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Human Enhancement

Artikel vom 04.05.2017

Foto: kentoh/Shutterstock.com

Im Februar 2017 fand ein Beratungsgespräch zum Thema Human Enhancement statt. Ziel des Beratungsgesprächs war, herauszuarbeiten, in welcher Weise die Schader-Stiftung den Dialog der Gesellschaftswissenschaften mit der Praxis im Themenfeld „Human Enhancement“ befördern kann.

Beratungsgespräch Human Enhancement

Bei dem Gespräch mit Persönlichkeiten aus der Soziologie, Philosophie, Politik-, Kommunikations- und Erziehungswissenschaft sollte erarbeitet werden, in welcher Weise die Schader-Stiftung sich mit dem Thema Enhancement befassen sollte. Ziel war es, verschiedene Ansätze, Erkenntnisse und Erfahrungen in einem für die Schader-Stiftung noch als unübersichtlich zu klassifizierenden Feld gesellschaftswissenschaftlicher Betrachtung zu erschließen. Dabei sollte geklärt werden, welche Themen bereits abgedeckt sind, wo es unbeachtete Themen im Bereich Human Enhancement gibt und an welchen konkreten Punkten angedockt werden kann. Berührungspunkte der Stiftung zum Thema gab es beispielsweise mit der Ausstellung DIALOGE 05 „Human Upgrade“, im Workshop „Big Data in Medizin, Gesundheit, Fitness“ und beim Großen Konvent 2016 zum Thema „Kulturelle Praktiken 4.0“.

Beim Großen Konvent 2016 angesprochene Aspekte des Human Enhancement:

  • Einnahme von Mitteln zur Leistungssteigerung, z.B. beim Sport oder bei der Arbeit;
  • Plastische Chirurgie und Schönheitschirurgie als Variante der ästhetischen Selbstoptimierung;
  • Früherkennung von Krankheiten im embryonalen Stadium durch Genomanalyse und Pränataldiagnostik;
  • Prothesen und Implantate, die ursprünglich zur Wiederherstellung der Körperfunktion nach Unfall oder Krankheit dienen, letztendlich aber besser funktionieren als das „Original“;
  • Smartphones, die Bewegungsverhalten, Schlafrhythmen oder Ernährungsgewohnheiten aufzeichnen, analysieren und schließlich Empfehlungen geben, wie der Nutzer besser, effizienter oder gesünder leben kann.

Folgende zentrale Fragestellungen gehen aus der Dokumentation hervor:

  • Was, wenn die Anwendung von Human Enhancement zu einem neuen Status quo führt?
  • Was geschieht mit Human Enhancement –„Verweigerern“?
  • Wie weit kann man mit Human Enhancement gehen, ohne das „Menschliche“ zu verlieren (Stichwort Cyborg)?
  • Welche Auswirkungen hat Human Enhancement auf das künftige Menschenbild, wenn es bestimmte gesellschaftliche Gruppen nicht mehr geben wird (Stichwort Pränataldiagnostik / Vermeidung der Geburt von Menschen mit Einschränkungen)?

Anregungen aus dem Beratungsgespräch

Der Gebrauch von Tools im Bereich „Lifelogging“ bzw. „Self-Tracking“ gewann in den vergangenen Jahren an Bedeutung. Entsprechende Apps o.ä. dienen der digitalen Selbstvermessung, aber auch der Entwicklung einer digitalen Unsterblichkeit. Besonders interessant ist dabei, inwieweit diese Funktionen wie empirische Forschungsinstrumente verwendet werden können. Aus dem „optimierten Selbst“ wird das „popularisierte Selbst“. Auch wenn die technischen Medien neu sind, kann die transhumanistische Frage trotzdem an alte Debatten anknüpfen.

An dieser Stelle ist der Verlust bzw. das Rückschreiten sozialer Utopien anzusprechen. Diese stehen einem stärker werdenden und an Eigendynamik gewinnenden Vermessungswahn gegenüber bzw. werden durch diesen abgelöst.

Auch andernorts wird Human Enhancement stark diskutiert – so beispielsweise im Kontext von Initiativen und Werken wie der „Aktion Mensch“. Hier werden die Entwicklungen in ihren positiven wie negativen Dimensionen betrachtet. Insbesondere stellt sich die Frage, was mit Menschen passiert, die sich einem gesellschaftlichen Druck zum Human Enhancement in der Gegenwart oder Zukunft entziehen. Sozial benachteiligte Gruppen stehen durch Human Enhancement in doppelter Hinsicht im Abseits, da sie sich mögliche Behandlungen ggf. finanziell nicht leisten können. Die Diskussion um Human Enhancement sollte demnach nicht nur auf „Lifestyle-Ebene“ geführt werden, sondern es müssten insbesondere auch vulnerable Personenkreise mit einbezogen werden (Verbraucherforschungsperspektive).

Als problematisch wird die fehlende theoretische Rahmung erachtet. Hier besteht eine Lücke bezüglich übergreifender oder strukturierter Ansätze. Außerdem ist die Entwicklung und Produktion von Produkten und Anwendungen des Human Enhancement der kritischen Diskussion bzw. Reflektion weit voraus. Entsprechende Produkte sind schon längt auf dem Markt, werden nachgefragt und genutzt. Eventuelle negative Folgen von Enhancement kann man nur eindämmen, wenn Entwickler sich ihrer Verantwortung bewusst sind. Es wird daher befürwortet, dass Produktentwickler aus den entsprechenden Bereichen in die Diskussion mit eingebunden werden.

Insbesondere werdende Eltern sind mit dem Thema Human Enhancement konfrontiert, da auf ihnen der gesellschaftliche Druck lastet, das „optimale Kind“ zu haben. Zudem soll dem Nachwuchs die bestmögliche Erziehung gewährleistet werden, daher wird der Aspekt der Optimierung, ob Gesundheit oder Bildung betreffend, schon vor der Geburt in Beratungsgesprächen thematisiert.

Beim Thema Prothetik greift auch ein Diskurs zum Thema soziale Ungleichheit, denn die Qualität der Prothesen stellt auch eine Frage finanzieller Ressourcen dar.

Als weiterer offener Bereich wurde die Rolle der Politik im Falle von Sozialem Enhancement benannt. Im Falle von Inklusion bezieht die Politik bis dato keine (wirkliche) Stellung dazu.

Da die Forschung zum Thema Human Enhancement aktuell noch punktuell verläuft, gestaltet sich ein allgemeiner Überblick schwierig bzw. ist noch nicht wirklich vorhanden. Daher besteht Bedarf an der Entwicklung einer geeigneten Terminologie gleichwie an einer öffentlichen Diskussion (Aufklärungsarbeit).

Neben ethischen Fragestellungen stellen sich grundlegende Fragen nach gesellschaftlichen Zukunftsbildern. Zudem setzt eine Optimierung immer eine Normierung voraus. Dazu sind Fragen nach der Definition dieser Normen, dem normativen Druck und den Idealen anzusprechen.

Diversity-Paradoxon: Auf der einen Seite buhlen Unternehmen um eine möglichst diverse Arbeitnehmerschaft; mit Human Enhancement wird eine vielfältige Gesellschaft allerdings konterkariert. Hier docken Fragen zu Perspektiven und möglichen Überproduktionen des Human Enhancement an.

Vor Fragen der Anwendung und Bewertung von Human Enhancement stehen zentrale Fragen nach den Vorläufern und Entwicklungsstadien. Eine solche historische und systematische Analyse wird als wichtiger Baustein für die Beschreibung aktueller Prozesse angesehen.

Human Enhancement nimmt als Begriff wie als Thema an Präsenz zu und wird häufiger medial thematisiert, beispielsweise in TV-Formaten wie dem Tatort.

Am Beispiel von Studierenden, die vermeintlich leistungssteigernde Substanzen konsumieren, um sich für das Studium zu optimieren, wird deutlich, dass Human Enhancement in der Wirklichkeit angekommen ist und eine praktische, gesellschaftspolitische Dimension beinhaltet. Hier wäre das Gespräch mit Betroffenen oder potentiell Gefährdeten angezeigt.

Bei der Thematik Burnout wird sichtbar, dass sich in der Therapie psychischer Erkrankungen eine schwierige Entwicklung abzeichnet; häufig wird nicht versucht die Ursache anzugehen, sondern das Symptom. Mit Yoga oder anderen präventiven Methoden will man den Auswirkungen entgegenwirken, nicht immer aber die Ursache(n) erkennen oder behandeln. Diskussionen in diesem Bereich werden in relativ geschlossenem Raum geführt. Zentral wäre die Frage nach dem „guten Leben“ als Basis des weiterführenden philosophischen Gesprächs.

Die Reproduktion der Gesellschaft rührt an utopische Momente, zudem betreffen Strukturen von Enhancement Themen der Morphologie, Pharmakologie, Genetik oder Digitalisierung. Insbesondere der Bereich „Digitales Enhancement“ zeigt sich als lohnend für die Debatte.

Debatten, die im Kontext von Selbstoptimierung geführt werden, kreisen häufig um die Kernaussage, dass der gesellschaftliche Druck immer stärker wird. Ein nicht zu unterschätzender Faktor ist aber zudem die Umstrukturierung der Gesellschaft vom Finanzkapitalismus hin zum Informationskapitalismus - daraus resultierten veränderte Umweltbedingungen.

Das McKinsey Global Institut veröffentlichte 2013 eine Studie (MGI Report 2013) zum Thema „Disruptive Technologien“  und bewertete deren Potentiale für die Bereiche Weltwirtschaft und Human Life. Von den zwölf identifizierten Technologien, die in den kommenden Jahren massive wirtschaftliche Transformationen erwarten lassen, zählen die ersten fünf in die Sparte digitaler Technologien.

Eine Zusammenarbeit mit den Disziplinen Kommunikationswissenschaft und Publizistik sollte in Erwägung gezogen werden, ebenso die Einbeziehung von wirtschaftswissenschaftlicher Kompetenz.

Eine entsprechende Diskussion zu Human Enhancement sollte zudem nicht nur in Think Tanks geführt, sondern muss rechtzeitig in die Öffentlichkeit getragen werden. Auch müssen weitere Wissenschaftsdisziplinen eingebunden werden wie beispielsweise die Medizin oder die Psychologie.

Die Thematik „Künstliche Intelligenz“ wird überbewertet. Bezogen auf Human Enhancement sollten daher die Realisierungsmöglichkeiten beachtet werden; was ist überhaupt machbar und wo wird zu viel hineininterpretiert. Diskussionen im Bereich der Dystopien sollten vermieden werden.

Gegenwärtige Entwicklungen von Human Enhancement dürfen nicht unterschätzt werden; insbesondere der Einsatz von Technologie und „Neuen Medien“ beschleunigt und vergrößert die Verbreitung von Formen des Human Enhancement.

Fazit

Human Enhancement stellt eine reale Herausforderung für den Dialog zwischen Gesellschaftswissenschaften und Praxis dar. Zudem erfordert das Themenfeld ganz besonders Beteiligung aus der kommenden akademischen Generation.

Im Blick auf eine mögliche Veranstaltung waren sich die Anwesenden einig, dass man nicht nur die Disziplinen Soziologie, Politikwissenschaft und Kommunikationswissenschaft für einen möglichen Input fokussieren sollte, sondern auch Theologie, Philosophie, Wirtschaftswissenschaften sowie Medizin und Psychologie. Bei einer potentiellen Veranstaltung sollen zudem technisch Qualifizierte und Entwickler mit an den Tisch geholt werden (z.B. Pharmaindustrie oder Biotechnologie). Auch Gegenbewegungen sollen Teil der Veranstaltung sein und mitdiskutieren bzw. Raum für ihre Positionen erhalten.

Die zu planende Veranstaltung soll der Sensibilisierung der Gesellschaftswissenschaften dienen und Bewusstsein für die Thematik Human Enhancement schaffen (Aufklärungsarbeit) und nicht in Form einer reinen Fachkonferenz stattfinden.

Der Vorschlag, eine Veranstaltung zu konzipieren, in der explizit die Kritikerinnen und Kritiker Raum für ihre Argumentation bekommen, wird als zielführend empfunden und stark befürwortet. Eine solche Veranstaltung, die gezielt Pro und Contra an einen Tisch bringt, müsste unter Chatham House Rules (geschlossenes Format auf Einladung) erfolgen, damit echte Streitgespräche und Diskussionen in Offenheit möglich wären. Der didaktische Ansatz, von der Kritik auf die Potentiale zu zielen, wird festgehalten. 

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