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„Ich glaub‘ aber, die besten Nachrichten sind bei den Sendern, wo wir‘s nicht gucken“. Wie junge Erwachsene aushandeln, was guter Journalismus ist

Artikel vom 07.02.2014

Anfang der 1980er Jahre prangerte Klaus Mollenhauer in einem Essay die „Pathologisierung des Jugendalters“ in unserer Gesellschaft an. Dieser Beitrag erkundet, wie diese angebliche „Problemgruppe“, genauer mündige Jugendliche zwischen 18 und 25 Jahren, über Qualität im Journalismus denkt und spricht. Die Ergebnisse zeigen, dass sie zwar neue Arten und Weisen entwickelt haben, journalistische Medien zu nutzen, dass die Erwartungen (Vorlieben, Normen) an den Journalismus aber gar nicht so außergewöhnlich sind. Von Dennis Reineck

Was wir wissen

Was ist über die Mediennutzung Jugendlicher und junger Erwachsener zwischen 14 und 29 Jahren1 bekannt? Drei Ergebnisse sind hier von Belang:

  1. Die junge Generation nutzt häufiger digitale Medien (Computer, internetfähiges Mobiltelefon) und seltener klassische (Zeitung, Hörfunk, Fernsehen) als die Gesamtbevölkerung (vgl. Ridder/Engel, 2010);
  2. sie stimmt journalistischen Qualitätskriterien in etwas geringerem Maße zu als die Gesamtbevölkerung (vgl. Arnold, 2009: 389; Neuberger, 2012: 44);
  3. es gibt gewisse Widersprüche zwischen der Bewertung von Medien und den genutzten Medien – beispielsweise schätzen die 14- bis 29-Jährigen Zeitungen als vertrauenswürdiger ein als die Gesamtbevölkerung, nutzen sie aber deutlich seltener (vgl. ALLBUS, 2013; Ridder/Engel, 2010).

Theoretische Überlegungen

In der Kommunikationswissenschaft sind zahlreiche Kriterienkataloge für die Beschreibung journalistischer Qualität entwickelt worden (etwa Schatz/Schulz, 1992; Rager, 1994; Pöttker, 2000). Mit solchen „dekompositorischen“ Ansätzen lässt sich Qualität in Dimensionen wie Vielfalt, Relevanz oder Richtigkeit zerlegen und messen. In den letzten Jahren wurde vermehrt überprüft, welchen dieser Kriterien Mediennutzer zustimmen oder aber welche sie erkennen können (Arnold, 2009; Neuberger, 2012; Urban/Schweiger, 2013). 

Die hier vorgestellte Studie ergänzt die dekompositorische Vorgehensweise durch eine phänomenologische2, bei der nicht der Forscher vorgibt, wie Qualität definiert wird, sondern die Mediennutzer selbst. Wenn Nutzer selbst ausführlich zu Wort kommen, verhindert das, dass die „Denkschablonen“ des Wissenschaftlers vorschnell determinieren, in welchen Kategorien diese zu denken und zu antworten haben. Darüber hinaus wird hier, in Anlehnung an Arbeiten zur Qualität fiktionaler Formate (Wolling, 2004; Gehrau, 2008), Qualität nicht nur wertrational mit normativen Vorgaben der Gesellschaft gleichgesetzt, sondern ergänzend mit zweckrationalen Bedürfniserwartungen des Publikums.

Wie und wo junge Erwachsene Journalismus begegnen

Zunächst musste geklärt werden, wo die Teilnehmer mit Journalismus in Berührung kommen. Die Teilnehmer meinten, das geschehe überall. Einerformulierte es so: „Heutzutage kannst du eigentlich gar nicht von den Informationen und Nachrichten fern bleiben, find‘ ich. Da ist es egal, womit. Weil heutzutage wirst Du von Medien eh bombardiert […].“ Andere beschrieben, dass sie Fernsehnachrichten am Rande von Unterhaltungsformaten wie den „Simpsons“ oder „taff“ auf ProSieben mitbekämen, oder wenn sie auf den Seiten von E-Mail-Betreibern im Internet verweilten.

Nachrichten erscheinen den Teilnehmern demnach nicht als knappes, sondern als ubiquitäres Gut, das stets verfügbar ist. Auch deshalb suchen sie teilweise nicht mehr journalistische Medien auf, sondern erwarten, dass der Journalismus zu ihnen kommt. Facebook oder Applikationen auf dem Mobiltelefon fungieren als Nachrichtenaggregatoren, sozusagen als eine Art persönliche Nachrichtenagentur: „Ich geh‘ dann mal in Facebook, und dann seh‘ ich irgendein Thema, weil irgendjemand das halt geliked hat, dann guck ich […] das durch, und […] wenn‘s mich dann so interessiert, dass ich mehr erfahre[n] möchte, dann könnt‘ ich auf Google gehen und das eingeben.“

Allerdings wird dies auch als Gefahr gesehen. Den Teilnehmern ist durchaus bewusst, dass dadurch bestimmte Meldungen sie nicht erreichen und dass der Wahrheitsgehalt mancher Facebook-Nachricht mit Vorsicht zu genießen ist.

Vieles von dem, was journalistische Medien berichten, sei wenig interessant, hieß es immer wieder. Der Vorteil von sozialen Netzwerken besteht aus Sicht der 18- bis 25-Jährigen darin, dass die Botschaften ihrer Freunde durch einen gruppenspezifischen „Relevanzfilter“ gelaufen sind. Der klassischen Zeitung warf ein Teilnehmer hingegen vor, nach Kriterien zu selektieren, die nicht für ihn interessant seien: „Das ist voll oft bei Zeitungen so, [dass die] so […] uninteressante Themen haben […] drei, vier Seiten, und dann voll die interessanten haben so den kleinen Abschnitt.“ Die gedruckte Tageszeitung spielte für viele Teilnehmer kaum eine Rolle. Vielfach erschienen die Gründe dafür nicht als „wahre“ Gründe, sondern eher als nachträgliche Rechtfertigungsversuche (im Sinne von Berger/Luckmann, 2010: 112ff.). Die 18- bis 25-Jährigen sind in der Regel ohne Zeitungen aufgewachsen, sie wurden in eine andere Medienwelt hinein sozialisiert. Wenn die Zeitung also kritisiert wird, hat das auch damit zu tun, dass sie den Teilnehmern von vornherein fremd ist.

Wollen und Sollen

Welche Bedürfnisse haben die Studienteilnehmer, was wollen sie vom Journalismus, und welchen Qualitätsnormen stimmen sie zu, was soll Journalismus aus ihrer Sicht leisten? Verglichen mit einschlägigen repräsentativen Studien (Ridder/Engel, 2010; Arnold, 2009), gab es wenig spezifische Abweichungen der jungen Erwachsenen. Sie stimmten den gängigen Normen (etwa Verständlichkeit, Richtigkeit) und auch den meisten Bedürfnissen (wie Information, mitreden können) in hohem Maße zu. Am wichtigsten war den jungen Erwachsenen, dass die Berichterstattung relevant, richtig und verständlich ist. Am wenigsten lagen ihnen die Normen der Objektivität und Unabhängigkeit der Berichterstattung sowie die Unterhaltung am Herzen. Als wichtigste Bedürfnisse nannten sie die Information, mitreden zu können und die Unterhaltung. Letzteres ist deshalb bemerkenswert, weil es zeigt, dass sie ihre eigenen Bedürfnisse (Unterhaltung) offenbar von dem unterscheiden, wie guter Journalismus sein sollte. Unterhaltung wird zwar gewollt, aber guter Journalismus wird eher nicht mit unterhaltendem Journalismus gleichgesetzt. Das Bedürfnis, Orientierung für den Alltag zu bekommen, wurde bei weitem am seltensten genannt, was als Indiz für eine gewisse Entfremdung vom Journalismus gewertet werden kann.

Mehrfach zeigte sich, dass es bei den Bedürfnissen und Normen auch Unterschiede zwischen verschiedenen Ausbildungsverläufen (Studium, zweiter Bildungsweg, Lehre, vorübergehende Arbeitslosigkeit) gab, die sich auf unterschiedliche Lebenswelten zurückführen lassen. Für Studierende waren beispielsweise journalistische Medien auch mit Spaß und Entspannung verbunden. Dagegen war Lehrlingen die Verständlichkeit ein besonderes Anliegen. Vor diesem Hintergrund ist Vorsicht geboten, wenn die 18- bis 25-Jährigen als einheitliche Generation beschrieben werden. Nicht nur die altersspezifische Mediensozialisation, auch die konkrete, in diesem Alter besonders von der Ausbildung geprägte Lebenswelt beeinflusst, welche Medien genutzt werden, welche Vorlieben und Normen sich herausbilden und verinnerlicht werden.

Als starkes, gruppenübergreifendes Bedürfnis erwies sich die Meinungsvielfalt. Im Internet, in Online-Kommentaren und auf Facebook könne man mehrere Meinungen zu einem Thema lesen. Der Journalismus verliert mit dieser Art von Nutzung einen Teil seiner Deutungshoheit über die Themen seiner Berichterstattung.

Zum Umgang mit Widersprüchen zwischen Nutzung und Norm

Junge Menschen haben verschiedene Strategien, um die bereits angedeuteten Widersprüche zwischen genutzten und Qualitätsmedien zu rechtfertigen. Die Art und Weise, wie hier argumentiert wird, liefert zusätzliche Einblicke in die Auffassung der Teilnehmer von dem, was Qualität im Journalismus ist. Fünf Strategien wurden in den Interviews identifiziert:

  1. Bei der Relativierung galt Qualität als Frage des individuellen Geschmacks. Typisch dafür waren Formulierungen wie „du hast halt eine andere Meinung“ oder „jeder hat doch auch andere Interessen“.
  2. Bei der Differenzierung nach Bedürfnissen führten die Teilnehmer die Nutzung als defizitär empfundener Medien auf andere Bedürfnisse zurück. So galt die „Bild“ als gutes Unterhaltungsmedium, oder wie es ein Student formulierte, das Boulevardblatt sei für „Mediennutzung zum Spaß“ geeignet, nicht „im Sinne von Informationsgewinnung“. Ein Lehrling meinte, er lese „Bild“, wenn er sich „blöd informiere[n]“ wolle. Vielen war auch der Negativismus journalistischer Medien ein Dorn im Auge. Ein Teilnehmer meinte, dass man bei RTL2 auch positive Sachen sehe, in der ARD allerdings „immer nur Krieg, Tote“, weshalb er den Privatsender bevorzuge.
  3. Daneben wurde nach Mediengenres differenziert. Qualität ist demnach davon abhängig, welche Art journalistisches Medienangebot diskutiert werde. So entspann sich in einer Zweiter-Bildungsweg-Gruppe eine Diskussion darüber, ob die Talksendung „Neo Paradise“ auf ZDF Neo als „Qualitätsjournalismus“ zu bezeichnen sei. Man einigte sich darauf, dass es „halt zwei unterschiedliche Journalismusarten“ gebe.
  4. Widersprüche wurden auch auf Altersunterschiede zurückgeführt, was man in Anlehnung an Bourdieu (1982) als generationelle Distinktion bezeichnen könnte. Ein Lehrling meinte: „Ich glaub‘ aber die besten Nachrichten sind bei den Sendern, wo wir‘s nicht gucken, so wie ARD oder ZDF. Die machen‘s dann wirklich sachlich […]. Wir gucken ja eher so RTL, da wo‘s halt ein bisschen mit was Nettem vermischt ist.“ Daraufhin führte ein anderer die beschriebene Diskrepanz auf unterschiedliche Generationeninteressen zurück: „Das ist […] in unserer Altersklasse einfach interessanter […].“
  5. Schließlich wurde (seltener) zugegeben, dass Qualität manchmal überhaupt keine Rolle bei der Mediennutzung spiele, was als Ausblendungsstrategie (S5) bezeichnet werden könnte. So gab ein arbeitsloser Teilnehmer zu: „[M]anchmal schaust Du Dir so‘n Müll an, weil du nix Besseres zu tun hast.“

Fazit

Für junge Menschen ist Journalismus allgegenwärtig. Sie kommen mit der heutigen Informationsflut zurecht, indem sie unter anderem auf die Filterfunktion von Facebook oder Mobiltelefonen zurückgreifen. Ihre Bedürfnisse und Normen scheinen in weiten Teilen identisch mit denen der Gesamtbevölkerung zu sein. Entscheidender ist mit Blick auf spezifische Bedürfnisse und Normen wohl nicht die Generation, sondern die Lebenswelt der Teilnehmer, die ihre Bedürfnisse und Erwartungen prägt. Meinungsvielfalt ist ein besonderes, gruppenübergreifendes Anliegen. Es spricht auch einiges für eine gewisse Entfremdung von klassisch-journalistischen Medien wie Tageszeitungen oder der Tagesschau.

Die Legitimationsstrategien, die junge Menschen verwenden, um Widersprüche zwischen ihrer eigenen Mediennutzung und den herrschenden Normen zu rechtfertigen, legen eine Präferenz für ein liberales Mediensystem nahe. Wenn Qualität abhängig ist vom individuellen Geschmack, vom momentanen Bedürfnis, vom Mediengenre, von der Generation, dann erscheint ein Nachfrage-gesteuertes Marktmodell als angemessenes System. Bedenkt man allerdings, dass die Teilnehmer durchaus auch den gängigen Normen (wie Richtigkeit, Relevanz) in hohem Maße zustimmten, könnte man das auch als Votum für ein Solidarmodell werten, in dem Qualitätsmedien, wie im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, gesamtgesellschaftlich finanziert werden, auch wenn sie nicht immer selbst genutzt werden. Als Kompromiss ließe sich daraus ein Mediensystem ableiten, das so aufgebaut ist wie das Duale Rundfunksystem, als Mischform aus öffentlich-rechtlicher und privater Finanzierung, sowohl dem Allgemeinwohl verpflichtet als auch an der individuellen Nachfrage orientiert.

Der Autor: Dennis Reineck, M.A., war 2009 bis 2013 wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Rudolf-Augstein-Stiftungsprofessur für Praxis des Qualitätsjournalismus an der Universität Hamburg. Aktuell arbeitet er dort im Drittmittelprojekt „Journalismus unter digitalen Vorzeichen“.

Es handelt sich um erste Ergebnisse des Promotionsvorhabens des Autors. Die Ergebnisse basieren auf acht Gruppendiskussionen und einer schriftlichen Befragung unter 78 Jugendlichen aus zwei unterschiedlich großen deutschen Städten in Südwest- und Nordostdeutschland (Ulm, Berlin), die im Zeitraum Dezember 2012 bis August 2013 durchgeführt wurden.

Da sich die kommunikationswissenschaftliche Medienforschung häufig an den Zielgruppendefinitionen der kommerziellen Medienforschung orientiert, werden hier Daten für die Altersgruppe der 14- bis 29-Jährigen berichtet.

Die von Edmund Husserl entwickelte und von Alfred Schütz (1995) für die Sozialwissenschaften adaptierte Phänomenologie versucht interpretierend die Weltsicht von Handelnden zu verstehen, anstatt ihr Handeln mit vorgefertigten Kausalmodellen statistisch zu erklären.

3 Im Folgenden wird stets die männliche Form verwendet, um die Anonymisierung zu gewährleisten.

 

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