Zur Notwendigkeit der 3D-Digitalisierung
Artikel vom 06.06.2019
Bisher war die 3D-Digitalisierung auf einzelne Initiativen und Vorzeigeprojekte beschränkt. Es bedarf jedoch eines großflächigen Infrastrukturausbaus und einer dementsprechenden Finanzierung, um Sammlungen nachhaltig für die Gesellschaft zur Verfügung zu stellen. Von Dieter W. Fellner, Constanze Fuhrmann und Pedro Santos
Neue Einsatzbereiche digitaler Bewahrung
Wie vergänglich historisches Kulturgut sein kann, haben Natur- und vom Menschen herbeigeführte Katastrophen in der Vergangenheit gezeigt. Ereignisse wie der Großbrand im Nationalmuseum in Rio de Janeiro, der binnen Stunden die älteste Forschungsstätte Brasiliens vernichtete und mehr als 90% der über 20 Millionen Artefakte zerstörte, der Einsturz des Historischen Archivs der Stadt Köln oder die absichtliche Zerstörung der UNESCO-Welterbestätte Palmyra verdeutlichen die Notwendigkeit einer nachhaltigen Form der Dokumentation von unwiederbringlichen Kulturschätzen. Aber auch die Tatsache, dass ein Großteil von Artefakten in Sammlungseinrichtungen nicht öffentlich zugänglich ist, zeigt den Bedarf nach einer digitalen Erfassung, die einen uneingeschränkten Zugang zu Inhalten und Forschungsergebnissen eröffnet.
Seit mehr als einem Jahrzehnt gibt es daher umfangreiche Maßnahmen, die digitale Verarbeitung und Visualisierung von Sammlungsbeständen voranzutreiben. So sind die Mitgliedstaaten nach Empfehlungen der Europäischen Kommission im Rahmen der Digitalen Agenda aufgefordert, ihre Anstrengungen zur Digitalisierung, Online-Verfügbarkeit und digitalen Erhaltung von historischem Material in Europa voranzutreiben.1 Auch die Reflexionsgruppe zur „Digitalisierung des kulturellen Erbes in Europa“ sieht in dem Prozess aufgrund des wirtschaftlichen Potenzials eine „neue Renaissance“ durch Zusammenführung von Beständen im Netz.2
Vor diesem Hintergrund wird im Archiv- und Bibliotheksbereich die Digitalisierung von zweidimensionalem Sammlungsgut schon seit langem vorangetrieben. Der wesentliche Fokus liegt in erster Linie auf der digitalen Erschließung von Büchern oder digitally- born collections wie Filme, Fotos und Tonaufnahmen. Initiativen wie das Google Books Library Project, das sich auf das Scannen von Millionen von Büchern konzentriert, oder die Deutsche Digitale Bibliothek, die über 30.000 Kultur- und Wissenschaftseinrichtungen über ein nationales Zugangsportal vernetzen soll, sind umfassende Anstrengungen in Richtung Massendigitalisierung und setzen den Standard für einen digitalen Zugang für den Endverbraucher.3
In den vergangenen Jahren hat die Digitalisierung auch die Kultureinrichtungen erfasst. Mit dem zunehmenden Forschungsinteresse der Geisteswissenschaften an der Anwendung von computergestützten Verfahren (Stichwort Digital Humanities) haben digitale Technologien Einzug in die Arbeitsweise der Museen erhalten. Als ein Motivator kann das Flagship-Projekt Europeana gesehen werden, das seit dem Start in 2008 als kulturelles Innovationsprojekt von der Europäischen Kommission ausgebaut wird.4 Die Online-Plattform dient dem digitalen Zugang, der Sichtbarkeit und der Nutzung des europäischen Kulturerbes von 27 EU-Mitgliedstaaten, das dort zentral und kostenfrei für alle Menschen zugänglich gemacht werden soll. Die Anzahl der beteiligten Kulturorganisationen wächst beständig und in Entsprechung der Zielsetzung verzeichnet Europeana bereits über 50 Millionen digitalisierte Artefakte.
Chancen der Digitalisierung in 3D
Mit der Digitalisierung nimmt auch der Trend zur digitalen Aufbereitung in 3D zu, die für die geisteswissenschaftliche Erforschung von historischen Artefakten als eine große Chance gesehen werden kann. Durch neue Nutzungspotenziale, Dienstleistungen und Geschäftsmodelle trägt sie zur Wertschöpfung in Gesellschaft und Wirtschaft bei und ist damit ein Thema von hoher gesellschaftlicher Relevanz. Den Mehrwert für die digitale Aufbereitung erkennend, nutzen immer mehr Museen die Gelegenheit, ihre Objekte mittels 3D-Scan einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Ausgewählte Beispiele hierfür sind das Britische Museum, das erstmals 2014 seine eigene Sammlung von 3D-Modellen auf der Plattform „Sketchfab“ veröffentlichte, oder das Smithsonian, das als größter Museumskomplex der Welt schon lange die Möglichkeiten der 3D-Dokumentation erkannt hat und insgesamt 137 Millionen Objekte digitalisieren möchte.
Bedeutsame Kunstwerke, die durch Umwelteinflüsse und Katastrophen gefährdet sind, können in ihrem aktuellen Erhaltungszustand gesichert und damit weltweit für die Öffentlichkeit erschlossen werden. Bei einem Verlust des Originals sind durch die fotorealistischen 3D-Modelle noch Abbild und Form verfügbar und der Kontext für Wissenschaftler und Interessierte begreifbar. Mithilfe dieser digitalen „3D-Konservierung“ bleiben auf diese Weise Objekte für künftige Generationen erhalten.
3D erzeugt aber auch Reproduktionen von Kunstwerken in hoher Qualität, um diese über Online-Kataloge für eine breite Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Daraus resultiert eine neue Form der Transparenz von Beständen, die Sammlungseinrichtungen durch die Online-Verfügbarkeit ihrer Objekte erreichen können. Neben der Präsentation im Internet erlauben 3D-Modelle, Museumsobjekte digital in den Ausstellungskontext einzubetten und für Vermittlungszwecke interaktiv aufzubereiten. Ästhetisch überzeugende Surrogate ermöglichen eine Auseinandersetzung mit historischen Objekten, sei es auf Fachebene für die Kunstgeschichte oder Restaurierung oder auf Vermittlungsebene für die allgemeine Öffentlichkeit. Dies gilt insbesondere für fragile oder unzugängliche Objekte, die aus sicherheits- oder konservatorischen Gründen nicht oder nur bedingt ausgestellt werden können. Insbesondere empfindliche und in ihrem Erhaltungszustand gefährdete Artefakte, aber auch für den Transport oder Verleih zu kostbare Sammlungsstücke bieten sich für die Erstellung von originalgetreuen und hochpräzisen Digitalisaten an. Eine Replik, sei es als digitales 3D-Modell oder als aus 3D-Datensätzen geschaffenes Druckmodell, kann in dem Fall Ausstellungs- oder Leihobjekte ersetzen sowie Schäden oder Versicherungskosten verhindern.
Ebenso liefern 3D-Technologien einen signifikanten Mehrwert für die Wissenschaft. Als ein detailliertes und interaktives Darstellungsmittel dienen generierte 3D-Modelle der geistes- und naturwissenschaftlichen Forschung, indem es neue Perspektiven aufzeigt und die Untersuchung von Exponaten ohne physische Handhabung erlaubt. Das Medium ermöglicht eine beispiellose Nahsicht und enthält wertvolle räumliche Informationen, die für Forschungsfragen und deren wissenschaftliche Auswertung angewendet werden können. Dies gilt für die Archäologie und Biodiversitätsforschung, indem Fragmente komplexer Funde virtuell zugeordnet oder am 3D-Modell analysiert werden können, aber auch für die Bauforschung, bei der Bauwerke samt ihren unterschiedlichen Zeitschichten mit Hilfe von 3D dokumentiert und analysiert werden. Ebenso kann ein 3D-Modell Schadensbilder oder Verschleißstellen am Objekt präzise sichtbar machen und dadurch erforderliche Restaurierungsmaßnahmen unterstützen (siehe Abbildung oben und in der Bildergalerie: „Kaiser Pupenius“).
Auch können Sammlungsobjekte, von denen nur ein Bruchteil in Museen ausgestellt werden kann und die somit im Verborgenen der Archive bleiben, über Online-Kataloge weltweit mit Kontextinformationen für die Forschung zugänglich gemacht werden. Neben dem Aspekt der Langzeitarchivierung ist ein weiterer Vorteil der 3D-Technologie die Nutzung virtueller Reproduktionen in Hybrid-Ausstellungen, wodurch das Besuchererlebnis hinsichtlich der Interaktion und Realitätsgenauigkeit vollkommen neu definiert wird (dazu Abb. ganz oben und in der Bildergalerie: „Virtuelle farbige Rekonstruktion“: Das Fraunhofer Institut für Graphische Datenverarbeitung IGD entwickelte mit Projektpartnern eine mobile AR-App, die Museumsbesucher auf Smartphone und Tablet interaktiv Kontext zur Verfügung stellt, hier dargestellt die virtuelle farbige Rekonstruktion einer einfarbigen Skulptur im Akropolismuseum in Athens.).
Sammlungen und Exponate sind interaktiv und unabhängig von ihrem Aufenthaltsort für Besucher zugänglich. Während Bilder das Erlebnis echter dreidimensionaler Objekte nur unzureichend repräsentieren, erlauben 3D-Repräsentationen über den Webbrowser eine lebensnahe Darstellung von allen Seiten im Rahmen einer „digitalen Ausstellung zu Hause“.
Auch kann digitalisiertes Material, unter Berücksichtigung von Urheberrecht und der verwandten Schutzrechte, für die Entwicklung von Apps, Bildungsinhalten oder VR-Lernanwendungen genutzt werden und damit ein intensives Besuchererlebnis sowie neue Formen der Partizipation gewährleisten. 3D ermöglicht, die Bedeutung eines Exponats den Besuchern zu präsentieren und gleichzeitig die pädagogische und konservatorische Dimension der kuratorischen Aufgabe hiermit zu vereinen.
Anforderungen an die Digitalisierung in 3D
Trotz der gesellschaftlichen Relevanz und der zunehmenden Auseinandersetzung der Geisteswissenschaften mit dem Thema Digitalisierung stellt diese in der Praxis noch immer eine Herausforderung dar, sei es aus Mangel an Finanzierung, fehlenden Richtlinien und Standards oder dem Fehlen einer Infrastruktur für eine zufriedenstellende Dokumentation und Speicherung.
Für Sammlungseinrichtungen bleiben der digitale Wandel und die damit erforderliche interne Umstrukturierung hinsichtlich neuer Abläufe und Aufgaben nicht ohne Folgen. Ohne die Schaffung von Grundlagen ist die Aufarbeitung und Bereitstellung von Digitalisaten nicht umsetzbar. Unter den beteiligten Akteuren sind primär große Kultureinrichtungen, wie es beispielsweise am Kompetenznetzwerk der Deutschen Digitalen Bibliothek deutlich wird, das einflussreiche Institutionen wie die Bayerische Staatsbibliothek, die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, das Bundesarchiv oder die Deutsche Nationalbibliothek einschließt. Kleinere Häuser hingegen verfügen nicht über die erforderlichen finanziellen und personellen Ressourcen und damit nicht über den notwendigen Handlungsspielraum, mit der Entwicklung der digitalen Transformation im Kulturbereich Schritt zu halten. Laut einer bereits 2006 erstellten Studie vom Institut für Museumsforschung der Staatlichen Museen zu Berlin (Stiftung Preußischer Kulturbesitz) sind Kultureinrichtungen noch dabei, „die Chancen der Digitalisierung zu erkennen und ihre Nutzungsmöglichkeiten zu erkunden“5. Auch wenn die Untersuchung bereits ein Jahrzehnt zurückliegt, adressiert sie noch immer den heutigen technologischen Standard in zahlreichen Sammlungsinstitutionen. Es sind hier insbesondere kleinere Häuser, die nicht die technischen Rahmenbedingungen für die 3D-Digitalisierung, geschweige denn für die großen Datenmengen vorweisen können.6
Bisher war daher die 3D-Digitalisierung auf einzelne Initiativen und Vorzeigeprojekte beschränkt, die Sammlungseinrichtungen eine thematische und technische Auseinandersetzung erlaubten. Es bedarf jedoch eines großflächigen Infrastrukturausbaus und einer dementsprechenden Finanzierung, um Digitalisierungsmaßnahmen umfassend zu implementieren und Sammlungen nachhaltig für die Gesellschaft zur Verfügung zu stellen. Notwendig sind Langzeitlösungen auf nationaler und europäischer Ebene, die alle damit verbundenen Herausforderungen wie Speicher- oder Annotationslösungen berücksichtigen, ohne die eine digitale Zugänglichkeit zum kulturellen und wissenschaftlichen Erbe nicht gewährleistet werden kann.
Viele Digitalisate sind für die öffentliche Präsentation im Netz erstellt. Die Verwaltung der 3D-Modelle, die Anforderungen an deren Qualität und an ein entsprechendes elektronisches Präsentationstool sowie die rechtlichen Rahmenbedingungen müssen daher auf diesen Verwendungszweck ausgelegt sein. Um die Objektmengen dafür nutzbar zu machen, sind dokumentarische Werkzeuge und Abläufe darauf anzupassen. Ohne überzeugende Strategien zur Dokumentation und Langzeitbewahrung können Digitalisate nicht nachhaltig nutzbar bleiben.
So sind für die Datenhaltung geeignete Antworten zu finden, die für das erforderliche Wissensmanagement Daten in ihrer dementsprechenden Qualität sichern. Zentrale Dienstleistungszentren sind notwendig, die insbesondere kleineren und mittleren Einrichtungen Langzeitspeicherlösungen anbieten. In diesem Zusammenhang ist ebenso relevant, ein Augenmerk auf einheitliche Lösungen für eine langfristige Datenhaltung zu richten, was die Kompatibilität und Präsentation von Daten, ihre Langzeitverfügbarkeit und die Umsetzung von technischen Standards miteinschließt. Gefordert sind einheitliche Datenformate, die nach ihrer Ablage von zukünftiger Software lesbar bleiben. Um die von unterschiedlichen Programmen erzeugten 3D-Modelle nachhaltig in Systemen verschiedener Hersteller bearbeiten und speichern zu können, bedarf es eines gemeinsamen Masterformats beziehungsweise einer Standardisierung von Speicherformaten.
3D-Modelle benötigen Kontextinformationen, um für den Nutzer verständlich zu sein. Insbesondere die Verfügbarmachung der Digitalisate online stellt Anforderungen an die Erschließung, die nicht nur Experten, sondern auch Laien einbeziehen muss. Neben der 3D-Erfassung und -Modellierung ist die Erstellung von Metadaten ein wesentliches Element der Verarbeitungs-Pipeline. Um Schlüsselinformationen und Kontextdaten für Kuratoren sowie die Wissenschaft und Öffentlichkeit zu optimieren, müssen Richtlinien und Standards für das Metadatenmanagement weiter definiert werden. Das EU-Projekt „3D-ICONS“ bot hierfür einen ersten Ansatz, indem es zu einem verbesserten Metadatenschema für die Dokumentation von 3D-Inhalten, die in der digitalen Bibliothek Europeana bereitgestellt wurden, beigetragen hat.7 Weiterer Forschungsbedarf besteht in der Entwicklung 3D-zentrierter, visueller Annotationstools für eine optimierte Verknüpfung von Provenienzdaten und wissenschaftlichen Daten zu den Museumsartefakten mit Modelldaten. Gebraucht werden Systeme, die die Anforderungen der potentiellen Nutzergruppen dauerhaft erfüllen und die es diesen ermöglichen, die Vielzahl an digitalisierten Objekten schnell und präzise zu annotieren und die dazugehörigen Daten (zum Beispiel Provenienzdaten) der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
Zusätzlich besteht Klärungsbedarf zu rechtlichen Rahmenbedingungen. Obwohl Fragen bezüglich des Urheberrechtes nicht neu sind, kommt es bei der Freigabe von 3D-Inhalten oft zu Unklarheiten bezüglich der rechtlichen Lage. Denn es besteht eine Diskrepanz zwischen der allgemeinen Zugänglichkeit des gemeinsamen Kulturerbes und dem Anspruch auf Urheberrecht von Seiten der Kultureinrichtungen. Tatsächlich ist bei vorliegendem Urheberrecht das öffentliche Interesse nur zweitrangig. Allerdings ist der digitale Erhalt von Kulturgütern kein Selbstzweck. 3D-Digitalisate entfalten nur dann ihr Potential, wenn sie der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.
Die benannten Aspekte verdeutlichen den Handlungs- und Koordinierungsbedarf auf Fach- aber auch auf politischer Ebene. Benötigt wird eine an einer digitalen Agenda orientierte Leitlinie, die den digitalen Wandel im Kulturerbe-Bereich ermöglicht, die technologische Entwicklung in diesen Einrichtungen gewährleistet und die Voraussetzungen für eine nachhaltige und ökonomisch vertretbare digitale Erhaltung von kulturellem Material in 3D schafft.
Denn nur auf diese Weise können ganze Sammlungen für unterschiedliche Zwecke und Nutzungsmöglichkeiten digitalisiert, analysiert und repliziert werden.
Fazit: Mögliche Lösungsansätze
Die Digitalisierung geht mit einem unaufhaltsamen Veränderungsprozess in unserer Informationslandschaft einher, dem auch Kultureinrichtungen unterliegen. Dieser Wandel erfordert eine digitale Aufbereitung und Repräsentation von Kulturgut. Kulturhistorische Sammlungen haben als digitale Wissensspeicher für Forschung, Lehre und öffentliche Vermittlung zu agieren, was auch eine Anpassung an neue Technologien und ein sich veränderndes Nutzerverhalten erfordert.
Die Bestandssicherung in digitaler Form hat hier oberste Priorität. Denn sie ist ein existentieller Grund, eine 3D-Digitalisierung von Sammlungsobjekten durchzuführen. Die jüngsten Ereignisse im Nationalmuseum Brasiliens haben die Notwendigkeit vor Augen geführt, Institutionen zu Digitalisierungsmaßnahmen zum Erhalt von gesellschaftlich wertvollem Kulturgut für unsere Nachwelt aufzufordern, selbst wenn noch nicht alle Bestandteile des Verarbeitungsprozesses von digitalen 3D-Daten (von der 3D-Erfassung über die digitale Klassifizierung und Auszeichnung der Daten hin zu der Bereitstellung der Daten für wissenschaftliche oder andere Zwecke) umgesetzt wurden oder umgesetzt werden können. Des Weiteren steigt mit der 3D-Digitalisierung von Sammlungen die Attraktivität eines Museumsbesuchs.
Als erster Schritt denkbar ist ein Zusammenschluss verschiedener Sammlungseinrichtungen zu einem Kompetenzverbund, um den Anforderungen der Digitalisierung Rechnung zu tragen und dem Defizit von Finanzierung und Infrastruktur entgegenzuwirken. Ein Forschungsnetzwerk bildet die Grundlage für einen Austausch über museumsspezifische Fragestellungen im Bereich der Digital Humanities sowie zu Entscheidungen zu aktuellen Problemlagen und Herausforderungen der Digitalisierung. Es würde durch innovative Informationsdienstleistungen eine neue Qualität von Ressourcen möglich machen, die wissenschaftliche Methodenkompetenz für die digitale Dokumentation bündeln und erste Lösungsvorschläge für die Langzeitarchivierung und den Umgang mit Forschungsdaten und Datenformaten geben. Ebenso böte ein Zusammenschluss die Möglichkeit, nach Verbundpartnern zu suchen, um eine konzertierte Digitalisierkampagne der wichtigsten Objekte teilnehmender Institutionen umzusetzen. Denkbar wäre eine erste Priorisierung der Sammlungen durch eine Auswahl der wichtigsten und wertvollsten Objekte. Auch gibt es bereits viele Möglichkeiten, anfallende Daten in Cloudspeicherlösungen kostengünstig und sicher zwischenzuspeichern, bis die finale Lösung, in Entsprechung einer Digitalisierstrategie der jeweiligen Einrichtung, umgesetzt und digitale Daten umfassend und ganzheitlich annotiert werden können.
Auch gibt es bereits erste Ansätze zur schnellen, farbkalibrierten 3D-Digitalisierung in hoher Qualität, die, unabhängig von den noch zu definierenden Qualitätsstandards, wissenschaftlichen Ansprüchen gerecht werden. Zu nennen ist hier das Forschungslabor CultLab3D8 zur Digitalisierung von Kulturerbe am Fraunhofer-Institut für Graphische Datenverarbeitung IGD. CultLab3D ist auf die Entwicklung von innovativen 3D-Scantechnologien spezialisiert, die flexibel miteinander kombinierbar sind. Sie eignen sich für Objekte unterschiedlicher Größe und erfassen automatisch Geometrie, Textur und physikalisch-optische Materialeigenschaften für eine originalgetreue und mikrometergenaue Wiedergabe. Mit Projektförderung der Fraunhofer-Gesellschaft und des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie entstand die weltweit erste 3D-Scanstraße für hocheffiziente 3D-Massendigitalisierung (siehe Abbldung oben und in der Bildergalerie: „Scanstraße CultLab3D“).
Die im Rahmen dieses Projektes entwickelten 3D-Technologien werden kontinuierlich für ein breites Anwendungsspektrum optimiert – von der Erfassung über die Visualisierung bis hin zur Reproduktion durch 3D-Druckverfahren (dazu die Abbildungen „Beispiel für Materialtransluzenz“ in der Bildergalerie, die exemplarisch den Stand der Technik im 3D-Farbdruck zeigen). Positiver Nebeneffekt von Digitalisierkampagnen, die sich auf ganze Sammlungen erstrecken, ist die implizite Reorganisation und Kennzeichnung digitalisierter Objekte.
Eine großflächige Digitalisierung erfordert, die Sammlungsstücke aus den Depots hervorzuholen und zu entpacken und sie im Anschluss wieder zu verpacken und in die Archive zu bringen. In einer Zeit, in der auf Behältnisse aufgeklebte QR-Codes über einfache Smartphones und einer Verbindung zu einer Objektdatenbank relevante Daten zur Verfügung stellen können, kann dieser Ansatz bei der 3D-Digitalisierung eines Artefakts als einfacher nächster Schritt zum Tragen kommen. Insbesondere naturkundliche Sammlungen, die aus einer großen Anzahl Setzkästen mit hunderten von Insekten jeweils auf einer Pinnnadel mit Labels bestehen, können von einer Reorganisierung profitieren. Jedem Insekt würde dann in einem neuen Setzkasten ein QR-Code zur einfachen visuellen Identifikation zugeordnet werden, welcher über eine AR-App die Kontextinformation der Label sowie weiterführende Informationen einblendet und damit zukunftssicher wäre.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der erweiterten Dokumentation des Symposiums „Die Praxis der Gesellschaftswissenschaften“, das anlässlich des 90. Geburtstags des Stifters Alois M. Schader am 16. Juli 2018 im Schader-Forum stattfand.
Dieter W. Fellner, Constanze Fuhrmann und Pedro Santos: Zur Notwendigkeit der 3D-Digitalisierung, in: Alexander Gemeinhardt (Hrsg.): Die Praxis der Gesellschaftswissenschaften. 30 Jahre Schader-Stiftung, Darmstadt 2018, 143-151.
Die Autoren:
Prof. Dr. tech. Dieter W. Fellner ist Professor für Graphisch-Interaktive Systeme am Fachbereich Informatik der Technischen Universität Darmstadt und Institutsleiter des Fraunhofer-Instituts für Graphische Datenverarbeitung IGD.
Constanze Fuhrmann M.A., M.Sc. ist als Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung für Digitalisierung von Kulturerbe am Fraunhofer-Institut für Graphische Datenverarbeitung IGD tätig.
Pedro Santos M.Sc. leitet die Abteilung Digitalisierung von Kulturerbe am Fraunhofer-Institut für Graphische Datenverarbeitung IGD.
1 Empfehlung der Kommission vom 27.10.2011 zur Digitalisierung und Online-Zugänglichkeit kulturellen Materials und dessen digitaler Bewahrung (2011/711/EU): https://beck-online.beck.de/default.aspx?bcid=Y-100-G-EWG_Em_2011_711 (24.02.2015).
2 Dieser im April 2010 eingesetzte „Ausschuss der Weisen“ (Comité des Sages) ist Teil der Kommissionsstrategie, den Übergang ins digitale Zeitalter im Kultursektor zu gewährleisten. Vgl. European Commission (Hrsg., 2011): The New Renaissance. Report of the Comité des Sages on Bringing Europe’s Cultural Heritage Online, S. 4–7.
3 Der amerikanische Suchmaschinenbetreiber Google begann 2004 mit seinem Digitalisierungsprojekt, im Rahmen dessen etwa 15 Millionen von 130 Millionen weltweit existierenden Büchern digitalisiert wurden. Vgl. www.google.com/googlebooks/library (10.09.2018). Als deutschen Beitrag zur Europäischen Digitalen Bibliothek beschloss die Bundesregierung 2009, die Deutsche Digitale Bibliothek zu schaffen. Ihre Errichtung wird als wichtiger Beitrag zur Förderung der Wissens- und Informationsgesellschaft in Deutschland gesehen. Vgl. www.deutsche-digitale-bibliothek.de (29.01.2016).
4 Die Online-Bibliothek Europeana gilt als europäische Antwort auf Google Books. Als virtuelle Bibliothek macht sie Bild-, Text-, Ton- und Video-Dateien der Öffentlichkeit zugänglich, vgl. https://www.europeana.eu/portal/de (10.09.2018).
5 Die Studie wurde von Dirk Witthaut in Zusammenarbeit mit dem Institut für Museumskunde der Staatlichen Museen zu Berlin (Stiftung Preußischer Kulturbesitz) erstellt. Sie basiert auf einer Umfrage unter deutschen Museen, die 2004 mit dem Ziel durchgeführt wurde, den Stand der Digitalisierung in deutschen Museen sowie Fragestellungen hinsichtlich der Langzeitverfügbarkeit und Langzeitbewahrung digitaler Daten zu evaluieren. Vgl. Witthaut, Dirk et al.(2006): Digitalisierung und Erhalt von Digitalisaten in deutschen Museen. Eine empirische Untersuchung in Zusammenarbeit mit dem Institut für Museumskunde Berlin. Nestor Materialien 2. Frankfurt am Main: Die Deutsche Bibliothek, S. 9 ff.
6 Parzinger, Hermann (2015): Kulturelles Erbe und Digitalisierung. In: Klimpel, Paul / Euler, Ellen (Hrsg.): Der Vergangenheit eine Zukunft. Kulturelles Erbe in der digitalen Welt. Berlin: Deutsche Digitale Bibliothek, S. 20–31.
7 Vgl. EU-Projekt 3D-ICONS. 3D Digitisation of Icons of European Architectural and Archaeological Heritage: 3dicons-project.eu (10.09.2018).
8 www.cultlab3d.de (10.09.2018).