Das Jahrhundert der Geistes- und Sozialwissenschaften - Prolog von Katharina Anna Zweig #GrKo16
Artikel vom 21.12.2016
Gemeinsam mit Alexander Sander hielt Prof. Dr. Katharina Anna Zweig den Prolog zum Thema „Kulturelle Praktiken 4.0“ bei der Jahrestagung des Großen Konvents der Schader-Stiftung am 18. November 2016
Prolog – Prof. Dr. Katharina Anna Zweig
Ich danke für die Einführung und freue mich ganz besonders, dass Sie auch die andere Seite kennenlernen wollen, denn ich muss Alexander Sander natürlich völlig widersprechen. Dieses Jahrhundert ist ganz unbestritten das der Informatik, und darüber möchte ich Ihnen gerne etwas erzählen. Ich wurde gebeten, die Begriffe Digitalisierung und 4.0 zu erklären. Und ganz ehrlich, Big Data ist der Problemlöser, und nicht der Problemerzeuger. Es ist ein völlig neues Paradigma. Es geht nicht um schnelle Lösungen. Es geht um faktenbasierte Analysen. Das kann man doch nicht schlecht finden. Denn nur Daten erlauben uns, das Verhalten von Menschen wirklich vorherzusagen. Dazu benutzen wir natürlich riesige verrauschte Datenmengen, das macht aber nichts, denn wir können genug Mathematik und Statistik, um die Muster heraus zu lesen, die mit Verhalten korrelieren. Und damit brauchen wir Theorien nicht mehr. Ich halte das für einen großen Fortschritt. Wir leben in einer theorielosen Welt, und wir können damit mehr über menschliches Verhalten erfahren als jemals zuvor. Denn Sie wissen, dass wir alle nicht ganz rational sind. Wir glauben immer, wir seien Experten, aber nur die Daten verraten uns, wie Menschen wirklich ticken.
Wir finden die Nadel im digitalen Heuhaufen
Ich sehe eine rosige Zukunft, die Veränderung aller gesellschaftlichen Prozesse. Wir haben schon heute Algorithmen, die besser darin sind, Personal einzustellen. Algorithmen, die Prognosen bringen über Leistungsfähigkeit, Passgenauigkeit, ohne Diskriminierung: Wer kann das nicht wollen? Gerichtsurteile, Prognosen über Rückfälligkeit, wir können in unseren Algorithmen die Expertise von Tausenden von Richterinnen und Richtern kombinieren – endlich objektiv. Das ist das Versprechen der Informatik: das Auffinden von seltenen Kategorien. Das wird leicht heruntergespielt – ja, wir sind in der Lage, Terroristen zu identifizieren. Die eine Nadel im digitalen Heuhaufen, die können wir finden. Wir könnten sogar, wenn wir das gesellschaftlich wollen, diese Menschen direkt eliminieren. Kein Problem. Ich weiß, das ist hier nicht populär. Wir können Gesellschaften ganz neu steuern und wir brauchen dafür keine Politiker mehr. Wir müssen nur noch „Measure und Analyze“ in einen Feedback-Control-Loop bringen, denn wir können über Sensoren automatisch erkennen, wie Sie sich verhalten. Wir können damit natürlich auch automatisch identifizieren, welche individuellen Ziele Sie haben und Sie damit über automatisierte, personalisierte Anreize steuern, um das mit globalen Optimierungskriterien in Einklang zu bringen. Wir überprüfen die globale Zielerreichung und gegebenenfalls können wir Sie anpassen – und schon sind wir bei der Kybernetik 4.0. Und auch da, denke ich, kann sich doch niemand dagegenstell
Das Jahrhundert der Informatik?
Achtung – die Referentin ist im Ironie-Modus! Ich hoffe, Sie haben es gemerkt, es hat mir physische Bauschmerzen bereitet, diese Rolle einzunehmen. Aber ich wollte Ihnen einmal das Gefühl geben, wie es wäre, wenn Sie an einer meiner Konferenzen teilnehmen. Und es ist kein Witz. Diese Leute glauben das. Und das macht mir Angst. Wir wollen Symptome kurieren, ohne die Krankheit zu kennen. Wir glauben, „meine Leute“ glauben, dass eine automatisierte Gesellschaftssteuerung besser wäre, als wenn Menschen das tun, mit personalisierten Anreizen, direktem Feedback und einer ständigen Messung der Kontrollvariablen. Und ich hoffe, dass Sie das ernstnehmen. Diese Leute glauben, dass das geht. Und in diesem Zuge glauben sie auch, dass wir Geistes- und Sozialwissenschaftler eigentlich nicht mehr brauchen: Gerne liefern wir euch ein paar Hypothesen aus unseren Daten, dann könnt ihr ja mal schauen, was ihr damit macht.
Das Jahrhundert der Geistes- und Sozialwissenschaften
Ich sehe eine verkettete Verantwortlichkeit. Ich stehe hier und entwickle Algorithmen, jemand anderes kommerzialisiert sie, wieder andere sammeln Daten – und natürlich war alles nur gespielt. Ich kann alles unterstreichen, was Alexander Sander vor mir gesagt hat. Da gibt es diese neuen sexy Digitalberufe, von denen keiner weiß, was das eigentlich ist. Leider wissen auch die Akteure nicht, was sie da tun: Sie bringen Daten mit Methoden zusammen, irgendjemand interpretiert das Ergebnis und dann kommt es zur Aktion. Und im Moment ist völlig unklar, wer das eigentlich überwachen soll. Wir haben Algorithm Watch gegründet, schauen Sie sich da gerne mal um. Von Ihnen als Gesellschaftswissenschaftlern brauchen wir aber auch ganz viel und ich verlange auch viel von Ihnen. Sie müssen sich tatsächlich in das Technische einarbeiten. Es reicht nicht, oberflächlich von der Digitalisierung, dem Internet, den Algorithmen zu reden. Wir müssen genau nachschauen, welcher Algorithmus was wo macht. Zum Beispiel sind Menschenbilder in Algorithmen versteckt. Das findet man aber nur gemeinsam heraus, wenn der Techniker und der Sozialwissenschaftler sich das zusammen ansehen. Es gibt psychologische Fehlschlüsse. Von einigen weiß ich, von anderen weiß ich nicht. Klären Sie mich auf. Ich kann Ihnen zeigen, welche Grenzen es in der Statistik gibt, Sie können mir vielleicht aufweisen, welche gesellschaftlichen Folgen es hat, wenn wir diese überschreiten. Aber zuallererst brauchen wir dafür die Entwicklung einer gemeinsamen Sprache, und dafür sind wir heute auch hier. Und deswegen danke ich nochmal für die Einladung und hoffe, dass es das Jahrhundert der Geistes- und Sozialwissenschaften wi