Systemrelevant: Leadership für Wissenschaftler*innen
Artikel vom 14.05.2020
Gerade jetzt: Die Leadership Academy. Ein Blogbeitrag von Anne Schreiter.
So viel hören wir jetzt nicht:
Geschichten wie die vom Treffen mit dem japanischen Kaiser vermissen wir, die geteilte Freude über eine neue Stelle oder den Familienzuwachs auch (siehe die erfreulichen Zwischenberichte unserer Fellows aus dem letzten Jahr). Gerne hätten wir mit Tanja Brühl, Präsidentin der TU Darmstadt, und Sparringspartner*innen aus Wissenschaft, Wirtschaft und Nonprofits diskutiert. Uns fehlt auch der Blick hinter die Bühne und die Vorstellung im Staatstheater und die Sonne auf der Dachterrasse des Schader-Forums. In der ersten Maiwoche hätten wir 25 Fellows – allesamt exzellente Wissenschaftler*innen aus verschiedenen Disziplinen und allesamt interessante Persönlichkeiten (Dr. Heike Brock zum Beispiel forscht in der Robotik und betreibt nebenher einen Dirndl-Verleih in Tokio) – zur zweiten Präsenzphase der Leadership Academy in Darmstadt wiedergesehen. Die Leadership Academy ist ein Programm der German Scholars Organization (GSO), das Wissenschaftler*innen im Ausland ermöglicht, sich intensiv mit Themen wie Selbstmanagement, Mitarbeiter*innenführung und Kommunikation zu befassen und Netzwerke in Deutschland aus- und aufzubauen. Wir sind dankbar, dass die Klaus Tschira Stiftung, die Helmholtz-Gemeinschaft durch ihre Förderung und die Schader-Stiftung als Gastgeberin diese Idee schon seit vier Jahren möglich machen. So sehr uns die entgangenen Begegnungen und Erfahrungen betrübt stimmen, so sehr wird uns dadurch klar, warum ein Programm wie die Leadership Academy mehr ist als zwei erlebnisreiche Wochen für Wissenschaftler*innen, die sich eine Karriere in Deutschland vorstellen können. Drei Gründe dafür haben wir aufgeschrieben:
Wissenschaftler*innen sind systemrelevant – und sollten für diese Verantwortung gewappnet sein.
Günter Ziegler, Präsident der FU Berlin, hat das ähnlich in seiner Kolumne im Tagesspiegel postuliert: Wissenschaft leiste einen „wichtigen Beitrag zur Bewältigung der Krise und zur Gestaltung der Welt in der Zeit danach” – und daher sollen „die großen Fragen der Zukunft in allen Fächern zum Thema” gemacht werden. Wissenschaftler*innen müssen für diese Aufgabe mit Selbstbewusstsein und Verantwortungsgefühl ausgestattet sein – nicht nur als Virolog*innen, Biolog*innen und Chemiker*innen, sondern auch als Forschende in den Geistes- und Sozialwissenschaften. Wissenschaft muss vielfältig kommunizieren können und sichtbar sein, um gesellschaftlich wirken zu können – diese Themen stehen daher auch auf der Agenda der Leadership Academy.
Gerade jetzt brauchen Wissenschaftler*innen die Unterstützung von Förderern.
Besonders für Wissenschaftler*innen in der “Bottleneck-Phase”, d.h. zwischen Promotion und einer stabilen beruflichen Situation, ist es jedoch schwierig, diesen Anforderungen gerecht zu werden. Denn die Anreize im System sind vordergründig auf die harte Währung der wissenschaftlichen Publikationen ausgerichtet. Nebenher müssen hochqualifizierte Arbeitnehmer*innen jahrelang mit einer kaum planbaren Lebenssituation und dem Status als „Nachwuchs” umgehen. Als Folge der Corona-Pandemie sind Wissenschaftler*innen zudem weltweit davon bedroht, aufgrund von Budget-Kürzungen nicht mehr oder nur eingeschränkt arbeiten zu können. Stiftungen und Förderorganisationen können Abhilfe schaffen und wichtige Akzente setzen: Indem Förderrichtlinien angepasst, neue Unterstützungsstrukturen geschaffen und Programme wie eine Leadership Academy oder ähnliches gefördert werden.
Anstöße zur Veränderung haben jetzt eine Chance auf Breitenwirkung.
Als kleine Nonprofit betreibt die GSO mit ihrer Arbeit innovative Symptombekämpfung – das ist uns bewusst. Uns ist vor allem wichtig, mit unseren Programmen gerade jüngeren Wissenschaftler*innen die Wertschätzung zuteil werden zu lassen, die sie als Profis und Verantwortungsträger*innen verdienen. Zur Wertschätzung gehören aber auch echte Chancen; DAAD-Generalsekretärin Dorothea Rüland hat das im Artikel der duz benannt: „Ein Knackpunkt im globalen Wettbewerb um die Besten ist sicherlich, ob internationalen Spitzenkräften langfristige oder unbefristete Verträge angeboten werden können.“ Und nicht zu vernachlässigen ist, dass das Potential von wissenschaftlich ausgebildeten Fachkräften auch in Wirtschaft, im Nonprofit-Bereich oder anderen Sektoren dringend gebraucht wird. Es wäre zu hoffen, dass sich diese Einsichten bald auch systemisch breiter niederschlagen. Nun tröstet uns die Aussicht auf den Nachholtermin im Schader-Forum im nächsten Jahr und ein virtuelles Intermezzo für die Fellows. Und nachdem wir unsere Gründe für das Programm aufgeschrieben haben, fühlen wir uns außerdem schon ein bisschen mehr systemrelevant.
von Anne Schreiter.