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Warum Verlage Journalisten als Marke pflegen müssen

Artikel vom 06.03.2014

Die Situation für Journalismus - und damit für die Journalistinnen und Journalisten - wird immer schwieriger. Nicht zuletzt angesichts der stockenden Tarifverhandlungen für Tageszeitungen ist klar: Wir sind mitten in einer Art Selbstbereinigungsphase, in einem dramatischen Umbruch einer Branche, die eben nicht nur eine Branche, nicht nur ein beliebiger Wirtschaftszweig ist. Oder zumindest nicht sein sollte. Von Frank Überall

Wandel in der Zeitungslandschaft

Was bedeutet dieser Wandel in der Zeitungslandschaft für die Leserinnen und Leser? Es ist ja nicht so, dass es die nicht mehr geben würde. Propheten des Untergangs wollen uns das zwar gerne einreden, aber es stimmt einfach nicht. Die Wochenzeitung "Die Zeit" vermeldet Rekordauflagen, und in den Regalen der Händler liegen insgesamt mehr Blätter denn je. Es sind nicht die Tageszeitungen, die von diesem positiven Trend profitieren. Dort wird weniger Geld eingenommen - wobei es nicht so ist, dass die Renditen im Medienbereich flächendeckend weg gebrochen wären. Die Verleger kennen darauf meist nur eine Antwort: Sparen, sparen und nochmals sparen! Und das gerne und gerade auch bei den Redaktionen.

Leser erwarten nicht nur Unterhaltung

Gute Arbeit kostet aber gutes Geld. Projekte wie die Huffington Post zeigen, wohin der Trend in den Augen mancher Verlagsmanager gehen soll: Am liebsten tendenziell nichts ausgeben, dafür aber hohe Vorstandsgehälter und deftige Gewinne. Das kann auf Dauer nicht funktionieren, wenn die Presse auch ihre demokratietheoretische, gesellschaftlich wichtige und grundgesetzlich verbriefte Funktion wahrnehmen soll. Auch wenn bei Umfragen immer wieder heraus kommt, dass vor allem jüngere Menschen von ihrer Tageszeitung besonders Unterhaltung erwarten, ist die Realität doch ein wenig komplexer.
Dabei kommt es immer auch darauf an, wie und wo man die Menschen befragt. Wenn Sie zum Beispiel auf der Straße mal eben erklären sollen, was Sie in der Zeitung am liebsten lesen, fallen Ihnen womöglich nicht spontan Berichte über die Erhöhung der Müllgebühren oder über komplizierte Änderungen der Baugesetze ein. Die Relevanz, der direkte Nutzen, erschließt sich zuweilen erst beim Nachdenken.
Deshalb habe ich persönlich auch Schwierigkeiten mit überhöhten Erwartungen an so genannte Readerscan-Untersuchungen. Dabei wird festgehalten, welche Artikel von ausgewählten Leserinnen und Lesern zur Kenntnis genommen und wie weit sie gelesen werden. So mancher Verlagsmanager meint anschließend, auf Grundlage dieser Daten plausibel darüber urteilen zu können, was in einer vermeintlich guten Zeitung drin sein muss. Das ist natürlich völliger Unsinn. Denn je nach Lebenslage oder Laune wird man Artikel mal nicht lesen, obwohl sie prinzipiell als wichtig wahrgenommen werden. Vielleicht hat man am Tag zuvor schon zu viel über das Thema gehört, ein ausführliches, aktuelles Radiofeature zum Beispiel, einen nachrichtlichen Text im Internet, eine Talkshow im Fernsehen. Dann nimmt man einen Text in der Tageszeitung am nächsten Tag womöglich nicht zur Kenntnis.
Man will ihn aber trotzdem haben. Denn: Bei aller Unterhaltsamkeit sehe ich immer noch einen hohen Sinn in der so genannten Chronistenpflicht. Tageszeitungen sind keine amüsanten Comichefte, sondern ernsthafte Informationsquellen! Da ist eine repräsentative Bandbreite an Themen nötig - auch aus Politik, Wirtschaft und Kultur: und ja, manchmal auch ein bisschen wenig unterhaltend. Auch das wird von den Menschen erwartet.

„Qualität kommt auch von Quälen“

Journalistische Qualität ist ein vielschichtiges Gebilde, das in der Branche zwar für viele Diskussionen sorgt, gleichzeitig aber im selben Dilemma steckt wie das Ergebnis aktueller Untersuchungen: Einerseits wird Qualität bei Tageszeitungen attestiert, es wird also gelobt, andererseits wird heftig kritisiert. Warum eigentlich? Weil ein Produkt, das sich explizit an Massen wendet, zwangsläufig nicht zu jeder Zeit die Bedürfnisse des Einzelnen stillen kann. Qualität kommt zuweilen auch von Quälen - nicht jede wichtige Geschichte lässt sich locker-flockig erzählen, nicht immer besteht Möglichkeit zu personalisieren, zu simplifizieren, zu dramatisieren, um sich dem Ideal der Unterhaltsamkeit zu nähern.
Natürlich können wir Artikel nicht mehr so schreiben wie vor vierzig Jahren. Modernes Storytelling ist wichtig, eine differenzierte Darstellung, eine mutige Einordnung und - entsprechend gekennzeichnet - auch Kommentierung. Zeitungen leben aber gerade auch davon, dass sie Hintergründe beleuchten und fundiert analysieren. Wenn ich sage, dass Zeitungen davon leben, erklärt das gleichzeitig auch, warum manche Zeitungen sterben.
Mit Zombie-Zeitungen ist nämlich auf Dauer kein Geschäft zu machen. Wer sich Artikel nur aus Agenturmeldungen, PR-Mitteilungen und lustlos runter getippten Standardmeldungen zusammen schustert, wird dauerhaft keinen Erfolg beim Publikum haben. Richtig schlimm wird es, wenn Redaktionsgemeinschaften nicht als leistungsfähiger Kreativpool gegründet werden, sondern als verlegerfreundliches Sparschwein, als schreiberisches Profitcenter. In manchen regional konkurrierenden Tageszeitungen erscheinen inzwischen wortgleich dieselben Texte, von einer persönlichen Handschrift der hauseigenen Redakteurinnen und Redakteure, Reporterinnen und Reporter keine Spur mehr! Das kann auf Dauer nicht gut gehen. Solche blutleeren Zombie-Zeitungen braucht kein Mensch.

Der digitale Straßenverkauf

Gebraucht werden Blätter, die den Weg in die Moderne finden und konsequent verfolgen. Die Online-Nutzung nimmt deutlich zu, und damit werden sich die Zeitungen auch intensiver beschäftigen müssen. Einige haben den Trend schon erkannt:

  1. Sie widmen zum Beispiel auf einer Seite in ihrem Blatt - wohl gemerkt im Panoramateil - den witzigsten, Aufsehen erregendsten und meist geposteten Phänomenen aus sozialen Netzwerken eine eigene Rubrik.
  2. Sie greifen beispielsweise in ihrer politischen Berichterstattung Posts von Volksvertretern oder Behördensprechern, von Kritikern oder Befürwortern auf, nachdem sie die Absender auf ihre Glaubwürdigkeit geprüft haben.
  3. Sie weisen in ihrem Blatt auf den Onlineauftritt der Zeitung hin - was allerdings viel zu selten geschieht. Zumindest zu selten so, dass es von den Rezipienten auch ernst genommen wird, tatsächlich zum Handeln führt, also zum Aufsuchen der entsprechenden Seiten im Internet.

Spannend ist nicht der plumpe Abdruck eines allgemeinen Links zur Homepage der Zeitung. Man weiß, dass das Blatt da wohl irgendetwas im Netz veranstalten wird - im schlimmsten Fall stellt es dort alle Artikel der Zeitung ins Netz, die ich gerade gekauft habe und lese. Im Internet natürlich kostenlos, und ich werde mit dem Link im Blatt mit der Nase darauf gestoßen, wie blöd ich doch eigentlich bin, für einen Haufen Altpapier auch noch Geld zu bezahlen.
Nein, modernes redaktionelles Netz-Marketing geht anders. Beispielsweise, wenn man im Blatt einen Bericht über einen Streit im Vorfeld einer Klimakonferenz veröffentlicht. Da kann man bei der Neugierde der Leserinnen und Leser anknüpfen: Indem man unter dem Beitrag darauf hinweist, dass im Laufe des Tages die tatsächliche Entwicklung der Klimakonferenz auf der Homepage der Zeitung fortgeschrieben wird. Kenntnisreich fortgeschrieben von den Machern meiner Zeitung, der ich vertraue, deren Qualität und Glaubwürdigkeit ich schätzen gelernt habe, und das ganz aktuell. Denn die nächste Ausgabe der Tageszeitung - das liegt in der Natur der Sache - erscheint eben erst am nächsten Tag.
Ganz so neu ist diese Denkweise nicht, auch wenn heute manche Verlagsmanager so tun. Wenn es früher besondere Ereignisse im Laufe des Tages gab, sind vor allem Boulevardzeitungen gerne mit eilig produzierten Sonderausgaben in den Straßenverkauf gegangen. Das Internet ist der aktuelle Straßenverkauf der Zeitungen von heute. Wer da hin gelockt wird - und sei es auch ohne Bezahlschranken - widmet seiner Zeitung wenigstens Aufmerksamkeit, und die lässt sich letzten Endes auch bei Werbekunden monetarisieren!
Leserinnen und Leser wollen in einer vernetzten Welt auch von ihrer Tageszeitung nicht alleine gelassen werden.

Marke als Nutzen

Nutzerinnen und Nutzer erwarten von ihrer Zeitung einen Nutzen. Das klingt profan, ist aber offenbar für manche Verlagsstrategen schwierig nachzuvollziehen. Ein Alleinstellungsmerkmal ist nötig, und das kann nicht die Tatsache sein, dass Papier als Trägermedium so schön haptisch ist, und nützlich obendrein: Womit sonst kann man so prima Fisch einwickeln?
Nein, der Nutzen muss unterschwellig für jeden klar werden. Und das geht nur über die Bildung vertrauenswürdiger Marken. Wochenzeitungen machen es vor: Sie konzentrieren sich darauf, die im Internet aufgeschnappten Informationshäppchen einzuordnen, zu systematisieren und in moderner Erzählweise zu beleuchten.
In diese Richtung müssen sich zunehmend auch die Tageszeitungen bewegen. Nichts ist älter als die Zeitung mit Nachrichten von gestern. Bei aller notwendigen Chronistenpflicht muss ein moderner Erzählstil, ein eigener journalistischer Zugang wieder an Bedeutung gewinnen. Journalistinnen und Journalisten müssen zu Gunsten ihres Blattes zur Marke werden, beziehungsweise sie müssen Marken bleiben.
Und in Marken muss man investieren. Das weiß jedes Kind. Wäre beispielsweise ein großes Versteigerungsportal im Internet nicht mit offensiver Fernsehwerbung an die Öffentlichkeit gegangen, hätte es als Marke nicht funktioniert. Hätte es nicht in die Programmierung sinnvoller Funktionalitäten investiert, hätte es keinen Erfolg gehabt. Würde es nicht ständig mit Service, Erneuerungen und weiterer Werbung seinen Ruf verteidigen, wäre es als Marke bald vom Markt verschwunden.
Das Herz der Zeitungen sind aus meiner Sicht die Redaktionen. Journalistinnen und Journalisten sind die Marken, in die auch investiert werden muss. Sie müssen als einzelne Marken gepflegt werden, denn sie stehen personalisiert für die Werte, die eine Zeitung in der Summe ausmachen: Glaubwürdigkeit, Mut, Qualität, ja auch die Unterhaltung.
Dafür aber brauchen Journalistinnen und Journalisten eine gewisse Beinfreiheit. Sie müssen anständig bezahlt werden und dürfen nicht zu Content-Robotern degradiert werden. Bei einer Strategie der Tieflohn-Texter verlieren mittelfristig auch die Verleger. Gerade wenn es darum geht, nicht nur Standard-Geschichten runter zu tippen, muss man Muße haben. Nachdenken, recherchieren, abwägen, diskutieren - das kostet Zeit und somit Geld. Aber es rentiert sich.
Denn die Leserinnen und Leser erwarten das einfach von ihrer Zeitung, von der Marke die dahinter steht. Und wenn diese Erwartungen enttäuscht werden, kann man eine Marke schwer beschädigen, wenn nicht gar komplett kaputt machen.

Der Autor: Frank Überall ist Politikwissenschaftler, Journalist und Autor. Seit Oktober 2012 ist er Professor an der Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft in Köln.

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