Unendliche Daten - Prolog von Alexander Sander #GrKo16
Artikel vom 21.12.2016
Alexander Sander sprach gemeinsam mit Prof. Dr. Katharina Anna Zweig den Prolog zum Thema „Kulturelle Praktiken 4.0“ bei der Jahrestagung des Großen Konvents der Schader-Stiftung am 18. November 2016
Prolog – Alexander Sander
Die Digitalisierung und Ökonomisierung sämtlicher Lebensbereiche schreitet unaufhaltsam voran. Die Geräte wachsen immer näher an den Menschen heran und irgendwann in den Menschen hinein. Durch die Geräte sind und werden wir identifizierbar und verfolgbar. Es ist nachvollziehbar, was wir wann und wo mit den Geräten veranstalten. Zeiten, wo wir das Handy oder andere mit dem Netz verbundene Geräte ausschalten oder nicht bei uns tragen, wird es bald nicht mehr geben. Wir werden die Geräte ständig an uns, vielleicht sogar in uns, unter unserer Haut implantiert haben
Unendliche Daten
Mit den dabei erhobenen Daten, mit unseren Daten, wird Geld verdient. Viel Geld. Es heißt immer wieder: Daten sind das neue Öl. Doch anders als Öl sind Daten nicht endlich. Jede Bewegung, jede Handlung, jede Interaktion, vielleicht sogar bald jeder Gedanke lässt sich in Datenbanken speichern und zum Beispiel durch immer neue Algorithmen auswerten und verwertbar machen. Von selbstlernenden Algorithmen, deren Ergebnisse wir nicht mehr nachvollziehen können.
Daraus resultieren etwa Empfehlungen, wie wir unser Leben vermeintlich angenehmer, einfacher, effizienter und effektiver gestalten können. Unternehmen versuchen, uns auf Schritt und Tritt zu verfolgen und unsere Handlungen vorauszusehen. Sie wollen zur passenden Zeit mit dem passenden Produkt für uns da sein. Die Grenze zwischen Manipulation und reflektierten Entscheidungen verschwimmt dabei. Menschen werden zunehmend in die Funktion von Werbebotschaftern gedrängt.
Ständige Überwachung und der wachsende Heuhaufen
Um nur einige Maßnahmen zu nennen: Schon jetzt gibt es die Vorratsdatenspeicherung (VDS) von Kommunikationsdaten – der Staat weiß, wann wir mit wem kommunizieren. Diese Daten werden wochenlang auf Vorrat gespeichert. Und es gibt die VDS von Reisedaten – der Staat weiß, mit wem wir wann wohin fliegen und was wir unterwegs essen. Diese Informationen werden sogar für fünf Jahre auf Vorrat gespeichert. Die Forderung nach einer Ausweitung der Videoüberwachung begleitet uns ebenso in regelmäßigen Abständen wie der Ruf nach neuen Technologien wie Nacktscannern an Flughäfen oder automatisierter Nummernschilderkennung. Dahinter stehen oft ökonomische Interessen. Für mehr Sicherheit sorgen die Maßnahmen nur selten oder nie. Aber sie sorgen dafür, dass alle Menschen unter Generalverdacht gestellt werden. Sie sorgen dafür, dass die komplette Gesellschaft ständig ohne Anlass und verdachtsunabhängig überwacht wird. Auch vor Geheimnisträgern wird kein Halt gemacht. Vertrauliche Gespräche mit Geistlichen, Anwälten oder Ärzten zu führen wird immer schwieriger. Journalisten haben Schwierigkeiten, ihre Quellen zu schützen.
Die Räume, in denen wir unbeobachtet sein können, werden kleiner und schwerer auffindbar. Rechtsstaatliche Prinzipien werden für sicherheitsesoterische Lösungen geopfert. Datensammlungen, die von Unternehmen angelegt werden, sind zunehmend von Interesse für Ermittlungsbehörden. Es werden direkte Schnittstellen zu den Behörden und Diensten geschaffen oder es werden Daten übermittelt und ständig ausgewertet. Staaten wollen die Nadel im Heuhaufen finden, doch sind sie vor allem damit beschäftigt, den Heuhaufen zu vergrößern. Und wir werden ständig dazu gedrängt, möglichst viele unserer personenbezogenen Daten zur Verfügung zu stellen.
Der schlüsselfertige Überwachungsstaat
Sobald die Digitalisierung sich im Körper fortsetzt, sobald sich Implantate durchsetzen, werden die Freiräume nicht mehr existent sein. Die Kompletterfassung unseres Handelns, die Kompletterfassung unseres Lebens ist greifbar. Es existieren bereits Gebissimplante, um herauszufinden, was wir essen und trinken und um uns Vorschläge zu unterbreiten, wie wir uns gesünder ernähren können. Schon jetzt überwachen Arbeitgeber Telefongespräche ihrer Mitarbeiter und werten diese aus, um herauszufinden, wie diese sich fühlen, um gegebenenfalls die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Gleichzeitig trommeln Unternehmen, teilweise unterstützt von undurchsichtigen und intransparenten Lobbyverbänden und Vereinen, weltweit für weniger Datenschutz in der Gesetzgebung. Denn Datenschutz verhindert die Ökonomisierung auch der letzten privaten Bereiche unseres Lebens und gefährdet somit den Gewinn der Unternehmen.