Eine alternde Gesellschaft - Wanderungen innerhalb Deutschlands
Artikel vom 09.09.2004
„Zwei Münchner in Hamburg“ und „Ein Bayer auf Rügen“ - in TV-Serien sind „Binnenwanderer“ ein beliebtes Motiv. Doch wie mobil sind die Deutschen wirklich?
Daten zu Binnenwanderungen
„Im Jahr 1999 haben 3,968 Mill. Personen ihren Wohnsitz innerhalb Deutschlands gewechselt. Bezieht man diese Zahl auf 1000 Einwohner, erhält man die sog. Mobilitätsziffer. Sie gibt Aufschluss über die Häufigkeit, mit der Einwohner eines Gebiets ihren Wohnsitz wechseln. 1999 betrug die Mobilitätsziffer rund 48, d. h. fast jeder 20. Einwohner ist in jenem Jahr innerhalb Deutschlands von einer Gemeinde in eine andere umgezogen.
Betrachtet man die Entwicklung der räumlichen Mobilität der Bevölkerung seit 1970, so zeigt sich ein sehr unterschiedlicher Verlauf. Im Zeitraum 1970/80 verringerten sich die Wanderungen über die Gemeindegrenzen im früheren Bundesgebiet von 3,662 Mill. auf 3,024 Mill. Die Mobilitätsziffer sank im gleichen Zeitraum von 60 auf 49. Dieser Rückgang dürfte auch eine Folge der Gebietsreform in den alten Bundesländern sein. Im Zuge dieser Reform wurden Nahwanderungsfälle durch Eingemeindungen häufig zu Ortsumzügen und konnten sich deshalb in der Mobilitätsziffer nicht auswirken.
Bis Ende der 80er-Jahre war die Zahl der Wanderungen über die Gemeindegrenzen weiterhin rückläufig. 1991 lag sie dann erstmals seit 1980 wieder über der Drei-Millionen-Grenze. Seitdem ist ein kontinuierlicher Anstieg zu beobachten.
Im Jahr 1999 wurden 1,104 Mill. Wanderungen über die Landesgrenzen registriert. Im Zeitraum von 1991 bis 1993 hatte sich diese Zahl von 1,127 Mill. auf 1 Mill. verringert.
Die Entwicklung der Wanderungen zwischen dem früheren Bundesgebiet sowie den neuen Ländern und Berlin-Ost war in den 90er-Jahren gegenläufig, d. h. sie war durch eine Verringerung der Zuzüge aus den neuen Ländern und Berlin-Ost bei gleichzeitigem Anstieg der Wanderungen in entgegengesetzter Richtung gekennzeichnet, sodass die Wanderungsbilanz zwischen Ost und West inzwischen nahezu ausgeglichen war. Seit 1998 ist eine Umkehr des bisherigen Trends erkennbar.
2000 verlegten 214.000 Menschen ihren Wohnsitz von den neuen in eines der alten Bundesländer und 153.000 wählten den umgekehrten Weg. Daraus ergab sich für die neuen Länder und Berlin-Ost ein Abwanderungsüberschuss von rund 61.000 Personen.“
(Statistisches Bundesamt 2002: Datenreport 2002, Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung, S. 50ff.)
Zukünftige Entwicklungstrends bei Binnenwanderungen
„Zu den charakteristischen und vom Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR) frühzeitig aufgezeigten Merkmalen gehören eine Westverlagerung der Bevölkerung, mit einem weiter sinkenden Anteil Ostdeutschlands an der Gesamtbevölkerung, sowie die Veränderungen in der Siedlungsstruktur. Während im Westen Dekonzentrationsprozesse zu erwarten sind, spielen sich im Osten großräumige Konzentrationsprozesse ab, die Dekonzentrationsprozesse auf kleinräumiger Ebene haben erst begonnen.
Nach neueren Aussagen des BBR wandern von der Gesamtbevölkerung nur noch drei Prozent pro Jahr innerhalb Deutschlands, dabei bleiben allerdings die 18- bis 30-Jährigen die aktivste Altersgruppe. Positive Ergebnisse können die Zuwanderungsregionen im Süden, der norddeutsche Küstenraum und die Gebiete um die Verdichtungsräume verzeichnen. Wenn also die Arbeitsmärkte in den strukturschwachen Räumen der neuen Länder im Süden und im Osten entlastet werden, dann liegt dies mehr an dem Rückgang der Erwerbspersonen als an der Schaffung neuer Arbeitsplätze. Zu den benachteiligten Gebieten zählen vor allem ländliche und periphere Räume.
Die Bevölkerung Deutschlands wird nach den Ergebnissen der 9. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung bis zum Jahr 2050 von 82 Millionen auf 65 bis 70 Millionen sinken. Zu den Binnenwanderungen zwischen Ost und West machen die Modellrechnungen des Innenministeriums Angaben, die bis 2015 reichen. Es wird von einem Wanderungssaldo zugunsten der alten Bundesländer von insgesamt 300.000 Personen ausgegangen, danach soll sich eine ausgeglichene innerdeutsche Wanderungsbilanz einstellen. Dabei entspricht der für das Jahr 1999 angenommene Saldo von 28.000 Personen nicht den neueren Ergebnissen, die Berechnung erscheint von daher als zu optimistisch.
Zwischen den Prognosen bestehen, u. a. als Folge verschiedener Berechnungsgrundlagen, Unterschiede. Nach einer Vorausschätzung von Herwig Birg nimmt die Bevölkerung, die zu Beginn des Vorausschätzungszeitraums (1.1.1998) die deutsche Staatsangehörigkeit hatte, ‚von 1998 bis 2030 von 74.6 Mio. auf 62.2 Mio., bis 2050 auf 49.0 Mio. und bis 2080 auf 30 Mio. ab. Der Rückgang ist in den neuen Bundesländern prozentual stärker als in den alten (bis 2050: -36.7 Prozent versus -33.7 Prozent)‘. Ab 2020/25 wäre demnach die Zahl der Zugewanderten aus dem Ausland größer als die Zahl der Deutschen in den neuen Ländern.
Schon vorher wird sich indessen der Bevölkerungsrückgang für die neuen Länder politisch bemerkbar machen: Im nächsten Bundestag wird die Zahl der Abgeordneten aus Ostdeutschland deutlich niedriger sein als zuvor.
Arbeitsgrundlage der Landesregierungen - z. B. für die Planung im Bildungs- und Schulbereich - bildet die jeweilige Bevölkerungsvorausberechnung. Aufgrund des starken Einbruchs bei den Geburten im Zuge des politischen Umbruchs und der Transformation zeigen sich die Konsequenzen vorerst besonders im Schulbereich, ab 2005 ist mit erheblichen Engpässen bei jungen Arbeitskräften zu rechnen.
Für Mecklenburg-Vorpommern geht eine solche Berechnung bis zum Jahr 2020 von weiteren Bevölkerungsverlusten von ca. 185.000 Einwohnern aus. Ca. 11 Prozent dieser Verluste sind auf Wanderungen zurückzuführen, rund 89 Prozent auf Sterbefallüberschüsse gegenüber den Geburten. Nach dieser Vorausberechnung wird im Jahr 2020 fast jeder dritte Mensch in Mecklenburg-Vorpommern älter als 60 Jahre sein. Ab 2015 wird ein positiver Wanderungssaldo angenommen, was unter Experten als eine optimistische Annahme gilt.“
(Werz, Nikolaus 2001: Abwanderung aus den neuen Bundesländern 1989 bis 2000. In: Aus Politik und Zeitgeschichte B 39/40, S. 28, 29)
Literatur und Links
Links zum Thema Bevölkerung
Berlin-Institut für Weltbevölkerung und globale Entwicklung
Das Berlin-Institut unterhält ein sehr informationsreiches Online-Handbuch zum Thema Bevölkerung sowie ein ebenso nützliches pdf-Archiv.
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Nürnberg
Das Amt stellt Gesetzestexte und Statistiken zur Migration nach Deutschland zur Verfügung.
Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung Wiesbaden
Das BiB ist Deutschlands erste Adresse in Sachen Bevölkerungsforschung.
Deutsche Stiftung Weltbevölkerung Hannover
Ausführliche Informationen in globaler Perspektive. Angeboten wird unter anderem eine aktuelle Länderdatenbank mit sozialen und demografischen Indikatoren zu mehr als 180 Ländern.
Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien Osnabrück
Die Ausgaben der Zeitschrift „IMIS-Beiträge“ können kostenlos heruntergeladen werden.
Lehrstuhl für Bevölkerungswissenschaft an der Universität Bamberg
Nicht viele, aber teilweise noch nicht veröffentlichte Dokumente, die man nur hier findet.
Max-Planck-Institut für demographische Forschung
Das MPI bietet ein Online-Journal und sogar ganze Bücher kostenlos im Netz an. Alle Publikationen sind in englischer Sprache verfasst.
Statistisches Bundesamt Wiesbaden
Hier findet man die aktuellsten amtlichen Daten über die Bevölkerung Deutschlands.
United Nations Population Division
In englischer Sprache finden sich hier international vergleichende Informationen zu Bevölkerung und Migration.
Downloadbare Dokumente
Deutsche Bundestag, Enquete-Kommission Demographischer Wandel 2002: Schlussbericht der Enquete-Kommission „Demographischer Wandel - Herausforderungen unserer älter werdenden Gesellschaft an den Einzelnen und die Politik“. pdf-Datei, 2094kb
Fassmann, Heinz 2002: EU-Erweiterung und Arbeitsmigration nach Deutschland und Österreich. Quantitative Vorhersagen und aktuelle Entwicklungstendenzen. In: IMIS-Beiträge 19, S. 65-88. pdf-Datei, 1095kb
Hof, Bernd 2001: Szenarien zur Entwicklung des Arbeitskräftepotenzials in Deutschland. In: Aus Politik und Zeitgeschichte, Heft 8, S. 20-30. Online bei der Bundeszentrale für politische Bildung
Naegele, Gerhard 2001: Demographischer Wandel und „Erwerbsarbeit“. In: Aus Politik und Zeitgeschichte B3/4, S. 3-4. Online-Version
Schmid, Josef 2001: Bevölkerungsentwicklung und Migration in Deutschland. In: Aus Politik und Zeitgeschichte B43, S. 20-30. Online bei der Bundeszentrale für politische Bildung
Statistisches Bundesamt 2002a: Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland 2002, Stuttgart: Metzler-Poeschel. Das Kapitel Bevölkerung als pdf-Datei, 535kb
Statistisches Bundesamt 2002b: Datenreport 2002, Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung. Das Kapitel Bevölkerung als pdf-Datei, 471kb
Statistisches Bundesamt 2000: Bevölkerungsentwicklung Deutschlands bis 2050. Ergebnisse der 9. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung des Bundes und der Länder zur Bevölkerungsentwicklung bis 2050. pdf-Datei, 423kb
Werz, Nikolaus 2001: Abwanderung aus den neuen Bundesländern 1989 bis 2000. In: Aus Politik und Zeitgeschichte B 39/40, S. 23-31. Online bei der Bundeszentrale für politische Bildung
Aktuelle Literatur zum Thema Bevölkerung
Anmerkung zur Literaturauswahl: Diese Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Ihr Ziel ist es, Anhaltspunkte zu liefern sowohl zur Vertiefung der von uns angebotenen Informationen als auch zur Ausweitung des Blickfeldes auf Aspekte, die in unserem Angebot nur am Rande behandelt werden. Dabei wurde ein besonderes Augenmerk auf die Aktualität der Literaturhinweise gelegt. Von diesen ausgehend lassen sich im „Schneeballverfahren“ problemlos weitere Quellen erschließen.
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- Tenfelde, Klaus 2000: Zur Geschichte der Bevölkerung in Deutschland seit 1945. In: Oehrl, Christina / Schmidt, Sandra Sophia / Terbeck, Thomas (Hrsg.): Die Bundesrepublik Deutschland - eine Erfolgsgeschichte, Student. Arbeitsgemeinschaft 50 Jahre BRD, S. 71-88.
- Thränhardt, Dietrich 2001: Einwanderungsland Deutschland. Von der Tabuisierung zur Realität. In: Mehrländer, Ursula / Schultze, Günther (Hrsg.): Einwanderungsland Deutschland: neue Wege nachhaltiger Integration, Bonn: J. H. W. Dietz Nachf., S. 41-63.
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- Werz, Nikolaus 2001: Abwanderung aus den neuen Bundesländern 1989 bis 2000. In: Aus Politik und Zeitgeschichte B 39/40, S. 23-31. Online bei der Bundeszentrale für politische Bildung
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