Raumfahrttechnologien unterstützen den digitalen Wandel unserer Gesellschaft
Artikel vom 10.06.2019
Welchen Beitrag leisten Technologien aus der Raumfahrt zur Digitalisierung und damit zum Wandel unserer Gesellschaft hin zu mehr Teilhabe und Lebensqualität – auch im Hinblick auf einen schonenderen Umgang mit unseren Ressourcen? Von Frank Zimmermann
Satellitennavigation und die Schader-Stiftung
Das Symposium „Die Praxis der Gesellschaftswissenschaften“ dient dem Dialog zwischen den Gesellschaftswissenschaften und der Praxis. In diesem Zusammenhang versteht die Schader-Stiftung unter Gesellschaftswissenschaften „alle Wissenschaften, die sich mit der Weiterentwicklung des Gemeinwesens auseinandersetzen“. Auf Seiten der „Praxis“ seien insbesondere auch Kooperationspartner der Schader-Stiftung angesprochen, zu denen auch das Centrum für Satellitennavigation Hessen (cesah) zählt. Dieses unterstützt am Standort Darmstadt und im Auftrag der Europäischen Raumfahrtorganisation ESA junge Unternehmen und Neugründungen bei der technischen Entwicklung, Realisierung und Markteinführung innovativer Produkte und Dienstleistungen mit Bezug zur Raumfahrt. Anwendungen von Raumfahrttechnologien stehen hierbei gleichermaßen im Fokus wie deren Weiterentwicklung.
In jüngerer Zeit gewinnen zudem gesellschaftsrelevante Querschnittsthemen wie die Digitalisierung zunehmend an Bedeutung. Diese werden im Rahmen des Symposiums als „wesentliche Themen der Schader-Stiftung“ benannt. Es liegt daher nahe, den Beitrag der Raumfahrt insbesondere zum digitalen Wandel unserer Gesellschaft zu beleuchten. Dies soll anhand der Aktivtäten der durch cesah betreuten Gründungsunternehmen in exemplarischer Form erfolgen.
Bedeutung der Raumfahrt für die Digitalisierung der Gesellschaft
Für Organisationen wie den Bundesverband der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie (BDLI) ist Raumfahrt schon heute nicht mehr aus unserem Alltag wegzudenken. Dies stimmt mit unserer alltäglichen Wahrnehmung überein. Unsere allgegenwärtige tägliche Mediennutzung wird erst ermöglicht durch Satellitenkommunikation und ist für uns mittlerweile ebenso selbstverständlich wie eine satellitengestützte Navigation von Autos, Flugzeugen und Schiffen sowie die durch Methoden der Erdbeobachtung wesentlich verbesserte Wettervorhersage und lückenlose Umwelt- und Klimabeobachtung. Die durch Raumfahrt unterstützte Digitalisierung ermöglicht hier im Besonderen erst die flächendeckende Teilhabe der gesamten Bevölkerung an Wohlstand und Kommunikation. Branchen, wie zum Beispiel die Logistik, erleben hierdurch ein dynamisches Wachstum. Industrielle Entwicklungs- und Produktionsprozesse profitieren von der nun möglichen Vernetzung und intelligente Verkehrssysteme fördern eine intermodale Mobilität.
Konkret wird die Digitalisierung durch Kommunikationssatelliten im intelligenten Verbund mit erdgebundenen Kommunikationstechnologien ermöglicht. Laser-Kommunikation zwischen Satelliten erlaubt hierbei hohe Datenraten und gewährleistet Sicherheit. Erst die Erdbeobachtung ermöglicht beispielsweise einen autonomen Schiffsverkehr und eine ressourcen- und damit umweltschonende Schiffsroutenoptimierung. An Land ermöglicht eine satellitengestützte Verkehrserfassung gleichermaßen erst die intelligente Verkehrssteuerung.
Der Aufbau des europäischen Satellitennavigationssystems „Galileo“ ist mittlerweile nahezu abgeschlossen. Bereits 26 der insgesamt 30 geplanten Satelliten sind in einer Umlaufbahn und erlauben eine nunmehr globale Nutzung für Anwendungen hochgenauer Positionsbestimmung und Zeitmessung. Bis Ende des Jahres 2019 sollen alle Satelliten verfügbar sein. Entwickelt wurde das System durch die europäische Raumfahrtindustrie in enger Zusammenarbeit mit ESA, Auftraggeber ist die Europäische Union. Die verantwortliche Betreiberorganisation ist die European GNSS1 Agency (GSA) mit Sitz in Prag.
Parallel hierzu wird derzeit das europäische Erdbeobachtungssystem „Copernicus“ aufgebaut. Das Programm wird von der Europäischen Kommission koordiniert und verwaltet. Die Umsetzung erfolgt in Zusammenarbeit der EU-Mitgliedstaaten durch ESA, die Europäische Organisation für die Nutzung meteorologischer Satelliten (EUMETSAT) mit Sitz in Darmstadt, die Raumfahrtindustrie und weitere europäische Organisationen. Große Mengen globaler Daten von Erdbeobachtungssatelliten sowie von bodengestützten, luftgestützten und seeseitigen Messsystemen werden zukünftig genutzt, um Anbieter kommerzieller Datendienste, Behörden und andere internationale Organisationen bei der Verbesserung der Lebensqualität der Bürger Europas zu unterstützen. Die durch Copernicus bereitgestellten Daten sind für die Nutzer hierbei frei und offen zugänglich.2
Beide Systeme erlauben die Entwicklung von vielfältigen Anwendungen. Neben etablierten Unternehmen leisten in zunehmendem Maße auch Start-ups einen Beitrag zur Entwicklung und Markteinführung diesbezüglicher Produkte und Dienstleistungen.
Innovative Gründungsunternehmen nutzen Raumfahrttechnologie
Das Centrum für Satellitennavigation Hessen ist ein Kompetenzzentrum für die Anwendung von Raumfahrttechnologien. Es wird vom Land Hessen, der Wissenschaftsstadt Darmstadt sowie namhaften Industrie- und Forschungseinrichtungen getragen. Die Gründung des cesah beruht auf einer gemeinsamen Initiative der ESA und des Landes Hessen zur Schaffung eines derartigen Zentrums in Darmstadt in unmittelbarer Nähe zum Europäischen Satellitenkontrollzentrum ESA/ESOC. Primäres Ziel ist die Förderung und Beschleunigung der Marktentwicklung für Anwendungen der Raumfahrt zur Schaffung von Hochtechnologie-Arbeitsplätzen in der Region.
Seit 2007 betreibt cesah im Auftrag der ESA das ESA Business-Inkubationszentrum (BIC) Darmstadt und unterstützt junge Unternehmen und Neugründungen bei der technischen Entwicklung, Realisierung und Markteinführung neuer anwendungsorientierter Produkte und Dienstleistungen mit Bezug zur Satellitennavigation sowie Raumfahrt allgemein. In enger Zusammenarbeit und mit finanzieller Unterstützung der ESA erhalten diese innovativen Unternehmen die notwendige Starthilfe. Hierbei werden sie durch cesah aktiv betreut und in ihrer Entwicklung begleitet, bis hin zu einem europaweiten Alumninetzwerk der ESA. Damit ist cesah zentraler Ansprechpartner für innovative Gründungsideen im Bereich Raumfahrtanwendungen. cesah unterstützt Gründungsunternehmen primär in der Frühphase der Unternehmensentwicklung bei der Entwicklung einer Idee zum Konzept und Business Plan, bei Fragen der Patentierung und der Realisierung von Prototypen, beim Aufbau einer Organisationsstruktur im Unternehmen und bei der Gewinnung strategischer Partner und Schlüsselkunden. Ein wesentlicher Erfolgsfaktor für die Unternehmen ist die Einbindung des cesah in ein Expertennetzwerk der ESA und die enge Zusammenarbeit mit regionalen und internationalen Partnern.
Über den langjährigen Betrieb des ESA BIC Darmstadt hinaus unterstützt cesah im Auftrag der ESA seit mittlerweile fünf Jahren auch den Technologietransfer aus der Raumfahrt. Dies betrifft einerseits Technologien aus den Bereichen Hardware und Software, die ursprünglich im Rahmen von Raumfahrtprogrammen für Satellitennavigation, Satellitenkommunikation und Erdbeobachtung entwickelt wurden. Andererseits stehen den Interessenten aus dem Nicht-Raumfahrtbereich spezifisches Fachwissen und Entwicklungsprozesse der ESA zur Verfügung.
Neben dem Land Hessen, der Wissenschaftsstadt Darmstadt, der Technischen Universität Darmstadt und der Hochschule Darmstadt wird cesah zudem von zwei privatwirtschaftlichen Gesellschaftern getragen, der T-Systems International GmbH und Telespazio VEGA Deutschland GmbH.
Das ESA BIC Darmstadt hat über einen Zeitraum von nunmehr zwölf Jahren über 90 Unternehmen unterstützt und damit einen Beitrag zur Schaffung von über 500 Arbeitsplätzen geleistet. In den kommenden vier Jahren bis einschließlich 2021 sollen wiederum zehn Gründer pro Jahr und damit insgesamt weitere 40 aufgenommen werden. Aus dem ESA BIC Darmstadt wird nun das ESA BIC Hessen und Baden-Württemberg mit den neuen Standorten in Reutlingen und Friedrichshafen, an denen über den gleichen Zeitraum insgesamt 30 Gründungsunternehmen betreut werden sollen.
Der Standort in Darmstadt wird weiterhin durch die cesah GmbH betrieben, die auch als Hauptauftragnehmer gegenüber ESA die Gesamtkoordination des länderübergreifenden Verbundes innehat. Der Standort in Reutlingen wird betrieben durch die IHK Reutlingen, der in Friedrichshafen durch Airbus Defence and Space (DS). Alle Gründungsunternehmen erhalten eine finanzielle Förderung durch ESA und das Deutsche Zentrum für Luft und Raumfahrt (DLR). Darüber hinaus stellt das Land Hessen Fördermittel für die hessischen Gründungsunternehmen bereit, die Förderung der Gründungsunternehmen in Baden-Württemberg erfolgt aus Mitteln des Landes Baden-Württemberg. Ergänzende Gründungsdarlehen stellen im Bedarfsfall die Sparkassen Darmstadt, Tübingen und Reutlingen zur Verfügung. Darüber hinaus unterstützt das ESOC die Gründungsunternehmen in Hessen mit technischer Beratungsleistung, die Unternehmen in Baden-Württemberg erhalten diese durch Bosch Automotive Electronics (AE) und Airbus DS.
Das europaweite ESA BIC-Netzwerk wächst 13 Jahre nach der Gründung des ersten ESA BIC am ESA-Standort Europäisches Weltraumforschungs- und Technologiezentrum (ESTEC) in Holland stetig und umfasst mittlerweile 20 ESA BICs an 40 Standorten. Mittlerweile konnten über 600 Gründungsunternehmen unterstützt werden, jährlich kommen mittlerweile bis zu 160 neu hinzu. Damit stellen die ESA BICs das größte Raumfahrt-Start-up-Netzwerk der Welt dar.
Maßnahmen zur Stimulation innovativer Gründungsvorhaben
Neben der finanziellen Unterstützung und technischer Beratungsleistung sind Coaching und Mentoring unentbehrliche Bausteine einer nachhaltigen Betreuung von Gründungsunternehmen. Ideen- und Businessplanwettbewerbe adressieren „Entrepreneure“ und Ideenträger bereits in einem frühen Stadium der Ideenentwicklung und stimulieren Innovation auch in bestehenden etablierten Unternehmen („Intrapreneure“). cesah nutzt dieses Instrumentarium und ist die regionale Organisations- und Kontaktstelle für einen internationalen Ideenwettbewerb zu Anwendungen der Satellitennavigation, die „European Satellite Navigation Competition“ (ESNC). Jedes Jahr werden erneut innovative Ideen zu Anwendungen der Satellitennavigation gesucht und durch eine Expertenjury, bestehend aus Vertretern der Industrie und Wissenschaft, bewertet. Dies ist oft Ausgangspunkt für neue innovative Gründungsvorhaben.
In einem nächsten Schritt ermöglichen sogenannte „Hackathons“ und „Bootcamps“ eine Weiterentwicklung von der Idee hin zum ersten Prototyp mit dem Ziel, die technische Machbarkeit und Marktgängigkeit zu demonstrieren. Dies geschieht in spielerischer Form in einer geschützten Umgebung über mehrere Tage oder Wochen, begleitet durch Mentoren mit technologischer oder unternehmerischer Expertise. Idealerweise werden mögliche Kunden früh zu ihrem Bedarf befragt und somit unmittelbar in die Produkt- oder Dienstleistungsentwicklung einbezogen.
Ein Beispiel für eine strukturierte und nachhaltige Umsetzung derartiger Konzepte ist das Projekt „FabSpace 2.0“3. Dieses Vorhaben wird im Rahmen des Programms „Horizon 2020“ durch die Europäische Union gefördert. Projektziel des internationalen Konsortiums ist die europaweite Einrichtung von Laboren zur Entwicklung innovativer Unternehmenskonzepte für Anwendungen der Erdbeobachtung. Hierbei kooperiert cesah eng mit der Technischen Universität Darmstadt, wo ein derartiges Labor mittlerweile eingerichtet wurde und für die oben genannten Veranstaltungen genutzt wird. Die Aufgabe der Hochschule besteht hierbei primär in der Wissensvermittlung zum Thema Erdbeobachtung und diesbezüglicher Datenverarbeitung und -nutzung, die des cesah in der Unterstützung der Teilnehmer bei der Entwicklung innovativer Unternehmenskonzepte zur Anwendung dieser Raumfahrttechnologie.
Hierdurch erweitert sich das Kompetenzprofil des cesah von einem „Centrum für Satellitennavigation“ hin zu einem „Anwendungszentrum“ unter Einbeziehung des Bereichs „Erdbeobachtung“. Dies trägt auch der zunehmenden Entwicklung sogenannter „integrierter“ Anwendungen Rechnung, die Satellitennavigation in Kombination mit Erdbeobachtung und/oder Satellitenkommunikation nutzen. „FabSpace 2.0“ stellt konsequenterweise den Projektbeitrag des cesah zur „Digitalstadt Darmstadt“ dar.
Die Kommunikation mit Branchen außerhalb der Raumfahrt und der interessierten Öffentlichkeit zum Nutzen- beziehungsweise Anwendungspotenzial der Raumfahrt wird unter anderem erreicht durch regelmäßige Informationsveranstaltungen und Messeteilnahmen. cesah versteht sich hierbei als zentrale Wissensquelle zum Thema Raumfahrttechnologien und deren Anwendungen und organisiert sowohl fach- als auch anwendungsspezifische Veranstaltungen. Ein Beispiel hierfür stellt die Fachkonferenz „Global Navigation meets Geoinformation“ am ESOC in Darmstadt dar, die jährlich seitens cesah organisiert und durchgeführt wird und die traditionsgemäß auch den Auftakt zur hessischen Ausscheidung im Rahmen von Ideenwettbewerben wie der oben genannten ESNC bildet.
Erfolgsgeschichten mit Bezug zur Digitalisierung
In den folgenden Abschnitten sollen zwei ausgewählte Beispiele erfolgreicher Gründungsvorhaben am cesah den Nutzen der Raumfahrt für den digitalen Wandel unserer Gesellschaft verdeutlichen.
Das Unternehmen wer denkt was GmbH steht für Bürgernähe und Digitalisierung. Hervorgegangen aus einem Forschungsprojekt zur „E-Partizipation 2.0“ wurde das Unternehmen im Jahr 2010 als „Spin-off“ der Technischen Universität Darmstadt (Multimedia Communications Lab, Ralf Steinmetz) durch Tobias Klug und Robert Lokaiczyk gegründet4 (Abbildung 1 und 2 in der Bildergalerie).
Im November 2010 erfolgte die Aufnahme in das ESA BIC-Netzwerk. Nach einer erfolgreichen Betreuung (Inkubation) durch cesah wurde wer denkt was im November 2012 in das Alumni-Netzwerk der ESA aufgenommen. In diesen Zeitraum fällt die bundesweite Einführung der Plattform für Anliegenmanagement Mängelmelder.de mit Apps für iOS und Android. Mängelmelder.de ist eine Plattform für Bürgeranliegen, die das Unternehmen im Auftrag an die partizipierenden Stadt- oder Gemeindeverwaltungen weiterleitet. Hierbei wird die Anfrage mittels Satellitennavigation im Smartphone der teilnehmenden Bürgerinnen und Bürgern georeferenziert und ist damit der jeweiligen Kommune zuordenbar und im Laufe der Mängelbeseitigung auch nachverfolgbar. Der Bearbeitungsstatus aller Anliegen kann jederzeit transparent auf der Anliegenkarte im Web als auch in den mobilen Apps für Android und iOS eingesehen werden. Bürgerinnen und Bürger können zudem ihre E-Mail-Adresse angeben, um auch automatisch über die Bearbeitung ihres Anliegens informiert zu werden. Bis heute sind bereits eine Vielzahl von Kommunen und Organisationen Kunden dieser Plattform.
Bereits im Jahr 2011 erfolgte eine Skalierung und weitere Kommerzialisierung dieses Ansatzes mit der Plattform appJobber5, mittlerweile auf internationaler Ebene und wiederum mittels Apps für iOS und Android. Auch hier wird wiederum Satellitennavigation für eine Georeferenzierung im Smartphone genutzt. Kunden sind hierbei Unternehmen wie zum Beispiel Hersteller von digitalen Karten, die ihre Produkte aktuell halten wollen, oder Unternehmen, die die Platzierung ihrer Produkte, etwa in Einzelhandelsgeschäften, prüfen wollen. Diese Kunden vergeben über die Plattform Aufträge („jobs“) an interessierte Privatpersonen, die typischerweise mit dem eigenen Smartphone beispielsweise Aufnahmen einer geänderten Vorfahrtsregelung oder des zu platzierenden Produktes im Regal erstellen und damit den Auftrag erfüllen.
Zeitstempel und Georeferenzierung durch Satellitennavigation garantieren hierbei die Authentizität beziehungsweise Korrektheit und ermöglichen eine Qualitätskontrolle entweder durch den Kunden selbst oder durch wer denkt was in dessen Auftrag. Erst dann erfolgt die Vergütung an den Teilnehmer. Dieses Konzept wird rege angenommen, sowohl auf Kundenseite als auch bei den Teilnehmern und ermöglicht dem Unternehmen ein stetiges Wachstum auf mittlerweile über 30 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Das Unternehmen war und ist in Darmstadt ansässig.
Der Nutzen der Raumfahrt in diesem Fall besteht in der verlässlichen Positionsbestimmung bei der Mängelaufnahme und der Dokumentation eines bearbeiteten Auftrags. Dies erfolgt mittels Satellitennavigation weitgehend automatisiert und ermöglicht eine effiziente und nachverfolgbare Mängelbehebung. Damit wird ein unmittelbarer Mehrwert geschaffen, der mit einer Digitalisierung eines ansonsten analogen Prozesses einhergeht.
Ein weiteres Beispiel: Basierend auf zehn Jahren wissenschaftlicher Forschung mit vibrotaktilen Kompassgurten wurde im November 2015 die feelSpace GmbH als Start-up-Unternehmen der Universität Osnabrück gegründet. Geschäftszweck sind Forschung, Entwicklung, Beratung und Verkauf von taktilen, das heißt vibrationsempfindlichen Geräten (Abbildung 3 und 4 in der Bildergalerie). Das Gründungsteam besteht aus Silke Kärcher, Jessika Schwandt und Susan Wache.6 Im September 2016 wurde das Unternehmen ins ESA BIC-Netzwerk aufgenommen, hat daraufhin seinen Unternehmenssitz nach Darmstadt verlegt und wurde dort seitens cesah über einen Zeitraum von 16 Monaten betreut. Das Unternehmen beschäftigt mittlerweile zehn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, hat die Inkubation erfolgreich abgeschlossen und ist wie wer denkt was nun ein Alumnus des ESA BIC-Netzwerks. Bemerkenswert ist der sehr hohe Frauenanteil im Unternehmen.
Die feelSpace GmbH hat zwei Beta-Serien eines taktilen Navigationsgurtes entwickelt und gebaut und vermarktet diesen nun. Dieser Gürtel verfügt über eine Standalone-Funktionalität (Kompass), verbindet sich aber auch per Bluetooth mit dem Smartphone des Nutzers. Zielmarkt ist die Gruppe der blinden und sehbehinderten Menschen, für die ein taktiles Navigationsgerät die Durchführbarkeit der Teilnahme am Arbeits- und Sozialleben stark verbessert. Die Gürtel werden auch als interaktives Navigationsspiel vermarktet.
Der Navigationsgürtel besteht aus 16 Vibromotoren, die äquidistant um die Taille getragen werden. Über Bluetooth kann ein Smartphone drahtlos mit dem Gerät verbunden werden. Der Gürtel kann dann taktile Navigationsinformationen zu einem vordefinierten Ziel bereitstellen. Augen, Ohren und Hände sind frei. Die Benutzer folgen einfach den intuitiv verständlichen Vibrationssignalen, bis sie ihr Ziel erreichen.
Zur Bereitstellung von Wegweisungs- und Navigationsinformationen stützt sich das Produkt stark auf Satellitennavigation. Um einen zuverlässigeren Dienst mit einer feinkörnigeren räumlichen Auflösung bereitzustellen, können neben GPS- nun auch Galileo-Dienste genutzt werden. Hierzu erhält der Gürtel Positionsinformationen über die im verbundenen Smartphone verfügbare Navigationsfunktion.
Im Rahmen der Inkubation am cesah wurde das Produkt insbesondere um die für die Anwendung zur Blindennavigation erforderliche Funktion der hochgenauen und robusten Positionsbestimmung erweitert. Weitere Anwendungsmöglichkeiten ergeben sich unter anderem aus der Nutzbarkeit für die Navigation auf Zweirädern.
Fazit
Technologien aus der Raumfahrt unterstützen die Digitalisierung und damit den Wandel unserer Gesellschaft hin zu mehr Teilhabe und Lebensqualität. Der Autor bedient sich zweier ausgewählter Beispiele von erfolgreichen Gründungsunternehmen, um diesen Anspruch zu verdeutlichen. Diese entwickeln innovative Anwendungen der Satellitennavigation zur Nutzung im Alltag. Neben der Satellitennavigation gewinnt derzeit auch die Erdbeobachtung zunehmend an Bedeutung. Gleiches gilt für die Satellitenkommunikation. Im Dreiklang vermögen diese raumfahrtbasierten Technologien neben ihrem unmittelbaren Mehrwert im Alltag auch eine nachhaltige Veränderung hin zu einem schonenderen Umgang mit unseren Ressourcen zu bewirken.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der erweiterten Dokumentation des Symposiums „Die Praxis der Gesellschaftswissenschaften“, das anlässlich des 90. Geburtstags des Stifters Alois M. Schader am 16. Juli 2018 im Schader-Forum stattfand.
Frank Zimmermann: Raumfahrttechnologien unterstützen den digitalen Wandel unserer Gesellschaft, in: Alexander Gemeinhardt (Hrsg.): Die Praxis der Gesellschaftswissenschaften. 30 Jahre Schader-Stiftung, Darmstadt 2018, 152-158.
Der Autor:
Dr.-Ing. Frank Zimmermann ist Geschäftsführer der cesah GmbH Centrum für Satellitennavigation Hessen, einem Kompetenz- und Gründerzentrum für Raumfahrtanwendungen. Außerdem ist er Head of Product Policy Management des Raumfahrtunternehmens Telespazio VEGA Deutschland GmbH.
1 Kurz für „Global Navigation Satellite System“.
2 www.copernicus.eu (September 2018).
3 www.fabspace-germany.de (September 2018).
4 www.werdenktwas.de (September 2018).
5 www.appjobber.de (September 2018).
6 Executive Summary zum Abschlussbericht für das ESA BIC Darmstadt (Januar 2018).