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Ich kann dir gar nicht sagen wie intelligent das ist

Artikel vom 29.05.2019

Warum scheitert die kommunikative Übersetzung neuer Ideen, Produkte oder Thesen? Durch falsche Zielgruppenkommunikation. Gute Kommunikation heißt verstehen. Vor allem die Menschen, für die ich etwas schaffen möchte, müssen mich verstehen. Von Heiko Depner

Übersetzungsprobleme

Fast täglich beobachte ich als Gesellschafter-Geschäftsführer einer Full-Service-Agentur Menschen und Firmen in der kommunikativen Übersetzung ihrer revolutionären Ideen, Produkte oder Thesen beim Scheitern. Gesellschaftswissenschaften und Praxis sind hier besonders anfällig, da oft aus Budgetgründen nicht auf externe Ressourcen zurückgegriffen werden kann und manchmal vielleicht auch das Bewusstsein fehlt. Äußerst schwer ist es, nachdem man sich ausgiebig mit einem Thema befasst, es vielleicht jahrelang studiert und Jahrzehnte erforscht hat, die gewonnenen Erkenntnisse in einfachen Worten zu beschreiben. Beim Gegenüber immer wieder Wissen, Verständnis und Interesse (vielleicht sogar Begeisterung!) vorauszusetzen, ist eine Falle, in die schnell getappt wird. Je tiefer man selbst eintaucht, je weiter die Gedanken gehen, umso schwerer ist es, sich aus diesen Schlingen selbst wieder zu befreien und einem Außenstehenden „einfach“ klar zu machen, um was es geht.

Die Reduktion von komplexen Inhalten auf das Wesentliche ist dabei sicherlich die größte Herausforderung. Viel zu groß scheint die Angst zu sein, Wesentliches wegzulassen und so wird das Risiko eingegangen, dass zum Schluss gar nichts mehr ankommt. Schlimmer noch – der Zuhörende nach wenigen Minuten abschaltet. Das einfachste Mittel (und ein großer Fehler) ist die eins-zu-eins Übersetzung von Botschaften nach außen. Machen Sie den Selbsttest: Besuchen Sie Ihre eigene Website oder die eines Unternehmens in der Region. Sie werden feststellen, dass „Übersetzungsprobleme“ überall zu finden sind. Auf was ich besonders Augenmerk legen möchte, ist die Menüführung. Die meisten Websites von Unternehmen bieten unter anderem die folgenden Navigationspunkte:

  • Über uns
  • Produkte / Dienstleistungen
  • Geschäftsführung / Vorstand
  • Team
  • News

Wenn Sie dies bestätigen können, haben Sie wahrscheinlich ein klassisches Beispiel für eine absenderorientierte Kommunikation gefunden. Ich gehe von mir selbst aus und sage allen „da draußen“, wie ich bin und was mich aus meiner eigenen Wahrnehmung ausmacht. Doch ein Gedanke fehlt: Was interessiert mein Gegenüber? Und wenn ich mich als Unternehmen oder Person mit dem Gegenüber befasse, dann werde ich in fast allen Fällen feststellen, dass es sich nicht um ein Gegenüber handelt, sondern um eine Vielzahl mit unterschiedlichen Bedürfnissen und Zielen.

Welterklärung oder Dialog?

Mit diesem Selbsttest möchte ich nicht behaupten, dass die oben genannten Navigationspunkte ab sofort ein No-Go auf Websites sein sollten. Unsere eigene Unternehmenswebsite beherbergt viele dieser liebgewonnenen Begriffe, um Selbstdarstellung zu betreiben. Vielmehr geht es mir um die Auseinandersetzung und das Wieder-be wusst-Machen von Dingen, die wir in den Grundsätzen alle gelernt, aber in der täglichen Wahrnehmung nicht mehr im Sichtfeld haben.

Schon einige Male war ich nun ehrenamtlich als Coach beim Sommercamp der Schader-Stiftung tätig. Junge Studierende wurden in Gruppen zusammengestellt und erarbeiteten zu elementaren Fragestellungen der Gegenwart und Zukunft Konzepte, die sie uns vortrugen. Es beeindruckte mich sehr, junge Menschen zu sehen, die sich in ihren Semesterferien mit diesen Themen auseinandersetzten und dafür nach Darmstadt reisen. Es schockierte mich offen gesagt jedoch auch, dass einige so klug waren, dass sie sich im Team den Großteil der Zeit gegenseitig die Welt erklärten und dabei augenscheinlich manchmal selbst nicht verstanden haben. In diesem Rahmen waren sie unter sich. Jung, gebildet, studierend. Sie entwickelten Konzepte für Menschen aus anderen gesellschaftlichen Schichten, mit anderen Problemen im täglichen Leben. Doch wie sollen diese umgesetzt werden, wenn gar die Kommunikation im eigenen Milieu schon die größte Schwierigkeit ist?

Gute Kommunikation heißt verstehen. Vor allem die Menschen, für die ich etwas schaffen möchte, müssen mich verstehen. Eine detaillierte Definition der Zielgruppe/n und die Ausarbeitung der Bedürfnisse – viel besser passt das Wort „Herzenswünsche“ – ist unabdingbar, um das passende Konzept zu entwickeln. Erst danach kann der Nutzen eines Konzepts (oder Produkts) für die Zielgruppe benannt werden, denn dieser ist die konsequente Antwort auf das Bedürfnis.

Seit über 15 Jahren bin ich in der Werbung, neudeutsch in der Kommunikationsbranche tätig. Die Grundpfeiler Zielgruppe, Bedürfnisse und Nutzen sind nach meiner Überzeugung unverrückbar. Agenturen und kreative Beratungsfirmen haben unterschiedliche methodische Ansätze zur Erarbeitung dieser und anderer Markenparameter entwickelt, die sich jedoch nach meiner Einschätzung nur im schillernden Kleid unterscheiden und nur unwesentlich im Inhalt. Eingangs schrieb ich vom Scheitern in der Kommunikation. Selbst wenn im strategischen Bereich, den ich nur ganz oberflächlich angerissen habe, alles richtig umgesetzt wurde, so birgt die gute Umsetzung die größten Tücken.

Nie werde ich eine meiner ersten Vorlesungen als Student vergessen, als der Dozent einen Gewinn im Rahmen eines Tippspiels auslobte. Zu schätzen galt es, mit wie vielen Werbebotschaften ein Mensch in Deutschland durchschnittlich am Tag konfrontiert wird. Das Spektrum der Ideen ging weit auseinander und die Argumentationen waren einigermaßen abenteuerlich. Meine persönliche Schätzung lag bei 500 und ich sollte feststellen, dass ich weit daneben lag. 2.300 Werbebotschaften waren es laut ihm damals in 2005, die uns tagtäglich berieseln. Aktuelle Zahlen gehen immer noch weit auseinander und auch die damals genannte Zahl scheint eher tief- als hochgestapelt gewesen zu sein. Fasst man unterschiedliche Quellen, die sich auf unterschiedliche Regionen beziehen, zusammen, so sind 8.000 bis 15.000 Werbebotschaften pro Tag als durchaus realistisch einzuschätzen. Wie viele davon haben Sie heute bewusst wahrgenommen?

Werbung hat unterschiedliche Zielsetzungen. Es ist gut, dass Sie sich nicht an jede einzelne Anzeige oder jedes Plakat erinnern können. Unser Gehirn schützt uns vor den vielen Einflüssen und sortiert rigoros aus, so dass wir den Blick fürs Wesentliche behalten. Umso mehr müssen wir uns in der Kreation von Werbung heute hinterfragen, ob wir die richtigen Wege gehen oder ob wir zielführendere Ansätze verfolgen können.

Wege zur Zielgruppe

Wenn Werbung absenderorientiert ist und keine Nutzen für den Betrachter zu erkennen sind, dann wird sie direkt aussortiert oder als störend betrachtet. Es gibt zwar einige Beispiele für äußerst erfolgreiche Werbung, die als störend empfunden wird (zum Beispiel Seitenbacher Müsli), dies ist aber die Ausnahme und nicht die Regel. Um auch künftig die Projekte, Ideen oder Produkte richtig zu kommunizieren, schlage ich den Gesellschaftswissenschaften und Praktikern vor, dass auf diese Punkte besonders geachtet wird:

Fasse dich kurz: Keine epischen Abhandlungen. Weniger ist mehr und in 280 Zeichen (Twitter) sollten komplexe Zusammenhänge als Themenaufhänger erklärt sein, so dass die Zielgruppe bei Interesse tiefer in das Thema einsteigen kann.

Schaffe freien Platz: Die Zeiten voll beladener Medien ist vorbei. Auch visuell sollte sich auf das Wesentliche konzentriert werden und das Auge freut sich über eine Hierarchie, um gelenkt zu werden. Wenn alles groß und wichtig erscheint, dann wird nichts wichtig sein. Dem Auge einen Blickpfad durch klare Prioritäten zu geben ist dabei hilfreich.

Übersetze: Ein seriöser Versicherungsmakler, der in seine Anzeige „ich bin seriöser Versicherungsmakler“ schreibt, der wird alles andere als seriös wirken. Ziel muss es sein Kommunikation zu schaffen, bei der die Zielgruppe selbst zu der gewünschten Erkenntnis kommt.

Sei individuell: Klar lassen sich Bilder aus Bildarchiven kaufen und manche gibt es sogar lizenzfrei. Für ein eigenständiges Auftreten und klares Profil ist es jedoch in der Praxis oft nicht hilfreich. Was mich und meine Idee ausmacht, sollte in Bildern dargestellt werden, die nicht generisch sind und eine eigene Sprache haben.

Baue eine Brücke: Kommunikation sollte nicht die ganze Geschichte bis zum Ende erzählen. Es muss gelingen eine Brücke zu bauen, die bis zu 90% fertiggestellt ist. Die restlichen 10% sollten vom Betrachter erschlossen werden, da auf diese Weise eigene Erkenntnis gewonnen wird und Erinnerung stattfindet. Die Tücke ist es, diese Brücke weit genug zu bauen, so dass auch in einem kurzen Moment eigene Erkenntnis stattfinden kann. Zu viel bedeutet, dass es schnell für den Betrachter langweilig wird und zu wenig führt meist dazu, dass die Aussage nicht verstanden wird.

Serviere mundgerecht: Kommunikative Botschaften müssen priorisiert werden. Dies bedeutet nicht zwingend, dass Aussagen weggestrichen werden müssen, um Wichtigeren mehr Platz zu geben. Durch Klärung der Prioritäten und/oder der Dramaturgie werden diese in die richtige Reihenfolge einsortiert und zum richtigen Zeitpunkt mundgerecht serviert. Ohne Verschlucken.

Wähle den richtigen Kommunikationsmix: Welche Kommunikationskanäle erschlossen werden sollten, ist eine zentrale Frage. In unserer Agentur beantworten wir diese mit den strategischen Werkzeugen „consumer journey“ und „message cascading“, was nichts anderes meint als die Wege des Verbrauchers im Kommunikationsdschungel zu kennen und danach die Botschaften scheibchenweise in den passenden Medien zu platzieren. Im vorauseilenden Gehorsam (Standard-) Kommunikationsmittel wie Flyer, Website oder Facebook-Auftritt zu initiieren sollte zumindest hinterfragt werden.

Sei werblich, ohne Werbung zu machen: Werbung wird oft als störend und aufdringlich empfunden. Gute Kommunikation sollte sich nicht wie Werbung anfühlen. Sie sollte unterhalten, emotional berühren und einen wirklichen Nutzen haben. Im Idealfall fühlt sich diese gar nicht wie Werbung an.

Die Herausforderungen sind groß und sie werden größer. Die Welt ist immer schneller getaktet, die Aufmerksamkeitsspanne nimmt durch die Nutzung einer Vielzahl an (digitalen) Medien dramatisch ab und die Welt ist in Zeiten von Digitalisierung und Globalisierung so komplex geworden, dass einfache Antworten schier unmöglich sind. Die Vielzahl der Menschen sehnt sich jedoch nach einfachen Antworten und ist über Emotion zu erreichen.

Lassen Sie uns emotional werden und aus dem Elfenbeinturm der rein rationalen Argumente und Überheblichkeit herab klettern. Lassen Sie uns verstehen, dass es auch in unserer Verantwortung liegt, wenn wir nicht verstanden werden. Überlassen wir dieses Feld der einfachen Antworten nicht den Populisten und schlagen die Tür zu. Wir müssen zulassen, was wir selbst sind. Mensch sein. Gute Kommunikation bedeutet auch den Abbau des eigenen Egos.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der erweiterten Dokumentation des Symposiums „Die Praxis der Gesellschaftswissenschaften“, das anlässlich des 90. Geburtstags des Stifters Alois M. Schader am 16. Juli 2018 im Schader-Forum stattfand.

Heiko Depner: Ich kann dir gar nicht sagen wie intelligent das ist. Scheitern von neuen Ideen durch falsche Zielgruppenkommunikation, in: Alexander Gemeinhardt (Hrsg.): Die Praxis der Gesellschaftswissenschaften. 30 Jahre Schader-Stiftung, Darmstadt 2018, 187-190.

Der Autor:
Heiko Depner ist seit 2013 geschäftsführender Gesellschafter der Darmstädter Kommunikationsagentur La Mina und der zugehörigen Holding Good Business. An der Hochschule Darmstadt ist er Dozent im Studiengang Wirtschaftspsychologie im Bereich Werbung/Marketing.

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