Pessimistische Theorie, zynische Praxis?
Artikel vom 22.01.2021
Mit Vorsätzen ins neue Jahr. Ein Blogbeitrag von Luise Spieker.
Weniger zynisch, dafür zuversichtlich
Haben Sie heute schon über den Tod der Demokratie gelacht? Ich schon.
Wenn mich jemand fragen würde, was ich genau aus meinem Studium der Politischen Theorie mitgenommen habe, dann müsste ich wohl sagen: Einen zynischen Weltblick. Nichts kommt politischen Theoretiker*innen so leicht über die Lippen, wie ein abfälliger Kommentar über die aktuelle (oder vergangene und zukünftige) Beschaffenheit der Welt. Zynismus: Exportgut Nr. 1 der deutschen Politikwissenschaft.
Fast scheint es, als bliebe einem keine andere Wahl. Wer sich tagtäglich mit fundamentalen Fragen über Gerechtigkeit, dem Sein oder dem Anthropozän auseinandersetzt und dann gleichzeitig die aktuellen Nachrichten zu verdauen hat, kann schon mal versucht sein, Entsetzen in zynische Abwehrmechanismen umzuwandeln. Dass solche Einstellungen auf (sowieso pessimistische geneigte) Studierende der Politischen Theorie abfärben können, ist kein Wunder. Wie sonst könnte man es ertragen, jeden Tag über normative Standards nachzudenken, die die Welt jeden Tag aufs Neue zu unterbieten scheint? Auf einer (digitalen) Podiumsdiskussion im letzten Jahr prophezeite einer der Panelteilnehmer*innen das Ende der Demokratie in den nächsten fünfzig Jahren. Eigentlich eine erschreckende Nachricht, aber ich, in guter Theoretiker*innen-Manier, ertappte mich dabei, wie ich nur spöttisch darüber lachen konnte. Diese These war gewiss nicht zynisch gemeint, aber meine instinktive Reaktion darauf war es. Ganz im Sinn von: Natürlich geht es mit der Demokratie zu Ende, wie alles andere auch, wo Menschen ihre Finger im Spiel haben.
Vor einiger Zeit bin ich über dieses Zitat von Max Horkheimer gestolpert: „Pessimismus in der Theorie. Optimismus in der Praxis“. Ich würde sagen, Ersteres habe ich drauf! Aber bei einem optimistischen Blick auf das Praktische heißt es wohl eher: Setzen. Sechs! Und doch. Das Zitat hat mich zum Grübeln gebracht. Was versteckt sich hinter einem zynischen Weltbild, wenn nicht ein spitzzüngiger Pessimismus? Zynisch zu sein hilft natürlich, auch den täglichen Wahnsinn zu ertragen, aber mehr auch nicht. Zugegeben: So manch einen kann man so zum Lachen bringen, aber niemandem ist wirklich geholfen. Das es an der Uni oftmals ähnlich pessimistisch einhergeht, ist ja tendenziell im Sinne von Horkheimer, aber den Sprung zum Optimismus, den muss man sich wohl alleine beibringen. Und das nehme ich mir für das Jahr 2021 vor. Weniger zynisch, dafür zuversichtlich! Selbst jetzt fällt es mir schwer, nicht darüber zu lachen oder die Augenbraue hochzuziehen.
Aber nun gut. Ein neues Jahr bringt bekanntlich neues Glück und vielleicht auch ein neues Ich. Pessimistisch darf ich laut Horkheimer noch ein wenig bleiben. Das macht den Übergang natürlich leichter. Aber wenn ich meinen Blick auf positive Entwicklungen der letzten Jahre richte, dürfen wir vielleicht vorsichtig hoffnungsvoll sein? Ich bin ja nicht die Einzige, die sich Sorgen macht. Über viele Missstände weiß ich nur Bescheid, weil es Menschen in anderen Perspektiven, Projekten, Organisationen oder Medien gibt, die es wichtig finden, diese aufzuklären. Vielleicht konzentriere ich mich dieses Jahr darauf.
Und wenn das nächste Mal jemand vom Tod der Demokratie spricht, lache ich vielleicht nicht. Vielleicht wird es nicht schlimmer, sondern besser?
Addendum: Das Jahr 2021 stellte meine Vorsätze mit Blick auf das US-Kapitol schon in den ersten zwei Wochen hart auf die Probe…
von Luise Spieker, Praktikantin der Schader-Stiftung und Studentin der Politischen Theorie an der Goethe-Universität Frankfurt am Main.