Zuwanderer auf dem Land - Good Practices der Integration von Zuwanderern
Artikel vom 20.04.2007
Die beiden Preisträger des Wettbewerbs „Erfolgreiche Integration ist kein Zufall. Strategien kommunaler Integrationspoltik“ in der Kategorie ländlicher Raum - der Landkreis Hersfeld-Rotenburg und die Gemeinde Belm im Landkreis Osnabrück - sind gute Beispiele der Integration von Zuwanderern.
Der Wettbewerb „Erfolgreiche Integration ist kein Zufall“
An dem Wettbewerb „Erfolgreiche Integration ist kein Zufall. Strategien kommunaler Integrationspoltik“, der von Bertelsmann Stiftung und Bundesministerium des Innern durchgeführt und Mitte 2005 abgeschlossen wurde, beteiligten sich 107 Städte, Landkreise und Gemeinden, die sich in mehreren kriteriengeleiteten Ausscheidungsrunden dem Urteil einer elfköpfigen Expertenjury stellten. Preisträger wurden in drei Raumkategorien ermittelt: Sieger in der Kategorie Großstadt wurde Stuttgart, in der Kategorie Mittelstadt setzte sich Solingen durch, und der Sieg in der Kategorie ländlicher Raum ging zu gleichen Teilen an den Landkreis Hersfeld-Rotenburg sowie die Gemeinde Belm im Landkreis Osnabrück.
Qualitätskriterien des Wettbewerbs
Die Bewertung der Kommunen basierte auf einem Kriterienset, das unter Mitwirkung von 25 Experten aus Wissenschaft, Politik und Praxis erarbeitet wurde. Diese Kriterien können als Qualitätsindikatoren für die Integrationspolitik der Kommunen gelten.
Die Fachleute waren sich einig, dass Integrationspolitik als Querschnittsthema in den Kommunen etabliert werden muss. Sie sollte so strategisch wie beteiligungsorientiert geplant und möglichst zur Chefsache erklärt werden. Außerdem sollte sich die Verwaltung interkulturell öffnen und dadurch für Zuwanderer zugänglicher werden. Schließlich müssen die Maßnahmen anhand von Indikatoren in einem Erfolgscontrolling auf Nachhaltigkeit und Erfolg geprüft werden. Die Bewerbungsunterlagen der Kommunen haben diese Qualitätskriterien bestätigt. Weiterhin konnten bisher folgende Faktoren für erfolgreiche Integration ermittelt werden:
- Insbesondere in kleinen Kommunen zeigt sich, dass der persönliche Einsatz des Verwaltungschefs unabdingbar ist. Er kann verschiedene Formen annehmen: Etwa die Einrichtung einer Stabsstelle, der Vorsitz in einem Zuwanderungsausschuss oder auch nur ein jährlicher Empfang für zugewanderte Bürger.
- Viele Kommunen haben oder entwickeln derzeit ein umfassendes Gesamtkonzept zur koordinierten Steuerung der Integrationspolitik.
- Eine zentrale Koordinierungs- oder Anlaufstelle erleichtert den Prozess der Integration. Die organisatorische Einbindung solcher Einrichtungen ist jedoch sehr unterschiedlich.
- Partizipation und Vernetzung von Zuwanderungsgruppen sind ein Schlüsselfaktor für eine erfolgreiche Integrationspolitik.
(Bertelsmann Stiftung, Bundesministerium des Innern 2006, Informationen zur abschließenden Dokumentation)
Preisträger Landkreis Hersfeld-Rotenburg
Der Landkreis: Einwohner – Strukturdaten – räumliche Verteilung der Zuwanderer
Der Landkreis Hersfeld-Rotenburg ist ein ländlich strukturierter Flächenlandkreis im Nordosten Hessens an der Grenze zu Thüringen. Der Landkreis umfasst vier Städte und 16 Gemeinden mit insgesamt gut 129.000 Einwohnern und hat eine Flächenausdehnung von rd. 1.100 qkm. Der Zuwandereranteil an der Gesamtbevölkerung beträgt ca. 9,1% (31.12.2002), davon sind 4% Aussiedler und 5% Ausländer, unter letzteren stellen Türken die größte Gruppe. Die Arbeitslosenquote im Landkreis beträgt zum 31.12.2003 durchschnittlich 9,9%, unter Ausländern ist sie mit 23,3% fast zweieinhalb Mal so hoch. Insgesamt besitzen 10% der Schulabgänger des Schuljahres 2002/2003 keinen Hauptschulabschluss, mit fast 14% ist ihr Anteil unter den Ausländern aber nur geringfügig höher. In einigen Städten bzw. Stadtteilen ist die Konzentration von Ausländern bzw. Aussiedlern oder beiden Zuwanderergruppen besonders hoch; so in der Gemeinde Alheim, in den Städten Rotenburg und Bebra sowie im Bad Hersfelder Stadtteil Hohe Luft, obgleich der Landkreis – mancherorts mit Erfolg – versucht hat, Wohnsegregation durch die gezielte Vermittlung in private Mietwohnungen zu verhindern.
Arbeit als Integrationspotenzial geschwächt
Der Arbeitsmarkt als Integrationsfaktor - gerade auch für gering qualifizierte Personen - hat seit den 90er Jahren an Bedeutung verloren. Das konstant hohe Niveau der Arbeitslosigkeit in der Region ist historisch bedingt durch die sogenannte Zonenrandlage, jüngst gesteigert durch Arbeitsplatzabbau im Allgemeinen und nochmals verschärft durch die Verlagerung bzw. Aufgabe von ansässigen Firmen(teilen) im Zuge der Wiedervereinigung Deutschlands und des damit verbundenen Wegfalls von lagebedingten Fördermitteln. Integrationspotenziale wie Wohnen und Zusammenleben haben statt dessen an Bedeutung gewonnen. Die Migrationsverwaltung des Landkreises als Bestandteil der reinen Regelverwaltung mit dem Ziel, den Lebensunterhalt der Migranten sicherzustellen, reichte nicht mehr aus. Eine Weiterentwicklung zur sozialen Migrationsverwaltung wurde nötig.
Entwicklung der strategischen Integrationspolitik des Landkreises im Überblick
Die Darstellung der Entwicklung der strategischen Integrationspolitik im Landkreis Hersfeld-Rotenburg in einem kurzen Überblick:
- Praxisforschungsprojekt mit der Evangelischen Fachhochschule Darmstadt
1998 startete ein Praxisforschungsprojekt im Landkreis Hersfeld-Rotenburg, das von der Evangelischen Fachhochschule Darmstadt (Prof. Strasser) initiiert worden war und dem Ziel diente, die Integrationschancen von jugendlichen Aussiedlern im ländlichen Raum zu verbessern und diesen Prozess wissenschaftlich zu begleiten. Aus dem Projekt ging der erste Nordhessische Aussiedlerfachtag hervor, auf dem sich nordhessische Kommunen nunmehr alljährlich über ihre regionale Integrationsarbeit austauschen. - Netzwerk für Integration
Durch die Erfahrungen des Praxisforschungsprojekts ermutigt, beteiligte sich der Landkreis an dem Modellprojekt der Bundesregierung „Netzwerk für Integration von Spätaussiedlern“, das im März 2001 entstand und auf drei Jahre angelegt war. Es war das einzige Projekt mit durchgängiger wissenschaftlicher Begleitung – ebenfalls durch Prof. Strasser von der EFH Darmstadt. In der Steuerungsgruppe des Netzwerks wirkten unter anderem Vertreter verschiedener Ämter mit, deren Kooperation dadurch entscheidend verbessert wurde.
Nach Projektende wurde das Weiterbestehen des Netzwerks durch eine Vereinsgründung gesichert. Der Verein umfasst derzeit 24 natürliche und juristische Personen, darunter zum Beispiel den Landkreis Hersfeld-Rotenburg und die Diakonie. - Handlungsfelder der Integration
Säulen der Integrationsarbeit im Landkreis sind die aufeinander aufbauenden Elemente „Sprache – Arbeit – Integration“. Denn ohne fundierte Sprachkenntnisse fehlt die Möglichkeit, erfolgreich am Erwerbsleben teilnehmen zu können. Und ohne diese Art der Selbstbestätigung wird die Integration in die neue Gesellschaft enorm erschwert. Aus der kontinuierlichen Netzwerkarbeit sind daher folgende Handlungsschwerpunkte hervorgegangen:
Sprach- und Integrationsangebote des Landkreises
Vereinsgründungen, Interkulturelle Woche
Jugendberufshilfe
Information und Beratung von Zuwanderern vor Ort - Integrationsleitbild des Landkreises
Aufgrund der positiven Erfahrungen mit der netzwerkorientierten Arbeit sah sich der Landkreis bestätigt, die Integrationsarbeit als kommunale Querschnitts- und Gesamtsteuerungsaufgabe in der kommunalpolitischen Beschlussfassung zu verankern. Der Kreistag beschloss am 1. November 2004 „Leitlinien zur Integration von Migrantinnen und Migranten im Landkreis Hersfeld-Rotenburg“. - Ausblick auf die künftige Integrationspolitik und -arbeit im Landkreis
Die Integrationsleitlinien legen den Grundstock dafür, dass ein umfassender Integrationsansatz beteiligungsorientiert über das Netzwerk in einem bottom-up-Verfahren angestoßen und kommunalpolitisch, also top down, gesichert und verstetigt wird. Der Ausbau der bisher rein an Leistungsvergabe orientierten Regelverwaltung für Migration hin zu einer sozialen Integrationsverwaltung kann dadurch weiter vorangetrieben werden. Dies geht einher mit einer Verwaltungsöffnung und der eigeninitiativen Mitarbeit von Migranten an den Projekten und Maßnahmen.
Preisträger Gemeinde Belm
Die Gemeinde: Einwohner – Strukturdaten – räumliche Verteilung der Zuwanderer
Die Gemeinde Belm, am nordöstlichen Rand von Osnabrück gelegen, ist Teil des Landkreises Osnabrück, der 17 Gemeinden umfasst. Mit ihren fünf Stadtteilen hat die Gemeinde insgesamt gut 14.000 Einwohner (31.12.2003). Der Aussiedleranteil an der Gesamtbevölkerung beträgt ca. 17% (31.12.2003), der Ausländeranteil gut 5%, darunter bilden Türken die größte Gruppe. Die Arbeitslosenquote in der Gemeinde beträgt zum 31.12.2003 durchschnittlich 11,1%, unter Ausländern ist sie mit 16,1% etwas höher. Insgesamt besitzen 11,5% der Schulabgänger des Schuljahres 2002/2003 keinen Hauptschulabschluss, unter den Ausländern ist der Anteil mit gut 5% aber nur halb so hoch. Belm sieht sich mit erheblicher Wohnsegregation konfrontiert; insbesondere eine ehemalige Großwohnsiedlung britischer NATO-Soldaten, die in den 1980er und 90er Jahren geräumt wurde, trägt mit einem Migrantenanteil von über 70% deutliche Züge der Stigmatisierung. 58% der Jugendlichen bis 25 Jahre leben dort von Sozialhilfe. Seit 2000 gehört Belm zum Programm „Soziale Stadt“.
Wenzel (2002) schreibt über den Umgang mit dem Aussiedlerzuzug im Landkreis Osnabrück: „Mit der Aussiedlerzuwanderung waren in den 1990er Jahren auch erstmals die kleineren ländlichen Gemeinden gefordert, weil ein Großteil dieser Migranten dort aufgenommen wurde. Die Kommunalpolitiker bemühten sich zu Beginn der 1990er Jahre sehr nachhaltig um diese Zuwanderer, weil die früheren umfänglichen staatlichen Unterstützungen als eine Art Strukturförderung verstanden werden konnten, die sie gleichzeitig in die Lage versetzte, den Bevölkerungsrückgang dieser Gebiete zu stoppen. Nachdem die wohlfahrtsstaatlichen Förderungen sukzessive abgebaut wurden, die Aussiedler zunehmend stärker von Erwerbslosigkeit betroffen waren und der kommunal aufzubringenden Sozialhilfe anheimfielen (bei ‚explodierenden‘ Sozialetats), war spätestens ein verstärktes Engagement der Kommunen im Sinne eines sozialen und sozioökonomischen Risikomanagements gefordert. Dieser Zeitpunkt markierte den Beginn für viele Initiativen, die auch von den Landkreisen und Kommunen initiiert wurden und in die verschiedene Wohlfahrtsverbände, Kirchen, Sportvereine, Migrantenvereine etc. eingebunden wurden.“
Die Integrationsarbeit der Gemeinde Belm
Die Darstellung der Integrationspolitik der Gemeinde Belm in einem kurzen Überblick:
- Beteiligung der Gemeinde am Programm „Soziale Stadt“
Ende der 1990er Jahre zeichnete sich ab, dass die Segregation der zugewanderten Bevölkerung in Verbindung mit den baulichen Missständen der Großwohnsiedlung ohne intensive integrative Maßnahmen Abstieg und dauerhafte Ausgrenzung für die betroffene Bevölkerung bedeuten würde. Daher wurde Belm im Jahr 2000 in das Programm „Soziale Stadt“ aufgenommen und entwickelte im Zuge dessen ein integriertes Handlungskonzept zur Stabilisierung des Wohnquartiers. - Zentrale Rolle des Quartiermanagements
Die Gemeinde Belm begreift Integration als „Chefsache“ und investiert zwei Drittel ihres Budgets für freiwillige Ausgaben in die Integrationsarbeit. Zentral für die Steuerung und Umsetzung von Projekten wie auch für die Wahrnehmung der Brückenfunktion zwischen Bürgermeister, Verwaltung und Bevölkerung ist jedoch das Quartiermanagement.
- Integrationsansätze und -strategien
Die Gesamtstrategie der Integration von Zuwanderern in Belm stützt sich auf vier Säulen:
Aufbau eines Netzwerkes aus sozialen Einrichtungen und Akteuren Vernetzung der Integrationspolitik als „Chefsache“
Soziale und berufliche Integration der Zuwanderer
Nutzung der Potenziale der Zuwanderer - Highlights der Integrationsarbeit
Gute Erfahrungen hat die Gemeinde mit einigen Projekten gemacht, die sie als „Highlights“ der möglichen Nachahmung empfiehlt.
Literatur
Literatur: Landkreis Hersfeld-Rotenburg
Baumert, Martina/ Brechlin, Christiane: Die Entwicklung regionaler Netzwerke im Landkreis Hersfeld-Rotenburg. In: S. Weber (Hrsg.): Netzwerkentwicklung in der Jugendberufshilfe. Erfahrungen mit institutioneller Vernetzung im ländlichen Raum. Opladen 2001: Leske + Budrich. S. 153-173
Bertelsmann Stiftung und Bundesministerium des Innern: Erfolgreiche Integration ist kein Zufall. Strategien kommunaler Integrationspolitik. Auschreibung Teil II. Fragebogen ausgefüllt vom LK Hersfeld-Rotenburg. o.O. o.J.
Fachdienst Migration des LK Hersfeld-Rotenburg: Wettbewerb „Erfolgreiche Integration ist kein Zufall. Strategien kommunaler Integrationspolitik“. (Ausführliche Bewerbung des LK)
Schnelle Integrationskurse. In: Hersfelder Zeitung vom 14.5.2005
Strasser, Gert: Lernprozesse auf dem Weg zu einer regionalen Vernetzung – Anmerkungen zur wissenschaftlichen Begleitung im Landkreis Hersfeld-Rotenburg. In: S. Weber (Hrsg.): Netzwerkentwicklung in der Jugendberufshilfe. Erfahrungen mit institutioneller Vernetzung im ländlichen Raum. Opladen 2001a: Leske + Budrich. S. 175-184
Strasser, Gert: Netzwerke für Integration. Planung und Management. In: U. Mehrländer, G. Schultze (Hrsg.): Einwanderungsland Deutschland. Neue Wege nachhaltiger Integration. Bonn 2001b: J.H.W. Dietz Nachf. S. 174-194
Literatur: Gemeinde Belm
Belm: Informationen zu Integrationsansätzen und –strategien der Gemeinde Belm. (Ausführliche Bewerbung der Gemeinde beim Integrationswettbewerb von Bertelsmann Stiftung und Bundesministerium des Innern)
Belm/ Universität Osnabrück: Zwischenbericht Quartiermanagement. Stand: Dezember 2004. Osnabrück 2005
Bertelsmann Stiftung und Bundesministerium des Innern: Erfolgreiche Integration ist kein Zufall. Strategien kommunaler Integrationspolitik. Auschreibung Teil II. Fragebogen ausgefüllt von der Gemeinde Belm. o.O. o.J.
Niemand begrüßt dich mit einem goldenen Teller. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 20.7.2005
Wenzel, Hans-Joachim: Aussiedlerintegration als kommunalpolitische Aufgabe. Aktivitäten und Maßnahmen am Beispiel des Landkreises Osnabrück. In: K.J. Bade, J. Oltmer (Hrsg.): Zuwanderung und Integration in Niedersachsen seit dem Zweiten Weltkrieg. Osnabrück 2002. S. 167-198