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Piraten

Artikel vom 12.05.2011

„Piraten – das ist nicht mehr Schwarzbart, Käptn Kidd und die Schatzinsel, das ist nicht mehr Errol Flynn, das ist eine gravierende Beeinträchtigung der internationalen Seeschiffahrt nicht nur vor Somalia, das sind schätzungsweise 33 gekaperte Schiffe nebst einigen hundert Mann in somalischen Häfen.“ Von Jan Philipp Reemtsma

Piraten

Vortrag anlässlich der Verleihung des Schader-Preises am 12. Mai 2011

Mein Thema heißt schlicht: „Piraten“. Warum dieses Thema? Einmal aus Gründen der Aktualität: Piraten – das ist nicht mehr Schwarzbart, Käptn Kidd und die Schatzinsel, das ist nicht mehr Errol Flynn, das ist eine gravierende Beeinträchtigung der internationalen Seeschiffahrt nicht nur vor Somalia, das sind schätzungsweise 33 gekaperte Schiffe nebst einigen hundert Mann in somalischen Häfen – so viele, daß die Kaperer bereits mit den Lösegeldforderungen zurückgehen, weil es ein Überangebot gibt. Es gab von 2004 bis 2010 Tausende von Überfällen und Geiselnahmen weltweit.1 Zweitens eignet sich das Thema für eine Verbindung von historischer Kasuistik und systematischer Analyse immer wiederkehrender Muster, und schließlich lassen sich aus solcher Analyse Schlüsse für die praktische Bekämpfung der Piraterie gewinnen.

Im Jahre 75 vuZ wurde Julius Caesar auf dem Wege nach Rhodos Opfer eines Piratenüberfalls. Er wurde als Geisel genommen, ließ das Lösegeld auftreiben, wurde freigelassen, rüstete ein Schiff aus, eroberte das Piratenschiff und ließ die Mannschaft kreuzigen. Das erste Jahrhundert vuZ sah einen ernormen Aufschwung der Piraterie. Bereits 239/40 hatte Rom Schwierigkeiten mit Piraten, die die Adria unsicher machten. Rom entsandte ein Heer, das die Stützpunkte zerstörte. Das Piratenunwesen des 1. Jhs. aber erstreckte sich über das gesamte Mittelmeer, so daß die Piraten teilweise die größte maritime Macht darstellten; Theodor Mommsen spricht von einem See-Reich.

Die Beeinträchtigung der Handelsschiffahrt ging so weit, daß es in Rom zu Hungersnöten kam. Die Piraten überfielen nicht nur Schiffe, sondern auch Küstenstädte. Die Stützpunkte der Piraten – zuweilen wehrhafte Burgen – befanden sich in Kilikien, also im südlichen Kleinasien und auf Kreta. Kreta war gleichzeitig der wichtigste Umschlagplatz für die geraubten Waren sowie für die Mannschaften, die als Sklaven verkauft wurden. Dazu kam eine finanzielle Unterstützung durch den pontischen König Mithridates, der den Norden Kleinasiens so wie Teile Griechenlands zu beherrschen trachtete. Nach Nordafrika und Spanien hatten sich die Anhänger der Marianer – der unterlegenen Bürgerkriegspartei – zurückgezogen. In Nordafrika wurden sie von Pompeius geschlagen, in Spanien verwickelten sie Rom in einen langwierigen Guerillakrieg. Mithridates wollte Rom durch die Störung der Landungsoperationen und der Versorgung der römischen Armee in einen Zweifrontenkrieg verwickeln.

Nach vergeblichen Versuchen, mit den Piraten fertigzuwerden, übertrug man 67 schließlich Pompeius das Kommando über ein Heer von 100.000 Infanteristen, 5000 Kavalleristen und 500 Schiffe. Er erhielt einen riesigen Etat und unbeschränkten Kredit. Das Kommando erstreckte sich über das gesamte Mittelmeer und die Küsten 400 Stadien landeinwärts. Dies war das größte Kommando, das je einem römischen General gegeben worden war, und nicht wenige fürchteten den diktatorischen Mißbrauch dieser Machtstellung.

Das Kommando war auf drei Jahre begrenzt. Nach 44 Tagen gab es (vorerst) keine Piraten mehr im Mittelmeer. Es sollen während der Kämpfe 10.000 gefallen sein, 20.000 gerieten in Gefangenschaft. 120 Rückzugs- bzw. Widerstandsnester in den kilikischen Bergen soll Pompeius besiegt haben, hunderte von Schiffen wurden verbrannt. Die Piraten hatten auf kleine, manövrierfähige, schnelle Schiffe gesetzt, mit denen sie Handelsschiffe ein- und überholen und entern konnten. Gegen eine Armada von schwerbewaffneten Kriegsschiffen hatten sie – wenn diese gut geführt wurden – keine Chance.

Die Rollen hatten sich verkehrt: zuvor waren die Piraten die Angreifer gewesen, jetzt wurden sie – und zwar systematisch – angegriffen. Pompeius griff zu einem Mittel, um das Mittelmeer langfristig zu befrieden: er siedelte die gefangenen Piraten in bereits existierenden Städten an, förderte die Urbanisierung Kleinasiens und offerierte den Piraten andere Erwerbsmöglichkeiten. Diese Maßnahme stieß auf Widerspruch in Rom, war aber nichtsdestoweniger erfolgreich. Wir werden Vergleichbarem begegnen. Anschließend besiegte er Mithridates.

Aus diesem Großbeispiel lassen sich Merkmale ableiten, die – in modifizierter Form – immer wieder anzutreffen sind, und die auch Hinweise auf erfolgreiche Piratenbekämpfung bieten werden:

  1. kleine, wendige Schiffe
  2. Hinterland für Rückzüge
  3. Zugang zu Märkten
  4. eventuell ein „interessierter Dritter“, dem die Piraten aus wie auch immer beschaffenem Kalkül zupaß kommen.

Ich werde dies an ein paar Beispielen zeigen, wobei einige aus Zeitgründen ausfallen müssen, etwa die Piraterie in Südostasien, der Krieg gegen die Barbareskenstaaten im westlichen Mittelmeer, aber auch die Wikinger.

Zwar heißt „Wikinger“ wörtlich „Seeräuber“2, aber sie überfielen (von See aus) vor allem christliche Klöster, Kirchen und Städte, kaum Handelsniederlassungen, die sie für sich selbst als Märkte nutzten. Von vornherein ging es den Wikingern auch um Landnahme in großem Stil. Ihre Schiffe waren schnell, aber nicht besonders wendig, zum Hinterland dienten ihnen Inseln und flache Küsten. Da ihre Schiffe kaum einen Kiel hatten, konnten sie leicht an und über Land gezogen werden. Wikinger wurden als Söldner angeheuert und kämpften gegen Wikinger, Wikinger griffen Byzanz an, machten Erkundungszüge bis nach Amerika und in den Iran – vor allem siedelten sie sich an den russischen Flüssen an, gründeten Handelsstationen und vermischten sich mit der Bevölkerung. Wikinger besiedelten Irland und England und die Normandie: 1066 kämpften bei Hastings Wikingernachkommen gegen Wikingernachkommen. – Wir haben es also weniger mit einer Form des Seeraubs als mit einer späten Völkerwanderung zu tun.

Bei den ostasiatischen Piraten muß man mehrere Organisationsformen kennen3, was nur dem Fachmann für diese Region und diese Epoche möglich sein wird (bis hin zu organisierter Kopfjagd von Borneo aus – bis zu 1300 km über See). – Der Kampf der Barbareskenstaaten gegen das christliche Europa war eine Mischung aus Seeräuberei, Überfällen auf Land und moslemischen Kriegszügen, wie sie überall an den Grenzen, aber auch in Europa stattfanden –, und wurde erst durch einen entscheidenden Seesieg der britischen Marine und die Besetzung Algeriens durch Frankreich beendet – er war also eher ein mittelmeerischer, teils zentral gesteuerter, teils dezentral betriebener Krieg gewesen (mit Sklavenhandel auf beiden Seiten).

Ende des 14. Jhs. bedienten sich die Mecklenburger Fürsten einer Freischärlertruppe4, die als Blockadebrecher das von Dänen belagerte Stockholm mit Nahrungsmitteln (Viktualien, daher wohl der Name „Vitalienbrüder“) versorgen sollten. Im Laufe der sich anschließenden nordischen Kriege vervielfachte sich die Zahl der Seeräuber, die nun auf eigene Rechnung agierten. Als Rückzugsgebiet diente ihnen fast 10 Jahre die Insel Gotland, bis sie von den Deutschen Ordensrittern von dort vertrieben wurden. Sie verlegten ihre Aktivitäten in die Nordsee, wo ihnen die friesischen Inseln als Häfen und Rückzugsgebiete dienten. Sie wurden so lange von friesischen Häuptlingen unterstützt, bis diese von der Hanse direkt bedroht wurden. Dann wurde mit den Nordseepiraten (Sie kennen die legendären Namen Klaus Störtebeker und Godeke Michels) kurzer Prozeß gemacht.

Wenn wir an Piraten denken, denken wir in erster Linie an die Karibik. Dort sind, von Klaus Störtebeker abgesehen, die berühmtesten Namen zu finden – reale, wie Edward Teach (Schwarzbart), Henry Morgan, Calico Jack oder Stede Bonnet, aber auch fiktive wie Long John Silver. Die Geschichte ist vielschichtig, sie zieht sich vom 16. bis ins 18. Jh. Ich beschränke mich auf die groben Züge. Zunächst einmal zogen die spanischen Edelmetallflotten, die regelmäßig verkehrten – erst nach den Philippinen, dann direkt nach Spanien – Piraten nur so auf sich. Dazu kamen die wachsenden Interessen vor allem Frankreichs, Englands, aber auch der Niederlande an Amerika. Wegen religiöser Differenzen war der Anteil des Handels gering, und Spanien beherrschte trotz der Schwächung durch den Untergang der Armada (1584) die Meere in weit größerem Maße als England und die Niederlande. Man begann also einen inoffiziellen Kleinkrieg zur See, geführt von sogenannten „privateers“ oder „Freibeutern“. Diese rüsteten ihre Schiffe selbst aus – auch wenn sich später kommerzielle Gesellschaften daran beteiligten und Anteile an Freibeuterschiffen in Amsterdamer Handelskreisen gehandelt wurden5 –, erhielten von der Regierung einen sogenannten Kaperbrief, der sie ermächtigte, auf eigene Faust Schiffe der Gegenseite aufzubringen und zu plündern. Es wundert nicht, daß hier öfters Grenzen überschritten wurden. Kaptain William Kidd, der sich zur Ausrüstung seines Schiffes hoch verschuldet hatte und im indischen Ozean kreuzte, fand keine geeignete Prise, seine Mannschaft stand kurz vor der Meuterei, er ging dazu über, englische Schiffe zu überfallen, wurde durch ein englisches Kriegsschiff aufgebracht und in London gehenkt.

Die Aktivitäten der lizenzierten Piraten führten zu veritablen Raubzügen (man kann sagen: Kriegszügen) in Mittelamerika – ich nenne die Namen Francis Drake und Walter Raleigh. Auf der anderen Seite gab es immer mehr Flüchtlinge und Auswanderer, die sich ein besseres Leben auf den von der Urbevölkerung nahezu entvölkerten westindischen Inseln versprachen. Das war der Ursprung der sogenannten Boukaniere. Der Name leitet sich von dem Brauch ab, auf verwilderte Haustiere Jagd zu machen, ihr Fleisch einzusalzen, zu räuchern und an Schiffe zu verkaufen, die an die Küste kamen, um Reparaturen durchzuführen oder Wasser aufzunehmen. Bald verlegte man sich auf Einträglicheres. Man baute kleine wendige Schiffe und machte die Küstengewässer unsicher. Die Gewinne waren so groß, daß man auf seetüchtige Schiffe umstellen konnte, die allerdings oft geringen Tiefgang hatten, so daß man stets in flache küstennahe Gewässer ausweichen konnte.

Bald fand man einen idealen Standort, als Hafen wie als Rückzugsgebiet geeignet und leicht zu verteidigen: Totuga (nördlich von Hispaniola (Haiti)), die Hochburg der Boukaniere, die inzwischen die Karibik in Anarchie gestürzt hatten, unter sich aber rudimentäre Vereinsstrukturen mit dem Ansatz zu einem Versicherungswesen aufwiesen. Auf Jamaika die Stadt Port Royal. Port Royal wurde als Umschlagplatz für Raubgut zu einer unermeßlich reichen Stadt mit einem hohen Armuts- und Verwahrlosungsanteil: so wie es in der Schweiz Straßen gibt, wo immer eine Bank mit einem Uhrengeschäft abwechselte, so wechselte in Port Royal immer eine Spelunke mit einem Bordell ab, und, wie das so ist: wenige werden reich davon, viele arm. Der Anführer der Boukaniere von Jamaika war der Pirat Henry Morgan. Er zog mit 500 Mann zu einem mehrjährigen Raubzug aufs Festland aus, brach später mit einer Flotte von 36 Schiffen, 240 Kanonen und 2000 Mann nach Panama auf, plünderte es und legte es in Schutt und Asche. (Die Stadt wurde nicht wieder aufgebaut; man baute eine andere gleichen Namens.)

England und Spanien lebten zu der Zeit in Frieden, hatten sogar ein Abkommen zur Bekämpfung der Piraterie unterzeichnet, aber England kam dem erst, nachdem sich lukrativere Erwerbsquellen aufgetan hatten, zögerlich nach. Morgan hatte einen Teil der Panama-Beute an die Krone abgeführt, für einen anderen Teil erwarb er sich Plantagen. Die Krone erhob ihn in den Adelsstand und machte ihn zum Gouverneur von Jamaika, nachdem er versprochen hatte, mit dem Boukanier-Unwesen aufzuräumen. Nunja, wer kannte sich besser aus als er. Er starb friedlich – wenn man den Umstand, daß er an sogar für karibische Verhältnisse Unmengen von Alkohol gestorben war, denn so nennen will.

Es gelang, das Piratenunwesen ein wenig zurückzudrängen, dann gab es einen erneuten Aufschwung, trotz der Versuche, Boukaniere – gewissermaßen dem Beispiel des Pompeius folgend – auf Jamaica durch Landvergabe friedlich anzusiedeln. Zudem verlegten einige berühmte Piratenkapitäne ihr Operationsgebiet zunehmend in den Indischen Ozean: dort lockten indische Juwelen, Gewürze, Tuch und vieles mehr. Madagaskar war ein exzellenter Schlupfwinkel und Marktplatz zugleich. Auf den Antillen fand sich, nachdem Port Royal durch ein Seebeben zerstört war, in New Providence ein neuer Stützpunkt. England setzte nun einen weiteren Piratenkapitän, Woodes Rogers, zur Piratenbekämpfung ein. Er war, nicht zuletzt dank eines weiteren Siedlungsprogramms, erfolgreich – ein Siedlungsprogramm, das Daniel Defoe auch für Magaskar empfahl. Es war die zunehmend fehlende politische Unterstützung (Kaperbriefe wurden nicht mehr ausgegeben), die Ausweitung des internationalen Handels und das Bedeutungsloswerden des Handels mit den Piraten und die systematische Jagd auch im indischen Ozean und vor Westafrika, die die Piraterie zum Erliegen brachten.

Von 1716 bis Ende der 1720er Jahre sank die Zahl der Piraten von ca 2.500 auf ca 200. Kommen wir in die Gegenwart und vergessen wir nicht: die Piraterie ist ein weltweites Phänomen, nicht nur auf die Gewässer vor Somalia beschränkt – auf die ich mich aber wegen der permanenten Kommentierungen in unseren Medien beschränke. Findet sich das bisher herausgestellte Muster vor Somalia wieder?

Zweifellos. Die Piraten haben Unterstützung von politischer Seite, somalischen Warlords – schließlich ist die Piraterie vermutlich Somalias florierendster Wirtschaftszweig. Es heißt, daß diese Warlords gute Beziehungen zu Ghaddafi unterhalten (oder: unterhalten haben). Zudem schließen sich die Piraten mit interessierten Investoren zusammen, die sie mit Geld und Waffen ausstatten, und deren Investment nach erfolgreichem Raubzug reichlich verzinst wird.6 - Notorisch sind die Angriffe mit kleinen Schnellbooten, die, wenn sie auf Schußweite herangekommen sind, sofort das Feuer eröffnen. Neuerdings werden sie zuweilen von gekaperten Schiffen begleitet, die ihren Radius vergrößern und von den Mannschaften gefahren werden, die die Piraten miterbeutet haben und die ihnen zudem als Geiseln dienen. – Die Piraten verfügen über ein großes und schwer überschaubares Hinterland, und die erbeutete Ware – Schiffe und Mannschaften – wird – meistens – gegen Geldüberweisung zurückgegeben.

Also: es ist gegeben, was wir kennen:

  1. kleine, schnelle, wendige Schiffe (zuweilen mit, um den Radius zu erweitern, zuvor gekaperten Mutterschiffen)
  2. Hinterland für Rückzüge
  3. Zugang zu Märkten
  4. interessierte Dritte im In-, evtl. auch Ausland.

Scheiden wir Bekämpfungsmöglichkeiten aus:

  1. Die interessierten Dritten wird man, sei es im Ausland, sei es im Inland, kaum zu fassen kriegen. Ghaddafi – wenn er denn zurecht genannt wird – ist sowieso mit anderem beschäftigt, die Warlords wird nach den Erfahrungen, die der Film „Black Hawk Down“ widerspiegelt, niemand direkt angehen wollen.
  2. Das Hinterland ist unstrukturiert, kilikische Burgen, die man attackieren könnte, gibt es dort nicht.
  3. Märkte: Die USA haben den einzig plausiblen Vorschlag gemacht: man solle Reedereien verbieten, ihre Schiffe und Mannschaften auszulösen. Plausibel, aber letztlich faktisch und moralisch nicht durchführbar. Es wird sich immer irgendein Weg finden (das lateinamerikanische Beispiel individueller Entführungen trotz entsprechender Verbote lehrt das), und welche Reederei wird mit einem achselzuckenden „Ich darf doch nicht“ der Welt die brutale Exekution ihrer Leute via Internet vorführen lassen?
  4. Es bleibt die maritime Abwehr. Die Mutterschiffe zu attackieren, verbietet sich, dort sind Geiseln an Bord (Siehe Verfassungsgerichtsurteil zum Luftsicherheitsgesetz). Das Attackieren der Schnellboote unterliegt einem Gewirr teils konkurrierender Rechtsbestimmungen: Was in Hoheitsgewässern gilt, gilt auf hoher See nicht mehr, zudem: unter welcher Flagge fährt das Schiff (wenn ein deutsches Schiff unter liberianischer Flagge fährt, gilt dann deutsches oder liberianisches Recht)? Wenn Sie in die Fachliteratur einsteigen, stoßen Sie auf durchaus unterschiedliche, bisweilen widersprüchliche Ansichten.

Der Experte für See- und Völkerrecht, Michael Stehr7, hat darauf hingewiesen, daß durch die Jahrhunderte die Bekämpfung der Piraterie immer Rechtsfortentwicklungen resp. - anpassungen mit sich gebracht habe. Es gelte aber gemäß United Nations Convention of the Laws of the Sea (III), Art. 105, daß alle Staaten, jedenfalls in internationalen Gewässern, jederzeit befugt seien, gegen Piraten – gleich welcher Nationalität und gleich welcher Nationalität ihre Opfer seien– , vorzugehen. Sie seien auch dazu verpflichtet, und zwar sowohl reaktiv wie präventiv. Nach Artikel 98 wird das Gewaltmonopol des jeweiligen Staates in Hoheitsgewässern durch das Recht zur Selbstverteidigung und die Pflicht zur Nothilfe durchbrochen. Das heißt, angreifende Piratenboote können jederzeit angegriffen, beschossen oder versenkt werden. Zu empfehlen wäre eine Flagge, auf die sich multinational zu verständigen wäre (und die und ihre Bedeutung via Internet bekanntgegeben werden sollte), mit der jedes Schiff, das sie führt, signalisiert, daß jedes Schiff resp. Boot, das sich ohne ausdrückliche Erlaubnis nähert und eine zu vereinbarende Distanz unterschreitet, riskiert, angegriffen oder versenkt zu werden. Die Schiffe, die zu solchen Maßnahmen greifen, sind von der Verpflichtung, etwaige Schiffbrüchige zu bergen, entbunden.

Wer soll das tun? Nicht die Mannschaften – die sind dazu nicht ausgebildet. Man könnte dem Vorschlag einiger Reedereien folgen, etwas wie einen sicherheitsgarantierenden Lotsendienst der Bundesmarine einzurichten. Aber erstens hat die Bundesregierung diesen Vorschlag schon abgelehnt, und zweitens sind, seit große Mutterschiffe eingesetzt werden, Gefahrenzonen nicht mehr unmittelbar auszumachen. Es bleiben also nur private Sicherheitsdienste, die allerdings auf Eignung hin überprüft werden und ständig im Training sein müssen. Sie müßten mit Schnellfeuergewehren mit Zielfernrohren, Panzerfäusten und Handgranaten ausgerüstet sein. Wahrscheinlich reichen drei bis fünf Mann pro Schiff. – Das wird teuer, aber nicht so teuer wie der Verlust an Ladung, das Lösegeld und die Versicherungssummen. Zudem denke man daran, daß sich eine solche Investition langfristig auszahlen wird. 

Schließlich ist noch an die Pompeius-Lösung zu denken: gibt es etwas, das man den Piraten, die ihr Geschäft aufgeben, anbieten kann? Schwerlich landwirtschaftliche Parzellen in Somalia. Aber es wird immer – nicht zuletzt von den Piraten selbst – gesagt, sie seien auf diesen Weg darum gekommen, weil internationale Fischereiflotten die Gewässer vor Somalia nahezu leer gefischt hätten. Wie ernstzunehmen dies Argument ist, weiß man nicht. Vielleicht war es das einmal, jetzt – nachdem diese riesigen Summen im Spiel sind, nachdem die Piraten vom Raub zusätzlich zu Mord und Folter übergegangen sind – ist es das wohl kaum mehr.

Und doch: zusammen mit einer kompromißlos repressiven und präventiven Strategie könnte ein internationaler Schutz der Gewässer vor Somalia vor nicht-somalischen Fischereiflotten wohl einiges bewirken. Schließlich haben sich die Fischbestände, seit Fischereiflotten sich aus Angst vor Piraten kaum noch in diese Gewässer wagen, wenigstens teilweise erholt.

Der Autor: Jan Philipp Reemtsma ist Gründer und Vorstand des Hamburger Instituts für Sozialforschung (HIS). 2011 erhielt er den Schader-Preis.

SZ, 26.1.2011, S. 19

Für das Folgende vgl. Rudolf Simek, Die Wikinger, München 2009

Vgl. Marco Carini, Flora Macallan, Piraten, UK o.J.

Für das Folgende vgl. Robert Bohn, Die Piraten, München 2003

Vgl. u. im Folgenden ebda.

Vgl. Der Spiegel, 50/2009. 

7 Michael Stehr, Piraterie und Terror auf See, Berlin 2004.

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