze-Buschoff, Karin 2000: Über den Wandel der Normalität im Erwerbs- und Familienleben. Vom Normalarbeitsverhältnis und der Normalfamilie zur Flexibilisierung und zu neuen Lebensformen, Berlin: Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung. pdf-Datei, 377kb
Statistisches Bundesamt 2002a: Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland 2002, Stuttgart: Metzler-Poeschel. pdf-Datei, 535kb
Statistisches Bundesamt 2002b: Datenreport 2002, Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung. pdf-Datei, 529 kb
Statistisches Bundesamt 2001: Leben und Arbeiten in Deutschland. Ergebnisse des Mikrozensus 2000, Wiesbaden: Statistisches Bundesamt. Download: pdf-Datei, 3275kb
Szydlik, Marc 2002: Familie-Lebenslauf-Ungleichheit. In: Aus Politik und Zeitgeschichte B 22-23, S. 7-9. Online-Version
Aktuelle Literatur zu Haushalten und Lebensformen
Anmerkung zur Literaturauswahl: Diese Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Ihr Ziel ist es, Anhaltspunkte zu liefern sowohl zur Vertiefung der von uns angebotenen Informationen als auch zur Ausweitung des Blickfeldes auf Aspekte, die in unserem Angebot nur am Rande behandelt werden. Dabei wurde ein besonderes Augenmerk auf die Aktualität der Literaturhinweise gelegt. Von diesen ausgehend lassen sich im „Schneeballverfahren“ problemlos weitere Quellen erschließen.
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Andreß, Hans-Jürgen / Güllner, Miriam 2001: Scheidung als Armutsrisiko. In: Barlösius, Eva / Ludwig-Mayerhofer, Wolfgang (Hrsg.): Die Armut der Gesellschaft, Opladen: Leske und Budrich, S. 169-197.
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