Oktober in Europa
Artikel vom 30.09.2024
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9/24 | Alexander Gemeinhardt ist Geschäftsführender Vorstand der Schader-Stiftung in Darmstadt.
Newsletter der Schader-Stiftung vom 30. September 2024
noch einige Tage, dann ist Oktober in Europa, „wenn der späte Nachsommer im Verklingen ist und der frühe Herbst noch nicht angefangen hat“ (Kurt Tucholsky). Von „eben noch Urlaub“ bis „bald wieder Urlaub“, von „viel zu heiß“ in „schon wieder kalt“ hinein, Übergangsjacke und Semesterbeginn, eine Zwischenzeit, die dahinfließen mag – bis zum 7. Oktober. Nur oder schon ein Jahr her. Ein nie dagewesener Terrorangriff auf die Bevölkerung Israels, der bei Jüdinnen und Juden weltweit für eine bleibende Angst gesorgt hat, eine Retraumatisierung und eine erschütternde Teilnahmslosigkeit weiter Teile auch der deutschen Gesellschaft.
Seinerzeit haben wir für den gerade im Dreh befindlichen Prolog-Film zum Großen Konvent um eine jüdische Stimme gebeten, das Konventsthema „Willkommen in meiner Wirklichkeit“ passte plötzlich erschreckend gut. Nun gehen wir zügig auf den GrKo24 zu: „Bleibt alles anders“. Wirklich?
In den vergangenen Monaten haben wir uns in der Schader-Stiftung mit den politischen Verhältnissen, dem Zustand unserer Demokratie und den Möglichkeiten und Aufgaben der Zivilgesellschaft beschäftigt. Und auch damit, welchen Raum Extremismus und Rechtsradikalismus in öffentlichen Debatten einnimmt. Meine Kollegin Özlem Eren und ich waren im Sommer auf Einladung der Sächsischen Landeszentrale für Politische Bildung als Beobachter*innen der dortigen Wahlforen unterwegs – mehr dazu im gerade druckfrischen Schader-Dialog 2/2024. Vor zwei Wochen haben Politikwissenschaftler*innen der Universität Münster und des Verbundprojekts „Kulturen des Kompromisses“ mit Fachleuten aus Gruppendynamik, Supervision und Coaching im Schader-Forum zum Thema „Demokratie und Kompromiss“ getagt. Ende Oktober widmen wir uns gemeinsam mit dem Paritätischen Wohlfahrtsverband einem speziellen Aspekt der Integration – wie wurden aus Geflüchteten Helfende? Und im November laden wir zur Stiftungskonferenz „Demokratie in herausfordernder Zeit“ .
Es wird bald wieder Oktober in Europa und „Nie wieder“ ist immer noch jetzt. Und es ist immer noch höchste Zeit, unseren jüdischen Mitbürger*innen klar zur Seite zu stehen, deren Leben sich in Deutschland binnen eines Jahres dramatisch verändert hat. Uns nicht hinter dem lauten Schweigen „der sonst immer so mutigen ‚Blabla,-nie-wieder-Blabla‘-auf-Instagram-Sager“ zu verstecken, das die Antilopen-Gang in ihrem neuen Album fokussiert. Der Song heißt „Oktober in Europa“.
Mit herzlichen Grüßen aus Darmstadt,
Alexander Gemeinhardt