Kommunale Integrationskonzepte auf dem Prüfstand
Artikel vom 17.11.2010
Kommunale Integrationspolitik mit einer Orientierung an anspruchsvollen Integrationskonzepten hat gerade in den größeren Städten begonnen sich als eigenständiges Politikfeld zu etablieren. Sie könnte erneut an den Rand gedrängt werden durch die Finanzmisere vieler Kommunen, die weit über das übliche Szenario hinausgeht. Dies ist ein Versuch, Argumente gegen das Versenken kommunaler Integrationsansprüche, allen voran die Verpflichtung auf faire Teilhabechancen, in den tiefer werdenden Haushaltslöchern zu sammeln. Von Roland Roth
Ist Integrationspolitik überhaupt noch angesagt?
Kommunale Integrationspolitik steht aktuell vor einer doppelten Herausforderung. Neuere Bestandsaufnahmen, wie z.B. das Jahresgutachten 2010 des Sachverständigenrates deutscher Stiftungen für Integration und Migration oder der Migrationsbericht 2008 des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (veröffentlicht im Februar 2010) können als Entwarnung gelesen werden. Die Bundesrepublik steht demnach im internationalen Vergleich integrationspolitisch ganz gut da, die messbare Integration sei in vielen Bereichen „durchaus zufriedenstellend oder sogar gut gelungen“. Zudem hat der „Zuwanderungsdruck“ so deutlich nachgelassen, dass sich Zu- und Abwanderung nahezu die Waage halten. Gleichzeitig sind die Kommunen auf dem Wege in eine Finanzmisere, die weit über das übliche Szenario hinausgeht. Der Aufruf „Rettet unsere Städte“ von 1972, der in einigen Folgejahren wiederholt wurde, dürfte aktuell mehr Berechtigung denn je haben. Die nach den „Rettungsprogrammen“, die zeitverzögert auch die Kommunen erreichten, nun notwendigen „Haushaltskonsolidierungen“ dürften gerade die kommunale Ebene vor fast unlösbare Aufgaben stellen. Beide Tendenzen zusammen könnten dazu beitragen, dass kommunale Integrationspolitik, die gerade in den größeren Städten begonnen hat, sich als eigenständiges Politikfeld zu etablieren (vgl. Gesemann/Roth 2009), erneut an den Rand gedrängt wird. Statt einer Orientierung an anspruchsvollen
Integrationskonzepten, über die zumindest eine Mehrzahl der Großstädte inzwischen verfügt, droht der Rückfall in eine Zeit des Durchwurstelns, in der alles unter den Tisch fällt, was es nicht in den Kanon der kommunalen Pflichtaufgaben geschafft hat. Dieser Beitrag unternimmt den Versuch, Argumente gegen das Versenken kommunaler Integrationsansprüche, allen voran die Verpflichtung auf faire Teilhabechancen in den tiefer werdenden Haushaltslöchern zu sammeln.
Zwei Grundannahmen sind dabei ausschlaggebend. Zum einen werden die Hausaufgaben kommunaler Integrationspolitik durch reduzierte Zuwanderung nicht kleiner. Das Jahresgutachten 2010 macht darauf aufmerksam, dass die Heterogenität der urbanen Räume Deutschlands weiter zunehmen wird. Dafür sorgen schon die anhaltende Binnenwanderung, die offenen Grenzen innerhalb der Europäischen Union und eine Reihe von weiteren demografischen Entwicklungen. Unter verschärften Krisenbedingungen ist zudem mit intensiveren Verteilungskonflikten zu rechnen, die leicht zu ethnisieren sind. Dafür sprechen nicht nur neuere Konflikterfahrungen in Nachbarländern wie Dänemark und den Niederlanden, die noch vor wenigen Jahren als integrationspolitische Vorbilder galten, sondern auch der aktuelle Aufschwung rechtspopulistischer Parteien in vielen Ländern Europas, zuletzt in Ungarn. Rechtspopulistische Parteien sind ja wesentlich Anti-Migranten-Parteien. Gegenwärtig ist noch offen, ob es nach lokalen Pro-Parteien (Pro-Köln als prominentes Beispiel) auch in der Bundesrepublik gelingt, dieses in Moschee-Konflikten „erprobte“ Modell auf nationaler Ebene zu etablieren. Das demoskopisch ermittelte Potential scheint jedenfalls vorhanden. Es gibt also gute Gründe, auf zentralen integrationspolitischen Baustellen auch ohne erhebliche weitere Zuwanderung tätig zu sein.
Zum anderen steht eine längst überfällige, proaktive Zuwanderungsdebatte an. Selbst in unionsgeführten ostdeutschen Bundesländern wie Sachsen und Sachsen-Anhalt wird inzwischen öffentlich darüber nachgedacht, dass sie dringend Zuwanderung brauchen, um die Abwanderungswelle der Nachwendezeit zu kompensieren und sich zukunftsfähig aufzustellen. Für Zuwanderer werden sie jedoch nur attraktiv, wenn es ihnen gelingt, sich zu einer integrationsbereiten toleranten Zuwanderungsgesellschaft zu transformieren. Dies ist bestimmt keine leichte Aufgabe angesichts einer verbreiteten Fremdenfeindlichkeit und massiver Konkurrenzängste in einer Gesellschaft, in der sich ein Teil der Bevölkerung als „abgehängt“ erlebt.
Ist kommunale Integrationspolitik möglich und wirksam?
In einem Positionspapier der Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände zum Integrationsgipfel 2006 heißt es selbstbewusst: „Es werden auch in Zukunft die Kommunen sein, die einen Grossteil der Integrationsleistungen erbringen müssen. Die konkreten Begegnungen von Menschen mit und ohne Migrationshintergrund finden in den Kommunen statt. Hier werden Integrationserfolge, aber auch Misserfolge unmittelbar sichtbar. Eine erfolgreiche Integration ist für die Kommunen aus diesem Grund von zentralem Interesse und stellt eine große Herausforderung dar.“ Ähnlich hoch ist die Wertschätzung der kommunalen Ebene auch im Koalitionsvertrag der schwarzgelben Bundesregierung von 2009: „Integration vollzieht sich in erster Linie in den Kommunen.“ Allerdings klingt diese Aussage bereits wie manche indikativische Formulierungen im Grundgesetz (z.B. „Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“ Art. 3, 2 GG), in diesem Falle ohne damit einen eigenen Unterstützungsauftrag zu verbinden.
Die integrationspolitische Aufwertung der kommunalen Ebene war überfällig. Als die Bundespolitik sich noch in der Realitätsverleugnung gefiel, dass Deutschland längst zum Einwanderungsland geworden war, hatten sich zahlreiche Großstädte längst daran begeben, ihrem Auftrag gemäß sich für das gemeinsame Wohl ihrer herkunftsheterogenen Stadtbevölkerung zu engagieren. Was als „Gastarbeiter“betreung und –beratung in den 1960er Jahren begann, weitete sich zu einem kommunalen Querschnittsthema aus, das seit den 1990er Jahren eine enorme Dynamik entfaltet. Stadtpolitisch ist dabei bemerkenswert, dass es in diesem Themenfeld wie kaum in einem anderen Bereich, in großer Zahl Experimente und Innovationen gibt, die sich von der institutionellen Betreuungs- und Anstaltslogik der klassischen Sozialpolitik verabschiedet haben und verstärkt auf Selbstorganisation, bürgerschaftliches Engagement und Empowerment setzen, d.h. die Ressourcen und Fähigkeiten der Zugewanderten selbst zum integrationspolitischen Ausgangspunkt machen. Davon kündet die - zunächst umstrittene - kommunale Förderung der Selbstorganisation von Migranten, aber auch eine Fülle von aktuellen Formaten und Ansätzen, die mit Zusatzbezeichnungen wie Mentoren, Paten und Lotsen, aber auch als Peer-Helfer, Buddy-Projekte oder Stadtteilmütter auf sich aufmerksam gemacht haben. So viel Aufbruch und Schwung lässt sich im kommunalen Raum nur in wenigen Tätigkeitsbereichen beobachten.
In jüngster Zeit werden jedoch die skeptischen Stimmen lauter. Michael Bommes meinte als prominenter Herausgeber des Migrationsreports in einer Inspektion der kommunalen Ebene vor einer „Integrationseuphorie“ warnen zu müssen (Bommes 2008: 161). Ähnliche Hinweise kommen aus dem integrationspolitischen Forschungsbereich des Berliner Wissenschaftszentrums. Es wird an die strukturellen Grenzen kommunaler Politik erinnert, die gerade im Integrationsbereich eine „Politik mit geringer Reichweite“ sei. Zentrale Integrationsfelder wie Bildung und Arbeitsmarkt, aber auch Weichenstellungen um Einbürgerung, Staatsbürgerschaft und Ausländerrecht sind weitgehend dem Zugriff kommunalpolitischer Akteure entzogen. Die Betrachtung solcher Grenzen mündet in die skeptische Nachfrage: „Haben die kommunalen Akteure überhaupt den Spielraum, dem hohen Anspruch des lokalen Integrations-Credos zu genügen?“ (Henkes 2009: 10). Ist diese wahrnehmbare Ernüchterung über die kommunale Integrationskraft ein bloßer Reflex des veränderten Migrationsgeschehens oder kommt darin auch eine wachsende Skepsis gegenüber bestimmten Leitideen kommunaler Integrationspolitik zum Ausdruck?
Kernpunkte einer strategisch orientierten kommunalen Integrationspolitik
Dass kommunale Integrationspolitik zu einem eigenen Politikfeld geworden ist, geht stärker als öffentlich gemeinhin wahrgenommen wird, von internationalen Impulsen, vor allem der EU aus. Hier sind bereits vor einigen Jahren Handbücher erschienen, wurden Monitoringverfahren und Indikatoren für Integrationsbereiche entwickelt und Benchmarking betrieben (vgl. Carrera 2008). Hinzu kommen einige internationale Städte-Netzwerke, die das Politikfeld weiterentwickeln (z.B. CLIP – Cities for Local Integration Policies). Vorsicht ist allerdings bei der Beurteilung der Auswirkungen von transnationaler Kooperation angesagt, denn Studien von Ruud Koopmans u.a. kommen zu dem Schluss, dass die Integrationspolitik weitgehend national geblieben ist. Vor allem in der wichtigen Frage der Bürgerrechte für Zuwanderer haben sich die Staaten Europas kaum angenähert.
In Deutschland sind die Ansätze zu einer strategisch orientierten kommunalen Integrationspolitik stark durch das neue Steuerungsmodells geprägt. Die Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsmodernisierung (KGSt) und die Bertelsmann Stiftung spielten dabei eine prägende Rolle. Zur Verallgemeinerung des Ansatzes hat vor fünf Jahren auch der gemeinsam von Bertelsmann Stiftung und vom Bundesministerium des Innern durchgeführte Wettbewerb „Erfolgreiche Integration ist kein Zufall“ beigetragen. KGSt und Bertelsmann Stiftung haben auch in der Folgezeit erheblich zum Aufschwung lokaler Integrationskonzepte beigetragen, zum Beispiel durch „Integrationsworkshops für Kommunen“ – ein Angebot an kommunale Führungskräfte zur Entwicklung von Integrationskonzepten für ihre Kommune.Bevor sie pauschal in Frage gestellt und zurückgenommen werden, wäre eine Überprüfung ihrer Wirkungen angesagt, denn ein paar Dutzend Kommunen beziehen sich seit einigen Jahren auf deren Handlungsempfehlungen und könnten zu einer Zwischenevaluation beitragen, deren Richtung hier nur angedeutet werden kann..
Zentrale Handlungsempfehlungen für eine strategisch ausgerichtete kommunale Integrationspolitik lauten:
1. Eine Strategie und Konzeption entwickeln, die in ihren Leitbildern und Schwerpunkten der jeweiligen lokalen Situation angemessen sind und auf Traditionsbestände Rücksicht nimmt. In der Praxis ist eine Vielfalt von lokalen Leitbildern entstanden. Erinnert sei nur an das frühe Multikultur-Leitbild, das inzwischen durch einen interkulturellen Ansatz abgelöst wurde, der vor allem die interne Vielfalt der Migrantenmilieus betont. Die „Friedensstadt“ Osnabrück, Nürnberg als Stadt der Menschenrechte, aber auch der Soziokultur sind weitere Beispiele. Wir wissen bis heute nicht, ob solchen Leitbilder eine praktische Bedeutung zukommt, ob sie die Identifikation von Zugewanderten mit „ihrer“ Kommune fördern oder lediglich Stichworte für das Stadtmarketing liefern. Immerhin gibt es bei Migranten gerade in Deutschland ein erhebliches Gefälle zwischen der starken Identifikation mit der neuen Heimatstadt und der weitaus geringeren mit dem Zuwanderungsland.
2. Integration als Querschnittsaufgabe verankern. Viele Aufgaben mit niedrigem Status in der kommunalen politischen Hierarchie drängen in Richtung Querschnittsaufgabe. Es ist ja unabweisbar, dass Integration in vielen Politikfeldern stattfinden sollte, wenn sie gelingen soll. In der Praxis droht jedoch die Randständigkeit von Querschnittsthemen. Integrationsbeauftragte bleiben mit ihren Initiativen in den Ressorts hängen. Zudem gibt es zunehmend Probleme und Konflikte mit konkurrierenden Querschnittsaufgaben, wie z.B. Senioren, Frauenförderung, Demografie. Über die Bedingungen, die eine dauerhafte und erfolgreiche Verankerung des Integrationsthemas auf der kommunalen Agenda begünstigen, wissen wir relativ wenig – von der Unterstützung durch die politische Spitze und einem breiten kommunalpolitischen Konsens einmal abgesehen.
3. Politische Verbindlichkeit herstellen. Diese Anforderung ist plausibel, wenn es um Signalwirkungen in die Verwaltung, an freie Träger und in Richtung Öffentlichkeit geht. Interessant wäre es zu wissen, wie tragfähig und krisenfest solche Selbstverpflichtungen wirklich sind. Immerhin deuten viele kommunale Internetportale darauf hin, dass die selbstgesetzten Ansprüche z.B. in Sachen Berichtspflicht und Monitoring nur gelegentlich eingelöst werden. Dies muss nicht verwundern, geht es doch gesetzlich normierten Pflichtaufgaben der Kommunen zuweilen nicht viel besser.
4. Partizipation sicherstellen und bürgerschaftliches Engagement aktivieren. Niemand wird dieser Zielsetzung widersprechen. Trotzdem fällt auf, dass es bislang noch nicht einmal den ernsthaften Versuch gibt, den Anteil von kommunalen Vertretern in den Räten mit Migrationshintergrund kenntlich zu machen. Für Zuwanderer aus Drittstaaten ist die Förderung von Vereinen und Migrantenselbstorganisationen eine gängige Ersatzstrategie, wo andere Formen der Beteiligung rechtlich ausgeschlossen scheinen.
Angesichts der neueren Forschungsergebnisse zu Migrantenmilieus ist eine unbequeme Debatte angesagt. Wie steht es um die milieuspezifische und damit auch soziale Selektivität von Integrationsbeiräten oder von Engagementformen, wie den Stadtteilmüttern, Lotsen, Mentoren und Paten? Solche Nachfragen sprechen nicht gegen die unbestreitbaren Verdienste solcher Ansätze, aber sie können vielleicht dafür sensibilisieren, wer von solchen Beteiligungsangeboten nicht erreicht wird.
5. Netzwerke aufbauen. Auch für die Kooperation zwischen verschiedenen Verwaltungsbereichen, mit zivilgesellschaftlichen Akteuren, Unternehmen, Hochschulen etc. gibt es mehr Argumente, als benötigt werden. Es gibt kaum mehr ein Förderprogramm von der EU bis zu den Ländern, die den Nachweis von Netzwerken nicht zur Bewilligungsvoraussetzung machen. Über die Erfolgsbedingungen und das längerfristige Schicksal solcher trisektoralen Netzwerke wissen wir wenig. Wenn die Transaktionskosten den erwarteten Nutzen deutlich übersteigen, dürfte das Interesse abbröckeln. Tendieren erfolgreich Netzwerke nicht zur sozialen Schließung? Aber stimmen solche Vermutungen und gibt es Gegenbeispiele?
6. Auf Stadtteilebene planen und arbeiten. Diese vernünftige Forderung dürfte nicht selten mit den finanziellen und administrativen Zentralisierungstendenzen kollidieren, die in Krisenzeiten besonders zum Zuge kommen. Gegenläufige Erfahrungen gibt es vor allem mit Programmen, die auf kleinräumige Ansätze abheben (z.B. Quartiersmanagement-Gebiete im Rahmen der „Sozialen Staat“, Quartiersbudgets bei Bürgerhaushalten etc.). Sind die Quartiere stark genug, um wirklich dezentral planen bzw. auf ihre besonderen Migrantengruppen eingehen zu können?
7. Zentrale Handlungsfelder bearbeiten. Auch wenn viele Politikfelder zur Integration beitragen können, haben sich einige Schwerpunkte herausgebildet, die von besonderer strategischer Bedeutung sein dürften. Dazu gehören ohne Anspruch auf Vollständigkeit:
- Frühförderung
- Bildung und Sprache
- Berufliche Bildung und Beschäftigung
- Ethnische Ökonomie und Subsistenzwirtschaft
- Wohnen
- Interkulturelle Begegnungen und interreligiöse Dialoge.
In all diesen Bereich gibt es erstaunliche Initiativen und Projekte, die herkömmliche Grenzen zu überwinden versuchen. Die aktuellen Debatten über kommunale Bildungslandschaften und ein Übergangsmanagement zwischen Schule, beruflicher Bildung und Erwerbsarbeit gehören dazu. Sicherlich gilt dies auch für „weiche“ Themen wie interkulturelle Gärten oder Abrahamische Trialoge, in denen das interreligiöse Verständnis zwischen Christen, Muslimen und Juden gefördert werden soll. Neben all den schwungvollen Initiativen ist auch ein erstaunliches Beharrungsvermögen zu beobachten. Wie steht es eigentlich um die Vertretung von Migranten in den avancierten Reformmodellen, die ihren Schwung gerade auch integrationspolitischen Erfordernissen verdanken? Ist die kommunale Reichweite überhaupt groß genug, um kommunale Bildungslandschaften zu entwickeln, die uns der Verwirklichung des Menschenrechts auf Bildung für alle näher bringen? Ein Beispiel mag genügen. Aus dem Monitoring einiger Großstädte wissen wir, dass die Übergangsquoten zu weiterführenden Schulen höchst unterschiedlich sein können – und dies nicht nur entlang von Quartiers- und Milieugrenzen, sondern auch von Schule zu Schule. Was wissen wir über probate kommunale Mittel auf solche Befunde zu reagieren?
8. Interkulturelle Öffnung der Verwaltung vorantreiben. Wer sich mit den Verhältnissen im öffentlichen Dienst beschäftigt, wird Legionen an Hindernissen entdecken, die es fast aussichtslos erscheinen lassen, auf diesem, in vieler Hinsicht bedeutsamen Handlungsfeld Fortschritte zu machen. Dies fängt bei der Anerkennung von Abschlüssen und der Absenkung von Zugangsbarrieren zu kommunalen Diensten an. Städte wie Berlin führen inzwischen gezielte öffentliche Kampagnen durch, um für die Ausbildung im öffentlichen Dienst und in kommunalen Betrieben zu werben. Viele Erfahrungen sprechen dafür, dass hier mit besonderen Widerständen zu rechnen ist, die in Zeiten knapper Kassen mit der Finanznot überdeckt werden können.
9. Initiativen für Vielfalt, Zivilität und Toleranz entwickeln und stärken. Selbst unter günstigen ökonomischen und sozialen Bedingungen ist mit negativen Abgrenzungen, Vorurteilen und Diskriminierungen zu rechnen, die sich politisieren können – quer durch alle Milieus. Integrationsstrategien zielen zwar generell darauf ab, Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Antisemitismus etc. zurückzudrängen, aber auf dem Wege dorthin sind aktive und offensive Formen der Auseinandersetzung mit diesen negativen Erscheinungsformen unverzichtbar. Auch hier gibt es eine Fülle von Ansätzen: von den Lokalen Aktionsplänen gegen Rechtsextremismus bis zu einer aktiven Antidiskriminierungspolitik. Aber viele Initiativen leiden unter „Projektitis“. Wie sehen die Erträge für eine strategisch orientierte Integrationspolitik aus?
10. Monitoring, Controlling, Evaluation. Hier geht es um ein Herzstück neuer Steuerungsansätze, die ohne Indikatoren und Kennzahlen nicht auskommen. Dieser wissensbasierte Zugang zur Politik, hier zur Integrationspolitik, steckt jedoch voller Paradoxien. Kennzahlen treffen auf einen – aus Steuerungssicht - „irrationalen“ politischen Prozess, der nach eigenen Logiken des Machterwerbs und Machterhalts funktioniert. Was in ihn eingespeist wird, unterliegt diesen anderen Logiken. Die Konsequenzen dieses Aufeinandertreffens können vielfältig sein. Kennzahlen können zum Machtmittel werden, geraten in die Mühlsteine unterschiedlicher Deutungen, werden nur noch nachlässig erhoben, weil der Aufwand nicht mehr lohnend erscheint. Wie verhalten sich die Indikatorensysteme zu politischen Prozessen, welchen Raum lassen sie für eigensinnige Bewertungen und politische Kontroversen, wie weit sind sie dazu geeignet, die Stimme der Zugewanderten partizipativ zu stärken? Bisher wissen wir sehr wenig, welcher politische Gebrauch von dieser Dimension des neuen Steuerungsmodells gemacht wird.
Grenzen der Steuerung
Die Zweifel an der Leistungsfähigkeit einer strategischen Steuerung der kommunalen Integrationspolitik dürften auch mit solchen Nachfragen zu tun haben. Das Versprechen, Integration zu einer Angelegenheit moderner Steuerung zu machen, taugte sehr wohl, um ein Politikfeld aufzuwerten und auszubauen, dessen Existenzberechtigung lange geleugnet wurde und für das es kein erprobtes Handwerkszeug gab. Aber wir wissen sehr wenig darüber, wie gut es in der Alltagspraxis funktioniert, welche Teile des 10-Punkte-Programms sich als tauglich erwiesen haben und die erhofften Wirkungen zeitigten.
Es gibt gewichtige Gründe, den Steuerungsoptimismus der lokalen Integrationskonzepte einer genaueren Prüfung zu unterziehen. Dies beginnt bei der Vorstellung dessen, was Integration eigentlich sein kann. Handelt es sich um einen widersprüchlichen, ungleichzeitigen, offenen, unabgeschlossenen Prozess oder um einen messbaren Zustand? Nötigen nicht die notorischen Finanzprobleme, die fehlende Autonomie und wachsende Überregelung dazu, Kommunen nur als eingeschränkt strategisch handlungsfähig zu betrachten?
Die Steuerungsdebatte hat sich, so eine weitere Nachfrage, stark auf die Ressourcen und Potentiale der Zuwanderer konzentriert. Dies stellt einen wichtigen Fortschritt gegenüber dem obligatorischen sozialpolitischen Problemblick dar. Aber trägt diese neue Sicht nicht auch dazu bei, durchaus vorhandene „negative“ Themen und Problemzonen auszuklammern. Dies gilt sowohl für problematische Entwicklungen in einigen Zuwanderungsmilieus wie für den Widerstand der einheimischen Bevölkerung. Der vergleichenden Studie von Putnam zu US-Städten (2007) mit dem Ergebnis, dass kurz- und mittelfristig verstärkte Zuwanderung durchaus negative Effekte auf Sozialkapital, politisches Vertrauen und Solidarität haben kann, ist zwar für westeuropäische Verhältnisse widersprochen worden, aber enthält sie nicht deutliche Spuren von sozialer Distanzierung, Diskriminierung und Alltagsrassismus.
In einigen lokalen Konfliktfeldern lassen sich unschwer Statuskämpfe ausmachen. Es geht um Widerstand gegen eine „erfolgreiche“ Integrationspolitik, die andere Ergebnis hervorbringt, als die klassische Unterschichtung durch „Gastarbeiter“, als sie dafür sorgten, dass der soziale Fahrstuhl für (fast) alle eine Etage nach oben fuhr. Offensichtlich ist ein backlash auch möglich, nachdem ein bestimmtes Integrationsniveau erreicht wurde. In der Bundesrepublik ist z.B. die Schulpolitik zu einem konfliktträchtigen Terrain geworden. Die Beibehaltung der frühen Selektion in einem gegliederten Schulsystem wirkt als Status sichernde Schranke gegen die Bildungsaspirationen der Zugewanderten. Freilich gibt es gegenläufige Interessen aus der Wirtschaft, die ohne die „Mobilisierung der Bildungsreserven“ von Kindern aus Zuwandererfamilien einen Mangel an Ausbildungsfähigkeit und qualifizierten Nachwuchs erwarten.
Das Integrationsgeschehen bietet zudem stets genügend Stoff für polarisierende Ereignisse, die zur Verstärkung und Mobilisierung von Abwehrhaltungen gegen Zuwanderung genutzt werden können. Die Einstellungsforschung belehrt uns über ein entsprechendes Potential, das z.B. sichtbar wird, wenn Vertreter der politischen Elite ihre fremdenfeindlichen Ressentiments als progressiven Tabubruch inszenieren können.
Diese Hinweise auf mögliche Grenzen und Ausblendungen eines allzu optimistischen Steue-rungskonzepts verdeutlichen, dass es auch um die Rückgewinnung einer genuin politischen Perspektive in der Integrationspolitik geht. Damit ist zunächst die Einsicht gemeint, dass es um die Arbeit an einer gemeinschaftlichen Aufgabe geht. Dazu braucht es integrative Leitbilder, die auch die einheimischen deutschstämmigen Milieus mitnehmen. Einige Themen liegen auf der Hand, wie z.B. die Ausgestaltung einer sozialen Bürgerschaft, bürgerschaftliches Engagement und Zivilität. Von entscheidender Bedeutung dürfte es allerdings sein, eine starke Alltagsdemokratie zu entwickeln, die positive Erfahrungen im Austausch von Ansichten und der Regelung von Konflikten ermöglichen. Gerade die positiven Erfahrungen mit einigen Moscheebauten und Moscheebaukonflikten zeigen, dass selbst in scheinbar unverhandelbaren religiösen Konflikten produktive Lösungen möglich sind. Erinnert sei auch an die positiven Integrationswirkungen, die von der Öffnung der Gewerkschaften und der Beteiligung von Migranten an der betrieblichen Mitbestimmung in den 1960er und 1970er Jahren ausgegangen sind. Vermutlich werden kommunale Integrationskonzepte nur dann eine dauerhafte Wirkung entfalten können, wenn sie stärker als bisher eine Alltagsdemokratie fördern, die in zivile Formen der Konfliktaustragung einüben.
Der Autor: Prof. Dr. Roland Roth lehrte von 1993 bis zu seiner Emeritierung Politikwissenschaft am Fachbereich Sozial- und Gesundheitswesen der Hochschule Magdeburg-Stendal. Er ist Mitbegründer des Instituts für Demokratische Entwicklung und Soziale Integration (DESI).
Literatur
Bommes, M. (2008): „Integration findet vor Ort statt“ – über die Neugestaltung kommunaler Integrationspolitik. In: Bommes, M.; Krüger-Potratz, M. (Hrsg.): Migrationsreport 2008, Frankfurt/New York, S. 159-193
Carrera, S. (2008): Benchmarkmarking Integration in the EU, Gütersloh
Gesemann, F.; Roth, R. (Hrsg) (2009): Lokale Integrationspolitik in der Einwanderungsgesellschaft, Wiesbaden
Henkes, Ch. (2009): Politik mit geringer Reichweite. Lokale Integration in Barcelona, Berlin und Brüssel, in: WZB-Mitteilungen H. 126, S. 10-14
Koopmans, R. et al. (2009): Integrationspolitik bleibt national, in: WZB-Mitteilungen H. 126, S. 6-9
Putnam, R.(2007): E Pluribus Unum: Diversity and Community in the Twenty-first Century. In: Scandinavian Political Studies, (30) 2, S. 137-174