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Zuwanderer auf dem Land - Neue Formen der Zuwanderung

Artikel vom 20.04.2007

Flüchtlinge und Vertriebene aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten, ausländische Gastarbeiter, die nunmehr Einwanderer geworden sind, Asylsuchende und Flüchtlinge aus weltweiten Krisenregionen sowie (Spät-)Aussiedler aus den ehemaligen Ostblockstaaten sind die wichtigsten Zuwanderergruppen in Deutschland.

Flüchtlinge und Vertriebene

12,5 Mio. Flüchtlinge und Vertriebene aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten wurden in Folge des 2. Weltkriegs in den letzten Kriegsmonaten und den Nachkriegsjahren vor allem im ländlichen Raum angesiedelt. In vielen Dörfern wuchs die Einwohnerzahl in dieser Zeit sprunghaft um 25, 30 oder mehr Prozent an.

Die schlichte Architektur der Siedlungshäuser am (ehemaligen) Ortsrand und die Zunahme von Aussiedlerhöfen macht die durch die Ansiedlung der Flüchtlinge erfolgten baulichen Erweiterungen noch heute sichtbar.

Die Bedingungen zur Integration der Flüchtlinge in der Nachkriegszeit waren vergleichsweise gut. Trotz aufkeimenden Sozialneids wegen Ausgleichszahlungen an Flüchtlinge, trotz konfessioneller Unterschiede und trotz divergierender Sprache, Sozialisation und Sitten konnten die Ost-Flüchtlinge relativ schnell in der „neuen Heimat“ Fuß fassen. Die wirtschaftlichen Verhältnisse erlaubten es, schnell Arbeit zu finden oder sich selbstständig zu machen und damit ein eigenes Einkommen und Auskommen vorzuweisen - das zentrale Argument, um die Anerkennung der Mehrheitsgesellschaft im ländlichen Raum zu erhalten.

In der dörflichen Sozialstruktur befanden sich die Flüchtlinge dennoch nur am Fuß der sozialen Leiter. Micksch und Schwier (2001) beschreiben die Situation treffend: „Für die Integration der Flüchtlinge galt: Diese hatten sich zu assimilieren oder sie wurden ausgegrenzt. So kam es auch zur Abwanderung der Flüchtlinge aus den zugewiesenen Orten. In der Hierarchie des Dorfes mussten sie sich von unten herauf arbeiten. Es gibt nur wenige Orte, in denen es Flüchtlingen gelang, Hierarchiestufen zu überspringen. Zum Beispiel war der Aufstieg bis zum Amt des Bürgermeisters selten zu finden.“

Ausländer

Von den 1950er Jahren bis in die 1970er Jahre bestand in der Bundesrepublik ein großer Nachfrageüberhang nach Arbeitskräften - zunächst in der Landwirtschaft, dann aber vor allem in der Industrie. Dieser wurde durch die Anwerbung von Gastarbeitern aus Italien, Spanien, Portugal, Jugoslawien und der Türkei etc. gedeckt. Hauptwanderungsziele der Gastarbeiter waren vor allem die großen Industriestandorte, aber auch klein- und mittelständische Industrien im ländlich strukturierten Raum.

Zunächst lebten die ausländischen Arbeitskräfte segregiert in Barackenunterkünften oder in Arbeiterwohnheimen großer Unternehmen. Erst als sich abzeichnete, dass der Aufenthalt in Deutschland längerfristig bzw. dauerhaft sein würde, begannen die Gastarbeiter preisgünstige Wohnungen anzumieten, in denen sie auch mit Frau und Kindern leben konnten. Sofern die Rückkehrorientierung immer noch vorhanden war - und sei es nur, um den Lebensabend in der „alten Heimat“ zu verbringen, - wurde Geld für diesen Zweck gespart. Die Wohnkosten im Aufnahmeland wurden gering gehalten, was nur einen niedrigen Wohnstandard erlaubte.

Von der Zuwanderung der Gastarbeiter im ländlichen Raum waren im Wesentlichen nur die Klein- und Mittelstädte betroffen. Dort wurden auch bald erste Geschäfte zur Versorgung der ausländischen Zuwanderer mit Gütern des täglichen Bedarfs aus dem Herkunftsland und ethnische Vereine gegründet. Neben Kontakten am Arbeitsplatz schufen diese Einrichtungen erste Berührungspunkte zwischen Einheimischen und Zuwanderern in der Öffentlichkeit.

Dörfer wurden erst wieder in den 1980er und 90er Jahren, als die Zahlen der Asylbewerber und Aussiedler stiegen, mit dem Thema der Zuwanderung und Integration fremder Kulturen konfrontiert.

Jüngster Trend: Ausländer aus Großstädten ziehen in Kleinstädte des ländlichen Raums

Als jüngsten Trend der Zuwanderung von Ausländern in den ländlichen Raum beschreibt Boos-Krüger (2005) die Wanderung aus benachteiligten Großstadtquartieren in die Zentren kleiner Städte im Umland. Die ältere, häufig leer gefallene Bausubstanz dort, die nicht selten kleine Ladenlokale mit Wohnraum verbindet, weist meist einen geringen Wohnstandard und noch geringere Wohnumfeldqualitäten auf. Für jüngere einheimische Familien ist sie deshalb als Wohnstandort unattraktiv.

Für Spangenberg, rund 30 km südlich von Kassel gelegen und etwa ebenso weit von der ehemaligen innerdeutschen Grenze entfernt, das mit eingemeindeten Ortsteilen rd. 6.800 Einwohner umfasst, beobachtet Boos-Krüger folgenden Prozess: „Die kommunalen Vertreter beschreiben eine zunehmende Konzentration der Zuwanderer im unmittelbaren Stadtkern seit rund 15 Jahren. Stadtentwicklungspolitisch habe man die städtebauliche Entwicklung zunächst in den 80er-Jahren mit der Dorferneuerung unterstützt, in den 90er-Jahren mit der einfachen Stadterneuerung, seit 2001 wird Spangenberg mit seinem Innenstadtgebiet im Bund-Länder-Programm ‚Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf – die Soziale Stadt‘ gefördert. [...] 20 Häuser, ausschließlich Fachwerkhäuser, gehören im Kerngebiet ausländischen Familien, davon 18 türkischer Herkunft. Weitere acht Häuser werden von ausländischen Familien gemietet und gelten in der Wahrnehmung der Mehrheitsbevölkerung teilweise als soziale Brennpunkte.“ Und weiter: „Aus Gesprächen mit Bürgern der türkischen Community in Spangenberg wisse man, dass ihre Motivation und Entscheidung, nach Spangenberg zu ziehen, auch ein Flucht aus Großstadtquartieren mit spezifischen Isolationserscheinungen in der eigenen Ethnizität sei. Man habe sich von dort weg bewegt, um gerade den Kindern die Möglichkeiten zu bieten, sich in einem kleinstädtischen Rahmen zu integrieren, geschützter aufzuwachsen, der sozialen Erosion in den stark ‚überfremdeten Großstadtquartieren‘ oder der eigenen Familienclans zu entkommen. Man wollte nicht in Großstadtghettos leben und suchte durchaus die soziale Überschaubarkeit der Kleinstadt.“

Asylsuchende und Flüchtlinge

Im Lauf der 1980er Jahre stiegen die Zahlen der Asylsuchenden in Deutschland massiv an; von 108.000 in 1980 auf 438.000 in 1992, um nach dem sogenannten Asylkompromiss rapide zurück zu gehen.

Vergleichbar den Aussiedlern und jüdischen Zuwanderern werden Asylbewerber nach festgelegten Aufnahmequoten auf die Bundesländer verteilt. Für diese Gruppen eingerichtete Gemeinschaftsunterkünfte finden sich vermehrt im ländlichen Raum, so dass dieser in überproportionalem Maß neue Bewohnergruppen aufzunehmen hatte.

Wegen überfüllter Aufnahmelager wurden Anfang der 90er Jahre zusätzliche Unterkünfte benötigt. Deren Belegung erfolgte für die betroffenen Gemeinden zumeist sehr rasch und ohne längere Ankündigung. Dazu handelte es sich häufig um Unterkünfte an stigmatisierten Orten: leer stehende Kasernen oder Krankenhäuser, herunter gekommene Hotels oder ehemalige Bordelle. Privatbesitzer dieser Unterkünfte tätigten keinerlei Investitionen, Überbelegungen waren häufig. Die für die Versorgung der Asylbewerber und Flüchtlinge in den Unterkünften notwendigen Arbeitskräfte wurden von den Betreibern häufig mitgebracht; es entstanden also keine Arbeitsplätze für die ansässige Bevölkerung. So entwickelten sich vollkommen segregierte Wohnsituationen ohne jegliche Art von Kontakten. Die Unterbringung auf dem Land ging außerdem mit weitgehender Immobilität der Unterkunftsbewohner einher. Die Entstehung von Gerüchten und Konflikten war aufgrund des politisch unsensiblen Handelns, das die ländlichen Gemeinden und ihre Bewohner kaum einbezog, vorprogrammiert.

Gute und schlechte Beispiele der Asylbewerberunterbringung

Micksch und Schwier (2001) berichten von zwei unterschiedlichen Beispielen der Unterbringung:
„In der ehemaligen Kaserne in Herborn-Seelbach wurden etwa 400 Asylsuchende untergebracht. Der Betreiber hatte Wachpersonal aus den neuen Bundesländern eingestellt, die mit Asylsuchenden überhaupt keine Erfahrungen hatten. Sie liefen mit ihren Waffen auf dem Gelände herum und die Kaserne erinnerte stärker an ein Gefängnis als an eine Unterkunft für Menschen, die vor Verfolgung Schutz suchten. ‚Es grenzt an ein Wunder, dass damals nichts passiert ist. Die Situation war von beiden Seiten stark aufgeladen.‘ Das erzählte ein Mitglied des Ausländerbeirats, der sich damals um die Betreuung der Asylsuchenden bemühte. [...] Solche Probleme und Konflikte waren vermeidbar. So hatte zum Beispiel in Zeppelinheim der Betreiber einer Unterkunft eine deutlich andere Einstellung. Für ihn stand nicht der Gewinn im Vordergrund, sondern eine menschliche Aufnahme der Asylsuchenden. Es wurden zwei Sozialarbeiterinnen eingestellt, die eine Betreuung der Asylsuchenden übernahmen. Im Sekretariat wurde eine Frau aus dem Ort angestellt, die Verbindung zwischen dem Ort und den Asylsuchenden herstellen konnte. Wenn Gerüchte im Umlauf kamen über Diebstähle oder andere Vorkommnisse in der Unterkunft, war es durch diese Sekretärin möglich, diese richtig zu stellen und zu korrigieren. [...]“

(Spät-)Aussiedler

Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks und der Öffnung nach Westen nutzten viele deutschstämmige Familien die Chance zur Übersiedlung in die Bundesrepublik. Auf gut 3 Mio. beläuft sich mittlerweile die Zahl der seit 1988 eingewanderten Aussiedler und Spätaussiedler, wie die Bezeichnung für ab 1993 Eingewanderte lautet.

Während zum Beispiel die Aussiedler aus Polen in den 1980er Jahren hauptsächlich in die großstädtischen Räume Westdeutschlands zogen, orientierten sich die Russlanddeutschen - in den 90er Jahren verstärkt - nach Auslaufen ihrer Wohnortzuweisung auf die ländlicheren Räume. Ihre deutliche Präferenz für die fußläufige Wohnortnähe zu Verwandten und Bekannten führte zu einer konzentrierten Ansiedlung von Aussiedlern sowohl im Mietwohnungs- als auch im Eigenheimsektor, der anfänglich sehr großzügig, zum Beispiel mit zinslosen Krediten, gefördert wurde.

Mittlerweile sind die staatlichen Vergünstigungen für Spätaussiedler stark zurückgefahren worden. Dennoch ist die Tendenz zum Erwerb von Wohneigentum unter Aussiedlern ungebrochen hoch und liegt deutlich über den Zahlen für Eigentumserwerb bei anderen Zuwanderergruppen. Nach Roesler (2003) lebten 2002 beispielsweise im Landkreis Cloppenburg 36,6 % der Spätaussiedler im Eigenheim. Nach dem Wegfall der Förderungen ist auch die Zahl der Spätaussiedler, die in öffentlich geförderten Wohnungen leben, gestiegen.

Literatur

Agrarsoziale Gesellschaft e.V. (Hrsg.): Wege zur sozialen Integration der Zufluchtsuchenden in ländlichen Räumen. Göttingen 1994

Albert, Martin: Leben in der Fremde - Gemeinwesenorientierte Arbeit mit Flüchtlingen. In: Kirche im ländlichen Raum 4/2001. S. 12-16

Baradaran, Javad: ASG-Modellprojekt: Wege zur Integration von Ausländer/-innen in den ländlichen Räumen. In: Kirche im ländlichen Raum 2/1993. S. 56-63

Boos-Krüger, Annegret: Sozialräumliche Integration von Zuwanderern in Klein- und Mittelstädten des ländlichen Raumes. Annäherung an ein neues Forschungsgebiet. In: Schader-Stiftung, Deutscher Städtetag, GdW Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen, Deutsches Institut für Urbanistik, Institut für Wohnungswesen, Immobilienwirtschaft und Stadt- und Regionalentwicklung GmbH an der Ruhr-Universtität Bochum (Hrsg.): Zuwanderer in der Stadt. Expertisen zum Projekt. Darmstadt 2005. S.407-444

Geißler, Rainer: Die Sozialstruktur Deutschlands. Die gesellschaftliche Entwicklung vor und nach der Vereinigung. 3. Aufl. 2002. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag

Micksch, Jürgen/Schwier, Anja: Fremde auf dem Lande. 2. Aufl. 2001. Frankfurt a.M.: Otto Lembeck

Roesler, Karsten: Russlanddeutsche Identitäten zwischen Herkunft und Ankunft: Eine Studie zur Förderungs- und Integrationspolitik des Bundes. Frankfurt a.M. 2003: Peter Lang

Straeter, Beate: Kirchenasyl auf dem Land. In: Kirche im ländlichen Raum 1/2004. S. 48-50

Worbs, Susanne/Sinn, Annette/Roesler, Karsten/Schmidt, Hans-Jürgen: Räumliche Verteilung und Wohnsituation von Zuwanderern in Deutschland. In: Schader-Stiftung, Deutscher Städtetag, GdW Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen, Deutsches Institut für Urbanistik, Institut für Wohnungswesen, Immobilienwirtschaft und Stadt- und Regionalentwicklung GmbH an der Ruhr-Universtität Bochum (Hrsg.): Zuwanderer in der Stadt. Expertisen zum Projekt. Darmstadt 2005. S.13-72

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