Sommercamp 2013. Transformationen des Alltäglichen
Artikel vom 07.11.2013
Transformationen: Wohnen, Arbeiten, die Nutzung des öffentlichen Raums – auch das vermeintlich Beständige, Alltägliche wandelt sich. Technische Neuerungen prägen das kommunikative Verhalten. Grenzen zwischen dem Öffentlichen und Privaten verschwimmen. Geschwindigkeiten scheinen zuzunehmen.
18 Studierende und junge Berufstätige arbeiteten intensiv beim Sommercamp 2013 und probierten sich gemeinsam mit anderen aus. Spannung boten die interdisziplinären Gruppen ebenso wie die Aufgabe, Ergebnisse bei der öffentlichen Präsentation vorzustellen. Von Kirsten Mensch
Interdisziplinäres Arbeiten
Die akademische Ausbildung junger Menschen in Deutschland wird einerseits immer mehr gestrafft, folgt andererseits immer enger vorgegebenen Curricula. Was dabei oftmals zu kurz kommt, ist das individuelle Experimentieren mit dem eigenen Können sowie gemeinschaftliches Arbeiten über die Grenzen der jeweiligen Fachdisziplin hinweg. Beides will die Auslobergemeinschaft des Sommercamps ausgewählten jungen Menschen ermöglichen.
18 Studierende und junge Berufstätige arbeiteten intensiv beim viertägigen Sommercamp im Juli 2013 und probierten sich dabei gemeinsam mit anderen aus. Aus den letztendlich ausgewählten Gewinnern (Architekten, Soziologen, Theaterwissenschaftlern, Stadtplanern...) entstanden vier interdisziplinäre Arbeitsgruppen, die während des viertägigen Camps zu den Schlagwörtern Räume, Zeiten, Wege und Zukünfte arbeiteten. Spannung boten die interdisziplinär zusammengestellten Gruppen ebenso wie die Aufgabe, Ergebnisse bei der öffentlichen Präsentation am vierten Tag vorzustellen. Begleitet wurden die Gruppen von Lukas Einsele, Künstler und Fotograf aus Darmstadt, Prof. Christa Reicher, Architektin und Stadtplanerin aus Dortmund, Dr. Konrad Hummel, Sozialwissenschaftler, in Mannheim tätig und Prof. Dr. Gert Kähler, Architekturpublizist aus Hamburg.
Auch die Auslobergemeinschaft setzt sich aus experimentierfreudigen Organisationen zusammen, die gerne über die Grenzen der jeweils eigenen Disziplin sowie die Grenze zwischen Wissenschaft und Praxis schauen. Dazu gehören die Akademie der Architekten- und Stadtplanerkammer Hessen, der Deutsche Werkbund, der mit seinen Landesgliederungen Baden-Württemberg und Hessen das Sommercamp mitinitiierte und unterstützte und die mitauslobende IKEA-Stiftung. Ein weiterer Mitauslober des Sommercamps ist die Vereinigung für Stadt-, Regional- und Landesplanung – SRL. Gastgeber war die Schader-Stiftung, die Gesellschaftswissenschaften fördert und dabei das Hauptaugenmerk auf den Dialog zwischen Wissenschaft und Praxis legt und diesen durch Veranstaltungen unterschiedlicher Art unterstützt. Den Kern bildet dabei das Schader-Forum, das auch dem Sommercamp eine angenehme, flexible und vielfältige Arbeitsstätte bot.
Das Thema des Sommercamps
Erbeten hatte die Auslobergemeinschaft in ihrem Aufruf Konzepte, Ideen, Visionen zum Thema „Transformationen des Alltäglichen“. Transformationen zeigen sich beim Wohnen, beim Arbeiten – im Leben an sich. Auch das vermeintlich Beständige, das Alltägliche, wandelt sich. So ändern sich zum Beispiel die Nutzungsweisen des öffentlichen Raums. Technische Neuerungen prägen stark das Kommunikationsverhalten der Menschen. Die Grenzen zwischen öffentlichen und privaten Bereichen und Tätigkeiten verschwimmen. Das Leben insgesamt scheint an Geschwindigkeit und Unsicherheit zuzunehmen. Solche und andere Transformationen wirken auf einzelne und auf die Gesellschaft. Veränderungen stoßen in größer werdender Dichte und Schnelligkeit auf die Menschen. Sie werfen existenzielle Fragen für das Leben, Wohnen, Gestalten und Arbeiten auf. Und sie werden unterschiedlich bewertet: von Ablehnung bis hin zum freudigen Begrüßen von Transformationen.
Es sollte nicht beim Beschreiben der Transformationen bleiben. Es waren Konzepte, Ideen, Visionen zu weiterführenden Fragen gewünscht:
– Wie kommt es zu Transformationen des Alltäglichen?
– Was fördert sie? Was hemmt sie?
– Sind sie gesteuert?
– Welche Initiativen, welche Einflüsse sind möglich? Wer kann diese ergreifen?
– Wie wirken sie sich für die Gestaltung der gemeinsamen Zukunft aus?
– Und ganz konkret: Welche Auswirkungen haben sie auf das Wohnen, auf das Arbeiten, auf das alltägliche Leben?
Diese Fragen stellte der Aufruf, auf den hin sich Studierende und junge Berufstätige bewerben konnten.
Die Ergebnisse des Sommercamps
„Transformationen des Alltäglichen“: Vieles kann man sich unter dieser Überschrift vorstellen. Die Weite und zum Teil auch Vagheit der Themensetzung lag explizit in der Absicht der Auslober, denn nur mit einem weiten und interpretationsfähigen Thema lässt sich eine große Anzahl Studierender und junger Berufstätiger über die Grenzen ihrer Disziplinen hinweg ansprechen.
Während der Diskussion beim Sommercamp sowohl im Plenum als auch in den vier Gruppen gelang es nichtsdestotrotz, eine gewinnbringende Struktur in das Themenfeld einzuarbeiten.
So lieferte der einführende Vortrag von Konrad Hummel grundlegende Aspekte und Abgrenzungen. Das Alltägliche ist ein Wahrnehmungsmuster im sozialen Leben, das der Ordnung von Zeit, Raum und sozialen Zusammenhängen dient. Dies schafft Sicherheit, eröffnet Chancen und ermöglicht Spezialisierungen. Auf der anderen Seite können Ordnungen als negativ empfunden werden, als Strukturen, die Freiheit einschränken und Kreativität behindern. Abzugrenzen sind Transformationen von plötzlichen Aufbrüchen der Ordnung, wie sie in Revolutionen erkennbar sind. Auf Revolution folgt zumeist die Restauration. Somit stellt sich die Ordnung wieder her. Sollen dauerhafte Veränderungen bewirkt werden, scheinen schleichende Wandlungsprozesse, die gleichwohl drastische Folgen haben können, gewinnbringender. Wichtig, auch für die psychosoziale Gesundheit, sind Schutzmechanismen vor einem Zuviel des Wandels, wie sie durch Erwartbarkeiten gegeben sind. Es muss eine Perspektive ebenso geben wie Vertrauensbeziehungen und positive Erfahrungen mit Kooperationen, sonst führt ein sich unablässig ändernder Alltag zu sozialen oder psychischen Missständen.
Intensiv diskutiert wurde die Frage, ob nicht eine gewisse Form von Ausnahmezuständen besser sei als das Setzen auf schleichende Veränderungen. Bezogen auf stadtplanerische Fragen: Sind Experimentierorte, die ohne Bebauungsplan freie Kreativität ermöglichen, oder Großereignisse wie das Austragen von Olympischen Spielen für Städte nicht weitaus eher Startpunkte von Transformationen als das Einhalten üblicher Verfahren, die sich nur minimal ändern können? Ist zugleich der Gedanke an die Kraft von schleichenden Transformationen nicht ein Ansatz, der nur in privilegierten Gesellschaften wie der deutschen greifen kann? Brauchen andere Gesellschaften, die unter bedrückenden politischen und wirtschaftlichen Verhältnissen ausharren müssen, nicht einen drastischen Ausbruch, der nur revolutionär sein kann?
Auch vom individuellen Standpunkt aus diskutierten die Sommercampteilnehmer das Thema der Transformationen: Welchen Mut haben wir, Verantwortung für gesellschaftliche Prozesse zu übernehmen? Welchen Mut haben wir, anders zu denken, nicht nur auf technologische Möglichkeiten zu setzen, sondern Utopien zuzulassen? Wie können wir loslassen von alten Wachstumskonzepten?
Konkret orientierte sich eine Diskussion an der Frage, in welchem Ausmaß die beobachtbaren Veränderungen im Einzelhandel vom individuellen Verhalten abhängen. Lässt sich die abnehmende Zahl der insbesondere kleineren Geschäfte mit dem jeweils eigenen Verhalten in Verbindung bringen? Welche Macht haben wir als Konsumenten, um Prozesse wie den Verlust von Läden aus Stadtteilen oder Ortszentren zu verhindern?
Nicht nur wirtschaftliche und soziale Gegebenheiten unterliegen den ständigen Transformationen. Auch die gebaute Umwelt tut dies. Architektur, die eigentlich etwas Festes schaffen soll, dessen Form sich nicht verändert, ist Teil eines ständigen Wandels. Dieser Wandel hat sich in den vergangenen Jahrzehnten intensiviert. Während früher die räumliche Umgebung etwa als Stadt eine längere Konstanz zeigte als die in ihr lebenden Menschen, verändert sich heute die räumliche Umgebung schneller. Was das mit den Menschen tut, bleibt eine offene Frage.
Während die bislang dargestellten Aspekte der Diskussion von der Gesamtgruppe zusammengetragen wurden, zeigen sich weitere Ergebnisse in den Arbeiten der einzelnen Gruppen.
Ergebnisse der Gruppe „Wege“
Die Gruppe „Wege“ bereitete für die Besucher der Abschlusspräsentation die erste Überraschung vor. Bereits vor dem Schader-Forum wurden die Besucher von den Gruppenmitgliedern begrüßt und dazu aufgefordert, sich für einen von mehreren möglichen Wegen zu entscheiden. Drei Wege standen zur Auswahl: ein Weg, den man wählen sollte, „wenn Ihnen die Zeit davonläuft“, ein Weg, „wenn Sie Erwartungen haben“ und ein Weg, „wenn Ihnen Raum fehlt“. Der erste Weg führte direkt zum Aufzug, der ein schnelles Erreichen des Tagungssaals ermöglichte, aber gleichwohl ein Erlebnis offenbarte. Ein „hübsches Mädchen“, wie später einer der Gäste sagte, saß im Aufzug und las ein Gedicht vor. Der Weg für die Menschen mit Erwartungen führte durch ein abgedunkeltes Treppenhaus, das einem nicht die Stille eines Hausinneren präsentierte, sondern die Gäste dem Lärm der Stadt aussetzte. Später gelangte man auf die Dachterrasse, wo man sich einen Platz im Tagungssaal auswürfeln konnte. Der dritte Weg eröffnete auch häufigen Besuchern des Schader-Forums neue Räume. Er führte durch den ansonsten nicht öffentlich genutzten Hof des Schader-Forums und letztlich durch den Notausgang in das Gebäude hinein. Gereicht bekamen die Nutzer dieses Weges – trotz des heiß-sonnigen Wetters – einen Regenschirm.
Die Erfahrungen der Gäste mit den drei Wegen wurden, als schließlich alle im Tagungssaal angelangt waren, gemeinsam besprochen. Das Ziel der Gruppe, nämlich Menschen im üblichen Nutzen von Wegen zu unterbrechen, um deren Mikrokosmos zu erweitern, wurde offenkundig erreicht. Die hinter diesem spielerischen Ansatz stehenden Gedanken formulierte die Gruppe Wege folgen-dermaßen:
„Wege der Transformation oder transformierte Wege? Schon vorhandener Transformation entgegenwirken, Transformation lenken oder selbst transformieren? Grundlegende Gedanken, die erst einmal auf einen Nenner zu bringen sind.
Doch Wege legen wir alle Tage täglich hinter uns. Alltäglich. Das sind nicht nur die Wege von A nach B, sondern auch die Wege in unserem Leben, wo nicht immer so ganz genau das Ziel oder der Zielpunkt sichtbar zu sein scheinen. Die greifbaren Wege, die sich auf einer Karte, in einem Koordinatensystem festlegen lassen, können auf verschiedene Arten begangen werden. Ein Unterscheidungsmerkmal ist dabei die unterschiedliche Geschwindigkeit. Diese Geschwindigkeit wirkt sich auf uns aus. Umso schneller, umso weniger nehmen wir um uns herum wahr. Dies passiert nicht nur auf den Wegen von A nach B. Wir folgen strikten Anweisungen, wie wir uns zu bewegen und fortzubewegen haben, strikten Wegen und Regeln.
Wir haben uns nun zu fünft auf den Weg gemacht, diese zu unterwandern und zu reflektieren. Im Sinne der Wege als Verbindungen haben wir auch die anderen Themen (Räume, Zeiten, Zukünfte) aufgegriffen.
Das alles kreuz und quer durch das Haus der Schader Stiftung. Wege unterbrechen, verfremden um Aufmerksamkeit zu erzeugen und um Prozesse im Kopf loszutreten.“ (Sebastian Beck, Friederike Behr, Sebastian Eichhorn, Frieda Horn, Johanetta Warsberg)
Ergebnisse der Gruppe „Räume“
„Unter dem Thema ‚Räume – verbinden, teilen, erobern, besetzen‘ hat sich eine interdisziplinär zusammengesetzte Gruppe aus einem Planer, einer Soziologin, einer Architektin und einer ‚Raumkünstlerin‘ zusammengefunden. Mit den Disziplinen trafen ganz unterschiedliche Perspektiven und persönliche Raumwahrnehmungen aufeinander. So wurden nicht nur räumliche Grenzen in verschiedener Form definiert, es wurden auch unterschiedliche Herangehensweisen an das Thema des Raumes deutlich.
Das Ergebnis war eine raumgreifende Performance: Rot-weißes Absperrband diente der Gruppe als Werkzeug, um dem Publikum ihre Sicht auf den umgebenden Raum und dessen sichtbare und unsichtbare Grenzen aufzuzeigen. Der konstruierte Raum aus Sicht eines Planers, exakt vermessen und geordnet, der soziale Raum einer Soziologin, verstanden als ein Beziehungsraum, von Menschen in sozialem Handeln geschaffen, der gebaute Raum, gestaltet durch eine Architektin, materielle Grenzen schaffend und verschiebend und, als letzte Komponente, fügten sich etwas Neues und nicht klar Umgrenztes ein in Form von Intuition und Emotionen. Der Präsentationssaal wurde durch die Gruppe geteilt, verbunden, erobert und temporär besetzt.
In Anlehnung an die klassische Raumtheorie, welche die Mehrdimensionalität des Raumes betont, wurde deutlich, dass nicht der ‚eine‘ Raum existiert, sondern Raum ein mehrdimensionales Produkt immer wieder neu stattfindender Aushandlungsprozesse ist. Er befindet sich in einem stetigen, alltäglichen Wandel und entsteht durch soziales Handeln, welches wiederum Strukturen schafft. Gleichzeitig sind es jedoch auch jene Strukturen und Grenzen, die soziales Handeln erst beeinflussen. Das Verbinden und Teilen des Raumes durch die Gruppe, in der jeweiligen Rolle der überspitzt dargestellten Disziplinen, schaffte durch das Überschneiden und gemeinsame Verlagern der individuellen Grenzen einen neuen Raum – einen gemeinsamen Raum, mit einer ganz neuen Qualität." (Sarah Berndt, Ute Neumann, Alyssa Lena Rau, Martin Schulwitz)
Das Publikum sah bei der Entstehung des neuen Raumes, visualisiert durch das Absperrband zu, wirkte teilweise auch mit, spürte deutlich die Unterschiedlichkeit der beteiligten Persönlichkeiten sowie die daraus resultierenden Konflikte und war zum Schluss auch Zeuge der harmonischen Auflösung der Konflikte, versinnbildlicht durch Umarmungen und dem neu entstandenen Raum.
Ergebnisse der Gruppe „Zukünfte“
Die Gruppe „Zukünfte“ konnte sich schnell auf einen gemeinsamen inhaltlichen Nenner einigen: Alle Personen in der Gruppe arbeiteten auch zuvor schon am Themenfeld des öffentlichen Stadtraums. Inspirationsquelle für die Gruppe waren nicht die öffentlichen Plätze, die belebt und gepflegt das Stadtbild verschönern, sondern die „verborgenen Restflächen“, die kaum wahrgenommen werden. Dass auch diese Orte Zukunft haben, fasste die Gruppe im Begriff des „Sehnsuchtsortes“ zusammen.
„Sehnsuchtsorte - das ist nicht Urlaub, Sonne, Meer, jedenfalls nicht in unserem Zusammenhang.
Sehnsuchtsorte sind in der eigenen Stadt: Orte, die die Fantasie anregen, die besetzt werden für verschiedene Aktivitäten.
Öffentlicher Raum - was für ein schreckliches Wort, für etwas, das doch den Bürgern gehört! Öffentlicher Raum ist das Gemeingut der Bürger: Der gesellschaftliche Mehrwert dieses Gemein-guts entsteht aus der Lust der Bürger am zweckfreien Handeln, an der Begegnung unbekannter, anonymer Menschen, die gleichberechtigt den öffentlichen Raum nutzen. Gemeingut - das heißt nicht, dass jeder alles machen darf - es gibt Regeln: Freiheit ist nur durch Regeln zu erreichen. Entscheidend: Die Regeln geben wir uns selbst!
Öffentlicher Raum ist überall, man muss ihn nur entdecken. Der öffentliche Raum ist offen für Veränderungen, für Transformationen: Es sind die unentdeckten Orte, die vergessenen oder unsichtbaren Orte, die Unorte, die verwunschenen Orte, Orte ohne Namen, die es zu verändern gilt. Zu Sehnsuchtsorten. Zu unseren Sehnsuchtsorten.
Es geht um ein neues Aushandeln der Bedeutung des Öffentlichen und des Privaten - das Öffentliche hat Vorrang! Sollte Vorrang haben. Unsere Bedürfnisse und Emotionen beeinflussen das Öffentliche: Sehnsüchte haben das Potential, eigene Energie für das Gemeinwohl freizusetzen.
Es gibt mehr, als wir auf den ersten Blick sehen, mehr als wir im ersten Moment denken: Wir können Sehnsuchtsorte an unerwarteten Ecken der Stadt entdecken. Im Mittelalter hieß es: ‚Stadtluft macht frei‘! Und der Schlachtruf der Pariser Studenten 1968: ‚Die Fantasie an die Macht!‘ gilt immer noch. Wer, wenn nicht wir alle, sind die Stadt und können sie träumen und gestalten?
Auch das Publikum wurde in der Abschlusspräsentation eingeladen, den Blick auf eine Straße mit parkenden Autos und klassischer Baumbepflanzung zu richten, um daraus seinen Sehnsuchtsort zu gestalten: ‚Ich habe lachende Kinder gehört und habe mich gefragt, was wohl hinter der Mauer auf der anderen Seite der Straße ist.‘ / ‚Ich dachte an einen Hochsitz, um einen neuen Ausblick zu bekommen.‘ / ‚Warum nicht ein Beet daraus machen und die Nachbarn zum Gießen bewegen?‘ / ‚Ich würde den Holzpflock in einen Sitz umwandeln.‘ / ‚Anstatt dieser öden Wüste würde ich Stockrosen um den Baum herum pflanzen‘.“ (Lena Hummel, Julia Manske, Svenja Nachtigall, Armin Schleicher)
Der Mehrwert interdisziplinärer Arbeit
Drei Aspekte entpuppten sich als Herausforderungen für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Sommercamps. Zum einen die verschiedenen Disziplinen, die mit ihrer unterschiedlichen Herangehensweisen, ihren unterschiedlichen Sprachen und auch Tempi aufeinander stießen. Zum anderen waren es die gruppendynamischen Effekte, die die vier von der Jury zusammengesetzten Gruppen erlebten. Und zum Dritten forderte der Zeitdruck heraus, der sich mit der Anforderung des öffentlichen Präsentierens von Ergebnissen am vierten Tag des Sommercamps einstellte. Alle vier Gruppen meisterten diese Herausforderungen – allerdings auf unterschiedliche Arten. Während bei manchen Gruppen Konflikte aufbrachen und Konfrontationen gesucht wurden, erledigten andere Gruppen die gruppen- und sachbezogene Weiterentwicklung auf harmonische Weise. So wundert es auch nicht, dass die Beurteilung des Mehrwerts interdisziplinärer Arbeit ebenso unterschiedlich ausfiel. Einige der Teilnehmenden sprachen explizit davon, dass sie Grenzen wahrgenommen haben und teilweise diese auch überwinden konnten. Sie hatten die eigene Verhaftung in Systemen und Denkweisen und damit eine Form des Eingeschränktseins erfahren. Andere wiederum sahen die Gefahr, dass die Expertise der einzelnen Disziplinen nicht ausreichend genutzt wird, weil man eher auf ein harmonisches gemeinsames Fortschreiten der Gruppe setzt. Deutlich wurde allen, dass interdisziplinäres Arbeiten nicht nur in der Addition der Disziplinen besteht, sondern immer auch die grundsätzliche Frage der Herangehensweise stellt.
Besonders eindrücklich blieb dabei die Aussage von Christa Reicher, die während der Abschlusspräsentation bilanzierte: „Ich habe zehn Jahre lang an einer interdisziplinären Fakultät gearbeitet, aber das hier war mein interdisziplinärstes Experiment.“
Die Autorin: Dr. Kirsten Mensch ist Politikwissenschaftlerin und seit 2000 Wissenschaftliche Referentin der Schader-Stiftung.