Zuwanderer im ländlichen Raum – Besonderheiten und Erfolgsfaktoren kommunaler Integrationspolitik
Artikel vom 02.08.2012
Kommunale Integrationspolitik gewinnt auch im ländlichen Raum zunehmend an Bedeutung. Dies liegt zum einen an dem seit einigen Jahren intensiv geführten nationalen Diskurs, zum anderen aber auch an konkreten Problemlagen und vor allem der demografischen Entwicklung. Mit der Etablierung einer kommunalen Integrationspolitik und der Verankerung in den Verwaltungsstrukturen stehen kleine Städte und Gemeinden in der Regel noch am Anfang. Von Gudrun Kirchhoff
Zuwanderung im ländlichen Raum
Die etwa 15,7 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland sind räumlich sehr unterschiedlich verteilt. So leben rund 96 Prozent der Bevölkerung mit Migrationshintergrund in den westlichen Bundesländern und in Berlin.
Nach Raumtypen differenziert liegt der Anteil der Personen mit Migrationshintergrund in Agglomerationsräumen bei rund 23 Prozent (Ausländer 11,3 %), während er in ländlichen Räumen rund 11 Prozent beträgt (Ausländer 4,3 %). Mit der Stadtgröße steigt der Anteil der Personen mit Migrationshintergrund. In Städten unter 20.000 Einwohnern sind es rund 11 Prozent, in Städten zwischen 20.000 und 50.000 Einwohnern bereits fast 20 Prozent und in Großstädten ab 100.000 Einwohnern im Durchschnitt 27 Prozent.
Gastarbeiter und Arbeitsmigranten, (Spät-)Aussiedler und jüdische Kontingentflüchtlinge sowie Asylbewerber stellen auch im ländlichen Raum die zentralen Migrationsgruppen der letzten Jahrzehnte dar. In den meisten Untersuchungskommunen fand Anfang der 1990er Jahre ein starker Zuzug von Aussiedlern insbesondere aus der ehemaligen Sowjetunion statt. In den ländlichen Kreisen bzw. Gemeinden mit geringen sonstigen Zuzugszahlen bilden (Spät-)Aussiedler heute die zahlenmäßig bedeutendste Zuwanderungsgruppe. (Statistisches Bundesamt: Bevölkerung und Erwerbstätigkeit, Bevölkerung mit Migrationshintergrund - Ergebnisse des Mikrozensus 2010, Fachserie 1, Reihe 2.2. Wiesbaden 2011, PDF-Datei)
Keine einheitlichen Integrationsbedingungen
Die Kommunen des ländlichen Raums sind von einer großen Vielfalt und Heterogenität gekennzeichnet, was ihre Größe, Lage und Stellung im politischen Gefüge betrifft. Sie unterscheiden sich zusätzlich stark in ihrer ökonomischen und demografischen Struktur, dem lokalen Arbeitsplatzpotenzial sowie der lokalen Migrations- und Integrationsgeschichte. Wirtschaftlich prosperierende Städte in zentralerer Lage bieten andere Integrationsbedingungen als Gemeinden und Landkreise, die sich vorrangig mit Schrumpfungs- und Peripherisierungsprozessen konfrontiert sehen.
Bei allen Unterschieden stehen Zugewanderte im ländlichen Raum jedoch weitgehend identischen Integrationsanforderungen gegenüber. Sie stoßen in Dörfern und Kleinstädten auf einen häufig von Traditionen und Einzelpersonen geprägten Kontext, der über ein hohes Maß an Öffentlichkeit verfügt. Rückzugsmöglichkeiten in die Anonymität, wie sie in großen Städten vorhanden sind, gibt es kaum. Die Überschaubarkeit des Sozialraums einer Kleinstadt ermöglicht durch die räumliche Nähe persönliche Kontaktfelder zwischen Einheimischen und Zugewanderten, gleichzeitig können durch das sichtbare Aufeinandertreffen unterschiedlicher Ansprüche an den Sozialraum Konfliktfelder entstehen, die die Integration der Zuwanderer in das Gemeinwesen erschweren.
Geringe Ressourcen und weniger ausgeprägte Strukturen kommunaler Integrationspolitik
Mit dem veränderten nationalen Diskurs haben zwischenzeitlich viele Kommunen des ländlichen Raums das Thema „Integrationspolitik“ offensiv aufgegriffen. Jedoch haben insbesondere kleinere Städte und Gemeinden aufgrund der geringen Ressourcenausstattung Schwierigkeiten, nachhaltige Strukturen der kommunalen Integrationsarbeit aufzubauen. Bislang findet sich nur in wenigen Städten und Gemeinden eine strukturelle Verankerung integrationspolitischer Themen zum Beispiel durch Integrationsbeauftragte, -konzepte oder -beiräte. Strukturen der Integrationsarbeit und eine entsprechende Ressourcenausstattung zeigen sich eher auf Landkreisebene. Die Landkreise sind häufig auch Motor für integrationspolitische Initiativen in den kreisangehörigen Gemeinden.
Aktive Landespolitik von großer Bedeutung
Die Ausprägung der kommunalen Integrationspolitik ist stark durch das integrationspolitische Selbstverständnis der übergeordneten staatlichen Ebene beeinflusst. Insbesondere die Länder Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Hessen und Brandenburg unterstützen die kommunale Integrationsarbeit in den Landkreisen initiierend, auch unter Bereitstellung von finanziellen Mitteln und Know-how. Hervorzuheben ist das KOMM-IN-Programm des Landes Nordrhein-Westfalen zur Förderung einer strategischen Ausrichtung der kommunalen Integrationsarbeit.
Probleme der Angebotsdichte und Erreichbarkeit
Eine spezifische Herausforderung besteht aufgrund der geringeren Siedlungsdichte, größeren räumlichen Distanzen und der geringeren Anzahl von Personen mit Migrationshintergrund in der Gewährleistung eines erreichbaren Integrationsangebotes in den Landkreisen. Die fortschreitende Zersiedelung, demografische Schrumpfungsprozesse und eine Konzentration von Arbeitsplätzen und Versorgungseinrichtungen in den Oberzentren führen zu wachsenden Pendeldistanzen. Die gleichzeitige Ausdünnung des öffentlichen Personennahverkehrs im ländlichen Raum trifft alle Personengruppen mit eingeschränkter Mobilität. Dazu gehören oftmals auch die Migrantinnen und Migranten und dabei insbesondere die Frauen.
Zentrale Bedeutung von Zivilgesellschaft und „Schlüsselpersonen“
Eine hohe Bedeutung für die Gewährleistung von Angeboten der Integrationsarbeit im ländlichen Raum haben zivilgesellschaftliche bzw. intermediäre Akteure. Ehrenamtlich Aktive, Wohlfahrtsverbände, Kirchen etc. sind oftmals die alleinigen Träger der örtlichen Integrationsarbeit. Ein besonderes integrationspolitisches Potenzial der Kommunen im ländlichen Raum ist daher in diesen stark bürgerschaftlich getragen Netzwerken zu sehen.
Zudem hat das Handeln von politischen bzw. bürgerschaftlichen „Schlüsselpersonen“, wie zum Beispiel Bürgermeister, Vereinsvorsitzende, lokale Unternehmer, im Sinne von Vorbildfunktionen einen großen Einfluss auf Integrationsprozesse. In den überschaubaren kleinstädtischen Lebenszusammenhängen prägen diese Einzelpersonen mit ihrer Haltung das örtliche Integrationsklima ganz entscheidend. Ihr Eintreten für Toleranz und Anerkennung gegenüber den Zugewanderten kann die kleinstädtische Gesellschaft ebenso positiv prägen, wie ihre unentschiedene oder gar ablehnende Haltung gegenüber „Fremden“ negative Auswirkungen hat.
Andererseits ist die Aufrechterhaltung der lokalen Integrationsarbeit bei gleichzeitiger Abwesenheit institutionalisierter Strukturen vollständig von diesen aktiven Einzelpersonen abhängig. Wechseln die beteiligten Personen ihren Wohnort, gehen sie in Rente oder können aufgrund des Ablaufs von Projektförderungen ihre Arbeit im Bereich der Integration nicht mehr ausüben, zerfallen die oben genannten Netzwerke rasch.
Landkreise haben wichtige Vernetzungsaufgabe
Umso wichtiger erscheint die Bündelung von Know-How und Unterstützungsangeboten für die Städte und Gemeinden auf Landkreisebene, zumal viele der integrationspolitisch relevanten Akteure (Wohlfahrtsverbände, Arbeitsagenturen, private Bildungsträger etc.) landkreisweit aktiv sind. Die regionale Vernetzung der Aktivitäten und Angebote von Akteuren ist daher im ländlichen Raum ein entscheidender Erfolgsfaktor. Die Landkreise könnten darüber hinaus Hilfestellung geben bei der Beantragung von Projekten, könnten Qualifikationsangebote für die Akteure der Integrationsarbeit bereithalten und die Kommunen bei der interkulturellen Öffnung ihrer Institutionen beraten und begleiten.
Integrationspolitik als Antwort auf den demografischen Wandel
Eine aktive Integrationspolitik erreicht in vielen ländlichen Gebieten durch den demografischen Wandel, die Schrumpfung der Bevölkerung und den sich abzeichnenden Fachkräftemangel eine größere Aufmerksamkeit und führt zu Öffnungsprozessen gegenüber Migrantinnen und Migranten. Die Kommunen erkennen, dass die Funktionsfähigkeit des städtischen Gemeinwesens und der örtlichen Infrastruktur vom Zuzug neuer Personen und von der Aktivierung bislang ungenutzter Potenziale abhängt. Das gilt sowohl für den örtlichen Arbeitsmarkt als auch für viele ehrenamtliche Strukturen wie Kirchengemeinden, freiwillige Feuerwehren und Vereine.
Integration als Teil einer kommunalen Entwicklungsstrategie
Für die Sicherung der Zukunftsfähigkeit der Kommunen im ländlichen Raum ist die Etablierung eines Klimas der Offenheit und Toleranz von zentraler Bedeutung. Eine offensive Anerkennungs- und Willkommenskultur für Migrantinnen und Migranten sollte zu einem festen und integralen Bestandteil einer kommunalen Entwicklungsstrategie werden.
Wichtig ist, dass die Stadtspitze das Thema „Integration“ als strategisches kommunalpolitisches Zukunftsthema erkennt und aufgreift. So sollte der Gemeinderat integrationspolitische Leitlinien verabschieden oder besser noch als Teil einer kommunalen Entwicklungsstrategie (zum Beispiel im Rahmen eines Stadtentwicklungskonzeptes) beschließen. Dabei sollte diesen Beschlüssen ein breiter gesellschaftlicher Dialog vorausgehen und vorhandene Organisationen und aktive Einzelpersonen als Dialogpartner in Strategieentwicklungen und Projektkonzeptionen einbezogen werden.
Zentral ist auch die Schaffung integrationspolitischer Strukturen innerhalb der Kommunalverwaltung. Dazu zählt u.a. die Installierung eines Integrationsbeauftragten als Ansprechpartner innerhalb der Verwaltung und als Koordinator zur Vernetzung der bürgerschaftlich Aktiven und intermediären Institutionen im Bereich der Integrationsarbeit. Voraussetzung für den Erfolg der Koordinationsarbeit ist der unmittelbare Zugang zur Verwaltungsspitze und Anhörungsrechte in den kommunalpolitischen Gremien.
Die Autorin: Gudrun Kirchhoff ist Diplom-Soziologin und seit 2006 Wissenschaftliche Referentin der Schader-Stiftung.