Wandel des Lebenslaufs. Neues Alter
Artikel vom 08.09.2004
Hochaltrigkeit und frühe Entberuflichung des Alters haben die Altersphase ausgeweitet und bringen eine Gruppe von Menschen hervor, die zwar aus dem Erwerbsleben ausgeschieden sind, die aber weder in der Selbst- noch in der Fremdbeschreibung als „alt“ gelten können.
Strukturwandel des Alters
„Altersveränderungen gibt es in vielfältigen Facetten. Sie betreffen Lebensbereiche wie Familie, Beruf, Freizeit, Wohnen usw. Und sie betreffen veränderte Lebensumstände wie Krankheit, Hilfe- und Pflegebedürftigkeit. Im folgenden wird versucht, Alterswandel im Lebenslauf mit fünf Konzepten zu beschreiben, ausgehend von der These, dass Alterswandel im Lebenslauf sich hier am deutlichsten ausdrückt und damit auch zur Beschreibung eines großen Teils der Alterssituation taugt. Weiterhin sind diese Konzepte alterskorreliert, d.h. sie bestimmen in starkem Maße die Altersaspekte der Lebenssituation. Und sie können phasenhaft verstanden werden, d.h. mit zunehmendem Alter werden sie häufiger durchlaufen und prägen die jeweilige Altersphase auch qualitativ. Sie sind weiterhin auf gesellschaftlich-strukturelle Veränderungen bezogen bzw. können diese kennzeichnen, haben sozusagen aufschließenden Charakter.
Verjüngung des Alters
Es lassen sich eine Reihe von Phänomenen aufzählen oder nachweisen, die ich einer Verjüngung des Alters zurechnen möchte. Zu unterscheiden sind positive Verjüngungseffekte, z.B. wenn die Selbsteinschätzung der Alten jünger geworden ist, von negativen, z.B. wenn ältere Arbeitslose aus Altersgründen nicht mehr eingestellt werden und diese Altersgrenze deutlich nach unten gedrückt ist, und eher als neutral zu bewertende Verjüngungseffekte, z.B. wenn familienspezifische Entwicklungen zum früheren Abschluss der Erziehungsphase der Kinder vor allem bei den Frauen führen, mit der Folge, sich früher mit der verbleibenden verlängerten Lebenszeit auseinandersetzen.(...)
Entberuflichung
Dieses Konzept umfasst zwei Gesichtspunkte:
- die Entberuflichung des Alters als Alterszeit ohne Berufstätigkeit, resultierend aus früher Berufsaufgabe und erhöhter durchschnittlicher Lebenserwartung. Dies betraf bisher einen immer größeren Teil der Bevölkerung;
- den Prozess der Berufsaufgabe selbst - die individuelle Einstellung darauf, die Auseinandersetzung, der ältere Arbeitnehmer ausgesetzt sind, die Flexibilisierung der Altersgrenzen, ihre Konsequenzen - welche Anlässe unmittelbar zur Berufsaufgabe führen; Zwänge und Wahlmöglichkeiten, die vielfältiger gewordenen Formen der Berufsaufgabe und die Anpassung an die nachberufliche Lebensphase.(...)
Feminisierung des Alters
Das Geschlechterverhältnis ist und bleibt unausgeglichen, trotz etwas stärkerer Angleichung bis weit ins nächst Jahrhundert. Ursachen dafür sind die höhere Lebenserwartung der Frauen, bei uns auch zunächst noch die Kriegsfolgen, deren Auswirkungen in den besonders betroffenen Generationen erst im nächsten Jahrhundert allmählich kompensiert werden. (...)
Singularisierung
Mit zunehmendem Lebensalter nimmt der Anteil Alleinstehender zu. Wie in anderen Bundesländern auch, wird die Zahl der Haushalte z.B. in Nordrhein-Westfalen von rd. 7 Mio um etwa ¼ Mio im Jahre 2000 zunehmen. Zunehmende Singularisierung im Sinne des Alleinlebens ist bei jüngeren Generationen und bei den älteren ein durchgängig zu erwartender Trend.
Hochaltrigkeit
Früher rechnete man die über 75jährigen zu den ‚richtig‘ Alten. Zunehmende Hochaltrigkeit, das ‚dreifache Altern‘, haben heute dazu geführt, dass erst die über 80jährigen zu den Hochaltrigen gerechnet werden. Nach unserer Beschreibung ist das hohe Alter zunehmend feminisiert und singularisiert. Und statistische ist das hohe alter heute häufiger, über kürzere oder längere Zeit, mit den negativen Seiten des Alters belastet.“
(Tews, Hans Peter 1993: Neue und alte Aspekte des Strukturwandels des Alters. In: Naegele, Gerhard / Tews, Hans Peter, Hrsg.: Lebenslagen im Strukturwandel des Alters. Alternde Gesellschaft - Folgen für die Politik, Opladen, S. 23ff.)
Die neuen Alten
„Die ‚neuen Alten‘ haben in der bundesdeutschen Gerontologie rasch Karriere gemacht. Dennoch besteht Uneinigkeit darüber, was darunter zu verstehen ist. Drei Interpretationen bieten sich an, die wir um einige sozialpolitische Einschätzungen ergänzen wollen:
Eine an den beobachtbaren Veränderungen in der Lebenssituation der älteren Menschen festgemachte: In alltagsweltlicher Perspektive präsentiert sich das ‚neue Alter‘ an Lebenslagen- und Verhaltensunterschieden der heutigen (‚neuen‘) gegenüber früheren Kohorten Älterer. Es sind die jungen, aktiven, geistig mobilen, kontaktreichen, kommunikativen, gesunden, körperlich fitten und sportlichen, mitunter auch politisch aufmüpfigen Alten, derer sich auch die Medien gern annehmen. Das ‚neue Alter‘ ist demnach durch Kreativität und Aktivität, ausgeweitetes Verhaltenspotential, Unabhängigkeit und Eigenständigkeit, Freisein von fremdem Hilfebedarf, soziale Eingebundenheit, Interessenvielfalt, Freizeit- und Konsumorientierung, zudem durch vergleichsweise gute Einkommens- und Vermögensverhältnisse gekennzeichnet. (...)
Eine soziologische Interpretation sieht im ‚neuen Alter‘ und in den ‚neuen Alten‘ das Ergebnis des stattgefundenen ‚Wandels im gesellschaftlich-strukturellen Kontext des Alters‘. Die ‚neuen Alten‘ sind u.a. Resultat veränderter quantitativer wie qualitativer Einschnitte im Lebenszyklus, der Differenzierung und Erhöhung der Variabilität des Alters, sind Ausdruck von Längerfristigen Prozessen der Verjüngung, Entberuflichung, Singularisierung, und Feminisierung des Alters und der zeitlichen Ausdehnung der Altersphase. Schließlich sind sie Ergebnis von Niveauerhöhungen (Beck) bei denen jeweils neu in das Alter eintretenden Kohorten i.S. eines ‚mehr von‘ (bzw. ‚besser als) an materiellen Niveaus (Einkommen, Vermögen, Wohn-, Haus-, Grundeigentum-, PKW-Besitz etc.), immateriellen Niveaus (u.a. Schul-, Ausbildungsqualifikation, mehr Berufserfahrungen von Frauen) sowie an Verhaltensniveaus (z.B. Mobilität, Interessenvielfalt). (...)
Eine dritte Version begreift ‚neues Alter‘ vor allem als positives Alter. Diese primär psychogerontologische Interpretation passt in das Konzept einer vorrangig auf eine Veränderung des vorherrschenden gesellschaftlichen Altersbildes, das noch immer stark vom Defizitmodell des Alters geprägt gesehen wird, abzielenden gerontologischen Position. Sie reiht sich damit ein in zahlreiche frühere Entwürfe positiver Altersbilder. Dem dient die Hervorhebung mit Tendenz zur Überbetonung und Überbewertung besonders als positiv angesehener Einzelphänomene aus dem Spektrum der eingangs erwähnten Alltagsveränderungen. Das ‚neue Alter‘ wird zugleich zum Leitbild für ein aktives i.S. von produktives Alter. Dies betrifft insbesondere die verschiedenen, als ‚Demonstrationsobjekte für gesellschaftliche Nützlichkeit‘ hochstilisierten Produktivitätsprojekte und -initiativen wie Senior-Experten-Service, Seniorengenossenschaften oder sonstige Angebote zu (sozialen) ehrenamtlichen Betätigung im Alter.“
(Dieck, Margret / Naegele, Gerhard 1993: "Neue Alte" und alte soziale Ungleichheiten - vernachlässigte Dimensionen in der Diskusson des Altersstrukturwandels. In: Naegele, Gerhard / Tews, Hans Peter, Hrsg.: Lebenslagen im Strukturwandel des Alters. Alternde Gesellschaft - Folgen für die Politik, Opladen, S. 43f.)
Zeitverwendung Älterer
„Im Hinblick auf die generelle Zeitverteilung ist festzuhalten, dass mit zunehmendem Alter erwartungsgemäß mehr Zeit für Freizeitaktivitäten und Regeneration verwendet wird. So steigen die Zeitanteile für Freizeitaktivitäten bei den über 60-Jährigen Männern auf 6 bis 7 Stunden und bei den Frauen auf knapp 6 Stunden an. Parallel hierzu findet sich aber auch ein nicht unerheblicher zeitlicher Aufwand für ‚unbezahlte‘ im Sinne von hauswirtschaftlichen und handwerklichen Tätigkeiten, ehrenamtlichem Engagement und Kinderbetreuung. Bei Männern über 60 erfolgt eine Ausweitung ‚unbezahlter Arbeit‘ gegenüber den mittleren Altersklassen um eine Stunde auf 4 Stunden täglich. Bei den Frauen liegt auf Grund der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung das für unbezahlte (Haus-) Arbeit mit 5 bis 6 Stunden täglich in allen Altersgruppen höher und weist nur geringe altersspezifische Steigerungsraten auf. Die geschlechtsspezifischen Unterschiede im Tätigkeitsspektrum unbezahlter Arbeit zeigen sich bis ins hohe Alter - während verheiratete ältere Männer sich mehr mit Pflanzen- und Tierpflege sowie handwerklichen Tätigkeiten beschäftigen, entfallen bei älteren Frauen fast vier Stunden täglich allein auf hauswirtschaftliche Arbeiten.
Für das höhere Lebensalter, die über 70-Jährigen, kommt die Berliner Altersstudie zu dem Ergebnis, dass von täglich durchschnittlich 16,2 Stunden freier Zeit fast 38 Prozent auf Freizeitaktivitäten, 7 Prozent auf soziale Aktivitäten im Sinne von Gesprächen und Besuchen und 15 Prozent auf Ruhen entfallen. Mit steigendem Lebensalter werden dabei die täglichen Ruhezeiten ausgeprägter, während die aktive Freizeit zurückgeht. Die meisten Aktivitäten werden alleine (64 Prozent) und zu Hause (80 Prozent) ausgeübt. Bezüglich der Handlungsmuster, die die Freizeit älterer Menschen bestimmen, kommt die Freizeitforschung seit den achtziger Jahren immer wieder zu folgenden Ergebnissen:
- Der höhere Anteil an Freizeit im Leben älterer Menschen wird zumeist zu Hause verbracht, wobei in der Regel alte Gewohnheiten ausgedehnt und intensiviert werden.
- Das Freizeitverhalten im Alter wird weniger durch das chronologische Alter oder den Gesundheitszustand, sondern in erster Linie durch die Tätigkeiten und Interessen bestimmt, die bereits vor dem Ruhestand entwickelt worden sind, dies gilt auch für hilfs- und pflegebedürftige Personen; vor der Pensionierung gepflegte Pläne für Neues werden demgegenüber selten realisiert.
- Geschlecht, Familienstand, sozioökonomischer Status, früherer Beruf sowie der Gesundheitszustand und das psychische Wohlbefinden haben allerdings ebenfalls einen Einfluss auf das Freizeitverhalten im Alter.
Das individuelle Freizeitverhalten weist somit über die Jahre eine hohe biographische Kontinuität auf, aber auch das Tätigkeitsspektrum der Gruppe der so genannten ‚jungen Alten‘ scheint sich in den letzten Jahren kaum verändert zu haben. Eine Befragung des BAT-Freizeit-Institutes (BAT= British American Tobacco) kommt zu dem Ergebnis, dass die Alltagsaktivitäten mehrheitlich männlicher Ruheständler im Alter zwischen 58 und 68 Jahren in den neunziger Jahren denen der achtziger Jahre sehr ähnlich und immer noch eher traditionell sind. Medienkonsum steht auch in den neunziger Jahren an der Spitze der Freizeittätigkeiten. Dabei hat das Fernsehen weiter an Bedeutung gewonnen - die Zahl der Ruheständler, die täglich oder häufig fernsehen, ist gemäß der BAT-Freizeitstudie um 5 Prozent auf 83 Prozent gestiegen; 29 Prozent der Befragten, mehr als doppelt so viel wie 1983, sehen dabei bereits nachmittags fern. Mediennutzungsanalysen zufolge findet sich 1997 bei den 60- bis 69-Jährigen mit über 6 Stunden pro Tag das höchste Zeitbudget für audiovisuelle wie Fernsehen und Radio; die Nutzungsdauer hat sich seit 1988 um fast eine Stunde erhöht.
Neben dem Medienkonsum sind ‚ausgiebige Frühstücke‘, ‚Spazierengehen‘ und ‚sich der Familie widmen‘ Tätigkeiten, die zwei Drittel und mehr der Ruheständler sowohl in den achtziger wie den neunziger Jahren täglich oder häufig in ihrer Freizeit betreiben. Ältere pflegen damit vor allem Freizeitbeschäftigungen, die sich auch im Bevölkerungsdurchschnitt einer hohen Beliebtheit erfreuen. Sie werden gemäß der Dehnungs- und Intensivierungsthese im Alter nur intensiver praktiziert. Aber: Generell ebenfall beliebte Freizeittätigkeiten wie z. B. Sport und geselliges Beisammensein finden sich bei den über 60-Jährigen entgegen der Bedeutung, die ihnen für ein zufriedenes und gesundes Alter zugemessen werden, eher unterdurchschnittlich häufig.
Auch die regelmäßige Inanspruchnahme von Bildungsangeboten ist noch gering - trotz der öffentlichen Aufmerksamkeit, die der Altenbildung zugemessen wird. Den Ergebnissen des Alterssurveys folgend, hatten in einem Zeitraum von zwölf Monaten von den 60- bis 85-Jährigen zwar 14 Prozent wenigstens einen Kurs oder Vortrag besucht, davon jedoch 8 Prozent seltener als einmal im Monat.
Die Ergebnisse der BAT-Freizeitstudie deuten allerdings erste Veränderungen des Freizeitverhaltens im Alter an, insbesondere auch eine Zunahme von ehrenamtlichem Engagement und geselligen Aktivitäten mit Freunden und Bekannten. Wesentlich auffälliger sind jedoch die Haltungsänderungen auf Seiten der Seniorinnen und Senioren. So scheint die ‚Geschäftigkeitsethik‘ der achtziger Jahre an Stellenwert zu verlieren, während Einstellungen wie: ‚das zu tun, wozu man gerade Lust hat‘ (1983: 46 Prozent; 1997: 57 Prozent) und selbstbewusster einfach ‚nur zu faulenzen und nichts zu tun‘ (1988: 25 Prozent; 1997: 40 Prozent) an Bedeutung gewinnen. Insgesamt vermittelt die Studie den Eindruck, dass sich das Freizeitverhalten zwar nur geringfügig verändert hat; im Gegensatz zu den achtziger Jahren scheinen heutige Seniorinnen und Senioren aber wesentlich zufriedener und weniger beeindruckt vom gesellschaftlichen Diskurs über die Notwendigkeit aktiven und produktiven Alter(n)s zu sein. Dies dokumentiert sich auch in dem gestiegenen Prozentsatz derer, die mit der Art und Weise, wie sie ihre Freizeit verbringen, ‚zufrieden sind, sich wohlfühlen und nichts im Leben vermissen‘ (1983: 18 Prozent; 1997: 42 Prozent).
Für kommende Generationen ‚junger Alter‘ ist von einer Intensivierung dieser Haltung auszugehen - handelt es sich doch zunehmend um Angehörige rund um die 68er Generation und den damit einhergehenden gesellschaftlichen Wertewandel. Der steigende Stellenwert von Selbstverwirklichung, Genuss, aber auch gesellschaftskritischen Haltungen in Kontrast zu den klassischen Sekundärtugenden wie Leistungsorientierung, Fleiß und Affirmation dürfte kaum den geeigneten Boden zur Umsetzung von ‚Wiederverpflichtungsplänen‘, insbesondere auch mit Blick auf den steigenden Hilfebedarf mit zunehmendem Lebensalter, hergeben. Eine ausgeprägtere Beteiligung an Initiativen zur Verbesserung der eigenen Lebenssituation sowie die Ausweitung von Bildungsaktivitäten sind demgegenüber wesentlich wahrscheinlicher.“
(Bröscher, Petra / Naegele, Gerhard / Rohleder, Christiane 2000: Freie Zeit als gesellschaftliche Gestaltungsaufgabe. In: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 35/36 2000)
Altersbilder
„Wir unterscheiden wie selbstverständlich eine Vielzahl von Kulturen der Jugend und des frühen Erwachsenenalters: die ‚Raver‘ und ‚Dinks‘ bis hin zu den ‚Yuppies‘.
Solche Vielfalt gilt es auch im Alter zu erkennen. Es kann nicht angehen, dass man die im Alter ab 60 Jahren durchschnittlich noch verbleibenden 25 bis 30 Lebensjahre mit nur einem einzigen Etikett versieht - nämlich ‚Alter‘. Machen Sie ein Gedankenexperiment und stellen sie sich dies am Beginn des Lebens vor: Neugeborene würden mit dem gleichen Etikett belegt wie Erwachsene im Alter von 25 Jahren, oder ein Jugendlicher von 15 Jahren erhielte das gleiche Etikett wie ein 40-Jähriger. Ohne hier eine Symmetrie der Altersprozesse am Beginn und am Ende des Lebens nahe legen zu wollen, wird durch dieses Gedankenexperiment doch deutlich, wie viel Differenzierungsarbeit für das letzte Drittel des Lebens noch auf uns wartet. Selbst unserer Sprache gerät hier vorläufig noch an ihre Grenzen. Es gibt allerdings Anfänge einer sprachlichen Differenzierung: die jungen und die alten Alten oder das 3. und das 4. Lebensalter. Man unterscheidet diese beiden Altersphasen, um den einschneidenden gesundheitlichen Einbußen, die im Durchschnitt etwa ab dem 80. bis 85. Lebensjahr auftreten, gerecht zu werden. Das 4. Alter stellt an die Gesellschaft und an den Einzelnen ganz andere Anforderungen als das 3. Alter. Für das 3. Alter besteht die Herausforderung in der Schaffung von mehr Möglichkeiten zur gesellschaftlichen Partizipation. Dagegen steht im 4. Alter würdevolle Integration durch Schutz und Unterstützung bei wachsender Abhängigkeit und Pflegebedürftigkeit im Vordergrund.
Diese Zweiteilung des Alters ist notwendig und hilfreich, doch sollten wir es dabei nicht bewenden lassen. Die gerontopsychologische Forschung hat gezeigt, dass es das Altern nicht gibt. Wir müssen zwischen Personen unterscheiden: Jede Person, und man sollte hinzufügen, jede Kohorte (Geburtsjahrgang) altert anders. So wurden etwa in der Berliner Altersstudie unter den über 75-jährigen mehr als sieben verschiedene Altersformen gefunden, die vom fröhlichen, fitten und aktiven über den zufriedenen, kontemplativen bis hin zum missmutig enttäuschten sowie abhängigen und schwachen alten Menschen reichen. Das chronologische Alter verliert im Lauf des Lebens zunehmend an Informationswert hinsichtlich der Eigenschaften und der Leistungsfähigkeit des Menschen. Hier liegt eine große Herausforderung an die Gesellschaft: Nicht ein Rezept für alle , sondern eine Vielfalt an Altersformen gilt es zu unterstützen und zu propagieren. Die biologischen wie die psychologischen Entwicklungsprozesse gewinnen im letzten Lebensabschnitt an Dynamik, ähnlich - aber nicht symmetrisch - wie zu Beginn des Lebens. Am Anfang des Lebens unterteilen wir in Entwicklungsabschnitte von zwei bis drei Jahren (z.B. Säuglingsalter, Kleinkindalter) und dann von fünf bis zehn Jahren (z.B. mittlere Kindheit, Adoleszenz). Eine ähnliche Feingliederung (in umgekehrter Reihenfolge) ist auch für unser Nachdenken über die Gestaltung der letzten 25 bis 30 Jahre sinnvoll.
Die Stereotypenforschung hat gezeigt, dass es in den köpfen der Menschen eine Vielzahl von Vorstellungen über das Alter und keineswegs nur ein positives oder ein negatives Altersstereotyp gibt. In den Medien herrscht allerdings häufig noch ein einseitig negatives Altersstereotyp vor. Alter wird in den Printmedien, den Nachrichten- und Magazinsendungen fast ausschließlich als ‚Problemlage‘ diskutiert. Im Gegensatz dazu wird in vielen Unterhaltungssendungen ein unrealistisch positives Altersbild gezeichnet, das soweit geht, dass ‚das Alter‘ eigentlich ausgespart bleibt. Eine Vielfalt von Altersbildern hat demgegenüber eine nicht zu unterschätzende Vorbildwirkung für ältere Menschen, aber auch für die Ausbildung der Vorstellungen über das eigene zukünftige Altern bei Jüngeren. Wir wissen aus der gerontologischen Forschung, dass die Wirkung von Altersbildern auf das individuelle Altern enorm ist. So konnte eine jüngst veröffentlichte Studie einen Zusammenhang zwischen der Positivität oder Negativität des Altersbildes und der Lebensdauer nachweisen. Personen mit einer positiven Einstellung zum Alter lebten 7,5 Jahre länger als solche mit einer negativen Einstellung. Hier liegt eine Verantwortung u.a. auch für die Medien in Deutschland, im Unterhaltungs- wie im Informationsbereich ein vielfältigeres, differenzierteres Bild des Alters zu etablieren.“
(Staudinger, Ursula M. 2003: Das Alter(n). Gestalterische Verantwortung für den Einzelnen und die Gesellschaft. In: Aus Politik und Zeitgeschichte, B20/2003, S. 35f.)
Literatur und Links
Links zum Thema Lebenslauf
Die Sektion Alter(n) und Gesellschaft der Deutschen Gesellschaft für Soziologie bietet Veranstaltungskalender, Archiv und eine Leseliste.
Die Forschungsgruppe Altern und Lebenslauf (FALL) bietet eine Liste von Veröffentlichungen, sowie aktuelle Forschungsberichte.
Das Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin stellt auf seinen Seiten die Darstellung der Forschungsarbeiten und Projekte, u.a. der Lebensverlaufsstudien zur Verfügung.
Netzwerk Alternsforschung, 2006 in der Nachfolge des Deutschen Zentrums für Alternsforschung der Universität Heidelberg entstanden.
Deutsches Zentrum für Alterfragen, Berlin, stellt zahlreiche Informationen zu Altersfragen zusammen.
Berliner Altersstudie (BASE), Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, Berlin. Ein ausführlicher Überblick zur Studie sowie Hinweise auf Publikationen und weitere Links.
Literatur zum Thema Bevölkerung
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Berger, Peter A. / Sopp, P.(Hrsg.) 1995: Sozialstruktur und Lebenslauf, Opladen: Westdeutscher Verlag.
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