Kleinster gemeinsamer Nenner?
Artikel vom 01.06.2021
Dialog in der polarisierten Gesellschaft. Ein Blogbeitrag von Eva Benner.
Meinungsunterschiede sind nicht das Problem
Ob Corona, Klima, Gender oder Nahost: es gibt Themen, bei denen sich mit dem Gegenüber einfach kein gemeinsamer Nenner finden lässt. Statt dass der Dialog zur gegenseitigen Einsicht führt, verhärten sich oftmals die Fronten und am Ende hört man sich gar nicht mehr zu. Man hat das Gefühl, gegen eine Wand zu reden.
Meinungsunterschiede sind normal und privat Kennzeichen einer funktionierenden Gesprächskultur, gesellschaftlich einer intakten Demokratie. Dialog ist wichtig, um den Frieden und die Demokratie zu sichern und gewinnt gerade mit zunehmender Polarisierung der Gesellschaft an Bedeutung. Wie also kann guter Dialog entstehen, wenn beide Seiten nicht wenigstens einen kleinsten gemeinsamen Nenner zu haben scheinen?
Ein küchenpsychologischer Ausweg?
Die Frage nach der Ermöglichung guten Dialogs ist eine der (Sozial-) Psychologie. Küchenpsychologisch und intuitiv könnte man sagen: „Selbstverständlich sollten wir uns daran erinnern, dass hinter jeder Meinung auch ein Mensch steht!“ und „Statt uns auf Unterschiede zu fixieren, sollten wir nach unseren Gemeinsamkeiten suchen!“. Bis zu einem bestimmten Punkt ist das vermutlich keine schlechte Vorgehensweise. Doch für die komplexen Fragen in unserer Gesellschaft ist sie zu naiv. Ich merke selbst, dass manche Standpunkte anderer Personen meine Schmerzensgrenze erreichen und wie oben beschrieben eine Abwehrhaltung bei mir ausgelöst wird.
Eine Alternative wäre, der Polarisierung der Gesellschaft präventiv entgegenzuarbeiten, denn zunehmende Polarisierung bedeutet abnehmende Diskussionsbereitschaft. Es könnte sich lohnen, Menschen verschiedener Hintergründe in Begegnungsräumen zusammen zu bringen, statt bequem und konfliktscheu in der eigenen Bubble zu bleiben. Außerdem sollten „Polarisierungstreiber“, wie skandalisierende Medienberichterstattungen, oder populistische Akteur*innen, definiert und abgeschwächt werden, zum Beispiel indem in der Schule beigebracht wird, wie Aussagen kritisch reflektiert werden können.
Existenzsicherung als Grundlage für Dialog
Doch eigentlich müsste man noch früher ansetzten. Basis für eine Abnahme der Polarisierung und somit einen besseren Dialog wäre eine gute Lebensgrundlage für alle. Besonders die extreme und in den letzten Jahren stark gestiegene finanzielle und soziale Ungleichheit von Menschen produziert sehr gespaltene Meinungen und kann ein Grund für Unverträglichkeiten innerhalb der Bevölkerung sein. Durch gleiche Chancen auf Bildung und die ökonomische Gleichstellung kann verhindert werden, dass sich Personen bei Diskussionen in ihrer Existenz angegriffen fühlen, da ihre Existenz gesichert ist. Ein Beispiel ist, wenn Menschen Migrant*innen verantwortlich für den Mangel an bezahlbaren Wohnraum machen. Wenn alle genügend Geld verdienen würden, um sich eine Wohnung zu leisten, oder gar jede*r das bedingungslose Recht auf eine Wohnung hätte, müsste man die Ursache für das eigene Leid nicht in seinen Mitmenschen suchen.
Trotz allem kann bei der Suche nach Dialog in der polarisierten Gesellschaft nicht Ziel sein, Diversität aufzugeben. Unterschiede machen uns als Individuen besonders und in einer bunten Gesellschaft wird es auch immer Meinungsverschiedenheiten geben. Eine Diskussion ohne Konsens muss ausgehalten werden und die Gesellschaft lernen, zu streiten. Das Mitspracherecht aller und die Sicherheit marginalisierter Gruppen im Gespräch sollte dabei, zum Beispiel durch Mediator*innen, aktiv gefördert werden. Ein unangenehmer Dialog ist immer noch besser als kein Dialog, denn er kann im besten Fall eine gemeinsame Basis und Offenheit für neue Positionen schaffen. Und das wäre die Anstrengung eines unangenehmen Gesprächs doch wert.
von Eva Benner, ehemalige Praktikantin der Schader-Stiftung.